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Michael Gwisdek
"Man lernt nie aus!"
Interview: Michael Gwisdek geheimnisvoll?
Michael Gwisdek ist in Ostberlin aufgewachsen. In der DDR ist er ein gefragter Fernseh- und Theaterdarsteller. Er besitzt zudem das Privileg, im Westen drehen zu dürfen. Das ist lange her ist aber sicher die ideale Voraussetzung für eine Hauptrolle in Matti Geschonnecks "Boxhagener Platz". Mit uns spricht der 68-jährige Schauspieler über die Vergangenheit und die Zukunft, darüber ob er gerne zurückblickt und wie sein Verhältnis mit seinem ebenfalls schauspielenden Sohn Robert ist
erschienen am 2. 03. 2010
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Michael Gwisdek
Ricore: Sind Sie mit der Aussage von Regisseur Matti Geschonneck einverstanden, "Boxhagener Platz" sei ein Heimatfilm?

Michael Gwisdek: Nein. Ich habe zu ihm gesagt: Matti, das ist kein Heimatfilm, das ist ein Krimi. Es wird jemand umgebracht! Es ist aber auch ein Liebesfilm. So etwas wie "Wolke Neun" im Jahre 1968: Zwei alte Leute verlieben sich ineinander. Es ist aber auch ein Film über Berlin. "Boxhagener Platz" ist von allem etwas, er lässt sich nicht in ein Genre quetschen.

Ricore: Eine Milieustudie vielleicht?

Gwisdek: Ja, das ist passend. Wir befinden uns im Jahr 1968: In Westdeutschland ist gerade die sexuelle Revolution im Gange, in Prag sind die Russen einmarschiert und die DDR liegt genau dazwischen. Im Fernsehen sieht man, dass Dutschke erschossen wurde. Man weiß nicht genau, was los ist. Aber wir haben trotzdem gelebt. Viele meinen ja heute noch, das ganze Land bestand nur aus Stasi. Einige dachten, wir hätten nichts zu essen gehabt. Die meisten wussten gar nicht, wie wir gelebt haben. Wir haben uns verliebt, hatten Träume. Insofern ist "Boxhagener Platz" auch ein Zeitdokument. Es zeigt Rentner, die privilegiert waren, in den Westen fahren durften, um sich dort einen vernünftigen Weihnachtsbaum zu kaufen. Nicht dass es in der DDR keine Bäume gab, aber so kamen wir an Devisen.

Ricore: Ist es wichtig, heute noch die DDR aufzuarbeiten?

Gwisdek: Ich finde schon. Es ist wichtig, auch 20 Jahre nach dem Mauerfall zu erzählen, wie es damals war. Ich bin nämlich der Meinung, dass auch jetzt noch niemand weiß, wie es damals in der DDR wirklich war. Daher muss man solche Filme machen. Es sollte mehr davon geben.
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Gudrun Ritter und Michael Gwisdek in "Boxhagener Platz"
Ricore: Haben Sie im Zuge von "Boxhagener Platz" die Gelegenheit wahrgenommen, zurück zu blicken?

Gwisdek: Jeder ist anders veranlagt. Ich denke nach vorne, nicht zurück. Wenn mir aber westdeutsche Kollegen oder Medien erzählen wollen, wie ich damals in der DDR gelebt habe, dann rege ich mich auf. Denn die haben nichts begriffen. Die wissen nicht, wie es damals war. Das kann man sich nicht vorstellen. Reden Sie über die DDR, kommen Begriffe wie Unrechtsstaat, Mauertote und Stasi auf. Das ist das, was übrigbleibt. Man muss aber auch sehen, was es dahinter gab.

Ricore: Was gab es dahinter?

Gwisdek: Die DDR war ein durchaus positiv gemeintes Experiment. Man wollte eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen, die aber letztendlich gescheitert ist. Der Versuch, der Start, war aber gut. Dass es nicht funktioniert hat, ist tragisch. Nehmen wir doch unsere heutige Situation, die Finanzkrise. Die Welt lernt nicht von ihren Fehlern. Wer garantiert uns, dass eine solche Krise in zehn oder 20 Jahren nicht wieder auf uns zu kommt? Dann aber mit noch mehr Konsequenzen. Damals dachten wir, unsere Welt würde sich dem Kommunismus zuwenden. Wenn das funktioniert hätte, hätte es keine Kriege mehr gegeben, wir hätten heute alle das gleiche Handy, das gleiche Auto. Den Wachstum und die Idee, die Menschen müssen immer mehr besitzen, finde ich beängstigend. Im Sozialismus wären wir vielleicht noch zurückentwickelt, aber auch lustiger und zufriedener.

Ricore: Inwiefern zufriedener?

Gwisdek: Wir hätten alle Arbeit. Es war damals einfach ein anderes System als heute. Gut, wir waren nicht so produktiv, da wir Privates während der normalen Arbeitszeit erledigt haben. Aber wir waren glücklich dabei. Das sind Themen, die geeignet sind, Geschichten über ein Experiment zu erzählen, das eine bessere Gesellschaftsordnung angestrebt hat. Das Ende des Versuchs ist kläglich gescheitert, aber die Entwicklung ist interessant.
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Regisseur Matti Geschonneck hat alles im Auge
Ricore: Sie hatten damals die privilegierte Position, Filme in West- als auch in Ostdeutschland zu drehen. Hat sich die Arbeit unterschieden?

Gwisdek: Die Arbeit am Drehort, heute Set genannt, war nicht wirklich anders. Es kommt immer auf das Team, den Regisseur oder den Schauspieler an. Generell aber geht es beim Filmemachen darum, eine bestimmte Geldsumme so ökonomisch wie möglich zu verarbeiten, anzulegen und das Beste daraus zu machen. In der DDR hatten wir Monatsgehälter. Wir konnten es uns leisten, an den Drehort zu fahren, und tagelang darauf zu warten, dass Regen kommt oder geht, dass die Sonne endlich so scheint, wie es der Regisseur will. Um vier Uhr haben wir gesagt, die Sonne scheint immer noch, wir gehen nach Hause und kommen morgen wieder.

Ricore: Sie hatten mehr Zeit?

Gwisdek: Ja. Ich kann mich noch gut an eine Situation erinnern: Ich war einmal für eine Woche in Thüringen. Als ich nach Hause kam, wurde ich gefragt, was ich gemacht habe. Meine Antwort war: Gar nichts. Das Wetter war nicht gut, daher haben wir nicht gedreht. Die Einstellung damals war anders. Es ging um die Qualität des Films, aber ohne den materiellen Druck dahinter. Der heutige ökonomische Druck, der auf manche Filme lastet, ist enorm. Man versucht, einen billigeren Film so aussehen zu lassen, als habe er sechs Millionen gekostet. Das ist der Unterschied. Und dass wir unseren Kaffee selbst bezahlen mussten. Im Kapitalismus haben wir ihn geschenkt bekommen. Im Osten haben wir uns alle brav angestellt, ob Star oder nicht, ob Kabelträger oder Regisseur. Im Westen wurde einem alles hinterhergeschmissen.

Ricore: Hatten Sie in der DDR auch Geheimnisse wie Ihre Filmfigur Karl?

Gwisdek: Es gibt eine nette Geschichte: Als Jugendlicher war ich mal auf einer Klassenfahrt. In der Parallelklasse gab es ein hübsches Mädchen, hinter der alle Jungs her waren. Jeder ist ihr hinterher geschwänzelt. Ich dachte mir, ich mache das anders. Ich habe dann versucht, beim Mädchen die Neugier zu wecken, dass sie sich für mich interessiert. Das fand ich besser. So habe ich geheimnisvolle Andeutungen gemacht, um mich interessant zu machen.
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Boxhagener Platz
Ricore: Funktioniert das im Beruflichen auch?

Gwisdek: Ein Schauspieler ist darauf angewiesen, ein Geheimnis zu haben. Und ich werde mich hüten, meines zu verraten (lacht). Kein Schauspieler wird je verraten, wie er schauspielert. Wir reden zwar alle darüber, aber richtig aussprechen tun wir es nicht. Klar, man kann bestimmte Techniken theoretisch beschreiben, aber wie will man Instinkte und Erfahrungswerte in Worte fassen? Der Zauber muss auf das Publikum rüber springen, und nur der Schauspieler allein weiß, wie das geht. Als ich mit dem Theater angefangen habe, habe ich Karl Moor aus "Die Räuber" gespielt. Mit meiner Partnerin kniete ich auf der Bühne. Wir heulten was das Zeug hielt. Wir dachten im Nachhinein, wir hätten die größte schauspielerische Leistung vollbracht, weil wir die Personen nicht nur gespielt haben, sondern sie auch waren.

Ricore: Was ist dann geschehen?

Gwisdek: Mein damaliger Regisseur und Intendant wies uns allerdings auf einen großen Irrtum hin: Nicht wir mussten heulen, sondern das Publikum. Der große Schauspieler Walter Wassermann hat folgendes gemacht: Er hat sich mit dem Rücken zum Publikum gedreht und sich totgelacht. Sein ganzer Rücken hat gebebt und das Publikum dachte, er würde heulen. Alle haben mitgeheult. Es ist ja so: Wie man jemanden zum Lachen oder Heulen bringt, ist egal. Es ist nur wichtig, dass es geschieht. Das Wie ist unser Geheimnis. Ich plädiere dazu, dass man seine Geheimnisse für sich behält, sonst wären sie ja keine mehr.

Ricore: Ist in jeder Figur, die Sie spielen, auch ein bisschen Michael Gwisdek drin?

Gwisdek: Man kann ja nirgends so schön schummeln wie in der Schauspielerei. Wenn etwas misslingt, kann man immer behaupten, das war Absicht. Wenn ich beispielsweise eine Liebesszene drehe und der Film wird ein Erfolg, glauben Millionen von Menschen zu wissen, welche Geräusche ich beim Orgasmus mache. Aber wissen sie das wirklich? Kann sein, muss aber nicht. Ich kann als Schauspieler bei solchen Szenen was ausprobieren, was ich mich zu Hause nicht traue (lacht). Was man als Person in eine Figur hineinsteckt, muss nicht immer das Beste sein. Einmal habe ich einen Boxer gespielt. Drei Mal ging ich KO. Der Dreh wurde sogar abgebrochen. Jene Szenen mit den harten Treffern sahen total mies aus. Und jene wo ich KO gegangen bin, konnten wir nicht verwenden. Die Szenen aber, die ich gespielt habe, waren super. Manchmal hilft es auch, wenn man sich andere Situationen vorstellt, als jene, in denen man sich gerade befindet.
20th Century Fox
Robert Gwisdek
Ricore: Sie haben vorhin Liebesszenen angesprochen. Spielen Sie solche Szenen gerne?

Gwisdek: Es kommt drauf an. Ich glaube, Männer spielen generell nicht gerne Liebesszenen. Man will ja auch originell sein. Einmal bin ich auch total reingefallen.

Ricore: Erzählen Sie weiter...

Gwisdek: Bei einer Kussszene wollte ich einmal etwas Neues ausprobieren. Wenn sich zwei Menschen im Film küssen, klappt das ja immer wie am Schnürchen. Weder die Nase noch sonst was ist im Weg. Ich wollte es aber wie im wirklichen Leben machen, nämlich ungeschickt. Aber dann hört man von allen Seiten: "Der kann ja gar nicht richtig küssen!" Das mache ich nie wieder (lacht).

Ricore: Letzte Frage: Früher wurde Ihr Sohn Robert immer auf seine Eltern angesprochen. Nun ist es umgekehrt und Sie werden immer auf Ihren Sohn angesprochen. Was ist das für ein Gefühl?

Gwisdek: Das ist wunderbar. Für Robert war es lange Zeit eine Tortur. Inzwischen findet er es gut, weil er witzige Antworten (siehe unser Interview) parat hat. Er muss damit leben. Bei mir ist es mittlerweile so, dass ich oft von Kollegen oder Regisseuren angesprochen werde, die sagen, ich hab kürzlich einen Film mit deinem Sohn gesehen oder wir haben was zusammen gemacht. Da kommt natürlich der stolze Vater durch. Es ist phantastisch, wenn wir gemeinsam ins Kino oder auf eine Premiere gehen, der Vorhang geht auf, und da steht "Robert Gwisdek" auf der Leinwand. Mein Karrierebeginn war recht holprig, es hat nichts geklappt, und ich habe immer davon geträumt, dass der Vorhang aufgeht und dort oben Michael Gwisdek steht. Nun hat es mein Bengel geschafft, das ist gewissermaßen ein historischer Augenblick. Mein Sohn hat das erreicht, wovon ich ein Leben lang geträumt habe.

Ricore: Verstehen Sie sich gut?

Gwisdek: Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir wunderbar miteinander können. Und ich lerne ganz viel von ihm.

Ricore: Sie geben ihm also keine Tipps, sondern er gibt Ihnen Tipps?

Gwisdek: Ja, so ist das. Ich höre auf ihn. Er hat ein gutes Auge. Manchmal sagt er: Papa, das ist zuviel! Ich würde nie auf die Idee kommen, ihm zu sagen, Junge, ich mach das seit 30 Jahren, ich weiß wie es geht. Halt du mal die Klappe. Das geht nicht! Wenn er etwas sieht, ist da auch was dran. Ich bin ihm für seine Tipps dankbar. Klar, er macht vieles anders. Aber die Schauspielerei ist ein Beruf, bei dem man nie ausgelernt hat. Man lernt bis ins hohe Alter.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. März 2010
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Geboren ist Michael Gwsidek in Berlin-Weissensee. Nach seiner Ausbildung als Gebrauchsgrafiker arbeitet er zunächst als Plakatmaler und Dekorateur, bevor er ein Fernstudium für Regie am Leipziger Theaterinstitut absolviert. In der DDR etabliert er sich bald als Charakterdarsteller. Er besitzt das Privileg, auch im Westen Filme drehen zu dürfen. Matti Geschonneck den Berliner Heimatfilm "Boxhagener Platz" auf der Berlinale vor. Ein historischer Moment für den Schauspieler. 1999 erhielt er dort..
"Boxhagener Platz" ist eine gleichsam liebevolle und melancholische Hommage an das alte Berlin. Es ist die Zeit vor dem Mauerfall, als sich Nachbarn und Anwohner in der kleinen Eckkneipe "Feuermelder" treffen, um über Aktuelles zu debattieren. Die Stärke des Films entfaltet sich unter anderem auch durch das, was zwischen den Zeilen gezeigt und gesagt wird. Großartig ist das Schauspielensemble anzusehen, von dem besonders Jürgen Vogel, Michael Gwisdek, Milan Peschel und Gudrun Ritter zu nennen..
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