Monic Wollschlaeger
Alison Klayman
Ist Kunst immer politisch?
Interview: Alison Klayman über Ai Weiwei
Zwei Jahre begleitet die amerikanische Journalistin Alison Klayman den chinesischen Künstler und Dissidenten Ai Weiwei. Aus hunderten Stunden Aufnahmen entsteht die Dokumentation "Ai Weiwei: Never Sorry". Darin verknüpft sie aktuelle Ereignisse mit biographischen Erlebnissen. Im Interview mit Filmreporter.de spricht Klayman über die Arbeit an ihrem ersten Dokumentarfilm. Auch über Ai Weiweis gegenwärtige Lage sowie seinen Einfluss auf China weiß sie viel zu berichten.
erschienen am 13. 06. 2012
DCM/Delphi
Ai Weiwei: Never Sorry
Ricore Text: Wann haben Sie Ai Weiwei zum letzten Mal getroffen?

Alison Klayman: Im Herbst 2011. Ich habe ihn ein paar Monate nach seiner Entlassung besucht. Aber wir schreiben uns viele SMS und sind auch sonst ständig in Kontakt.

Ricore: Wie geht es ihm? Hat sich seit seiner Festnahme und anschließenden Entlassung viel für ihn verändert?

Klayman: Er arbeitet an einigen neuen Projekten. Sie wirken nicht so, als gäbe es da einen großen Bruch. Wie die Welt diese neuen Kunstwerke aufnehmen wird, hängt davon ab, ob er wieder reisen können wird und seine Werke das Land verlassen dürfen. Ich glaube, er hat viel über die Haft nachgedacht. In den Monaten nach seiner Entlassung, hat er ständig daran gedacht. Aber auch jetzt noch - ein Jahr später - versucht er, das zu verarbeiten. Die Haft und die Entlassung schaffen ein neues Paradigma für seine Arbeit. Für ihn ist die Frage, ob er in China weiter künstlerisch tätig sein kann oder ob das zu schwierig wird.

Ricore: Leben Sie noch in China?

Klayman: Zurzeit lebe ich in New York. Ich bin dahin gegangen, um den Film zu schneiden. Auch für die Vermarktung des Films macht es Sinn, in New York zu sein. Aber ich will auf jeden Fall nach China zurück.

Ricore: Hatten Sie bei den Dreharbeiten in China ähnliche Probleme wie Ai Weiwei?

Klayman: Nein. Ai Weiweis Situation unterscheidet sich sehr von der in den letzten Jahren. Früher konnte er reisen. Gelegentlich wurde er von der Polizei besucht, aber das war's. Er gab Interviews und schrieb auf Twitter. 2009 wurden Kameras um sein Haus installiert. Da habe ich kurz gezögert aber es waren keine unmittelbaren Konsequenzen damit verbunden. Nicht allen Leuten, die Weiwei besucht haben, ging es um etwas Politisches. Er ist ja auch ein weltweit anerkannter Künstler, Designer und Architekt. Wenn ich versuchen würde, einen Film über den blinden Anwalt Chen Guangcheng zu machen, wäre das anders. Das wäre nicht gegangen. Das zeigt auch die einzigartige Stellung von Ai Weiwei. Ich wusste anfangs selbst nicht, was aus meinem Projekt werden würde. Und ich arbeitete ja auch als Journalist, also hatte ich ein paar Rechte was das Mitführen von Kameras angeht.
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Ai Weiwei in "Ai Weiwei: Never Sorry"
Ricore: Was war der Auslöser für ihr Interesse an Ai Weiwei?

Klayman: Das erste Treffen mit ihm. Ich hatte vom ersten Moment an eine Kamera auf ihn gerichtet. 2008 hatte ich eine Mitbewohnerin, die eine Ausstellung von Weiweis New-York-Fotos kuratierte. In den zehn Jahren, die er in New York lebte, hat Weiwei 10.000 Fotos gemacht. Diese Phase war sehr wichtig für seinen Werdegang als Künstler. Meine Mitbewohnerin bat mich, ein Video für die Ausstellung zu machen. Das war im Dezember 2008. Ich stürzte mich direkt hinein, ohne viel über ihn zu wissen. Ich wusste von seinem kontroversen Blog und seiner Opposition gegen die Olympischen Spiele in Peking, das war's. Die politische Seite seiner Arbeit hat mich interessiert. Aber er ist einfach sehr charismatisch. Ich dachte mir gleich, dass ein Film über ihn funktionieren würde. Auf jeden Fall würde er dem westlichen Publikum neue Einblicke über China geben. Ai Weiwei ist in Deutschland recht bekannt aber weltweit ist das nicht der Fall. Durch ihn bekommt man einen Blick auf die ganze Dissidenten- und Aktivistenszene.

Ricore: Warum ist Ai Weiwei nicht im Gefängnis?

Klayman: Das habe ich ihn auch gefragt. Er fing an, laut darüber nachzudenken. Er meinte, sie könnten im Grunde mit ihm tun, was sie wollen. Es gäbe immer ein Risiko, auch wenn er nicht im Gefängnis war. Es war ihm auch immer klar, dass er nicht aufgrund von politischen Vorwürfen verhaftet worden wäre. Er wusste genau, wie groß die Risiken waren. Viele dachten, er wäre amerikanischer Staatsbürger. Nur so konnten Sie sich vorstellen, dass er auf freiem Fuß ist. Eigentlich konnte man über die Gründe nur spekulieren. Es gibt Aspekte seiner Bekanntheit, die nichts mit Politik zu tun haben. Er ist sehr clever. Er fordert nicht den Umsturz der Regierung. Er spricht über Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und solche Dinge. Das sind ziemlich universelle Werte.

Ricore: Einer der Interviewten im Film meint, dass viele Leute die fehlende Freiheit als etwas grundsätzlich Chinesisches ansehen, dass nie weggehen würde. Haben Sie einen großen Kulturschock erlebt, als sie nach China kamen?

Klayman: Ich war sehr gerne in China. Aber die zwei Dinge, die am schwersten zu ertragen waren, sind die Luftverschmutzung in Peking und das zensierte Internet. Das ist ein Eingriff in meine Rechte. Das war einer der Punkte, die an Ai Weiwei so interessant waren. Wir haben über das 20-jährige Jubiläum des Tian'anmen-Massakers gesprochen. Darüber kann man nicht mit vielen Chinesen sprechen.

Ricore: Wird Ihr Film in China oder andernorts in Asien erscheinen?

Klayman: Wir arbeiten an einer Veröffentlichung in anderen asiatischen Ländern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Film in China veröffentlicht wird. Sobald er online verfügbar ist, wird er sich aber wohl ähnlich verbreiten wie Ai Weiweis eigene Underground-Filme. Es gibt großes Interesse von seinen Fans. Ich habe große Hoffnungen, was Hongkong und Taiwan angeht. Aber auch das ist nicht sicher. In Taiwan gibt es Gruppen, die einen solchen Film nicht begrüßen. Also müssen wir noch überlegen, wie wir das am besten machen. Ich konnte schon mit ein paar Chinesen sprechen, die nicht in China leben und den Film gesehen haben. Aus diesen Kreisen war die Resonanz sehr positiv - auch von Leuten, die nicht unbedingt Ai Weiweis Ansichten teilen. Der Konsens ist, dass die Chinesen stolz auf ihn sein sollten. Ai Weiwei ist immer noch Patriot. Das sehe nicht nur ich so.
Monic Wollschlaeger
Alison Klayman
Ricore: Machen Sie sich Sorgen über eine Rückkehr nach China, nachdem Sie diesen Film gemacht haben?

Klayman: Ich weiß nicht, ob ich Angst haben muss. Ich bin sehr froh, dass ich ihn nach seiner Entlassung besuchen durfte. Seine Inhaftierung hat die Risiken vergrößert, die wir mit diesem Film eingehen. Die Tatsache, dass ich ihn besuchen durfte, hat mich beruhigt. Ich hoffe, dass ich zurück nach China kann.

Ricore: Einer der Eckpfeiler von Ai Weiweis Schaffen ist die Verbindung von Politik und Kunst. Teilen Sie seine Meinung, dass Kunst immer politisch ist?

Klayman: Am Anfang dieses Projekts wusste ich nichts über Ai Weiweis Motivation oder die Grenze zwischen Aktivismus und Kunst. Auch deswegen habe ich diesen Film gemacht. Ai Weiwei glaubt, dass jeder Künstler sich mit gesellschaftlichen Fragen und Problemen befassen sollte. Auch ich denke, dass das jeden angeht. Künstler haben eine unglaubliche Macht, ihren Standpunkt auf neue und interessante Weise zu kommunizieren. Nicht jeder Künstler muss das tun aber für mich ist die interessanteste und wertvollste Kunst jene, die sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzt. Weiweis Werk hat sich durch das Internet sehr verändert. Es ging ihm immer um Kommunikation und Dokumentation. Er hat immer versucht, einen Weg zu finden, seine Botschaft in die Welt zu tragen. Das Internet gibt dir dieses riesige Megafon, mit dem du mit den Menschen in Verbindung treten kannst. Weiwei und die Arbeit an diesem Film haben mir gezeigt, wie Kultur eine Debatte beeinflussen kann. Es gibt eine Menge Probleme, mit denen wir uns heute befassen müssen. Bei deren Lösung kann Kultur eine große, positive Rolle spielen.

Ricore: Ai Weiwei ist im Westen seit einigen Jahren recht bekannt. Wie ist das in China?

Klayman: In China ist sein Einfluss stark eingeschränkt, weil die Medien nicht viel über ihn schreiben können. In den Jahren vor seiner Inhaftierung gab es Artikel über ihn aber das war alles in Kultur-, Design- und Mode-Publikationen. Auf diesen Bereich ist es beschränkt. Diese Zeitschriften liest der durchschnittliche Chinese nicht. Die Berichterstattung über ihn ist anders als im Westen. 2009 wurde sein Blog geschlossen. Auch alle anderen Accounts, die sich innerhalb der chinesischen Einflusssphäre befinden, wurden abgeschaltet. Das sind sehr effektive Mittel, um das Bekanntwerden von Personen zu verhindern. Den meisten Chinesen, die außerhalb dieser Sphäre im Netz unterwegs sind, dürfte Ai Weiwei hingegen ein Begriff sein. Der Durchschnittschinese wird aber nicht wissen, wer er ist. Seinen Vater, den Dichter Ai Qing, kennt man hingegen. Dessen Werk taucht immer noch auf jedem Schullehrplan auf.

Ricore: Was ändert Ai Weiwei?

Klayman: Seine Geschichte steht für zehntausende Chinesen, die etwas Ähnliches tun. Beispiele für diese Aktivitäten sieht man auch im Film. Und es gibt hunderttausende oder gar Millionen Chinesen, die vielleicht nicht so aktiv sind aber doch ähnlich denken. Ai Weiwei zeigt, dass es eine große Vielfalt von Meinungen in China gibt. Es ist wie eine Pyramide. Er beeinflusst ein paar Leute, die dann wiederum ihre sozialen Zirkel beeinflussen. Insofern ist es sehr wichtig, dass jemand wie er so offen spricht. Er macht sich das virale Prinzip zunutze. In China wird es wohl keinen arabischen Frühling geben. Aber wenn bestimmte Ideen einmal angesprochen werden, dann kann man sie nicht einfach wieder verschwinden lassen. Die Tatsache, dass die chinesische Regierung so aktiv gegen Ai Weiwei oder Liu Xiaobo vorgeht, zeigt, dass eine Menge Leute darüber sprechen.
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Ai Weiwei in "Ai Weiwei: Never Sorry"
Ricore: Wie sehen Sie ihre Rolle in dieser Sache? Sie wirken wie Ai Weiweis persönliche westliche Journalistin.

Klayman: Eine Menge Journalisten haben mich in den letzten Jahren zu ihm befragt. Aber genauso viele haben nicht mit mir gesprochen. Auch ohne mich bekommt er genug Aufmerksamkeit. Ich wollte mit dem Film eine Charakterstudie machen und meinen Job gut erledigen. Mir kam es auch nicht so vor, als würde ich die bisher nicht erzählte Geschichte erzählen. Ai Weiwei hat eine eigene Stimme und die ist sehr laut. Er kann gut selbst für sich sprechen. Mit der Arbeit an dem Projekt merkte ich erst, wie viele Leute ihn gar nicht kennen. Meine Rolle ist wohl, seine Geschichte einem weltweiten Publikum zu erzählen. Hätte ich den Film nur für China gemacht, wäre er wohl ganz anders. Ich wollte einen Beitrag dazu leisten, wie China im Ausland gesehen wird. Während Ai Weiwei in Haft war, gab es aber diese Phase, wo ich für ihn sprach. Das kam sehr unerwartet. In den zwei Jahren mit ihm bin ich aber durch das beste PR-Bootcamp gegangen, das man sich vorstellen kann.

Ricore: War es schwierig, die Finanzierung für den Film zu sichern?

Klayman: Der Film wurde durch eine Mischung aus öffentlichen und privaten Geldern finanziert. Außerdem haben wir über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter Mittel bekommen. Die Hauptausgaben waren für Reisen. Erst in New York in der Postproduktion gingen die Kosten nach oben. Aber unser Timing war gut. Da waren viele dazu bereit, ein solches Projekt zu unterstützen.

Ricore: Planen Sie, weitere Filme zu drehen?

Klayman: Ich denke viel darüber nach, was ich als nächstes tun möchte. Ich habe die tolle Möglichkeit, diesen Film weltweit zu veröffentlichen. Also habe ich noch keine Zeit, ein neues Projekt anzufangen. Ein paar Monate wird die Arbeit an diesem Film noch dauern.

Ricore: War die Arbeit an dem Film anders, als zu Fernsehbeiträgen?

Klayman: Ja. Das fehlende Zeitlimit war wohl der größte Unterschied. Aber am Ende musste ich auch eine Menge weglassen. Am Anfang kamen mir 90 Minuten unglaublich lang vor. Man hat ganz andere Prioritäten, als wenn man journalistisch arbeitet. Als Journalist hat man ein Zeitlimit, so dass man sofort zur Sache kommen muss. Ein Film erlaubt einen tieferen Einstieg in ein Thema. Zwei Jahr an einem Thema zu arbeiten, ist absoluter Luxus.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 13. Juni 2012
Zum Thema
Die amerikanische Journalistin und Dokumentarfilmerin Alison Klayman studiert Geschichte an der Brown-University, wo sie 2006 ihren Abschluss macht. Nach dem Studium lebt sie bis 2010 in China, wo sie als freie Journalistin arbeitet. Hier produziert sie unter anderem Radio- und Fernseh-Features für Ai Weiwei: Never Sorry" dokumentiert Leben und Arbeit des Künstlers und verknüpft aktuelle Ereignisse mit biographischen Informationen.
Ai Weiwei gehört zu den einflussreichsten Künstlern des jungen 21. Jahrhunderts. Seine unermüdliche Schaffenskraft und sein Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit in seiner chinesischen Heimat sind die zentralen Themen in Alison Klaymans Dokumentation. Die Journalistin begleitet ihn drei Jahre lang mit der Kamera und gewährt dem Zuschauer Einblicke in Leben und Schaffen eines ebenso rebellischen wie intelligenten Workaholics.
2024