Ben Mark Holzberg/CBS
Enrico Colantoni
"Zwischen Leuten vermittelt"
Interview: Verhandlungsprofi Enrico Colantoni
Fans der Serie "Veronica Mars" dürfte Enrico Colantoni noch bestens als Sheriff der fiktiven Stadt Neptune in Erinnerung sein. In der kanadischen Polizeiserie "Flashpoint - Das Spezialkommando" spielt er erneut einen Gesetzeshüter. Als Chef-Verhandler der Strategic Response Unit (SRU) bekommt er es mit Geiselnehmern und Bombenlegern zu tun. Im Interview erzählt uns der gebürtige Kanadier, warum er in Wirklichkeit nie Polizist werden würde und welche Rolle die Familie für ihn spielt. Zudem verrät er uns den entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben.
erschienen am 4. 05. 2010
Ben Mark Holzberg/CBS
Enrico Colantoni, Sergio di Zio, Gabriel Hogan in einer Szene aus: Flashpoint - Das Spezialkommando
Ricore: Was unterscheidet "Flashpoint - Das Spezialkommando" von den vielen anderen Krimi- und Polizei-Serien, die derzeit im Fernsehen laufen?

Enrico Colantoni: Die emotionale Intelligenz. In unserer Serie geht es nicht in erster Linie um Forensik, sondern eher um die Bürde der Helden. Wir sehen Polizisten, die den Frieden aufrecht erhalten wollen. Sie sind Helden, weil sie sich auch nach vielen Jahren im Dienst noch für den Frieden engagieren. Dabei wollen sie möglichst niemanden töten und wenn es doch mal sein muss, hat das Konsequenzen. Dann empfinden sie Reue und Frustration.

Ricore: Der Pilotfilm beginnt als Action-Episode und entwickelt sich in gewisser Weise zu einer kleinen Charakterstudie. Ist das charakteristisch für die ganze Serie?

Colantoni: In der ersten Staffel ändert sich das ein wenig und wir erfahren auch mehr über all die anderen Charaktere. Im Grunde sind die Leute, mit denen es unsere Figuren jeden Tag zu tun bekommen, keine Kriminellen. Es sind Leute, die aus Frustration oder anderen Gründen schlimme Dinge tun. Wir haben Mitgefühl und Verständnis für diese Menschen. Wir wollen sie auf eine Weise erreichen, die in den meisten Polizei-Serien keine Rolle spielt.

Ricore: Wie würden Sie Ihren Serien-Charakter beschreiben?

Colantoni: Er ist ein Verhandlungsspezialist, der zunächst kommunizieren will. Dann lässt er den Charakter von Ed Lane den taktischen Teil übernehmen. Meine und seine Figur ergänzen sich und ergeben sozusagen einen ganzen Menschen. Mein Charakter ist mehr der emotionale, intellektuelle Typ, der die Dinge verstehen will, damit eine Kommunikation möglich ist.

Ricore: Inwiefern können Sie sich mit Ihrer Figur identifizieren?

Colantoni: Ich habe mein ganzes Leben lang zwischen Leuten vermittelt. [lacht]

Ricore: Wie meinen Sie das?

Colantoni: Ich bin ein geschiedener Mann, der mit seiner Ex-Frau nach wie vor befreundet ist. Nicht jeder ist dazu in der Lage. Seit jeher bin ich jemand, für den Frieden absoluten Vorrang hat. Frieden, Respekt und Verständnis gegenüber anderen Menschen. Viele meiner Freunde haben einen anderen Glauben und eine andere Sichtweise. Auch als Schauspieler ist es wichtig, andere Leute nicht einfach zu verurteilen, egal, ob sie gut oder böse erscheinen. Auf diese Weise können wir uns in den Charakter einfühlen und in diese Welt eintauchen.
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Enrico Colantoni und Hugh Dillon in einer Szene aus: Flashpoint - Das Spezialkommando
Ricore: Hilft Ihnen Ihr Psychologie-Studium bei der Verkörperung eines Verhandlungsexperten?

Colantoni: Ich habe nur ganz kurz Psychologie studiert. Im Schauspielunterricht habe ich viel mehr über Psychologie gelernt.

Ricore: Was genau haben Sie dabei gelernt?

Colantoni: Nun, dass jeder im Grunde gut ist. Selbst der erste Instinkt von Soldaten ist es, nicht zu töten. Dabei werden moderne Soldaten auf das Töten trainiert. Doch wir müssen ein besseres Verständnis dafür entwickeln, denn eigentlich wollen wir niemanden unserer eigenen Spezies töten.

Ricore: Denken Sie, es gibt bestimmte Situationen, in denen das Töten eines anderen Menschen gerechtfertigt ist?

Colantoni: Soldaten und Polizisten können es rechtfertigen, wenn sie das Leben anderer Menschen beschützen und dadurch verhindern, dass noch mehr Schaden angerichtet wird. Moralisch ist es trotzdem Töten. Selbst für Polizisten ist das sehr schwer, obwohl sie wissen, dass es ihre Verantwortung als Gesetzeshüter ist und sie den Abzug drücken müssen. Sie können das nicht so einfach abschütteln. Ich kenne niemanden, der im Zuge seiner Arbeit das Leben eines anderen beenden muss und es einfach so abtut.

Ricore: Welche Rückmeldung kriegen Sie von Polizisten, die sich Ihre Serie anschauen?

Colantoni: Sie lieben uns, denn sie wissen es zu schätzen, dass wir sie nicht als Roboter zeigen. Wir zeigen sie nicht als gefühlskalte Autoritäten ohne emotionalen Kern. Wir zeigen, wie sich ihre Erlebnisse auf sie auswirken. In vielen anderen Polizeiserien und -filmen gibt es bloß den alkoholkranken Polizisten, den betrügerischen Polizisten oder den jungen, naiven Polizisten. Es wird immer nur die dunkle Seite der Polizeiarbeit gezeigt. Ich wünschte, ich bekäme einen Dollar für jeden Polizisten, der in Toronto auf mich zukommt und sich dafür bedankt, dass wir sie als Menschen zeigen, die sich kümmern. Unsere Serie erinnert sie daran, warum sie tun, was sie tun.

Ricore: Könnten Sie sich vorstellen, auch im wahren Leben Polizist zu sein?

Colantoni: Mein Bruder war 30 Jahre lang Polizist, ich selbst kann mir das nicht vorstellen. Es ist zu heftig, was sie durchmachen müssen. Sie müssen sich einen Schutzpanzer zulegen, da sie viel Kritik einstecken müssen. Ihre Arbeit wird oft missverstanden. Jeden Tag gehen sie raus und riskieren ihr Leben, nur um kritisiert, angegriffen und angeschossen zu werden. Kein Wunder, dass sie zu einer eingeschworenen Gemeinschaft werden, denn nur sie selbst können die Dinge verstehen, die sie durchstehen müssen.
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Enrico Colantoni in einer Szene aus: Flashpoint - Das Spezialkommando
Ricore: Was meinen Sie, warum hat die Öffentlichkeit so ein negatives Bild von der Polizei?

Colantoni: Weil niemand gesagt bekommen will, was er zu tun hat. Alle wollen sich frei fühlen. Niemand will eine Einmischung, so dass man sich einfach das nehmen kann, was man will. Wir alle geben gerne anderen die Schuld.

Ricore: Hat Ihnen Ihr Bruder Tipps für Ihre Rolle gegeben?

Colantoni: Nein, doch er hat sich das Skript vorher durchgelesen und gesagt, dass es nahe an die Realität der Polizisten herankommt. Das war für mich einer der Hauptgründe, warum ich die Rolle angenommen habe. Im Laufe der Jahre habe ich viele seiner Freunde kennen gelernt und sie wirkten irgendwie isoliert. Sie versuchten, Spaß zu haben, doch wenn ich sie in Anwesenheit anderer Leute sah, war es schwierig für sie, sich zu amüsieren.

Ricore: Was denken Sie, warum wählen manche Leute trotz allem so einen gefährlichen Beruf?

Colantoni: Manche wollen einfach nur einen Job. Aber diejenigen, die diesen Beruf aus Überzeugung wählen, wollen dadurch die Dinge in der Welt positiv verändern und Unschuldige schützen.

Ricore: Mussten Sie sich für die Rolle einem speziellen Training unterziehen?

Colantoni: Ja, wir haben einige Zeit mit taktischen Offizieren in Toronto verbracht und waren beim Training dabei. Aber letztlich machen wir eine Fernsehserie, bei der es um Unterhaltung geht. Wir nehmen uns also auch Freiheiten und haben Spaß.

Ricore: In jeder Episode sieht man einen Wendepunkt im Leben einer Figur. Welche Situation würden Sie in Ihrem Leben als Wendepunkt bezeichnen?

Colantoni: Mit 30 Jahren machte ich meinen Abschluss an der Yale School of Drama und die drei Jahre, die ich in New Haven verbrachte, waren wie eine Wiedergeburt für mich. Ich war dadurch in der Lage, meinen Horizont zu erweitern, ein Vater zu sein und Verständnis für andere Menschen zu entwickeln. Davor war ich ziemlich eigennützig, es zählte nur das was ich wollte und ich kümmerte mich nicht um andere. Zu lernen, nicht zu urteilen und stattdessen andere Menschen positiv zu beeinflussen, hat mein Leben gerettet.

Ricore: Kam dieser Perspektivwechsel durch die Schauspielerei zustande?

Colantoni: Ja, genau, durch die Techniken und meine Lehrer, die das Schauspielern als Erweiterung des Lebens lehrten. Die Integrität, die wir als Schauspieler haben, wirkt sich auf unsere Integrität als Menschen aus.
Warner Bros.
Veronica Mars - 1. Staffel
Ricore: In "Flashpoint - Das Spezialkommando" spielt das Thema Familie eine wichtige Rolle. Welche Bedeutung hat die Familie in ihrem Leben?

Colantoni: Meine Familie, meine beiden Kinder sind das Wertvollste in meinem Leben. Ich habe das Glück, das tun zu können, was ich liebe und auf sie aufpassen zu können. Das ist ein wunderbarer Ausgleich. Ich kann von der Schauspielerei leben und ihnen dadurch ein sicheres Leben ermöglichen. Daher besteht meine Familie aus den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite und meinen Kindern. Natürlich arbeite ich momentan viel, aber dazwischen gibt es auch Pausen, in denen ich die ganze Zeit über als Vater da sein kann. Das ist das Tolle an der Schauspielerei: Man arbeitet und dann wieder nicht.

Ricore: In der Fernsehserie "Veronica Mars" spielten sie auch einen Vater, der ein tolles Verhältnis zu seiner Tochter hat...

Colantoni: Das war eine perfekte Vater-Tochter-Beziehung, nicht wahr? Die Figur Keith Mars hat mir dabei geholfen, selbst Vater zu sein. Als meine Tochter etwa sechs Jahre alt war, hat sie Kristen getroffen. Es war ein erhebendes Gefühl, meine fiktive, ältere Tochter meiner eigenen, jüngeren Tochter vorzustellen. Was meine Beziehung zu Kristen betrifft: Wenn eine Mutter oder ein Vater den nötigen Respekt für seine Kinder hat, kann man beobachten, wie sie zu den Menschen werden, zu denen sie bestimmt sind. Man steht ihnen zur Seite und beschützt sie, doch letztlich muss man ihnen den nötigen Freiraum geben, um sie in die Welt hinaus zu schicken. Ich denke, das ist das Größte, was wir als Eltern leisten können. Das habe ich durch die Vater-Tochter-Beziehung in "Veronica Mars" gelernt.

Ricore: Stehen Sie noch in Kontakt mit Kristen Bell?

Colantoni: Ja, besonders während der Eishockey-Playoffs, da sie ein großer Fan der Detroit Red Wings ist. Wir schreiben uns Nachrichten, denn sie ist in Los Angeles sehr beschäftigt - ich in Toronto.

Ricore: Glauben Sie, dass es eine Kinoversion von "Veronica Mars" geben wird?

Colantoni: Die Serie war tot und dann sagte Rob, dass sie es noch nicht sei. Eine Fortführung der Serie scheint eine ziemliche simple Angelegenheit zu sein, aber leider werden wir alle älter. Doch wir werden sehen. Ich hoffe, dass es klappt, denn es wäre ein großer Spaß.
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Enrico Colantoni
Ricore: Sie sind in Toronto geboren. Wie ist es für Sie, bei einer kanadischen Serie mitzuspielen?

Colantoni: Ich liebe es, nach 25 Jahren nach Toronto zurückzukommen und vom kanadischen Publikum so geschätzt zu werden. Das macht mich sehr stolz. Die Serie wurde für mehrere Geminis, dem kanadischen Fernsehpreis, nominiert. Es ist etwas Besonders in der eigenen Heimat und auch im Rest der Welt so anerkannt zu werden. Das ist toll und ich denke, dass die Serie einige Leute überraschen wird.

Ricore: Welche Unterschiede gibt es beim Drehen einer kanadischen und einer amerikanischen Serie?

Colantoni: Es gibt eine Menge Unterschiede. Die kanadische Sensibilität ist anders als die amerikanische. Daher haben die Autoren andere Dinge zu bieten. In Kanada herrscht die Mentalität: "Zuerst fragen, dann schießen." Unser Militär ist dazu da, den Frieden zu bewahren. Bei den Polizisten ist das nicht anders. Natürlich gibt es auch Korruption und solche Dinge. Doch hier haben wir einen anderen sozialen Sinn als in Amerika. Das soll keine Kritik sein, es ist nur offensichtlich. Ich habe dort 25 Jahre lang gelebt und verstehe, dass es dort ein aggressiveres Konkurrenzdenken gibt. Die Idee vom amerikanischen Traum ist dort weiterhin präsent, du kannst auf eigenen Beinen stehen. Aber in Kanada gibt es ein Bewusstsein für soziale Verantwortung und man sucht den Dialog.

Ricore: Denken Sie, dass sich die Dinge in den USA geändert haben, seit Barack Obama Präsident ist?

Colantoni: Sicher, was Obama macht ist nichts Neues. Es ist nur sehr langsam in die Gänge gekommen, weil die eine Hälfte der Amerikaner nach wie vor keine Gesundheitsreform will. Doch sie wird dennoch kommen und man wird sehen, ob es funktioniert oder nicht. Viele Jahre gab es eine starke Abneigung gegen eine Einmischung durch die Regierung. Das ist nach wie vor sehr amerikanisch. Die Idee, die Dinge in die Hände des Volkes zu legen, geht zurück bis in die amerikanische Revolution. Daher geht es in amerikanischen Polizei-Serien oft um abtrünnige Polizisten, die lieber allein sein wollen und gegen die Regeln und das System kämpfen.
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Enrico Colantoni in einer Szene aus: Flashpoint - Das Spezialkommando
Ricore: Sie engagieren sich für ein Projekt namens Penny Lane. Worum geht es dabei?

Colantoni: Die Organisation hilft jugendlichen Ex-Häftlingen bei Ihrem Leben nach der Haft. Man unterstützt sie bei der Ausbildung und Unterbringung, um wieder auf eigenen Beinen stehen zu können und nicht ein Teil der Opferstatistiken zu werden. Mir gefällt daran, dass man sich direkt um Los Angeles kümmert und es keine weltweit operierende Organisation ist. Die Spendengelder, die gesammelt werden, kommen direkt den Jugendlichen zugute. Neben meiner öffentlichen Unterstützung gebe ich manchen von ihnen durch Theaterunterricht die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen und zu sagen, was sie sagen wollen. Andernfalls bekommen sie kaum Gelegenheit dazu.

Ricore: Arbeiten Sie neben "Flashpoint - Das Spezialkommando" noch an anderen Projekten?

Colantoni: Erst kürzlich habe ich einen Kurzfilm inszeniert. Zudem schreibe ich das Drehbuch zu einem Spielfilm, bei dem ich im Oktober Regie führen werde. Außerdem bin ich Vater [lacht]. Ich bin also schwer beschäftigt.

Ricore: Wovon handelt Ihr geplanter Film?

Colantoni: Es ist eine Geschichte über Trauerverarbeitung und gleichzeitig über eine gescheiterte Beziehung. Es geht um einen jungen Mann, bei dem man denkt, dass er seinen Liebeskummer zu überwinden versucht. Doch in Wirklichkeit versucht er über den Verlust seiner Schwester hinwegzukommen. Dabei findet er von der Dunkelheit wieder zu sich selbst.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.

"Flashpoint - Das Spezialkommando" startet ab dem 6. Mai 2010 um 20.15 Uhr bei RTL II als deutsche Erstausstrahlung
erschienen am 4. Mai 2010
Zum Thema
Enrico Colantoni ist vor allem für seine Serienrollen bekannt. Neben zahlreichen Gastauftritten in Serien wie "Monk" und "CSI: Den Tätern auf der Spur" hat er sich von 2004 bis 2007 durch seine Hauptrolle in "Veronica Mars" einen Namen gemacht. Nach 25 Jahren in Los Angeles kehrt der am 14. Februar 1963 in Toronto geborene Darsteller 2008 in seine kanadische Heimatstadt zurück. Dort muss er sich in "Flashpoint - Das Spezialkommando" als Verhandlungsspezialist Gregory Parker mit Bombenlegern..
Verhandlungsprofi Gregory Parker (Enrico Colantoni) bekommt es immer wieder mit Geiselnehmern und Bombenlegern zu tun. Durch sein psychologisches Einfühlungsvermögen gelingt es ihm oftmals, eine Eskalation zu vermeiden. Wenn die Verhandlungen scheitern, kann er sich auf den knallharten Strategen Ed Lane (Hugh Dillon) verlassen. Als dieser einen Geiselnehmer erschießt, wird er zunehmend von Selbstzweifeln geplagt. "Flashpoint - Das Spezialkommando" ist eine gelungene Polizei-Serie, die immer..
2024