Ascot Elite
Patrick Huard in "Starbuck"
'Die Reise ist schöner als das Ziel'
Interview: Patrick Huards Lebensreise
In Kanada genießt Patrick Huard bereits Starstatus. In Europa ist der Schauspieler und Regisseur noch weitgehend unbekannt. Mit der Komödie "Starbuck" könnte sich das ändern. Darin spielt Huard einen liebenswerten Verlierer, der biologischer Vater von 533 Kindern ist. Im Rahmen des Filmfests München hat Filmreporter.de den sympathischen Kanadier getroffen und sich mit ihm über das Vatersein und seine 'Lebensreise' unterhalten.
erschienen am 17. 08. 2012
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Starbuck
Ricore: Mr. Huard, in "Starbuck" spielen Sie einen liebenswerten Mann mittleren Alters, der erfährt, dass er biologische Vater von 533 Kindern ist. Was reizte Sie an dieser ungewöhnlichen Geschichte?

Patrick Huard: Nach fünf Seiten wusste ich einfach, dass ich diesen Kerl spielen will. Am Angang der Lektüre dachte ich: Ok, der Mann hat 533 Kinder, eine weitere alberne Komödie. Dann war ich von der Geschichte völlig gefangengenommen. Zehn Minuten später rief ich Ken an (Ken Scott, Drehbuchautor und Regisseur des Films; Anm. der Redaktion] und sagte ihm, dass ich nicht glauben kann, dass er mir diese Rolle anbietet. Es kommt nicht oft vor, so einen Charakter zu spielen. David ist ein großartiger Kerl. Er hat es zu nichts im Leben gebracht und scheitert an allem, was er anpackt. Nur in einer Sache ist er sehr gut: im Führen von Beziehungen. Er kann gut mit Menschen und ist ein guter Vater.

Ricore: Haben Sie Gemeinsamkeiten zwischen sich und David entdeckt?

Huard: Ich habe zwei Kinder, wobei das zweite nach der Fertigstellung von "Starbuck" geboren wurde. Meine 15-jährige Tochter ist mit mir auf dem Filmfestival München. Die größte Gemeinsamkeit, die ich mit David teile, ist die Tatsache, dass auch ich niemals andere Menschen verurteile. Wir beide nehmen die Menschen, wie sie sind, ohne über sie zu richten. Auch wenn Menschen unvollkommen und voller Makel sind, sind sie liebenswert. Abgesehen davon hat David viele Eigenschaften mit meinem Vater gemeinsam. Überhaupt habe ich das Beste aus allen Vätern, denen ich in meinem Leben begegnet bin, in diese Figur hineinprojiziert. David sollte der ultimative Super-Vater werden.

Ricore: David wird unter dem Eindruck seiner Vaterschaft zu einem besseren Menschen. Haben auch Ihre Kinder Ihr Leben verändert?

Huard: Ja. Als Vater tut man alles, damit die Kinder ihre Flügel ausbreiten und zu sich selbst finden. Man möchte ihnen das Beste von sich mitgeben, damit sie besser werden, als man selbst gewesen ist. Das Gleiche tut auch David. Er merkt, dass er sich selbst hilft, indem er seinen Kindern hilft. Durch seine Kinder wird er zu dem, was er wirklich ist. Durch sie lernt er, sich gegenüber seinen Mitmenschen durchzusetzen. Das ist ein harter Weg, aber es ist sein Weg. David wird so endlich erwachsen.
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Patrick Huard in München bei der "Starbuck"-Premiere
Ricore: David wird von seinem Umfeld wegen der Samenspenden als Perverser gebrandmarkt. Lag das an der hohen Zahl von Spenden, oder ist Samenspende generell ein Tabu-Thema?

Huard: Ja, ich denke, dass das Thema noch immer ein gesellschaftliches Tabu ist. Die Menschen haben die Neigung, die Wahrheit auszublenden. Sie möchten ihre Steaks auf dem Teller haben und übersehen dabei, dass dafür ein Tier getötet wurde. Sie sehen nur das Endprodukt, wie es dazu gekommen ist, klammern sie aus. Das Gleiche lässt sich über Samenspenden sagen. Die Menschen glauben zwar, dass jeder ein Recht auf Kinder hat, können aber nur schwer akzeptieren, dass jemand in eine Plastikflasche masturbiert, um Leben zu schenken.

Ricore: Wie standen Sie zu Davids Samenspenden?

Huard: Ich urteile grundsätzlich niemals über meine Figuren und ihre Entscheidungen. Ich stelle auch niemals ihre moralische Haltung in Frage. Das Einzige, das ich bei meinen Figuren suche, ist die ihre Motivation. Warum tut er das? Was sind die Gründe für seine Entscheidungen? Der Grund für Davids Handlungsweise ist rein und unschuldig. Sie ist sogar sehr romantisch.

Ricore: Kann man daraus auch auf Ihre Einstellung zu Menschen im Allgemeinen schließen?

Huard: Ja, durchaus. Eine Sache nehme ich immer als selbstverständlich hin: Was immer ein Mensch tut, welche Entscheidungen er im Leben auch treffen mag, im dem Moment, in der er sie trifft, weiß er, dass sie richtig ist.

Ricore: Müssen Menschen Fehler machen, um bessere Menschen zu werden?

Huard: Ja, absolut. Man muss manchmal den falschen Weg einschlagen. Auch der falsche Weg kann einen Menschen zum Besten führen. Ich habe in meinem Leben oft die falsche Abbiegung genommen. Später hat es sich herausgestellt, dass das die beste Entscheidung war, die ich hätte treffen können. Was immer wir im Leben unternehmen, die Reise ist immer schöner als das Ziel. Das Ziel ist niemals der Stoff langer Unterhaltungen. Über die Reise kann man ewig sprechen. Sie ist viel interessanter als das Ziel.
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Patrick Huard in "Starbuck"
Ricore: "Starbuck" ist eine Komödie, die auch ernste Töne anschlägt. Wie schwierig war es für Sie als Schauspieler, die richtige Balance zwischen Komik und Ernst zu finden?

Huard: Wir wollten zeigen, dass sogar das Komische auf realistischem Boden gründet. Wir wollten nicht nur witzig sein, sondern auch das Emotionale betonen. Ken Scott, sein Koautor Martin Petit und ich kennen uns seit 20 Jahren. Wir fingen alle als Stand-up-Comedian an und hätten aus "Starbuck" locker einen 90-minütigen Film voller Sperma-Witzen machen können. Das wollten wir aber nicht. Ken hatte von Anfang an eine konkrete Vorstellung, was die Tonlage des Films angeht, die ich versucht habe, umzusetzen. Ich finde ohnehin, dass Lachen und Tränen denselben Ursprung haben. Sie resultieren beide aus der Hingabe des Zuschauers zu dem, was sie auf der Leinwand sehen. Der Mensch drückt sich durch Lachen aus. Er gibt einen Kommentar ab im Sinne von: Ich stimme dem zu, ich lehne es ab, es ist dumm, es ist klug, usw. Lachen hat immer eine Bedeutung. Es ist genauso einnehmend und involvierend wie das Drama. Insofern ist es nicht so schwierig, eine Balance zwischen diesen Elementen zu finden.

Ricore: Wie erklären Sie sich den enormen Erfolg des Films in Kanada?

Huard: Ich denke, das liegt vor allem am Thema der künstlichen Befruchtung liegen, das zurzeit in der Öffentlichkeit heiß diskutiert wird. Auch zeigt der Film ein Männerbild, mit dem sich viele Menschen identifizieren. Männlich sein war in den letzten Jahren etwas verpönt, heute wird es wieder als gut und erstrebenswert angesehen. Der wichtigste Grund für den Erfolg des Films ist aber das Licht, das aus ihm herausstrahlt. Er ist sehr inspirierend. Wenn man aus dem Kino kommt, fühlt man sich besser.

Ricore: In Kanada sind Sie sehr populär, in Europa kennt man sie weniger. Fürchten oder begrüßen Sie den internationalen Rum, der mit "Starbuck" auf Sie zukommen könnte?

Huard: Um ehrlich zu sein, das fände ich großartig (lacht). Ich liebe es, neue Menschen kennenzulernen. Wenn ich 20 Sprachen sprechen würde, würde ich am liebsten auch in all diesen Sprachen arbeiten. Grundsätzlich habe ich aber keine bestimmten Erwartungen, was meine Karriere und deren Verlauf angeht. Mein Beruf ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen und Begegnungen. Wenn ich mit einem Masterplan an meine Arbeit herangehen würde, wäre sie von Anfang zum Scheitern verurteilt. Das ist bei mir immer so gewesen. Wenn ich bemüht war, Geld zu verdienen, habe ich welches verloren. Wenn ich es nicht versuchte, habe ich viel verdient. Ich konzentriere ich mich einfach auf meine Arbeit und versuche gute Geschichten zu erzählen. Ich hoffe, dass ich noch viele Filme machen kann.

Ricore: Auch als Regisseur? Schließlich haben Sie bereits zwei Filme inszeniert.

Huard: Ja, ich würde gerne wieder als Regisseur arbeiten. Genau genommen, arbeite ich gerade an zwei Projekten. Ich liebe, es Regie zu führen und auch als Autor tätig zu sein. Ich habe den am wenigsten nützlichen, dafür aber den besten Job der Welt (lacht).

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 17. August 2012
Zum Thema
Patrick Huard wird am 2. Januar 1969 in Montreal, Québec geboren. Der Kanadier macht erstmals in den 1990er Jahren als Schauspieler auf sich aufmerksam. Seit 1997 wirkt er in vielen Spielfilmen mit, darunter "J'en suis!", "La vie après l'amour" sowie "Les Boys". Huard kann auf zahlreiche Nominierungen als bester Haupt- oder Nebendarsteller zurückblicken. Des weiteren ist Huard in Reality-Shows und TV-Serien wie "Taxi 0-22" zu sehen.Eric Bogosians "Talk Radio". Zudem ist er als Moderator,..
Starbuck (Kinofilm)
David Wozniak (Patrick Huard) erfährt von einem Anwalt, dass er der biologische Vater von 533 Kindern ist. Um Geld zu verdienen hat er als Jugendlicher ein ums andere Mal eine Samenbank besucht, die sein Sperma aus Versehen an hunderte Paare weitergab. Zunächst schockiert, nimmt David vorsichtig Kontakt zu einigen Kindern auf. "Starbuck" ist eine aberwitzige Komödie, die auch in den ernsten Momenten nicht in Rührseligkeit und Kitsch abdriftet. Die Hauptrolle ist von Patrick Huard großartig..
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