Zorro Filmverleih GmbH
Anna Brüggemann in "3 Zimmer/Küche/Bad"
Der Mensch braucht Geborgenheit
Interview: Anna Brüggemann heimatverbunden
Nach "Neun Szenen" und "Renn, wenn Du kannst" hat Anna Brüggemann einen weiteren Film mit ihrem Bruder Dietrich realisiert. Bei der Tragikomödie "3 Zimmer/Küche/Bad" (Start Herbst 2012 bei Zorro Film) hat die 31-Jährige erneut am Drehbuch mitgeschrieben, und eine der Hauptrollen übernommen. Anlässlich der Weltpremiere des Films auf dem Filmfest München hat Filmreporter.de die Berlinerin getroffen und sich mit ihr über Umzüge und Beziehungsprobleme junger Menschen unterhalten.
erschienen am 1. 10. 2012
Zorro Filmverleih
Anna Brüggemann in: Renn, wenn du kannst
Ricore: Frau Brüggemann, Sie haben als als Koautorin und Schauspielerin "3 Zimmer/Küche/Bad" auf dem Filmfest München vorgestellt. Welche Bedeutung haben Filmfestivals für einen Film?

Anna Brüggemann: Eine sehr große. Es ist immer wichtig, wo ein Film das Licht der Welt erblickt. Filmfestivals labeln den Film. Hier erfährt er die erste Resonanz und hier kann eine Welle entstehen, die ihn ein Stück weit trägt.

Ricore: Hat man als Künstler Zeit, sich das Festival-Programm anzuschauen oder geht es nur darum, den eigenen Film zu vermarkten?

Brüggemann: Normalerweise schaue ich mir viele Filme an. Dieses Jahr bin ich Mutter geworden und komme nicht dazu. Ich weiß aber, dass sich die anderen Team-Mitglieder viele Filme anschauen.

Ricore: Bei "3 Zimmer/Küche/Bad" haben sie erneut gemeinsam mit Ihrem Bruder Dietrich das Drehbuch geschrieben und unter seiner Regie auch eine der Hauptrollen gespielt. Ist es wieder ein Film, der persönliche Erfahrungen verarbeitet?

Brüggemann: Der Film ist eher ein Kondensat, eine Art Stoffsammlung aus den letzten zehn Jahren, der nicht unbedingt eigene Erlebnisse verarbeitet, sondern Erfahrung aus dem Freundeskreis und fiktive Elemente vermischt. Er ist ein Ausdruck eines Lebensgefühls.

Ricore: Die große Klammer des Films ist das Motiv des Umziehens. Sie sind in München geboren und in Südafrika, Stuttgart und Regensburg aufgewachsen, sind also oft umgezogen.

Brüggemann: Ja, das stimmt. Als Kind bin ich an die sieben Male umgezogen. Innerhalb Berlins, wo ich nun immerhin schon seit elf Jahren lebe, bin ich auch bereits drei, vier Mal umgezogen. Dass ich so lange in einer Stadt bin, ist für mich etwas Besonderes. Trotz der vielen Umzüge in meiner Kindheit bin ich ein heimatverbundener Mensch.

Ricore: Ist Berlin Ihre neue Heimat?

Brüggemann: Heimat würde ich nicht sagen, aber hier fühle ich mich zu Hause.
ARD Degeto/Erika Hauri
Anna Brüggemann im ARD-Film "Eine Nonne zum Verlieben"
Ricore: Greift "3 Zimmer/Küche/Bad" mit dem Thema des Unterwegsseins ein Symptom der heutigen Jugendgeneration auf?

Brüggemann: Unsere Generation und die, die nach uns kommen werden, haben viele Möglichkeiten. Aus diesem Grund tut sie sich schwer damit, sich zu entscheiden. Das spielt im Film eine sehr große Rolle: Wie, wofür entscheide ich mich? Andererseits ist das natürlich auch eine Frage des Alters. Vor 40, 50 Jahren waren junge Menschen auch nicht viel anders. Sie hatten nur nicht so viele Möglichkeiten, jede Idee, die sie hatten, auch auszuleben. Aber die Zwanziger sind einfach eine Zeit im Leben, in der man auf der Suche ist.

Ricore: Wie die Protagonisten im Film geografisch unterwegs sind, so wechselhaft sind auch ihre Beziehungen. Sind junge Menschen heute unfähig, Bindungen einzugehen?

Brüggemann: Nein, das würde ich nicht so sehen. Ich kenne sehr viele stabile Beziehungen. Ich habe das Gefühl, dass die Suche nach dauerhaften Beziehungen dem Menschen immanent ist. Ich kann natürlich nicht für die 13-jährigen Jugendlichen sprechen, aber meine kleine Nichte ist heute elf Jahre alt und ich glaube nicht, dass sie später unfähig sein wird, eine stabile Beziehung einzugehen. Natürlich lösen sich Beziehungen auf, aber dass der Mensch heute generell unfähig zu Beziehungen ist, glaube ich nicht.

Ricore: Sind Sie in diesem Punkt eine Romantikerin?

Brüggemann: Ich bin mir nicht sicher, ob das ein romantischer Ansatz ist. Ich würde eher sagen, dass ist pragmatisch. Der Mensch braucht einfach eine nahe Beziehung oder einen gesunden Freundeskreis.

Ricore: Jedenfalls spielen Sie häufig in Filmen mit, in denen es häufig um ungewöhnliche Beziehungskonstellationen geht. Neben "3 Zimmer/Küche/Bad" denke ich da auch an "Bergfest" oder "Mitte Ende August".

Brüggemann: Eine interessante Beobachtung. Das steuere ich jedenfalls nicht mit Absicht. Es kann natürlich sein, dass mich solche Beziehungskonstellationen unbewusst ansprechen. Es sind besondere zwischenmenschliche Beziehungen, die andererseits plausibel und nachvollziehbar sind. Das reizt mich vielleicht mehr, als völlig der emotionalen Realität enthobene Stoffe. Abgesehen davon hätte ich bei Sebastian Schipper auch zugesagt, wenn er mir einen völlig anderen Stoff angeboten hätte. Es war nun mal Sebastian Schipper. Bei "Bergfest" war das Buch einfach super.

Ricore: Bei "3 Zimmer/Küche/Bad" haben Sie erneut mit ihrem Bruder Dieter das Drehbuch geschrieben. Muss man sich dieses Arbeitsverhältnis als gleichwertig vorstellen oder ist einer eher der Ideengeber und der andere das Korrektiv?

Brüggemann: In der Stoff- und Figurenentwicklung sind wir beide Ideengeber. Hier schmeißen wir uns gegenseitig die Bälle zu. Das geht so weit, dass wir am Ende nicht genau sagen können, von wem welche Idee kam. Anschließend erstellen wir zusammen ein detailliertes Treatment. Die Dialoge schreibt Dietrich. Dabei erfahren der Stoff und die Charaktere einige Veränderungen. Bei diesem Prozess bin ich das Korrektiv und die Unterstützung, mache Einwände und Vorschläge. Ich würde sagen, dass wir zusammen das Fundament ausbauen, während Dietrich die Dialoge schreibt. Wenn in der Drehphase einige Korrekturen notwendig sind, dann macht sie Dietrich alleine. Ich konzentriere mich komplett auf die Rolle.
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3 Zimmer/Küche/Bad
Ricore: Sie haben keine klassische Drehbuchausbildung. Hat Ihr Bruder in dieser Hinsicht eine Mentor- bzw. Lehrerfunktion?

Brüggemann: Ja, sehr. Weil unsere Eltern aber Germanisten sind, haben wir uns schon als Kinder automatisch mit Literatur beschäftigt. Wir haben mitbekommen, wie ein Drama aufgebaut ist. Dietrich war außerdem auf der Filmhochschule und ist ein richtiges Superhirn. Während er drei Lehrbücher übers Drehbuchschreiben liest, lese ich eines. Dabei merkt er sich alles und kann es auch spielend anwenden.

Ricore: Sie haben also mit ihrem Bruder einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund, der bis in die Kindheit zurückreicht?

Brüggemann: Ja, natürlich. Wir sind ja in der gleichen Familie aufgewachsen. Weil wir aber fünf Jahre auseinander sind, setzt unsere kulturelle Gemeinschaft erst mit meinen 13. Lebensjahr ein. Vorher waren wir einfach zu weit auseinander. Da hat er seine Flugzeugmodelle gebaut, ich spielte mit Puppen. Später fingen wir an, zusammen zu Theatergruppen oder ins Kino zu gehen. Es dauerte nicht lange, bis wir einen gemeinsamen Freundeskreis hatten. Vor allem verbindet mich mit Dietrich der Humor. Was beim Schreiben essentiell ist. Wenn man nicht über die gleichen Sachen lacht, dann haut es nicht hin.

Ricore: Schreiben Sie als Autorin die Figuren, die Sie selbst spielen, anders als für andere Schauspieler?

Brüggemann: In "Renn, wenn Du kannst" hatte ich tatsächlich Angst, dass man mir Eitelkeit unterstellt, wenn ich die weibliche Hauptfigur spiele. Aus diesem Grund habe ich mich überhaupt nicht um die Entwicklung dieses Charakters gekümmert. Auch in den Drehbuchgesprächen habe ich komplett zurückgehalten. Das hatte zur Folge, dass ich noch während des Drehens noch immer nach der Figur suchte. Meine Figur in "3 Zimmer/Küche/Bad" hatte mehrere Vorbilder in der Realität. Da war einfacher.

Ricore: In "3 Zimmer/Küche/Bad" reicht die Gemeinschaft über die Zusammenarbeit mit Ihrem Bruder hinaus. Auch andere Schauspieler sind erneut mit von der Partie. Ist das eine kreative Partnerschaft, die noch weitergehen könnte?

Brüggemann: Oh ja. Bei "3 Zimmer/Küche/Bad" waren wir eine große Familie. Alexander Khuon, Jacob Matschenz und Robert Gwisdek waren die Schauspieler, die in "Renn, wenn Du kannst" für die Hauptrolle in Frage kamen. Alexander war damals jedoch ans Theater gebunden, Jacob war zu jung. Uns war klar: Wer von den beiden nicht die Rolle des Rollstuhlfahrers spielt, der wird in "3 Zimmer/Küche/Bad" auf jeden Fall den Philipp verkörpern. Das Projekt befand sich damals bereits in der Entwicklung. Dietrich ist unglaublich treu und arbeitet gerne mit den gleichen Leuten. Das gilt auch für mich. Katharina Spiering zum Beispiel kennen wir schon seit zwölf Jahren. Es war klar, dass wir irgendwann zusammen arbeiten werden. Amelie habe ich während anderer Dreharbeiten zwei Jahre vorher kennengelernt und hätte sie am liebsten sofort adoptiert. Aylin Tezel kannte Dietrich schon vorher. Einzig Alice Dwyer kannten wir nicht. Wir fanden beide ihre Arbeit schon immer toll und es hat blendend funktioniert. Auch die Leute hinter der Kamera gehören fest zum Team. Mit dem Cutter, dem Sounddesigner und der Kostümbildnerin arbeitet Dietrich schon seit zwölf Jahren zusammen.

Ricore: Möchten Sie in Zukunft weiter Drehbücher schreiben oder sich mehr auf die Schauspielerei konzentrieren?

Brüggemann: Das weiß ich noch nicht genau. Bis jetzt habe ich beides parallel laufen lassen. Das hat sehr gut geklappt und ich möchte eigentlich so weitermachen. Beides ist mir sehr wichtig. Beides ergänzt sich auch. Dietrich und ich schreiben immer irgendwas zusammen. Das macht mir großen immer Spaß, aber wenn ich längere Zeit nicht spiele, werde ich unglaublich unleidlich. Wichtig ist mir auch, dass ich nicht nur mit Dietrich drehe. Genauso wie es für Dietrich wichtig ist, nicht nur mit mir zu drehen. Dazu sind wir beide zu neugierig.

Ricore: Danke für das Gespräch
erschienen am 1. Oktober 2012
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Dietrich Brüggemann zeigt in seiner Ensemble-Komödie "3 Zimmer/Küche/Bad" acht junge Menschen, die mit Beziehungs- und Identitätsproblemen zu kämpfen haben. Umzüge, die die Handlung strukturieren, spiegeln die fehlende Stabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie die Protagonisten ihren Wohnort wechseln, wechseln sie auch ihre Lebenspartner. Von ihren Eltern können sie keine Hilfe erwarten, da diese in eigenen Krisen stecken. Das Drehbuch verfasste Brüggemann mit seiner Schwester..
Obwohl sie keine klassische Schauspielausbildung absolviert hat, ist Anna Brüggemann eine vielfältige und gefragte Darstellerin. In diversen Kursen und Workshops erlernt sie ihr Handwerk. Mit ihrem Bruder Dietrich Brüggemann entwickelt sie die Drehbücher zu "Neun Szenen" (2006) und "Renn, wenn Du kannst" (2009), wo sie jeweils auch die Hauptrolle verkörpert. In beiden Filmen führt ihr Bruder Regie.Sebastian Schippers "Mitte Ende August" und dem bestechend gespielten Drama "Bergfest" zeigt sich..
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