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Curtis Hanson
Curtis Hanson über Emotionen, Eminem und angebliche Starallüren
Interview: Nie wieder!
Vom Elternschreck zum Jugendvorbild: Durch Eminems Leinwanddebüt "8 Mile" erfuhr das Image des umstrittenen Skandal-Rappers eine Art Heiligsprechung. Der Film spielte bereits am US-Startwochenende über 50 Millionen Dollar ein. Regie führte kein Geringerer als Curtis Hanson (57), der für den gefeierten "L.A. Confidential" sieben Oscar-Nominierungen erhielt.
erschienen am 2. 01. 2003
United International Pictures (UIP)
Szene aus "8 Mile"
Ricore Medien: Mr. Hanson, in welchem Genre ist "8 Mile" zuhause: Drama, modernes Musical oder ein halber Dokumentarfilm?

Curtis Hanson: : Der Film hat sicherlich etwas von allem, man kann ihn nicht in ein Genre zwängen. Mit "8 Mile" wollte ich dem Zuschauer zeigen, was im Detroit des Jahres 1995 vor sich ging, wie diese Menschen damals über das Leben dachten. Schließlich startete der Hip-Hop von Detroit aus seinen Siegeszug.

Ricore: Nun hören Sie privat in Ihrer Freizeit vermutlich nicht andauernd Hip-Hop...

Hanson: Deswegen habe ich mir keine Sorgen gemacht, durch meine ausführlichen Gespräche mit Eminem lernte ich darüber genug. In erster Linie wollte ich ja ein authentisches Spiegelbild der damaligen Zeit erschaffen - was den Film wiederum dem Genre der Dokumentation nahe bringt. Auch Kameraführung und Drehorte entsprechen eher der dokumentarischen Schiene.
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Eminem, Brittany Murphy in: 8 Mile
Ricore: Aber weshalb gerade ein Film über Hip-Hop?

Hanson: Ich bin Musikliebhaber und höre beinahe alles, auch Hip-Hop. Ich ging also nicht ohne Vorkenntnisse an das Projekt heran. Am Hip-Hop interessiert mich in vor allem seine Entstehung und Entwicklung über die Jahre hinweg. Wie die Gesellschaft auf diese Musikrichtung reagierte und wie sich ihre Einstellung allmählich änderte. Am Anfang wurde Hip-Hop verachtet und als kurzzeitiger Trend angesehen. Heute hören Millionen von Menschen die Platten von Eminem und Co.

Ricore: Woran mag das liegen?

Hanson: Es ist eine sehr ehrliche Musik. Wenn ehrliche Gefühle in gute Songs umgesetzt werden, zieht das einfach Zuhörer an, unabhängig von Rasse oder Herkunft. Das ist das Grundschema jeder Kunstrichtung: Ist die Grundaussage ehrlich und die Präsentation besonders kreativ, fühlen sich die Menschen verstanden und das Ding hat Erfolg.

Ricore: Für Jimmy und seine Freunde, die alle aus der Unterschicht von Detroit stammen, ist Hip-Hop aber wesentlich mehr als nur gute Unterhaltung...

Hanson: Für sie ist Hip-Hop ein Ventil für ihre Emotionen - ein Traum, den alle zusammen träumen. Typische Hip-Hop-Filme erschaffen mit ihrer Story meistens plastische Abbilder der gesungenen Hip-Hop-Texte. Der Inhalt ist immer gleich: Drogen, Waffen und Gewalt. "8 Mile" ist ganz anders: Hier geht es um Hip-Hop-Fans und ihr Leben, nicht um die Songtexte an sich. Drogen, Waffen und Gewalt gehören da natürlich auch dazu, sind für die Geschichte aber nur zweitrangig. Das ist der Unterschied.
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Eminem, Curtis Hanson, in: 8 Mile
Ricore: Wie kam Eminem zu seiner Hauptrolle in Ihrem Film?

Hanson: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, dachte ich nicht im Traum an Eminem. Die Idee kam erst viel später, und auch dann stand noch ein großes Fragezeichen hinter seinem Namen. Schließlich hatte ich bereits einen bestimmten Stil im Auge und wusste nicht, ob er das hinkriegen würde. Außerdem hatte er bis dahin alle anderen Filmangebote abgelehnt. Zum Glück hat er schließlich zugesagt.

Ricore: Was wäre passiert, wenn Eminem die Rolle abgelehnt hätte?

Hanson: Mit den dramatischen Elementen des Filmes wären auch viele andere Schauspieler fertig geworden. Aber keiner beherrscht das Rappen so gut wie Eminem. Insofern wäre ein weiteres Casting sehr schwierig geworden.

Ricore: Wie aber konnten Sie sicher sein, dass Eminem auch ein guter Schauspieler ist? Schließlich war er vorher noch nie auf der Leinwand zu sehen.

Hanson: Ich habe in Los Angeles viel Zeit mit ihm verbracht. Dann fuhren wir gemeinsam nach Detroit, und Eminem erzählte mir seine Lebensgeschichte an genau den Orten, an denen es sich wirklich zugetragen hatte. Dadurch lernte ich ihn sehr gut kennen und bekam allmählich Gewissheit. Seine eigene Jugend verbrachte er beinahe genauso wie Jimmy in "8 Mile".
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Brittany Murphy in: 8 Mile
Ricore: Jimmy ist sehr sensibel, aber auch hitzköpfig. Entspricht das Eminems Charakter?

Hanson: Auf emotionaler Ebene sind sich Jimmy und Eminem in der Tat sehr ähnlich. Jimmy fühlt all diese Emotionen wie Zorn, Frustration, Kreativität und Ehrgeiz, weiß aber nicht, wie er sie ausdrücken soll. Deshalb reagiert er oft an unpassenden Stellen ausfallend und übertrieben. Doch schließlich findet er das Kommunikationsmittel, nach dem er so lange gesucht hat: Hip-Hop. Bei Eminem ist bzw. war das meiner Meinung nach genauso. Die in "8 Mile" geschilderten Erlebnisse sind allerdings alle erfunden.

Ricore: Apropos Emotionen: Gerüchten zufolge gab es am Set Ärger, weil Eminem nicht allzu zuverlässig war.

Hanson: Eminem ist fast in jeder Szene zu sehen, obwohl "8 Mile" sein erster Film war. Das war für uns beide - wie soll ich sagen - eine Herausforderung. Wir hatten bei den Dreharbeiten also unsere Höhen und Tiefen, das will ich nicht leugnen. Es war für uns beide eine schwierige Angelegenheit. Ich hatte ihm schon während den Proben gesagt, dass der Dreh verdammt hart werden würde. Und dass eine Zeit kommen wird, in der er mich vielleicht mögen, vielleicht aber auch verfluchen würde. Allerdings habe ich auch klargestellt, dass wir das Projekt gemeinsam starten und auch gemeinsam beenden würden. Und genau das haben wir getan. Nach all den Höhe und Tiefen sind wir uns am Ende doch sehr nahe gekommen.
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Eminem, Curtis Hanson in: 8 Mile
Ricore: Können Sie uns Beispiele für diese Hoch- und Tiefpunkte geben?

Hanson: (überlegt sehr lange) Die Höhen waren die Momente, in denen sich die Dreharbeiten gut entwickelten und alles aufzugehen schien. Zum Beispiel, als Eminem bei den Proben zum ersten Mal Kim Basinger traf, die er als Schauspielerin sehr bewundert. Auf einmal las er nicht mehr nur den Text, sondern offenbarte die volle Bandbreite seiner Gefühle. Das hat Eminem auch selbst bemerkt und saß danach mit einem breiten Grinsen auf der Couch.

Ricore: Und die Tiefen?

Hanson: Das waren Situationen, in denen er müde war, ich aber trotzdem mit einer bestimmten Szene unzufrieden war und sie andauernd wiederholen ließ. Er befolgte zwar immer die Anweisungen, aber er war eben müde. Wissen Sie, was ich meine? Als ich ihn am letzten Drehtag fragte, wie er sich denn fühle, meinte er nur: Nie wieder! Und diese Reaktion hatte ich damals auch erwartet.

Ricore: Auf einen weiteren Film mit Eminem müssen wir demnach verzichten?

Hanson: Wer weiß? Eminem ist mit dem fertigen Film sehr zufrieden und freut sich über die durchweg positive Resonanz. Es ist bei ihm wohl wie bei einer Mutter, nachdem sie ihr Kind zur Welt gebracht hat: Schmerz und Mühsal werden verdrängt, zurück bleiben die positive Erinnerungen.
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Brittany Murphy, Eminem in: 8 Mile
Ricore: Eminem beschrieb die Proben vor den Dreharbeiten als "einzigartig und grausam". Brittany Murphy nannte Sie sogar einen "großen Puppenspieler". Was ist da eigentlich vorgegangen?

Hanson: Insgesamt haben wir ein halbes Jahr geprobt. Ich würde mich nicht als Puppenspieler bezeichnen, aber ich versuchte ein Umfeld zu schaffen, in dem die Schauspieler sich kennen lernen konnten. Ein Umfeld, in dem sich Vertrauen und Selbstbewusstsein entwickeln können. Außerdem wollte ich schon im Vorfeld so viele Fragen wie möglich klären.

Ricore: Ihr neuestes Projekt heißt "Lucky You". Dürfen wir wieder etwas ganz anderes erwarten?

Hanson: Natürlich! Ich arbeite momentan mit Eric Roth, dem Drehbuchautor von "Insider" und "Forrest Gump" an einer Story über professionelle Pokerspieler in Las Vegas. Ich hoffe, dass diese Geschichte mein nächster Film werden wird.

Ricore: Viele Kritiker halten "8 Mile" für einen heißen Oscarkandidaten. Wie denken Sie darüber?

Hanson: Ehrlich gesagt mache ich mir darüber keine Gedanken. Wenn wir nominiert werden, freue ich mich natürlich. Immerhin sorgt der Oscar für Furore und lockt Zuschauer in die Kinos. Aber eigentlich mag ich es nicht, dass Filme wie bei einem Pferderennen gegeneinander antreten. Filme sollte man nicht vergleichen.
erschienen am 2. Januar 2003
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2024