Central Film
John Hillcoat
Das Feuer in uns
Interview: John Hillcoat warnt
John Hillcoat beginnt seine Regie-Karriere in der Musikbranche und dreht unter anderem Videos für Nick Cave und Depeche Mode. Mit Cave findet er einen kongenialen Partner für seine Filmambitionen. Der Musiker spielt in Hillcoats Kinodebüt "Willkommen in der Hölle" eine Nebenrolle und verfasst für seinen Western "The Proposition - Tödliches Angebot" das Drehbuch. Er komponiert zudem für die meisten Projekte des Australiers den Score, so auch für sein Drama "The Road". Im Interview mit Filmreporter.de spricht Hillcoat über Parallelen und Unterschiede des Films zur Romanvorlage, den Weltuntergang sowie seine inneren Dämonen.
erschienen am 12. 10. 2010
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The Road
Ricore: Mr. Hillcoat, was hat Sie als Filmemacher an der Roman-Vorlage von Cormac McCarthy interessiert?

John Hillcoat: Viele Leute sagten, der Roman wäre nicht verfilmbar. Als ich ihn gelesen habe, fand ich ihn emotional sehr aufwühlend. Er hat eine unglaubliche Körperlichkeit und sehr starke Bilder. Außerdem sind die Dialoge großartig. Vor allem aber hat mich die emotionale Wirkung des Romans dazu bewogen, ihn zu verfilmen. Ich las das Buch, bevor es veröffentlicht wurde. Sicher hatte das keinen Einfluss auf seine Wirkung auf mich. Ich sage das nur, weil ich keine Ahnung hatte, was aus dem Roman werden würde. Ich wusste nur, dass er großartig war. Einen solchen Stoff zu verfilmen, kommt einer Traumerfüllung gleich.

Ricore: Der Film wahrt die Nähe zur Vorlage. Dennoch, was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen dem Buch und dem Film?

Hillcoat: Es sind sicher die Erinnerungen des Protagonisten. Sie sind über den ganzen Film verteilt. Ich wollte mit ihnen in den Kopf der Figur eindringen. Außerdem habe ich damit auch der Frau des Vaters mehr Gewicht gegeben. Es sollte kein Tag vergehen, an dem der Vater nicht an sie denkt. Seine Gedanken teilt er aber nicht seinem Sohn mit. Er versteckt sie vor ihm, um ihn zu beschützen. Abgesehen davon mussten wir einige grundlegende Dinge ändern, die im Film nicht realisierbar waren. Auch von der Poesie der Sprache haben wir uns befreien müssen und sie so einfach wie möglich erscheinen lassen. Das Hauptziel bei der Adaption war, die intime Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn herauszuarbeiten.

Ricore: Haben Sie mit Cormac McCarthy zusammengearbeitet?

Hillcoat: Nein, aber die 'Arbeitsbeziehung' zu McCarthy hätte nicht besser sein können. Und zwar in dem Sinne, als er das große Okay zur Realisierung gab. Außerdem stand er jederzeit für Fragen zur Verfügung. Er kam ab und zu auch an den Set, aber er hat nie nach dem Skript gefragt. Als wir ihn nach Anregungen fragten, gab er uns nützliche Tipps. Das war toll und sehr hilfreich.
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Robert Duvall und Kodi Smit-McPhee in "The Road"
Ricore: Mag er den Film?

Hillcoat: Ja, er liebt ihn. Wovor ich am meisten Angst hatte, war seine Reaktion auf das Ergebnis. Zumal er das Drehbuch vorher nicht gelesen hatte. Er hat nicht das Gefühl, dass etwas aus dem Buch fehlen würde. Also ja, er ist begeistert vom Film.

Ricore: "The Road" ist dem Science-Fiction-Genre zuzuordnen, während das Buch in Deutschland als Thriller vermarktet wurde. Warum werden Science-Fiction nicht ernst genommen?

Hillcoat: Science-Fiction-Stoffe handeln gewöhnlich von der Zukunft. Das könnte der Grund sein. Ich glaube, die Menschen lehnen dieses Genre ab, weil sie damit bloße Einbildung und Phantasie assoziieren, die nichts mit der Realität zu tun hat. McCarthys Buch dagegen ist sehr in der Realität verankert. Man hat beim Lesen das Gefühl, dass das alles schon passiert ist. Ansonsten finde ich es auch schade, dass das Genre es in der öffentlichen Wahrnehmung so schwer hat. Ich glaube aber, das könnte sich durch Autoren wie McCarthy ändern.

Ricore: Sind Sie selbst ein Fan von Science-Fiction-Literatur.

Hillcoat: Ich würde sagen, das ist relativ. Ich mag es nicht, wenn ein Science-Fiction-Buch auf Kosten der Charaktere zu ideenfixiert ist. Was ich an "The Road" so liebe, ist die menschliche Komponente und die Tatsache, dass der Roman etwas zu sagen hat.

Ricore: Kennen sie das Buch "Never let me go?" von Kazuo Ishiguro? Das würde ich Ihnen empfehle.

Hillcoat: Ja, ich kenne das Buch und ich liebe es. Es ist ein gutes Beispiel für einen Science-Fiction-Roman mit menschlichen Charakteren.
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John Hillcoat
Ricore: Inwiefern nimmt ihr Film Bezug auf unsere Gesellschaft?

Hillcoat: Ich wollte unter anderem zeigen, zu was Menschen in Extremsituationen in der Lage sind. Ich glaube, dass Angst das Schlimmste aus dem Menschen macht. Insofern handelt "The Road" vor allem von Angst - und davon, wie wir miteinander umgehen. Das Schrecklichste im Film ist, dass der Vater aufgrund der Abwesenheit des Guten und der Menschlichen auf der Welt letztlich zu dem wird, das er immer verabscheut hat. Gleichzeitig nimmt er sich seines Kindes an und bemüht sich, ihm Menschlichkeit beizubringen. Cormac McCarthy sagte mir einmal, dass sein Buch von der menschlichen Güte handle.

Ricore: Wie wird unsere Welt in 100 Jahren aussehen?

Hillcoat: Das ist schwer zu sagen. Das hängt von unseren Entscheidungen ab. Als der Vulkan Mount St. Helens ausbrach, war das eine desillusionierende Erfahrungen für den Menschen. Wir erkannten plötzlich, dass wir der Natur machtlos gegenüber stehen und sie nicht kontrollieren können. Das Ereignis erinnerte uns, dass es nichts Größeres als die Natur gibt und dass wir Teil dieser Natur sind. Der Fall "Katrina" ist wiederum eine Kombination von beidem. Der Hurrikan war einerseits eine Naturkatastrophe, andererseits wurde er vom Menschen verursacht. Und dann gibt es immer wieder Fälle, in denen einzig der Mensch die Ursache für eine Umweltkatastrophen ist. Wie die Welt also in 100 Jahren aussehen wird, hängt einzig davon ab, wie wir uns in Zukunft verhalten werden. Wir sind die Gestalter der Welt.

Ricore: Wenn morgen Weltuntergang wäre, was würden Sie unbedingt noch erledigen wollen?

Hillcoat: Ich würde meine Kinder und meine Frau umarmen. Es sind schließlich die Beziehungen zu unseren Mitmenschen, die für uns zählen.
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Viggo Mortensen in "The Road"
Ricore: Im Film muss der Vater einige extreme Maßnahmen ergreifen, um zu überleben. Wie weit würde Sie gehen, um ihre Familie zu beschützen.

Hillcoat: Das ist eine schwere Frage. In einer bequemen Situation können wir leicht mutmaßen, was wir tun und was wir nicht tun würden. Aber letztlich sind es die Extremsituationen, die uns zu bestimmten Handlungen zwingen. Einmal wurde bei uns eingebrochen und ich war selbst überrascht über meine Reaktion. Der Eindringling stand plötzlich im Schlafzimmer und starrte auf unser Bett. Ich sprang auf und jagte ihm nach. Das war ein Urinstinkt, über den ich keine Macht mehr hatte und der mir eine Heidenangst einjagte. Später erst ist mir aufgefallen, dass er mit einem Messer bewaffnet war. An solchen Momenten werden wir von uns selbst überrascht. Es ist also sehr schwer zu sagen, wie weit ich in Extremsituationen gehen würde.

Ricore: In einer Szene unterhält sich der Vater mit einem alten Mann über Gott. Wie steht es bei Ihnen mit dem Glauben an Gott.

Hillcoat: Was ich an dem Buch liebte, war die Tatsache, dass es eine spirituelle Interpretation zuließ. Ich glaube, Cormac McCarthy kämpft in seinem Roman um die Idee Gottes. Ich selbst habe ein Problem mit dem Glauben, wenn es um die organisierte Religion geht. Besonders mit Hinblick auf die religiösen Konflikte, die es auf der Welt im Augenblick gibt. Im Film wollte ich aber die Glaubensfrage der Vorlage aufrechterhalten. Auch mir ging es darum, ob Gott das Gute im Menschen selbst ist. Um die Frage, was uns menschlich macht und uns vom Tier abhebt.

Ricore: Glauben Sie, der Mensch verdient das Ende der Welt?

Hillcoat: Ich glaube, der Mensch ist zu Veränderungen fähig. Die Möglichkeit einer Änderung ist vorhanden. Ich wünsche mir für meinen Sohn, dass er künftig in einer besseren Welt lebt.

Ricore: Wollen wir hoffen, dass die Welt nicht wie in "The Road" endet.

Hillcoat: Wir müssen alle das Feuer in uns tragen.

Ricore: Vielen Dank für das Interview
erschienen am 12. Oktober 2010
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Der 1961 im australischen Queensland geborene, in Kanada aufgewachsene Regisseur und Drehbuchautor John Hillcoat interessiert sich bereits früh für die Kunst. Das Kunststudium bricht er dennoch vorzeitig ab und wechselt zum Filmstudium. Danach findet er als Musikvideo-Regisseur den Einstieg und entwickelt sich zu einem der gefragtesten Filmemacher in diesem Bereich. Er arbeitet mit Künstlern wie Nick Cave and The Bad Seeds, Placebo und Depeche Mode zusammen. Mit Nick Cave verbindet Hillcoat..
The Road (Kinofilm)
Die Welt in "The Road" befindet sich am Rande des Untergangs, fast die gesamte Tier-, Pflanzenwelt sowie der Menschheit sind Opfer einer globalen Katastrophe geworden. Die wenigen Überlebenden sehen im Kannibalismus ihre einzige Überlebenschance. Davor fliehen ein Vater (Viggo Mortensen) und sein Sohn (Kodi Smit-McPhee). Ihr Ziel ist der Süden, wo sie auf bessere klimatische Bedingungen und ein Rest von Zivilisation hoffen. John Hillcoats Adaption von Cormac McCarthys gleichnamigem Roman ist..
2024