Barbara Mayr
Katrin Seybold
Dokumentaristin schützt vor dem Vergessen
Interview: Jeder Film braucht eine Aussage
Katrin Seybold schafft mit "Die Widerständigen" ein Porträt der Widerstandsbewegung die Weiße Rose. In Gesprächen mit Zeitzeugen geht sie den damaligen Erlebnissen von Freunden, Bekannten und Partnern der Geschwister Scholl auf den Grund. Diese wurden 1943 hingerichtet. Dokumentationen zu diesem Thema zu machen ist für sie wie ein Zwang, so die deutsche Filmemacherin in dem offenherzigen Gespräch mit Filmreporter.de.
erschienen am 25. 06. 2008
Ricore: Sie haben die Themen Verfolgung, Widerstand und Nationalsozialismus schon in anderen Dokumentationen aufgegriffen. Worin besteht Ihre Faszination?

Katrin Seybold: Ich würde das Wort Faszination für mich nicht benutzen, sondern es hat eher etwas mit Notwendigkeit, Wollen, Möchten zu tun. Es ist ein Wunsch von mir, solche Themen am Leben und in den Köpfen der Menschen zu halten. Ich drehte 1981 meinen ersten Film zu diesem Thema mit dem Titel "Es ging Tag und Nacht, liebes Kind" mit Sinti in Auschwitz. Als ich die Menschen kennen lernte, merkte ich, wie wichtig es ist, das festzuhalten. Ich sehe mich als Festhalterin, als jemand, der die Erinnerung festhält. Und auch wie wichtig diese Arbeit ist. Und ich habe die Mittel und die Möglichkeit dazu, das zu machen. Das geht mehr von meinem Beruf aus, ich habe die Möglichkeit das filmisch festzuhalten. Und das tue ich.

Ricore: Inwieweit sind und waren Sie und Ihre Familie von diesem Thema betroffen?

Seybold: Es gab von meiner Mutters Seite einen Kommunist in der Familie, der an die Front geschickt wurde. Mein Großvater väterlicherseits wurde nicht direkt verfolgt, aber er konnte seine Funktion während des Nationalsozialismus nicht ausüben. Er war in Schlesien Großmeister der Freimaurer-Loge.
Barbara Mayr/Ricore Text
Katrin Seybold im Gespräch
Ricore: Sie sind ja gelegentlich an der Universität tätig. Was würden Sie den Studenten raten, welche Dinge bei einem Dokumentarfilm wichtig sind?

Seybold: Ja, ich hatte ab und zu Studenten. Aber ich übe nicht das Lehramt aus. Es gibt da zwei Dinge. Erstens: Mein Lehrer damals, Hans Rolf Strobel - er war ein wichtiger Dokumentarist in den 1960er Jahren - hat einen meiner ersten Filme angekuckt. Der war vom WDR und für den Bayrischen Rundfunk und hieß "Was junge Arbeiter über Eigentum denken". Da reden junge Lehrlinge ganz forsch daher. Strobel schaute sich den Film an und war daraufhin ziemlich still. Und ich dachte mir: "Oh Jesus, Gott". Er fragte mich: "Was willst du mit dem Film sagen?". Ich hatte darauf keine Antwort und stotterte nur. Ich versteckte mich hinter anderen. Und ich würde heutigen jungen Leuten genau das sagen. Ihr müsst euch überlegen, was ihr sagen wollt. Und ob ihr was zu sagen habt. Ich selber frage mich das bis heute noch bei jedem Film. Das zweite ist, dass ich denke, die Probleme liegen auf der Straße, in der Nachbarschaft, um die Ecke, im Keller auf dem Dachboden. Man muss nur kucken.

Ricore: Was genau wollen Sie mit der Dokumentation "Die Widerständigen" erreichen?

Seybold: Ich möchte festhalten, dass es mutige Leute gab. Das ist meine Aufgabe. Und ich möchte das so gut wie möglich erzählen. Ich habe 120 Stunden Material gedreht. Daraus habe ich nur einen kleinen Teil genommen. Aber es ist wichtig, dass es nicht in Vergessenheit gerät. Das wollte ich damit sagen.
Barbara Mayr/Ricore Text
Katrin Seybold auf der Bühne nach der Vorstellung von "Die Widerständigen"
Ricore: Wie lang haben Sie für den Film recherchiert?

Seybold: Ich habe in den 1990er Jahren schon Filme in Stuttgart und München zu diesem Thema gemacht. Deswegen hatte ich schon vorrecherchiert. Insgesamt würde ich sagen, waren die Vorarbeiten - nicht die Finanzierung - circa zwei Jahre, davon reine Recherche ein Jahr.

Ricore: Was hat Sie während der Recherchen oder während der Produktion am meisten beeindruckt?

Seybold: Jeder Drehtag war ein Erlebnis. Es war sehr aufregend, weil man Leute Dinge fragen muss, die sie eigentlich vergessen wollen. Der Tod der Freundin, der Geschwister..., das sind Erinnerungen, die Schmerz bereiten. Diese Sachen sollen Sie dann unter Scheinwerferlicht, vor Kameras, Mikrofone und Tongeräte erzählen. Das ist an der Grenze dessen, was man als mitfühlender Mensch erleben will. Ich quäle damit die Menschen und sie sind mir auf eine gewisse Art auch ausgeliefert. Das heißt, ich habe eine ungeheuere Verantwortung, ihnen nicht zu sehr wehzutun. Auf der anderen Seite muss ich ihnen aber wehtun. Ich muss ihnen diese Fragen stellen. Diesem Widerspruch kann man schwer auskommen, wenn man Mitgefühl hat.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 25. Juni 2008
Zum Thema
Die 1943 in Polen geborene Katrin Seybold arbeitet seit den 1980er Jahren als Regisseurin. Sie drehte bisher hauptsächlich Dokumentationen mit gesellschaftlicher und politischer Relevanz. So berichtete sie über Nationalsozialismus, Widerstände und Judenverfolgung. Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.
2024