Jean-François Martin/Ricore Text
Catherine Keener (Cannes 2008)
Die Ungerechtigkeiten dieser Welt
Interview: Katzen schwingende Catherine Keener
Mit einer heiseren, leisen Stimme begrüßt uns Independent-Queen Catherine Keener zum Gespräch. Auf der Berlinale 2010 präsentiert sie ihren neuen Indie-Film "Please Give" - ihre vierte Zusammenarbeit mit Nicole Holofcener. Wir haben viele Fragen an die brünette Schauspielerin, vor allem geht es uns um die soziale Ungerechtigkeit, Barack Obamas viel gepriesenem Wandel und ihrer Vorliebe für Indie-Produktionen. Doch es kommt alles ganz anders. Da Keener ihre Stimme am Vorabend überbeansprucht hat, kann sie uns kaum antworten. Vielmehr erzählt sie uns Anekdoten über Marlon Brando und warum man selbst in Los Angeles die Augen vor der Realität nicht verschließen kann. Unsere dringenden Fragen haben wir aber dann doch noch gestellt.
erschienen am 5. 07. 2010
Sony Pictures
Catherine Keener in "Please Give"
Catherine Keener: Es tut mir leid, dass ich so leise rede, aber ich habe keine Stimme mehr (lacht).

Ricore: Haben Sie sich eine Erkältung geholt?

Keener: Ja, gestern, hier in Berlin. Es ist wohl eine Mischung aus Erkältung - ich habe gestern sehr gefroren - und zu viel geredet, geraucht und sonstige ungesunde Dingen gemacht (lacht).

Ricore: Reden Sie viel?

Keener: Nein, eigentlich nicht. Aber gestern habe ich den ganzen Tag Interviews gegeben. Das ist ganz schön anstrengend.

Ricore: Bei "Please Give" arbeiten sie erneut mit Nicole Holofcener zusammen?

Keener: Ja, wir haben schon öfters zusammengearbeitet. Sie ist eine enge Freundin. Es ist jedesmal wieder speziell, mit Freunden zu arbeiten. Das macht Spaß. Manchmal vergisst man sogar, dass man am Set eigentlich arbeiten muss. Nicole ist lustig und arbeitet hart, obwohl sie das niemanden spüren lässt. Es ist ihr sehr wichtig, fundierte Drehbücher zu schreiben. Manchmal wirken ihre Bücher einfach, vor allem zu Beginn. Doch das ist irreführend. Sie sind sehr anspruchsvoll und schwierig.

Ricore: Sind Sie so etwas wie Nicole Holofceners Alter Ego?

Keener: Sie hat das gesagt, stimmts? Nicole fühlt mit allem und jedem mit. Und es ist so, dass ich sie und ihre Art zu schreiben gut verstehe. Vielleicht bin ich ja ihr Alter Ego (lacht).
Jean-François Martin/Ricore Text
Catherine Keener (Cannes 2008)
Ricore: Wenn Sie so eng befreundet sind, gibt es da manchmal auch Zwistigkeiten?

Keener: Nie. Der erste Film, den wir zusammen gedreht haben, war "Walking and Talking". Ich spielte mit Anne Heche eine Kampfszene. Damals kam Nicole zu mir und sagte, ich solle nicht so schreien. Das war tatsächlich das einzige Mal, dass sie meine Gefühle verletzt hatte (lacht). Das war ihre Art Regie zu führen, und das einzige Mal, dass sie mich in zehn Jahren korrigiert hat.

Ricore: Macht Sie die Schauspielerei nach so vielen Jahren noch glücklich?

Keener: Ich weiß nicht, ob glücklich das richtige Wort ist. Ich meine, es gibt immer wieder Situationen im Beruf, in denen man unglücklich ist. Ich denke, das geht jedem so. Aber mein Beruf fühlt sich nach wie vor gut an. Und ich bin stolz darauf, in diesem Business zu arbeiten.

Ricore: Welche Pläne haben Sie neben der Schauspielerei?

Keener: Mein Leben (lacht). Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht dass ich morgen in ein Flugzeug einsteige und in einer anderen Stadt wieder aussteige? Ehrlich gesagt, will ich nur meine Rechnungen bezahlen können.

Ricore: Und Ihre Stimme zurückerhalten...

Keener: Ja, aber das geht auch ohne Geld.
Sony Pictures
Please Give
Ricore: Brauchen Sie diese verständnisvolle und vertraute Atmosphäre am Set, um gut arbeiten zu können?

Keener: Ja, ich auf jeden Fall. Das ist auch der Punkt, den in der Arbeit mit Nicole so schätze. Ich schaue zur Seite und sehe ein vertrautes Gesicht, dem ich voll und ganz vertrauen kann. Und es fühlt sich an, als würden wir eine Art Spiel spielen. Auch wenn ich mal etwas Dummes mache, ist es egal. Ich muss mich nicht dafür schämen. Niemand kümmert es, weil man sich vertraut. Ich muss mir keine Sorgen machen, morgen in die Arbeit zu gehen, weil man sich wieder mit seinen Freunden trifft. Nicole gibt einem trotz der Fehler die man macht, das Gefühl, etwas Großartiges zu leisten.

Ricore: Teilen Sie mit der Regisseurin auch ethische Aspekte? Fühlen Sie sich beispielsweise schuldig ob Ihrer Privilegien?

Keener: Manchmal schon. Ich habe aber immer versucht, mein Bestes zu geben, in jeglicher Hinsicht. Meistens versuche ich, Dinge aus richtigen Beweggründen heraus zu tun. Ich bin mir auch durchaus über die Probleme bewusst, die in unserer Welt herrschen. Ich versuche ein guter Mensch zu sein.

Ricore: Glauben Sie, dass Independent-Regisseure sich eher um die Welt Gedanken machen, als Hollywood?

Keener: Es geht eher darum, dass sich Independent-Regisseure mehr Gedanken darüber machen, gute Arbeit zu leisten, im Vergleich zu großn, teuren Produktionen, die Filmstudios bezahlen. Je mehr Geld im Spiel ist, desto neurotischer wird das Ganze. Man verliert den Fokus auf die Geschichte, auf die Schauspieler. Man ist bloß mehr Teil der Maschinerie und muss funktionieren. Der Zeitdruck bei solchen Filmen ist sehr groß, für alle: Produzenten, Regisseure, Schauspieler. Das überträgt sich auf alle.
Concorde Filmverleih
Catherine Keener in "Inside Hollywood"
Ricore: Sie spielen sehr oft Figuren, die von Unsicherheiten und Neurosen geplagt sind. Ist das Absicht?

Keener: Es ist absolut richtig, dass Independent-Produktionen sich eher mit solchen unsicheren, neurotischen Figuren beschäftigen als Blockbuster. Ich habe zwar vorhin gesagt, dass der Zeitdruck bei Großproduktionen enorm ist, den gibt es aber natürlich auch bei kleinen Filmen. Gerade hier ist es oft so, dass es nur einen Produzenten gibt. Und der ist für alles und jeden zuständig. Das Geld fehlt an allen Ecken. Als Schauspieler aber hat man mehr Freiheiten. Vor allem wenn das Geld knapp ist, bekommt man plötzlich viel Raum, um Katzen zu schwingen (lacht). Das habe nicht ich gesagt, das stammt ursprünglich von Marlon Brando.

Ricore: Wie kommt das?

Catherine Keener: Ein Freund von mir hat mal mit ihm gearbeitet, als Brando zu einem Regisseur gesagt hat: "Gib mir Platz um meine Katzen zu schwingen." Das ist großartig. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich mich sehr für Tierrechte einsetze und das natürlich niemals machen würde. Peta wäre mit dieser Aussage gar nicht einverstanden, aber es versteht sich von selbst, dass das nur metaphorisch gemeint ist (lacht).

Ricore: Sie sind hier in Europa eine Art Independent-Königin...

Keener: Nein, wirklich? Ich hörte sowas ähnliches in Sundance. Aber in Europa war mir das nicht klar. Das ist sehr nett von Ihnen! Danke! Ich liebe Europa. Es ist so, dass ich den Leuten bei Independent-Produktionen sehr vertraue. Sie sind hochmotiviert, vielleicht aufgrund des geringen Geldes, das ihnen zur Verfügung steht. An einem Indie-Set herrscht einfach eine andere Atmosphäre, daher freue ich mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich für ein solches Projekt engagiert werde. Sie erwarten nicht, dass sie all ihr investiertes Geld wieder zurückbekommen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Indie-Königin Catherine Keener kann auch lustig sein
Ricore: Glauben Sie, dass wir mehr Filme benötigen, die auf soziale Ungerechtigkeiten hinweisen?

Keener: Ja, auf jeden Fall. Ich frage mich, wo solche Filme bleiben? Es gibt ja auch kaum Filme über Gott. Mit all dem was im Namen Gottes geschieht, sollte es mehr Filme über dieses Thema geben. Ich habe oft das Gefühl, dass sich Filmemacher vor schwierigen, herausfordernden Themen drücken. Ich meine, gerade in den USA basiert das ganze Leben doch auf Angst, auf Geld und Wirtschaft. Klar, ich verallgemeinere jetzt, aber Sie wissen schon, was ich meine. Wenn man selbst nichts unternimmt, wie soll man da an dem Wandel einer Revolution teilnehmen?

Ricore: Was macht Sie am meisten wütend heute in unserer Gesellschaft? Die Kluft zwischen Arm und Reich, die Umweltverschmutzungen oder das, was alles im Namen Gottes geschieht?

Keener: Diese drei Dinge machen mich am meisten wütend. Jeder geht damit natürlich anders um. Ich finde aber, dass wir heutzutage von diesen drei Themen am meisten betroffen sind. Ob wir nun reich sind oder nicht. Es betrifft alle. Wenn man auch in noch so schönen Wohngegenden in Los Angeles lebt, geht man auf die Straße, wird man zwangsläufig mit der brutalen Realität konfrontiert. Das kann man nicht vermeiden. Man stellt sich dann schon die Frage, warum sind die einen arm und leben auf der Straße, und die anderen besitzen Luxusvillen?

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. Juli 2010
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2024