Pandora
Fatih Akin mit protestierenden Frauen in "Der Müll im Garten Eden"
Empörung mit filmischen Mitteln
Feature: Fatih Akins Aufschrei
Fatih Akin nimmt in seinem Dokumentarfilm "Müll im Garten Eden" ein schreiendes Unrecht ins Visier. In einem türkischen Bergdorf baut die Regierung eine Mülldeponie und nimmt dabei Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefährdung in Kauf. Akins Film mag es an dramaturgischer Geschlossenheit mangeln, dennoch gelingt es ihm, seiner Empörung durch filmische Mittel zum Ausdruck zu bringen.
erschienen am 10. 12. 2012
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Der Müll im Garten Eden
Politik ist Willkür
Çamburnu ist ein kleines Bergdorf im Nordosten der Türkei. Seit Generationen leben die Menschen hier im Einklang mit der Natur unter Wahrung traditioneller Werte. Ihre Lebensgrundlage bildet die Fischerei und der Teeanbau. Doch die Idylle wird getrübt, als die Regierung Anfang des Jahrtausends beschließt, in unmittelbarer Nähe eine Mülldeponie zu errichten. Unbeeindruckt vom Protest der Anwohner, den offensichtlichen Baumängel und deren Folgen für Umwelt und Gesundheit der Menschen wird der Bau durchgeführt.

Fatih Akin erfährt von dem Problem, als er 2005 mit seinem Vater das Dorf besucht. Auf den Spuren seiner Großeltern, die in Çamburnu lebten, ist er von der Region so begeistert, dass er beschließt, einige Aufnahmen für sein Drama "Auf der anderen Seite" hier zu drehen. Als er von den Anwohnern über die bereits im Bau befindliche Deponie hört, entschließt er sich, auf das Unrecht aufmerksam zu machen, indem er einen Dokumentarilm realisiert. Doch die Behörden lassen sich von seiner 'naiven Idee', wie Akin selbst sagt, nicht einschüchtern, und setzen ihren Plan durch.

Dass aus dem Projekt eine Langzeitdokumentation werden würde, kann Akin damals also noch nicht ahnen. Weil er nicht die gesamte Zeit vor Ort sein kann, wird der Großteil der Aufnahmen von einem Dorffotografen übernommen. Der erhält einen Kamera-Crashkurs und ist in den folgenden Jahren vor Ort, wenn sich in dem Konflikt was tut.
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Fatih Akin mit protestierenden Frauen in "Der Müll im Garten Eden"
Darstellung eines fließenden Prozesses
Diese Entstehungsbedingung sind der Grund, wieso Akins "Müll im Garten Eden" insgesamt etwas formlos geraten ist. Da der Regisseur keine in sich abgeschlossene Problematik festhält, sondern einen sich in Bewegung befindenden Konflikt dokumentiert, fehlt dem Film ein strukturelles Konzept. Auch wenn Akin im Presseheft behauptet, dass sich die Aufnahmen seines Amateur-Filmers Bünyamin Seyrekbasan an das bereits gedrehte Material seines langjährigen Kameramanns Hervé Dieu 'nahtlos anschließen', können die Bilder eine gewisse Rohheit nicht verbergen. Doch was als dramaturgische bzw. formale Schwäche gewertet werden kann, erweist sich als adäquate Umsetzung des Themas. Mit anderen Worten: "Müll im Garten Eden" hat keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende, auch weil sein Thema sich der dramaturgischen Entwicklung entzieht. Der Dokumentarfilm ist chaotisch und ungeschliffen, weil auch die Wirklichkeit chaotisch und ungeschliffen ist.

Um konzeptionelle Überlegungen ist es Akin ohnehin kaum gegangen. Auch hat er auf die durchaus zu bemängelnde Grundierung seines Films durch Fakten und Belege verzichtet. Anstatt zu formen und zu beweisen verlässt sich der Regisseur lieber auf die Aussagekraft seiner Bilder. Und diese sprechen für sich. Ausgiebig rückt Akin den immer größer werdenden Müllberg vor den Türen der Dorfbewohner ins Bild und geht auf die Folgen der Deponie für Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft der Region ein. Dabei lässt er auch die Betroffenen zu Wort kommen und zeigt die wütenden Proteste und aussichtslosen Diskussionen der Anwohner mit Angestellten der Deponie.

Etwas zu kurz geraten ist die Perspektive der Gegenseite. Dahinter steckt jedoch keine Tendenz Akins, vielmehr weigern sich die Verantwortlichen, vor der Kamera Stellung zu beziehen. Trotzdem gelingt es dem Regisseur, einige Persönlichkeiten aus den Chefetagen ins Bild zu rücken. Einmal ist der Gouverneur der Region zu sehen, ein anderes Mal der türkische Umweltminister. Dass sie stellvertretend für die Politik in einem negativen Licht erscheinen, liegt weniger an der konzeptionellen Entscheidung Akins, als an ihrem ignoranten Verhalten gegenüber den Leidtragenden ihrer Entscheidungen. Sein Film bewerte die Verantwortlichen nicht, 'aber diese Leute demaskieren sich selbst', betont Akin im Presseheft. Recht hat er, wenn man sich die Ausschnitte anschaut, in denen die Machthabenden die verzweifelten Menschen mit halbherzigen Versprechen abspeisen oder Behörden sich in absurden Argumenten verstricken, indem sie unter Missachtung der augenscheinlichen Verfehlungen auf den allgemeinen Fortschritt verweisen.
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Bewohner von Çamburnu ("Der Müll im Garten Eden")
Gedanke zwischen den Bildern
Neben schreienden Bildern setzt Akin in "Müll im Garten Eden" auf ein weiteres kämpferisches Erzählmittel des Kinos: die Montage. Er rückt die Missstände nicht nur deutlich ins Bild, sondern setzt diese immer wieder in Relation. So stehen die idyllischen Aufnahmen vom paradiesischen Bergdorf, seiner Verankerung in Natur und Tradition im deutlichen Kontrast zur stinkenden Mülldeponie. Oder Akin 'erzählt' durch die Aufeinanderfolge von Bildern, wie sich das verseuchte Wasser nach und nach mit dem sauberen mischt. An anderer Stelle greift er nicht weniger effektiv zur Mittel der 'inneren Montage', etwa wenn in einem Bild im Vordergrund der Schmutz in einem See zu sehen ist, während im Hintergrund Kinder baden. Zwei Bilder und ein Gedanke dazwischen - man kann durchaus sagen, dass sich Akin mit "Müll im Garten Eden" als legitimer Nachfahre Sergej Eisensteins qualifiziert hat.

Die mangelnde dramaturgische Geschlossenheit von "Müll im Garten Eden" mag zwar den Entstehungsbedingungen geschuldet sein. Das heißt aber nicht, dass Akin einen gestalterischen Willen vermissen lässt. So ist sein Dokumentarfilm ein seltsames Zwitterwesen zwischen Doku-Reportage, die sich den äußeren Bedingungen anpassen musste, und subjektivem Essayfilm, dem das persönliche Anliegen des Filmemachers zugrunde liegt. Zwar drängt sich dieses Anliegen ein ums andere Mal allzu emphatisch ins Bild und hat nicht zuletzt eine mangelnde Differenzierung zur Folge. Doch das hat Akin offenbar in Kauf genommen, handelt es sich doch bei dem Thema um eine Herzensangelegenheit des Regisseurs. Und da konnten oder durften Protest, Empörung und die Mobilisierung des Zuschauers nicht vor der mäßigenden Form in Schach gehalten werden.
erschienen am 10. Dezember 2012
Zum Thema
Seit Generationen leben die Bewohner des türkischen Dorfes Çamburnu im Einklang mit der Natur. Die meisten hier bestreiten ihren Lebensunterhalt durch den Anbau von Tee oder der Fischerei. Seit die Regierung in der Nähe eine Mülldeponie errichtet hat, ist die wirtschaftliche Sicherheit sowie die Gesundheit der Bewohner in Gefahr.
Für den Sohn türkischer Einwanderer steht schon mit 16 Jahren fest, dass er ins Filmgeschäft einsteigt. Er engagiert sich im Schultheater, übernimmt kleinere TV-Rollen und schreibt schließlich ein eigenes Drehbuch. Dieses gefällt Produzenten Ralph Schwingel so gut, dass er eine langjährige Zusammenarbeit mit dem damals 19-Jährigen beginnt. Nach seinem Abitur schließt Fatih Akin im Jahr 2000 sein Studium an der Kurz und schmerzlos". Es folgen weitere Spielfilme und Dokumentationen, darunter die..
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