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Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt ("Nu astepta prea mult de la sfârsitul lumii", 2023)

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt

Originaltitel
Nu astepta prea mult de la sfârsitul lumii
Alternativ
Do Not Expect Too Much from the End of the World (intern. Titel)
Regie
Radu Jude
Darsteller
Ilinca Manolache, Ovidiu Pîrsan, Nina Hoss, Dorina Lazar, László Miske, Katia Pascariu
Kinostart:
Deutschland, bei
Kinostart:
Österreich, am 23.02.2024 bei Filmgarten
Kinostart:
Schweiz, am 29.02.2024 bei Xenix Film
Genre
Komödie
Land
Rumänien, Luxemburg, Frankreich, Kroatien
Jahr
2023
Länge
163 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Geistreiche Beschreibung des heutigen Rumäniens
Angela (Ilinca Manolache) düst mit ihrem Auto durch Bukarest, um Protagonisten für den Film einer österreichischen Firma zu casten, die im Holzgeschäft ist. Die Managerin (Nina Hoss) will für die Nutzung von Schutzkleidung am Arbeitsplatz werben. Dafür sucht sie Menschen, die nach einem Arbeitsunfall an den Rollstuhl gefesselt sind und vor der Kamera berichten, dass die Schutzkleidung sie vor dem Tod bewahrt hat.

Angela kommt auch sonst mit vielen Menschen ins Gespräch, es geht um die Ukraine, um den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, die Vergangenheit. Sie erzählt Anekdoten von früheren Drehs und trifft auf den deutschen Trash-Film-Regisseur Uwe Boll, der ordentlich über die Branche lästert.

Für ein paar Minuten tauscht sie sich mit Pensionärin Angela aus, die in den 1980er Jahren mit dem Taxi Menschen an ihr Ziel in der rumänischen Hauptstadt bringt, über die Arbeitsbedingungen aus. Damals sind Kranken- und Rentenversicherung für alle ebenso verständlich wie eine geregelte Pause, in der es gesunde Kost gibt.
Der Titel des Films bezieht sich auf ein Bonmot des polnischen Satirikers Stanislaw Jerzy Lec. Für das vielschichte Nachdenken über eine Welt, die sich zu Tode amüsiert und konsumiert, wird Regisseur Radu Jude mit dem Special Jury Prize beim Filmfestival von Locarno 2023 geehrt. Zudem ist der Film Rumäniens Vorschlag für den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film.

Jude ist erneut eine äußerst geistreiche und intelligente Zustandsbeschreibung des modernen Rumäniens gelungen, die inhaltlich und ästhetisch mit seinem Berlinale-Gewinner "Bad Luck Banging or Loony Porn" korrespondiert. Lässt er seine Protagonistin damals mit Maske durch die Stadt irren, um sich von den Auswirkungen eines unüberlegten Posts zu befreien, hält Angela ihre Fahrten und Begegnungen in ihrem eigenen Social-Media-Kanal fest, in dem sie sich als Andrew Tate ausgibt.

Als besonderer Kniff erweist sich die Idee, den Alltag der Taxifahrerin zu Beginn der 1980er Jahre zu zeigen. Dafür nutzt Jude ausgiebig Bilder aus dem Spielfilm "Angela Moves On" aus dem Jahre 1981. Er zeichnet ein sehr geschöntes Bild des Landes, das in eine schwere Wirtschaftskrise gerutscht ist und in dem selbst Lebensmittel nur auf Marken zu haben sind. In den engen Grenzen führt Angela damals ein selbstbestimmtes Leben.

Die Ausschnitte laden zu Reflexionen ein, die weit über einen einfachen Vergleich hinausgehen. Zum einen über den Umgang mit dem Bild und dessen Rezeption. Während die weltweit gefeierte neue rumänische Filmwelle, die ein sehr kritisches und realistisches Bild der Realität zeichnet, im eigenen Land kaum Zuschauer ins Kino lockt, boomt auch dort die Abbildung einer Scheinrealität in den sozialen Medien. Für die 1980er lassen sich ungeschönte Bilder des Alltags zumindest in privaten Erinnerungsalben finden, in der Selfie-Gesellschaft ist das schon schwieriger.

Inhaltlich ist Radu Jude kein Ostalgiker, Wehmut und Vergangenheitsverklärung schwingen in den Worten der Pensionärin nicht mit. Auch wer ihn angesichts von verfallenen Häuserzeilen des heutigen Bukarest im Vergleich zu den Bildern der sozialistischen Vorzeigestadt in diese Ecke stellt, unterschätzt die Dialektik in seinen Filmen. Unerbittlich legt er den Finger in die Wunden einer Marktwirtschaft, die in Rumänien nie sozial war, und hinterfragt das Versprechen der großen Freiheit des Individuums. Auch die EU, mit diesen Versprechen um den Beitritt Rumäniens warb, hat sie dem Land niemals gebracht. Auch wenn ihre Hymne jedes Mal erklingt, wenn Angelas Handy sie 24/7 an den Arbeitsplatz ruft.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
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