Jean-François Martin/Ricore Text
Helen Mirren in Venedig
Helen Mirren über die Monarchie
Interview: Auch die Queen ist nur ein Mensch
Nach jahrelangen Recherchen blickt der britische Starregisseur Stephen Frears mit "Die Queen" hinter die Fassade der königlichen Familie und erzählt von den Tagen nach Lady Dianas Tod. Helen Mirren, in der britischen Film- und Theaterlandschaft selbst eine Art Königin - gilt dank ihrer sensationellen Darstellung als heißeste Anwärterin auf den Oscar. In Venedig trafen wir die 61-Jährige zum Gespräch.
erschienen am 21. 01. 2007
Jean-François Martin/Ricore Text
Helen Mirren mit Regisseur Stephen Frears in Venedig
Ricore: Mrs. Mirren, wie einschüchternd war es, die Queen zu spielen?

Helen Mirren: Die Rolle hat mir so Angst gemacht, wie kein anderer Job zuvor. Da die Queen immer noch auf Gottes Erde wandelt, musste meine Imitation zwangsläufig eine Imitation bleiben. Egal wie sehr ich mich als Schauspielerin bemüht habe: Ich konnte nicht gewinnen. Es gab während der ersten Kostümprobe sogar einen Moment, wo ich in Tränen ausbrach. Die unbequemen Schuhe, das steife Korsett und dann noch die Ungewissheit, ob ich damit wirklich das Richtige tue: Ich war fertig mit en Nerven.

Ricore: Warum haben Sie trotzdem zugestimmt?

Mirren: Weil ich die Menschen hinter dem Projekt sehr gut kannte. Hätte es sich bei dem Drehbuch um eine der üblichen TV-Ausschlachtungen gehandelt, hätte ich nie meine Zusage gegeben. Anfangs war ich mir auch hier sehr unsicher, wollte eigentlich absagen. Aber weil das Drehbuch für mich immer oberste Priorität hat, habe ich es zuerst gelesen. Und das hat mich dann doch überzeugt: Es war auf seine ganz brillante Art und Weise objektiv, sensibel und emotional. Es schilderte die Ereignisse hinter den verschlossenen Türen des Palastes, ohne die königliche Familie lächerlich zu machen.

Ricore: Wie sind Sie weiter vorgegangen?

Mirren: Ich wollte die Person hinter der Fassade zeigen. Denn so seltsam die Welt ist, in der sich die Queen bewegt: Letztlich ist sie doch ein Mensch. Um das zu schaffen, musste ich jedoch zuerst ihre Art möglichst exakt kopieren. Also nahm ich Sprachunterricht und zog mich anschließend in mein Ferienhaus in Frankreich zurück, um mich für zwei Wochen ausschließlich mit der Materie zu beschäftigen. Dort habe ich Bücher über die Queen gelesen und mich durch alte Video-, Foto- und Tonaufnahmen gekämpft.
Concorde Filmverleih
Helen Mirren ist "Die Queen"
Ricore: Gab es eine bestimmte Aufzeichnung, die Ihnen besonders geholfen hat?

Mirren: Ich erinnere mich an ein etwa zwanzig Sekunden langes Video, das Elizabeth im Alter von etwa zwölf Jahren zeigt. Sie steigt erhaben aus einer schwarzen Limousine und geht langsamen Schrittes auf einen großen Mann zu, offenbar ein Würdenträger. Sie ist perfekt angezogen und ist sich bereits damals ihrer Pflichten als Mitglied der königlichen Familie bewusst. Sie weiß, dass es ihre Aufgabe ist, hier eine gute Figur zu machen, und erfüllt diesen Auftrag mit größter Ernsthaftigkeit. Wie dieses kleine Mädchen vor diesem riesigen Mann steht und sie sich die Hände schütteln - dieses Bild hat sich mir eingeprägt, weil es so charakteristisch für die Persönlichkeit der Queen ist: Sie hat nie eine andere Welt erlebt und war schon immer sehr verantwortungsvoll.

Ricore: Was bedeutet die Queen für Sie?

Mirren: Es ist sehr schwer, Nicht-Briten unser Verhältnis zur Queen zu beschreiben. Sie ist in unserem Alltag ein ständiges Bild, die Konstante unseres öffentlichen Lebens. Es spielt keine Rolle, ob es sich um Republikaner oder Royalisten handelt, jeder wird zugeben, dass die Queen eine ganz außergewöhnliche Frau ist, die irgendwie schon immer da war. Es ist vielleicht vergleichbar mit einem alten Sofa im Elternhaus: Als Kind hüpft du darauf herum, später brennst du mit deiner Zigarette versehentlich ein Loch hinein und irgendwann bemerkst du, dass das Ding zu den vertrautesten Dingen in deinem Leben gehört. Die Queen ist uns Briten so vertraut und gleichzeitig so unbekannt. Sie ist die Mutter der Nation. Meine Eltern pflegten immer zu sagen: Mach dir keine Sorgen, auch die Queen hat Probleme.

Ricore: Für Sie ist die Queen also auch etwas wie eine Mutter?

Mirren: Für mich steht sie eher für eine edle Generation, die wir leider Gottes nach und nach verlieren. Meine Mutter wurde etwa zur selben Zeit geboren wie die Queen, und als sie starb, war ich in zweierlei Hinsicht unglücklich: Zum einen beklagte ich natürlich den Verlust ihrer Persönlichkeit, zum anderen den Verlust der Generation, der sie noch angehört hat: Wie die Queen hat auch meine Mutter das Klassensystem vor dem Zweiten Weltkrieg miterlebt, sowie die Zeit während der Kämpfe und die Armut danach. Es ist eine Generation, die dreißig Jahre ihrer Jugend in einer Phase der Depression verleben musste und es am Ende trotzdem geschafft hat, relevante Weichen für ihre nachfolgende Generation zu stellen. Eine Generation, die es noch verstand, im rechten Maß zu leben: Wie die Queen war auch meine Mutter der Meinung, dass kein neues Auto nötig ist, wenn das Alte noch fährt. Man schenkte Kleinigkeiten damals einfach mehr Beachtung. Im Vergleich zu unserer heutigen Kommerzwelt empfinde ich diese Generation als ein edles Gegenstück.
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Gute Kritiken, gute Besucherzahlen: "Die Queen"
Ricore: Die Queen gab nach dem Tod von Lady Diana kein öffentliches Statement ab und wurde für die herzlose Haltung von Ihrem Volk kritisiert. Denken Sie auch, dass Sie damals als Staatsoberhaupt versagt hat?

Mirren: Ich persönlich dachte nur: Lasst sie allein! Es ist eine Tragödie für alle Beteiligten. Die königliche Familie war sicherlich mehr traumatisiert als die trauernden Fans vor den Toren des Buckingham Palastes. Für diese Touristen konnte ich beim besten Willen keine Sympathie aufbringen.

Ricore: Warum?

Mirren: Weil ich Hysterie nicht leiden kann. Was sich da vor den Toren abspielte, war mehr oder weniger erbärmlich. Die Masse der Bevölkerung kannte sie doch gar nicht, lediglich ein stilisiertes Bild aus den Medien. Ich wette zehntausend Dollar, dass man in den letzten zehn Jahren vor ihrem Tod an wirklich jedem Zeitungsstand der Welt mindestens ein Magazin finden konnte, in dem ein Foto von ihr abgelichtet war. Wie muss Diana das, worüber sie andere definierten, gehasst haben! Massenhysterie lässt den Einzelnen seinen individuellen Sinn für Logik vergessen und nicht mehr rational handeln. Die Geschichte der Menschheit hat uns gelehrt, dass so etwas sehr schnell gefährlich werden kann. Deshalb trete ich in solchen Momenten lieber zurück.

Ricore: Einige Historiker sind der Meinung, dass die passive Haltung der Queen beinahe eine Revolution im Volk ausgelöst hätte. Wie denken Sie darüber?

Mirren: Die Schlagzeilen der Zeitungen waren zumindest alles andere als freundlich. Aber solche Stürme kommen und gehen. Wer kann schon sagen, ob diese zwei Wochen auf lange Sicht dem Image der Queen geschadet haben. Die Zukunft wird das zeigen.

Ricore: Gibt es bei der Filmauswertung keine rechtlichen Probleme?

Mirren: Wir berufen uns auf die Redefreiheit in England. Jeder darf sagen, was er möchte. Außerdem werden wir ja nicht beleidigend. Wir werfen lediglich einen intimen Blick auf das Privatleben einer sonderbaren Familie.
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Helen Mirren für "Die Queen" bereits in Venedig ausgezeichnet
Ricore: Sie sind seit vierzig Jahren im Geschäft. Ist diese Rolle eine Ihrer Glanzmomente?

Mirren: Das müssen andere entscheiden. Ich für meinen Teil kann nur sagen, es ungemein anstrengend und intensiv für mich war. Ich brauche eine Pause von der Schauspielerei! (lacht) Ich habe genug.

Ricore: Dabei hört man von Ihnen doch eigentlich immer, dass Sie eines nie verlieren: Ihren Elan!

Mirren: Aber auch nur, weil ich eigentlich stinkfaul bin. Gerade weil ich so ungern arbeite, gebe ich Acht, dass ich mich nicht gehen lasse. Ich bin von Sternzeichen Löwe, das sagt alles: Ich liege gerne einfach nur herum.

Ricore: Löwen stehen allerdings auch gerne im Rampenlicht!

Mirren: Was aber noch lange nicht heißt, dass sie auch gerne etwas dafür tun! (lacht) Wissen Sie, wer ich gerne sein möchte? Pierre Bonnards Frau! Ich weiß nicht, ob sie seine Malereien kennen, aber sein Hauptmotiv war immer seine Frau. Er hat sie gemalt, wie sie im Garten sitzt, wie sie badet oder einfach nur Tee trinkt. Dank seiner Bilder ist sie heute unglaublich berühmt - und musste rein gar nichts dafür tun.

Ricore: Sie dagegen gelten als unbestrittene Favoritin für den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Wie denken Sie darüber?

Mirren: Halten Sie Ihren Mund und sehen Sie zu, dass Sie wegkommen! (lacht)
erschienen am 21. Januar 2007
Zum Thema
Schon früh beginnt der Nachfahre einer aristokratischen russischen Familie mit seiner Theaterausbildung. Mit 19 Jahren wird Helen Mirren in die renommierte James Mason in "Das Mädchen vom Korallenriff". Besondere Aufmerksamkeit erregte sie mit dem Skandalfilm "Caligula", der bis heute von vielen Kritikern als pornografisch eingestuft wird.Peter Greenaway ("Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber"), Robert Altman ("Gosford Park") oder Stephen Frears ("Die Queen").
Die Queen (Kinofilm)
Als 1997 Prinzessin Diana ums Leben kommt, verschanzt sich Königin Elizabeth II. (Helen Mirren) mit ihrer Familie in Schloss Balmoral. Die Monarchin kann die große öffentliche Anteilnahme für Lady Di nicht nachvollziehen. Premierminister Tony Blair (Michael Sheen) will in der schweren Krise versuchen, die britischen Untertanen wieder mit ihrer Königin zu versöhnen. Der britische Regisseur Stephen Frears blickt mit dem sensiblen Drama auf ein tragisches Ereignis aus der Geschichte seiner Heimat.
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