Holger Albrich
Christoph Hochhäusler
Diskussionsbetrag zur Lage der Gesellschaft
Interview: Christoph Hochhäuslers Sicht
Christoph Hochhäusler lässt sich viel Zeit für seine Projekte. Abgesehen von seinem kurzen Beitrag zur Kurzfilmkompilation "Deutschland 09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation" dreht er 2005 mit "Falscher Bekenner" sein letztes Werk. Nun kehrt er mit "Unter dir die Stadt" ins Kino zurück und liefert damit einen feinfühligen Kommentar zur gerade überstandenen weltweiten Finanzkrise. Im Rahmen des Filmfests München 2010 traf Filmreporter.de den Filmemacher auf einer Preisverleihung, wo er sich zu einem spontanen Interview bereit erklärte.
erschienen am 30. 03. 2011
Piffl Medien
Unter dir die Stadt
Ricore: "Unter dir die Stadt" spielt im Bankenmilieu. Ist der Film eine Stellungnahme zur Finanzkrise und damit eine Kapitalismuskritik?

Christoph Hochhäusler: Wir haben den Film lange vor der Krise geschrieben. Insofern war es nicht unsere Absicht, die Krise zu erklären oder einen Film über sie zu machen. Es war nicht mein Ziel oder das meines Koautors Ulrich Peltzer, pädagogisch zu wirken oder eine eindeutig antikapitalistische Haltung zum Ausdruck zu bringen. Dazu ist das System zu komplex. Aber natürlich kommentiert "Unter dir die Stadt" die Gegenwart und kann als Prisma dienen, diese zu verstehen.

Ricore: Die Figuren sind sehr interessant angelegt. Die Motive für ihre Handlungen bleiben bis zum Schluss unklar. Handelt es sich um moralisch indifferente Menschen oder ist ihre Handlung doch motiviert?

Hochhäusler: Wir wollten eine gewisse Charakterunschärfe etablieren, was für unsere Zeit typisch zu sein scheint. Einerseits haben die Figuren den Wunsch, viele verschiedene Menschen zu sein und sich nicht festzulegen. Andererseits stellen sie sich Fragen wie: Wer bin ich eigentlich? Kann ich selbst bestimmen, wer ich bin? Aus dieser Ambivalenz ergeben sich menschliche Wesen, die eher Geistern ähneln und keine glasklaren Figuren sind, wie es das amerikanische Erzählmodell vorschreibt - es sind ambivalente Charaktere.
Piffl Medien
Unter dir die Stadt
Ricore: Das Ende ist sehr rätselhaft. Kann es religiös interpretiert werden? Andererseits erinnert es an ein apokalyptisches Szenario aus einem Katastrophen- bzw. Science-Fiction-Film.

Hochhäusler: In der Welt verhält es sich nun leider so wie in den schlechten Science-Fiction-Filmen und -Romanen. Rätselhaft finde ich den Schluss aber gar nicht. Es zeigt Menschen auf der Straße, wie wir sie immer öfters auf der Welt sehen, wenn man zum Beispiel an die Menschenaufläufe in Griechenland infolge der Finanzkrise denkt. Es scheint, dass man nicht in diesen Inseln der Banken, der Hotels und der Macht bleiben kann, ohne von den Ereignissen der Welt berührt zu werden.

Ricore: Die Reaktion im Kinosaal auf die Schlussszene war Erstaunen pur. Man konnte die Überraschung förmlich hören.

Hochhäusler: Das ist doch toll. Es gibt die antike Forderung an die Kunst: Erstaune mich! Das ist das Schönste, das man als Künstler erreichen kann.

Ricore: Kann das Ende als eine Art Bestrafung durch eine höhere Instanz gelesen werden als Folge der moralischen Indifferenz des Menschen?

Hochhäusler: Ja, es gibt tatsächlich Aspekte in der Handlung, die auf bestimmte Bibelstellen verweisen. Zum Beispiel gibt es Anklänge an König David, der sich in Bathseba verliebt und ihren Mann an die Front schickt, damit er freies Spiel haben kann.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 30. März 2011
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2024