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Regisseur Matti Geschonneck hat alles im Auge
Gut alte Heimat: Ost- und Westberlin
Interview: Matti Geschonnecks Kinderstube
Matti Geschonneck verbindet viel mit dem Flair und der Atmosphäre rund um den Boxhagener Platz im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Er verbrachte dort einen Großteil seiner Jugend und sah seine ersten Filme in einem Kino, das es längst nicht mehr gibt. Sein zweiter Kinofilm, der nicht zufällig "Boxhagener Platz" heißt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Torsten Schulz. Geschonneck gelang es, hierfür ein renommiertes Schauspielensemble zu engagieren. Schließlich erzählt der Film auch eine Geschichte, die nicht nur Ost- und Westberliner etwas angeht, wie der Regisseur uns im Gespräch versicherte.
erschienen am 1. 03. 2010
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Gudrun Ritter und ihr Filmenkel Samuel Schneider in "Boxhagener Platz"
Ricore: Herr Geschonneck, warum ein Berliner Heimatfilm?

Matti Geschonneck: Ich werde oft gefragt, was "Boxhagener Platz" für ein Genre ist, da man Filme gerne in Schubladen steckt. Ist es eine Komödie, ein Drama, eine Satire oder ein Gesellschaftsstück? Es ist ein Berliner Heimatfilm. Wenn ich an den Boxhagener Platz denke, wo ich einen Teil meiner Kindheit verbrachte, denke ich an meine Heimat. Ich bin Berliner und habe einen engen Bezug zu dieser Stadt. Das Genre des Heimatfilms ist etwas in Vergessenheit geraten, es wird mit kitschigen, verklärenden Filmen assoziiert. Das soll "Boxhagener Platz" natürlich nicht sein, als Heimatfilm soll er aber neugierig machen.

Ricore: Sie wuchsen am Boxhagener Platz auf. Haben Sie noch Erinnerungen an bestimmte Eindrücke wie etwa Gerüche?

Geschonneck: Ja, durchaus. Ich lebte dort vor 1968, Mitte der 1950er bis Anfang der 1960er. Ich wurde dort eingeschult, erlebte meine ersten Kinobesuche, die für mich große Erweckungserlebnisse waren. Die Mauer stand noch nicht. Ich bin über die Spree zu Fuß ins benachbarte Westberlin gegangen. Dort gab es andere Gerüche, wie der des Viertakt-Benzins im Gegensatz zum Zweitakter bei uns im Osten. Bei uns gab es den Geruch von Braunkohle, drüben Kaugummi-, Orangen- und Kaffeegeruch. Der Weg nach Kreuzberg, nach Westberlin, war für mich schon als kleiner Junge abenteuerlich. Es war eine bunte Welt, die wir uns im Osten nicht erklären konnten, von deren politischer Lage wir nichts wussten. Es war einfach ein Traumland.

Ricore: Die Romanvorlage stammt von Thorsten Schulz. Brachten Sie trotzdem die von Ihnen geschilderten Erfahrungen mit ein?

Geschonneck: Nein, nicht direkt. Ich bin von Beruf Regisseur und gehe handwerklich an die Arbeit. Natürlich habe ich meine eigenen Vorstellungen, meine Fantasie und meine großartigen Mitarbeiter, die natürlich auch zum Gelingen eines Films beitragen. Unser Kameramann Martin Langer und unsere Kostümbildnerin Lisy Christl kommen aus Westdeutschland und besitzen dieselbe Liebe zum Beruf wie ich. Die Grenzen verschwinden. Ob unsere Teammitglieder nun aus dem Westen oder dem Osten sind, spielte keine Rolle. Das Verbindende war der Wille, eine schöne Geschichte mit interessanten Figuren zu erzählen. Es waren auch die Romanfiguren, die mich am meisten interessiert haben. Ich glaube, ich konnte ein tolles Ensemble zusammenstellen. Allen voran Gudrun Ritter, dann natürlich Michael Gwisdek, Horst Krause, Meret Becker, Jürgen Vogel. Das ist schon eine tolle Truppe und ein Geschenk für einen Regisseur, mit solchen Leuten arbeiten zu dürfen.
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Gudrun Ritter und Michael Gwisdek in "Boxhagener Platz"
Ricore: Hatten Sie eine Lieblingsfigur im Roman?

Geschonneck: Ich will keinem zu nahe treten, aber tatsächlich habe ich eine Lieblingsfigur - obwohl ich alle sehr mag. Gudrun Ritter ist für mich eine Ausnahmeerscheinung. Gwisdek ist fantastisch als Partner. Sie sind alle gut und trotzdem ist die Figur, die mir am Herzen liegt, mit ihrem erotischen Berliner Charme, die Friseuse Renate, gespielt von Meret Becker. Sie hat es mir besonders angetan.

Ricore: Wenn Sie einen Film drehen, geben Sie etwas von sich selbst?

Geschonneck: Hier sind die Grenzen fließend. Natürlich warte ich nicht auf eine Eingebung, sondern gehe jeden Morgen zur Arbeit, um meinen Beruf auszuüben. Gerade bei so einem Stoff - es ist schließlich auch ein Kriminalfilm - trägt man eine große Verantwortung. Es geht um ein Stück Vergangenheit. Viele Regisseure haben versucht, die DDR-Vergangenheit darzustellen. Nun mache ich als Ostberliner einen Film über Ostberlin und wir auch noch auf die Berlinale eingeladen. Im Ostberliner Friedrichstadtpalast wird der Film vor 1.800 Leuten uraufgeführt. Da liegt die Latte schon ziemlich hoch.

Ricore: Sie wollten keinen weiteren, sogenannten Ostalgie-Film drehen?

Geschonneck: Nein, aber trotzdem schwingt eine melancholische Komponente mit. Und die politischen Elemente finde ich auch wesentlich. Es geht um die Lust, die Liebe und die Kraft, der Diktatur mit Humor zu trotzen und sie zu überleben.
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Boxhagener Platz
Ricore: "Boxhagener Platz" ist Ihr zweiter Kinofilm. Warum arbeiten Sie so selten für das Kino? Liegt es an fehlenden guten Drehbüchern?

Geschonneck: In erster Linie ja. Ich arbeite fast nur für das Fernsehen. Ich bekam auch Drehbücher für Kinofilme zugeschickt, welche ich ablehnte, da ich sie lieber für das Fernsehen gemacht hätte. Bei "Boxhagener Platz" war das anders. Ich glaube, dieser Film gehört ins Kino.

Ricore: Benötigen Sie nach Abschluss eines Films eine Regenerationsphase oder sind Sie mit den Gedanken schon beim nächsten Projekt?

Geschonneck: Ich bin immer sehr daran interessiert, dass es weiter geht. Mir macht das Filmemachen nicht nur großen Spaß, es ist für mich auch eine Abenteuerreise. Das Spannende ist, unterschiedliche Filme zu drehen. Eine Geschichte befruchtet die andere.

Ricore: Sie haben mit Fernsehfilmen zahlreiche Preise gewonnen. Macht es der Erfolg leichter oder schwerer, einen Film zu drehen?

Geschonneck: Preise öffnen Wege. Inzwischen habe ich zahlreiche Angebote. Ich habe gute Partner, hauptsächlich eine Kölner Firma, und ich arbeite eng mit dem ZDF zusammen. Diese kontinuierliche Verbundenheit hat sich im Laufe der Jahre bezahlt gemacht. Mit Kinoprojekten ist es da schon schwieriger. Ich überlege mir genau, was ich tue.
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Am Set muss alles stimmen
Ricore: Erfordert ein Kinofilm mehr Einsatz, als ein Fernsehfilm?

Geschonneck: Nein. Für die Finanzierung, die Produktion ist es natürlich eine andere Herangehensweise. Was die Buch- und Dreharbeit betrifft, sehe ich keinen großen Unterschied.

Ricore: Machen Sie Filme für das Publikum?

Geschonneck: Natürlich drehe ich Filme nicht für mich alleine, sondern auch für das Publikum oder um dem Buch gerecht zu werden. Filmemachen ist kein Egotrip. Das wäre fatal und falsch. Ich freue mich sehr, wenn sich die Leute "Boxhagener Platz" ansehen und etwas damit anfangen können. Nicht nur Ostberliner oder Berliner, sondern auch Menschen aus anderen Ländern. Leute zu berühren, das ist mein erklärtes Ziel.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 1. März 2010
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Matti Geschonneck wird am 8. Mai 1952 als Sohn des Schauspielers Erwin Geschonneck in der ehemaligen DDR geboren. Er wächst in Ostberlin bei seiner Mutter und seinem Ziehvater auf. Letzterer ist Dokumentarfilmer Gerhard Scheumann. Jahre später wird er als renommierter Fernsehregisseur einen Kinofilm drehen, der nicht nur den Namen des Platzes seiner Kindheit trägt ("Boxhagener Platz"), sondern auch das Flair und die Atmosphäre der 1960er Jahre spiegelt. Zuvor studiert Matti in Moskau..
"Boxhagener Platz" ist eine gleichsam liebevolle und melancholische Hommage an das alte Berlin. Es ist die Zeit vor dem Mauerfall, als sich Nachbarn und Anwohner in der kleinen Eckkneipe "Feuermelder" treffen, um über Aktuelles zu debattieren. Die Stärke des Films entfaltet sich unter anderem auch durch das, was zwischen den Zeilen gezeigt und gesagt wird. Großartig ist das Schauspielensemble anzusehen, von dem besonders Jürgen Vogel, Michael Gwisdek, Milan Peschel und Gudrun Ritter zu nennen..
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