Nina Klofac/Ricore Text
Konstantin Wecker
Jeder braucht eine Ethik
Interview: Konstantin Wecker über das Scheitern
Mit seiner Ballade "Willy" landete Konstantin Wecker 1977 einen Hit. Seither gab es mehrere Neuauflagen des Songs, immer voller direkter Gesellschaftskritik des Komponisten. In Erding hat der Münchner Liedermacher den Fernsehfilm "Die Trödelqueen" für die ARD gedreht. Darin spielt er den gemeinen Adligen Randolf Heidenreich, der zwei Frauen das Leben schwer macht. Mit uns spricht der Musiker und Gelegenheitsschauspieler über seine Liedtexte, Erfolgsleitern aus Niederlagen und die Moral der heutigen Gesellschaft.
erschienen am 5. 04. 2011
ARD Degeto/Elke Werner
Konstantin Wecker
Ricore: Wie ist es mit dem Dreh der "Sonntagnachmittagrevoluzzer"? Konstantin

Wecker: (lacht) Das ist immer ganz spannend, man kann die Revoluzzer immer im Hinterkopf behalten. Es ist ja sehr schön, wenn man beim Drehen in so Rollen hineinschlüpfen kann, die man zum Teil sogar bekämpft.

Ricore: Spielen Sie in "Die Trödelqueen" einen Revolutionär?

Wecker: Nein, gar nicht. Ich spiele einen Adligen, der durch Schrotthandel zu Geld gekommen ist.

Ricore: Also keinen Anarchisten. Wie kamen Sie zu Ihrer sozialkritischen Weltsicht?

Wecker: In meinen Liedern?

Ricore: Sowohl in Ihren Liedern als auch in Ihrem Lebenswandel.

Wecker: Das war eine reine Notwendigkeit. Ich hatte das große Glück, ein antifaschistisches und auch antimilitaristisches Elternhaus zu haben. Das war in meiner Generation sehr selten. Mein Vater hat für mich eine richtige Vorbildfunktion eingenommen. So wie ich groß geworden bin, konnte ich eigentlich gar keinen anderen Weg einschlagen.
ARD Degeto/Elke Werner
Mariele Millowitsch in "Die Trödelqueen"
Ricore: Leben Sie die Botschaften in Ihren Liedern auch selbst?

Wecker: Manchmal tue ich das mit Verspätung. Das war vor allem früher oft der Fall. Meine Lieder sind definitiv klüger als ich und so muss ich ihnen immer wieder folgen. Das ist ein sehr interessanter Aspekt. Die Lieder schreiben sich ja von selbst, schließlich setzte ich mich nicht hin und überlege mir, was für ein Lied ich jetzt schreibe. Im Endeffekt sind die Texte immer eine Form von Eingebung. Es kommt aus einem Teil des Unterbewussten - und das ist ja meistens klüger. Ich habe schon gemerkt, wie ich mich vielen Sachen, die ich mit 30 Jahren geschrieben habe, erst annähern musste. Vieles ist heute immer noch gültig und ich denke oft, so war ich früher doch gar nicht.

Ricore: Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Wecker: Ich habe zum Beispiel sehr schöne, einfühlsame Lieder geschrieben, auch schon im Alter von 30 Jahren. Meine Lebensweise war damals aber eine ganz andere. Ich hab damals das typische Rollenbild des Mannes erfüllt.

Ricore: In einem Interview mit dem Stern sagten Sie einmal, sie hätten Liebe früher oft mit einem Hormonschwall verwechselt.

Wecker: Ja, das habe ich oft getan. Ich glaube, das tun viele Männer. Da bin ich sicher nicht allein.
Nina Klofac/Ricore Text
Konstantin Wecker
Ricore: In Bezug auf Ihre Biografie - welche Formen des Scheiterns haben Sie erfahren?

Wecker: Es gab auf alle Fälle sehr viele, sonst hätte ich das Buch nicht "Die Kunst des Scheiterns" genannt. Das eine öffentliche Scheitern ist wirklich genug ausgewälzt worden, als dass wir es hier besprechen müssten. Ich denke einfach, dass es kein Leben ohne Scheitern und Niederlagen gibt. Aber leider leben wir in einer Gesellschaft, die uns einzureden versucht, wir könnten ein durchweg glückliches und erfolgreiches Leben führen und auf der Erfolgsleiter immer weiter hochklettern. Dabei kann man auch auf einer Leiter nach oben kommen, deren Sprossen aus Niederlagen bestehen. So klettert man vielleicht nicht im gesellschaftlichen Ansehen hoch, aber für sich selber tut man das auf jeden Fall. Man kommt innerlich weiter und um nichts anderes geht es im Leben. Alles andere ist Beiwerk. Beiwerk, an dem wir lernen müssen, uns zu gestalten, unseren Lebenslügen auf die Spur zu kommen.

Ricore: Sind auch die Medien Beiwerk?

Wecker: Die Medien entwickeln manchmal ein Eigenleben, das man als Person nie ganz im Griff hat. Genauso wenig hast Du ja im Griff, was eine Freundin von dir denkt. Das kann man niemals wirklich wissen. Es ist nicht möglich, ein Leben zu führen, bei dem alle gut von einem denken. So etwas gibt es nicht und insofern kann dieses Vorhaben auch nur scheitern. Klar kann Dieter Bohlen einen Pakt mit der Bildzeitung schließen. Aber es kann ihm trotzdem passieren, dass die Zeitung ihn irgendwann nicht mehr mag. Und dann hat man eben Pech gehabt. Je älter man wird, desto mehr stellt man fest, dass alles relativ nebensächlich ist. Für die eigene Gestaltung kommt es nicht darauf an, was außen passiert. Es ist viel wichtiger, was innen passiert.

Ricore: Wie verhält es sich heute Ihrer Meinung nach mit der Moral?

Wecker: Naja, wir leben doch in einer völlig unmoralischen Welt. Wir werden beschissen, wo es nur geht. Das Einzige, was irgendwo in irgendwelchen Medien hochgehalten wird, ist diese Sexualmoral, die als einzige Moral bezeichnet wird. Das ist natürlich ein guter Trick um von dem unmoralischen Handeln, das es in der ganzen Gesellschaft gibt, abzulenken. Wer handelt denn heute moralisch? Welche Bank handelt moralisch? Welcher Politiker handelt im Endeffekt wirklich noch moralisch? Moral ist ein Scheingebilde. Ich habe ja früher schon gesagt, dass die einzige Möglichkeit darin besteht, sich täglich selbst eine eigene Ethik zu schaffen. Es hat überhaupt keinen Sinn, sich an ideologische Gebäude zu klammern. Weder an staatliche, das haben wir ja am Beispiel der DDR gesehen, wie schnell so etwas innerhalb von wenigen Stunden zerbrechen kann, noch macht es Sinn, sich an die kirchliche Moral zu klammern. Das war eigentlich schon immer klar. Man muss sich selbst mit seiner eigenen Moral auseinandersetzen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. April 2011
Zum Thema
Der 1947 in München geborene Konstantin Wecker lernt im Alter von acht Jahren Geige zu spielen, mit 14 nimmt er sich dem Klavier an. Vor seiner Karriere als Liedermacher macht er sich einen Namen als Komponist von Filmmusiken ("Schtonk!", "Herr Bello"). Mit dem Erfolg seiner Lieder kommen in den 1990er Jahren auch die Drogen. Er wird kokainabhängig, nimmt jahrelang die gefährliche Droge. Seit 1996 ist er mit der 27 Jahre jüngeren Annik Berlin verheiratet. Sie hilft ihm, von den Drogen..
2024