Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Jutta Speidel
Jutta Speidel als Nordland-Bäuerin
Interview: Zweites Leben in Rom
Jutta Speidel gehört derzeit zu den begehrtesten deutschen Fernsehdarstellerinnen. Ob in TV-Serien oder in Spielfilmen, stets hat man das Gefühl, sie stehe ihre Frau. So auch im Fernsehfilm "Annas Geheimnis". Als Bäuerin getarnt, muss Jutta Speidel ihrem Mann beibringen, dass sie eine Tochter aus einer Beziehung vor ihrer Ehe hat. Speidel hat selbst einen Bezug zur Landwirtschaft. Bei ihren regelmäßigen Besuchen in Südtirol genießt sie besonders die guten Äpfel.
erschienen am 1. 05. 2008
ARD Degeto
Jutta Speidel in "Annas Geheimnis"
Ricore: Sie spielen eine Bäuerin. Fühlen Sie sich mit dem Land besonders verbunden?

Jutta Speidel: Wenn ich eine bayrische Bäuerin spielen würde, würde mir das natürlich sehr viel artverwandter sein, als eine nordische Mentalität auf dem Lande darzustellen. Die Rolle war sehr reizvoll für mich und ich finde, dass wir das ganz gut hingekriegt haben. Man hat nicht das Gefühl "Die kommt eigentlich aus einem südlichen Gefilde, was macht die da oben?" Ich musste nicht eine Backgroundgeschichte erzählen, warum es mich irgendwann dorthin verschlagen hat. Der Film ist sehr leise, sehr still und sehr zurückgenommen. Und diese nordischen "Fischköpp" sind von ihrer Mentalität her sehr ähnlich wie die bayrischen Bauern. Die sagen auch nicht viel und sind sehr stur und in sich gekehrt. Es war für mich schon eine schauspielerische Herausforderung, so eine Mentalität nachzuvollziehen und zu spielen.

Ricore: Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Speidel: Da ich mich vorher mit dem Buch sehr lange beschäftigt habe und verschiedene Fassungen durch erlebt und auch ein bisschen mit beeinflusst habe, muss ich sagen, dass das Buch schwierig zu verfilmen war. Es war eine Herzensangelegenheit von Herr Kruppa. Ich finde, das Ergebnis ist hervorragend. Wir konnten sehr viel mehr in den Film hineinpacken. Jan Ruzicka als Regisseur und Michael Tötter als Kameramann, die beiden haben eine großartige Leistung erbracht. Diesen Film mit diesem Drehbuch so hinzukriegen.

Ricore: Sie schwärmen ja richtig. Was gefällt Ihnen besonders?

Speidel: Am Anfang, wenn die Kamera über diese endlosen Felder fährt und dann sieht man die kleinen Brücken über die Deiche. Ich habe immer gedacht, das ist ein Van Gogh.
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"Annas Geheimnis"
Ricore: Ein ungewöhnlicher Anfang für einen TV-Film…

Speidel: Das ist Wahnsinn. Und dann siehst du diesen einsamen Mann auf dem Rad, diesen Postboten. Und die Kamera fliegt weiter über die hellen Felder, und plötzlich ist man auf einem Bauernhof. Äpfel werden umgeladen und der Film fängt an. Das hat mich total begeistert. Ich glaube, man bleibt gerne an den Figuren, weil es einen interessiert, was mit ihnen passiert. Der Hof, der plötzlich keine Chance mehr hat, weil es neue Normen von Äpfel-Größen gibt. Äpfel-Größen, die man mit hundertjährigen Apfelbäumen nicht erreichen kann. Weil das Apfelsorten sind, die anders gedacht sind, die kleiner sind, die nicht diese roten Backen haben, weil es grüne Äpfel sind. So geht es vielen Bauern. Ihnen verlangt die EU eine Veränderung der ganzen Plantagen ab. Und das können sich die Allerwenigsten leisten. Nur Großbauern, wie der im Film, der dann alles aufkauft.

Ricore: Kennen Sie sich mit Apfelplantagen und -sorten aus?

Speidel: Ich bin mit Südtirolern befreundet, die in Meran eine Apfelplantage haben. Ich fahre jedes Jahr hinunter und hole mir große Äpfel von meiner Freundin. Und dann sagt Maria zu mir: "Jetzt müssen wir diese Apfelsorte Pink Lady anbauen, und der schmeckt überhaupt nicht." Und ich habe gesagt: "Ein paar Apfelbäume musst du lassen, damit wir deine Äpfel haben. Ihr Sohn hat gesagt: "Nein, wir verändern unsere Apfelbäume". Die Älteren haben natürlich geweint wegen der alten Apfelbäume.

Ricore: Es gibt diese Szene im Film, in welcher der Bauer eine australische Sorte anbauen will.

Speidel: Ja, das ist die Pink Lady. Im Film hieß es australischer Apfel, weil man Pink Lady nicht sagen darf. Aber genau das ist die Situation.
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Szene aus "Annas Geheimnis"
Ricore: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie selbst beim Drehbuch mit gearbeitet haben. Inwiefern können heute Schauspieler ihre Rolle noch beeinflussen?

Speidel: Es hängt davon ab, in welchem Stadium ein Drehbuch an uns heran gerät. Es ist mir sehr oft passiert, und passiert mir jetzt grundsätzlich so, dass eine Anfrage kommt, in der mir eine Idee vorgelegt wird. Dann sagen die Produzenten: "Lies das doch mal, schau, ob dir das gefällt, ob du dich mit der Figur vorstellen kannst, ob dich der Stoff interessiert." Wenn du sagst "Ja, das find ich ganz interessant, lass uns darüber reden", dann ist der zweite Schritt ein Treffen mit dem Produzenten und mit den Autoren. Man redet über Vorstellungen, wie sich diese Figur entwickeln könnte, welchen Background sie hat. Und der Autor geht heim - hat natürlich auch seine Vorstellung - mit meiner Idee, mit der Idee des Produzenten, geht heim mit seiner Idee. Dann wird eine erste Fassung des Drehbuchs geschrieben, indem die Ideen des Produzenten, des Regisseurs und die eigenen Ideen einfließen. Diese Fassung wird erneut gemeinsam besprochen. Man hat wieder neue Ideen oder sagt: "Das gefällt mir jetzt überhaupt nicht, das geht in eine Richtung, das finde ich ganz schrecklich". Ich hatte oftmals Drehbücher, wo ich vier Fassungen mit durch gelebt habe, und auch meine Ideen eingebracht habe. Meine Arbeit ist nicht das Schreiben. Aber meine Ideen schreibe ich oft nieder und leite sie weiter. Das ist unbezahlte Drehbucharbeit.

Ricore: Machen sie noch Castings?

Speidel: Ich habe in meinem ganzen Leben kein einziges Casting gemacht. Doch, eines. Das war in Amerika. Ich ging nach Amerika, als ich einen Film mit Martin Sheen und Sean Penn gedreht habe. Dort hatte ich einen amerikanischen Agenten, der mich zu einem Casting geschickt hat. Es ging um einen Film über den damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage, der eine schwedische Freundin hatte. Diese Rolle wurde gesucht. Ich bin hingegangen und ich kam mir noch nie im Leben so fehl am Platz vor. Aber ich habe mit Theaterregisseuren gearbeitet. Wenn man das Casting nennen möchte, hab ich am Theater etliche gemacht. Aber bei Fernsehen oder Film nicht ein einziges Mal.
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Jutta Speidel als Apfelbäuerin, die mit ihrem Mann durch dick und dünn geht
Ricore: Da befinden Sie sich in einer glücklichen Position…

Speidel: Ja, ich kenne es gar nicht anders. Das liegt sicherlich an meinem Werdegang.

Ricore: Bereuen Sie etwas an ihrem Werdegang, würden Sie heute etwas anders machen? Haben Sie das Gefühl, etwas von ihrer Jugend verpasst zu haben, weil Sie so früh mit der Schauspielerei angefangen haben?

Speidel: Nein, gar nicht. Ich hatte eine wunderschöne Jugend. Für mich war es ein ganz großer Wunschtraum, Schauspielerin zu werden. Mit 14 oder 15 Jahren hatte ich die Chance, Statistin bei einem Film zu sein. Beim nächsten Film hatte ich dann eine kleine Rolle. Ich hatte bislang ein Leben, welches für mich absolut in Ordnung ist. Es gibt Dinge, in denen ich vielleicht von einer Agentur bessere Beratung gebraucht hätte. Oder eine Agentur, die meine Begabung und meine Persönlichkeit besser erkannt und eingesetzt hätte. Dann hätte ich vielleicht eine größere Karriere gemacht, die vielleicht auch ins Ausland gegangen wäre. Aber es ist so wie es ist, und so ist es für mich in Ordnung. Ich freue mich darauf wenn ich nach dem Ausstieg von meiner Serie "Um Himmels Willen" einen anderen, leiseren Weg einschlagen kann. Ich bin jetzt nicht mehr so oft im Fernsehen. Bei einer Serie bist du 13 Mal am Stück zu sehen und in einer großen Rolle bist du ständig im Tagesgespräch. Die Serie gab mir die Möglichkeit zu arbeiten, meine Kinder zu erziehen und trotzdem schöne Rollen zu spielen Ich habe immer wieder schöne Produktionen wie "Meine Mutter tanzend", "Annas Geheimnis" oder Weihnachtsfilme gemacht. Aber jetzt beginnt ein neuer Abschnitt. Es war wichtig für mich, aus dieser Serie, die ich lange Jahre gemacht habe, auszusteigen.

Ricore: Gibt es schon konkrete Pläne für ihre Zukunft?

Speidel: Ein wichtiger Plan ist, eine eigene kleine Produktion auf die Beine zu stellen. Ich habe ein Hörbuch gemacht: "Das hohe Lied der Liebe". Wir haben es selbst produziert, finanziert und umgesetzt. Wir haben alles selbst gemacht. Das war für mich ein großes Abenteuer. Jetzt plane ich ein zweites Projekt, darüber möchte ich allerdings noch nicht reden. Ich leite den Verein "Horizont e. V." und habe dort vier oder fünf Bücher herausgegeben. Ein Weihnachtsbuch ist gerade in Vorbereitung. Das alles sind Dinge, die für mich sehr wichtig sind. Ich will auch unbedingt wieder Theaterspielen. Das konnte ich lange Jahre aufgrund dieser Serien nicht machen. Es gab keine Zeit für eine Theaterproduktion. Ich hoffe, dass ich ein paar schöne Filme angeboten bekomme. Da sind viele am Entstehen, die wir dann dieses Jahr oder nächstes Jahr drehen werden.
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Traurige Momente in "Annas Geheimnis"
Ricore: Wenn sie so vielbeschäftigt sind, bleibt da überhaupt noch Platz für Ihr Privatleben, Hobbies, Freizeit…

Speidel: Also Hobbys habe ich… Hobby ist mein Verein "Horizont", ist mein Leben, ist dass ich in zwei Ländern lebe, in Rom und hier. Wir pendeln ständig hin und her. Und das ist allein schon ein Riesen-Privileg. Ich habe erwachsene Kinder und dadurch ein bisschen mehr Freiraum. Das war schon alles so geplant

Ricore: Rom ist eine interessante Stadt...

Speidel: Ja, das ist eine sagenhafte Stadt. Es gibt so viel anzuschauen.

Ricore: Was fasziniert Sie an Rom am Meisten?

Speidel: Für mich ist es wunderschön, dass ich in dieser Stadt auch leben kann. Ich war 23, als ich das erste Mal nach Rom kam, und verbrachte zehn Tage dort. Ich saß im Forum Romanum und habe Tagebuch geschrieben. Da stand dann: "Ich wünsche mir, dass ich einmal in meinem Leben ein gesamtes Jahr in Rom lebe". Das habe ich immer mit mir rumgetragen. Ich hab nie damit gerechnet, dass es wirklich mal soweit kommt. Und das ist es, was ich am allermeisten liebe, dass ich einen privaten Grund habe, da mein Lebensgefährte in Rom lebt. Dass ich dort hinfahre, zu Hause bin, dass ich zu meinem Bäcker, zu meinem Metzger gehe, zu meinem Lebensmittelgeschäft, dass die mich mit Namen kennen und sich freuen, wenn sie mich sehen. Ich bin da ein Stück zu Hause. Es ist schon klar, dass ich immer ein Fremder dort sein werde, auch wenn ich 20 Jahre dort lebe. Aber es ist normal, dorthin zu fahren. Inzwischen kennen mich auch Stewardessen, wenn ich ins Flugzeug einsteige, dann fliege ich oftmals mit den gleichen Stewardessen.
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Jutta Speidel
Ricore: Können Sie gut italienisch?

Speidel: Nein. Ich spreche italienisch, aber ich bin weit davon entfernt, es gut zu sprechen. Was auch an meiner Faulheit liegt, oder auch an seiner, da wir miteinander hauptsächlich englisch reden und das ist furchtbar. Aber ich gehe , wann immer ich kann, mit ihm ins Kino und ins Theater, da muss ich mich dann einfach mit der Sprache auseinandersetzen. Wenn ich einkaufen gehe rede ich mit Händen und Füßen und man versteht mich relativ gut.

Ricore: Können Sie in Rom noch unbehelligt durch die Straßen gehen?

Speidel: Ich kann deshalb unbehelligt durch die Straßen gehen, weil "Un ciclone in convento" so heißt nämlich "Um Himmels Willen" in italienisch mir eine Haube verpasst hat. Aber jetzt kommt "Donna Roma" ins italienische Fernsehen, das wird derzeit synchronisiert. Also dann kennt mich vielleicht auch der eine oder andere sogar mit Namen.

Ricore: Ich bedanke mich bei Ihnen, und alles Gute Frau Speidel.

Speidel: Ich bedanke mich für das Gespräch.
erschienen am 1. Mai 2008
Zum Thema
In "Die Lümmel von der ersten Bank" feiert Jutta Speidel als 15-jährige ihr Spielfilmdebüt. Seitdem ist sie regelmäßig in Fernseh-, Kino- und Theaterproduktionen zu sehen. Erfolgreich ist die gebürtige Münchnerin auch mit ihren Rollen in den Fernsehserien "Forsthaus Falkenau", "Alle meine Töchter" und "Um Himmels Willen". Bruno Maccallini liiert. Aus einer vorherigen Beziehung hat sie zwei Töchter.
Annas Geheimnis (Kinofilm)
Anna Ingstrup (Jutta Speidel) und ihr Mann Christian (Dietrich Hollinderbäumer) haben eine glückliche Ehe, in der Probleme stets gemeinsam gelöst werden. Doch dann taucht Annas uneheliche Tochter (Susanne Schäfer) auf. "Annas Geheimnis" ist ein Bildstarkes Fernsehdrama - wenn auch streckenweise mit zu beliebig aneinandergereihten Szenen. Dennoch ein schönes Fernseherlebnis.
2024