Barbara Mayr/Ricore Text
Alex Orlovsky
Mittellose Independent-Regisseure
Interview: Leben für das Projekt
Christopher Bell, Margaret Brown, Alex Orlovsky und Ed Radtke gehören zu den vielen, amerikanischen, oft mittellosen unabhängigen Regisseuren. Das Münchner Filmfest bietet ihnen jährlich eine Plattform, wo sie sich und ihre Werke einem breiten Publikum präsentieren können. Bei einer Podiumsdiskussion erläutern sie ihre Werke und erklären dem erstaunten Publikum, dass sie sich ihre Leidenschaft meist mit Zweit- und Drittjobs verdienen.
erschienen am 27. 06. 2008
Barbara Mayr/Ricore Text
David Modigliani


Ricore: Wie wichtig ist es für Sie, ihre Persönlichkeit in Ihre Projekte einzubringen? Ist Filmemachen für Sie eine Art Selbstreflektion oder ein Weg, Antworten auf Fragen zu finden?

Margaret Brown: Mein Film ist sicher in einer gewissen Weise persönlich. Aber ich wollte keinen persönlichen Film drehen, daher habe ich all das persönliche Zeug herausgeschnitten. Es ist eher ein Werk, der eine bestimmte Zeit konservieren soll.

Alex Orlovsky: "Momma's Man" spielt in der Wohnung der Eltern der Hauptdarsteller. Es ist das reale Zuhause, dass sich diese Leute in den letzten 40 Jahren aufgebaut haben. Der Protagonist ist dort aufgewachsen. Der Film ist ein Liebesbrief an seine Eltern. In dem Moment, in dem man einen Schauspieler castet, wird die Geschichte zur persönlichen Geschichte des Darstellers.

Ricore: Gibt es eine Grenze, inwieweit man persönliche Dinge in einem Film verwendet? Herr Bell, Ihre Frau ist die Produzentin des Films. Reden Sie nach dem Feierabend noch über das Filmemachen?

Christopher Bell: Wenn du an einem richtigen Independent Projekt arbeitest, gibt es keine Grenze. Du lebst für das Projekt. Ich kann mir da kein anderes Gesprächsthema vorstellen. Wir reden aber auch über Urlaub. Und darüber, nicht über Filme zu reden.
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Alex Orlovsky
David Modigliani: Ich glaube, die Frage nach der Grenze zwischen Persönlichem und Professionellem ist gerade bei Dokumentationen sehr wichtig. Du baust eine Beziehung mit den Darstellern auf, du freundest dich mit ihnen an. Er vertraut dir und öffnet sich. Das ist sehr schön. Auf der anderen Seite entwickelte sich in meinem Film eine Tragödie, in der ich mit den Darstellern mit leide - weil ich eine Beziehung aufgebaut habe. Aber es gibt auch positive Dinge zu berichten. Meine Dokumentation spielt in einer kleinen Stadt, Crawford in Texas. Dort ist George W. Bush in den 1970er Jahren hingezogen. Es war aufregend, die Bewohner der kleinen Stadt beim Screening dabei zu haben. Sie sahen sich selbst im Film. Das war der persönliche Punkt in meiner Doku.

Orlovsky: Unsere Dreharbeiten fanden in einer Wohnung statt. Wir haben den Film chronologisch nach dem Skript gedreht, da die Darsteller keine professionellen Schauspieler waren. Wir waren drei Wochen jeden Tag dort. Wir haben sie beim Frühstücken gefilmt, was sie den ganzen Tag machen und am Abend sind wir nach Hause gegangen. Am nächsten Tag ging alles wieder von vorne los. Wir haben die Darsteller eingenommen. Es war auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.

Ricore: Lassen Sie uns über die Independent Filmszene in Amerika sprechen. Wie schwierig ist es, die finanziellen Mittel für ein Projekt auf zu treiben?

Brown: Ich hatte Investoren, die ich durch meinen letzten Film gefunden habe. So war bei mir die Finanzierung des Films schnell geklärt.

Bell: Wir haben einiges an Geld aufgetrieben, aber es war nicht viel. Ich investiere immer mein eigenes Geld, um die Filme machen zu können. Der Film konnte dann veröffentlicht werden, also war ich erfolgreich.

Orlovsky: Das Klima in der Independent Filmszene hat sich zum Schlechten gewandelt. Vor allem die Verbreitung der Filme ist schwierig.
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Indie-Regisseur Ed Radtke
Ricore: Gibt es einen Grund dafür?

Orlovsky: Keiner versteht warum. Auf dem diesjährigen Sundance Filmfest sind viele Filme gezeigt worden, die am Schluss aber keiner kaufen wollte.

Bell: Ich denke, die Filmwelt verändert sich. Es gibt auch ein Problem mit der DVD, da diese kaum noch gekauft wird. Das Medium Film wird heutzutage aus dem Internet geladen. Der DVD-Verkauf ist tot.

Modigliani: Ja, aber wir alle wussten das schon bevor wir diese Filme produzierten. Wir wussten wie es funktioniert. Und bringen trotzdem unsere Projekte heraus.

Ricore: Die Dokumentationen haben alle ein wichtiges Thema. Was soll durch die Hintertür vermittelt werden?

Modigliani: Ich finde "durch die Hintertür" ist ein treffender Ausdruck. Ich wollte aufzeigen, wie die Leute in Crawford das Leben erlebten, hinter den Kulissen. Ein einfaches Beispiel: Das typische Bild einer Kleinstadt ist jenes von einem alten Traktor und einem Berg von Heu. Und wenn du die Kamera ein bisschen nach rechts bewegst, siehst du die Farm von George Bush, die acht Meilen entfernt davon liegt. Aber das ist das Image, das die Medien wollen. Der Film schaut hinter die Kulissen und zeigt die politische Bühne durch ihre Augen. Die Stadt ist ein Mikrokosmos.

Ricore: Wie wichtig sind Festivals für diese Filme?

Orlovsky: Im Großen und Ganzen ist der Ort der Premiere ein wichtiges Kriterium für den Erfolg des Films.
erschienen am 27. Juni 2008
Zum Thema
Alex Orlovsky ist seit 2000 als Produzent und Produktionsmanger für amerikanische unabhängige Filme tätig. Am Locarno International Film Festival gewinnt er den Spezialpreis der Jury für das Werk "Half Nelson". Am Münchner Filmfest 2008 ist er mit dem Film "Momma's Man" vertreten.
Christopher Bells berufliche Laufbahn startete er an der Universität in Süd-Kalifornien. Seit 1997 arbeitet er als Drehbuchschreiber der Sportserie "WWF Raw Is War". Er war Crewmitglied bei Philippe Martinez' "Wake of Death - Rache ist alles was ihm blieb" mit Jean-Claude Van Damme und übt sich gelegentlich selbst als Darsteller. Sein Film "Bigger, Stronger, Faster*" aus 2008 handelt von der Einnahme von Stereoiden. Die Protagonisten sind seine beiden Brüder.
David Modigliani behandelt in seinen Werken vor allem persönliche und politische Themen. Seine universitäre Karriere beschließt er mit einem Bachelor of Arts (BA) an der Harvard Universität und einen Master of Fine Arts (MBA) der Universität in Texas, Austin. Im Juli 2006 wird sein erster Dokumentarfilm "Barefoot at Beetlebung" auf der amerikanischen Insel Martha's Vineyard vorgeführt. 2008 präsentiert er die Dokumentation "Crawford" am Münchner Filmfest.
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