Jean-François Martin/Ricore Text
Louis Garrel
Christophe Honoré, Léa Seydoux und Louis Garrel
Interview: Im Bann des schönen Mädchens
"Das schöne Mädchen" ist der vierte gemeinsame Film von Christophe Honoré und Louis Garrel. Die Romanze zwischen einer Schülerin und ihrem Italienischlehrer ist eine zeitgemäße Adaption des Romans "La Princesse de Clèves" von Madame de La Fayette. Unerfüllte Liebe, Sehnsucht und verbotene Leidenschaft spielen die zentralen Rollen. Auf dem Festival von San Sebastián sprachen wir mit Honoré, Garrel und Hauptdarstellerin Léa Seydoux über den Film.
erschienen am 26. 11. 2012
Capelight Pictures
Léa Seydoux in "Leb wohl, meine Königin!"
Ricore: Ist Ihre Figur mehr Göttin oder zutiefst verwirrte Person?

Léa Seydoux: Nun ja, meine Figur ist keine Göttin. Ich glaube nicht, dass sie sich bewusst ist, was sie bewirkt und auslöst. Aber es ist wahr, sie hat etwas sehr Mächtiges an sich. Sie ist kein gewöhnliches Mädchen, etwas nobel und vor allem außergewöhnlich, so viel ist klar. Sie ist aber auch sehr verletzlich und empfindet starke Gefühle, die sie nicht ausdrücken kann.

Ricore: In "Das schöne Mädchen" gibt es bestimmte sexuelle Andeutungen…

Christophe Honoré: Ja, aber ich denke nicht, dass Sex eine große Rolle einnimmt. Als wir den Film gedreht und darüber geredet haben, sind wir zum Schluss gekommen, dass es notwendig ist, bestimmte Gefühle auszudrücken. Es gibt Beziehungen zwischen Männer und Frauen, zwischen Frauen und zwischen Männer. In "Das schöne Mädchen" spielt Sex keine Rolle. Hier ist alles möglich. Nehmen wir beispielsweise Léas Figur. Ihr geht es in keinster Weise um den Verlust der Jungfräulichkeit, wie es in vielen amerikanischen und nicht amerikanischen Teenie-Filmen geht. Es gibt eine Liebesszene zwischen ihr und Otto, und obwohl der Film nicht darauf eingeht und es auch nicht zeigt, geht man davon aus, dass sie ein aktives Sexleben haben. Daher habe ich nicht das Gefühl, so sehr meinen Blickwinkel geändert zu haben. Was die Nebenfiguren betrifft, so sind auch diese recht freizügig, was ihr Liebesleben betrifft.

Ricore: Es scheint, als wäre der Film zeitlos. Dennoch, aufgrund der Kostüme und der Klasseneinrichtungen könnte man ihn in die 1980er Jahre legen…

Honoré: Es war für mich von Anfang an wichtig, dass der Film zeitlos ist. Ich wollte keinen Film über meine Jugend machen. Es ging nicht darum, die Atmosphäre der 1980er Jahre aufleben zu lassen, jene Zeit, in welcher ich meine Pubertät erlebte. Es geht auch nicht um die Soziologie der Jugend. Das zentrale Thema ist die Liebe von Jugendlichen, wie sie diese erleben. Dabei geht es aber nicht um den ersten Sex, sondern um die Leidenschaft über einen langen Zeitraum hinweg. Was die Kostüme betrifft, so haben wir tatsächlich sehr lange daran gearbeitet. Gedreht haben wir dann in einem realen Lyzeum, das auch heute noch in Betrieb ist. Wir haben zur gleichen Zeit gedreht, wie Unterricht war, so sind viele Studenten als Komparsen zu sehen. Wir haben auch in ihren Pausen gedreht. Las Leben des Instituts war uns das Wichtigste, das wollten wir so real wie möglich nachstellen.

Ricore: Die Musik spielt eine sehr große Rolle. Es gibt Momente, in denen der Film beinahe zum Musical wird…

Honoré: Nun ja, wenn man einen Film über Jugendliche von heute macht, so muss man natürlich auch deren Musik einbeziehen. Aber das wäre zu einfach gewesen. Daher habe ich Musik aus einer anderen Zeit genommen, um dieser Jugendlichkeit einen weiteren Aspekt zu verleihen. Und ich glaube, wie haben Lieder gefunden, die über das Alter hinausgehen. Das zentrale Lied im Film war allerdings sehr schwer umzusetzen, damit es mit den Bildern und der gedachten Szene harmoniert. Als Cineast überlegt man natürlich lange, wie man am besten solche Szenen realisieren kann, damit sie nicht einfältig wirken.
Donostia-San Sebastian International Film Festival
Das schöne Mädchen
Ricore: Dies ist nicht die erste Zusammenarbeit mit Louis Garrel. Was fasziniert sie aneinander?

Honoré: Diese Frage kann Louis beantworten.

Louis Garrel: Nein, antworte du.

Honoré: Warum arbeite ich mit Louis Garrel? Nun ja, ich würde sagen, wir hatten das Glück, dass wir uns am Anfang unserer jeweiligen Karrieren kennen gelernt haben. Er hatte erst einen gemacht - einen, der nicht zählt, ich hatte auch erst einen Film hinter mir. Was aber tatsächlich geschah, ist eigentlich etwas ganz banales: unsere gemeinsame Leidenschaft fürs Kino. Als Regisseur begegnet man manchmal Personen, die einfach passen. Nicht dass ich denke, dass er mein Alter Ego ist, Louis und ich unterscheiden uns im realen Leben sehr voneinander. Aber er fungiert als Erzähler meiner Filme. Ich habe den Eindruck, mit ihm einen Stil zu kreieren, einen Stil, den wir teilen und durch den wir uns mitteilen. Mit Schauspielern zu arbeiten ist nämlich ganz schön kompliziert. Mit manchen macht es großen Spaß, einen Film zu drehen, und es gibt Schauspieler, mit denen man wahrscheinlich keinen zweiten Film mehr machen wird. Mit Louis ist es aber nicht so. Bei jedem neuen Film denke ich mir, nein, rufe ihn nicht an. Wir werden natürlich nicht unser ganzes Leben miteinander arbeiten. Aber je mehr ich dann mit Schauspielern rede, desto mehr werde ich mir bewusst, dass das, was ich geschrieben habe, für Louis Garrel ist. Dass es genau seine Rolle ist. Die anderen Schauspieler könnten nie an das heranreichen.

Ricore: Was zeichnet Louis Garrel in "Das schöne Mädchen" aus?

Honoré: Die Wandlung, die sein Charakter erlebt, korrespondiert mit jener meiner letzten Filme. Es ist das stetige Verlassen der Ironie, um schließlich mit etwas zu enden, was viel direkter und freimütiger ist. Schlussendlich ist es aber immer eine Freude mit ihm zu arbeiten. Jetzt bist du an der Reihe, Louis.

Garrel: Manchmal trifft man jemanden, man macht einen schlechten Witz und dieser jemand lacht trotzdem darüber. Dann möchte man, dass dieser jemand dein Freund wird und auch lange dein Freund bleibt. Ich glaube, mit Christophe verhält es sich ähnlich. Wenn ich an einem Tisch mit 28 Leuten sitzen würde, würden genau zwei Personen lachen. Die eine ist meine Mutter, der andere Christophe. Und da meine Mutter keine Filme macht, bleibt nur mehr Christophe übrig, mit dem ich arbeiten kann.

Ricore: Ist die Präsenz von Chiara Mastroianni in ihrem Film eine Hommage an Manoel de Oliveira oder ein Dankeschön an das Publikum? Oder vielleicht beides?

Honoré: Ja, Chiara war auch schon in "Chanson der Liebe" mit dabei. Wir arbeiten auch in meinem nächsten Film wieder zusammen, wo sie die Hauptrolle spielen wird. Wir kennen uns gut und es gibt zwischen uns eine professionelle Nähe. Sie ist sehr erfahren, hat viel im Kino und im Fernsehen gemacht und strahlt etwas Besonderes aus. Ich mag es, wenn etwas über den Film hinausgeht, und bei Chiara habe ich dieses Gefühl.
erschienen am 26. November 2012
Zum Thema
In ihrer Kindheit pendelt die 1985 geborene Léa Seydoux zwischen Frankreich und dem Senegal, wo ihre Mutter bis heute lebt. Nach der Schule lässt sie sich von einer Freundin überreden, an einem Schauspielkurs teilzunehmen. Erste Filmrollen folgen, darunter 2006 eine Hauptrolle in der Teeniekomödie "Mes copines". Kurz darauf tritt sie im Kurzfilm "La Consolidation" auf, der 2007 auf dem Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" und Woody Allens "Midnight in Paris" folgt ein etwas größerer Part..
Es geht um Liebe, um unerfüllte Leidenschaft und Sehnsucht. Madame de Lafayettes Roman "La Princesse de Clèves" aus dem 17. Jahrhundert diente schon mehreren Regisseuren als Vorlage, Christophe Honoré entschied sich für eine zeitgemäße Adaption. Louis Garrel verliebt sich als unwiderstehlicher Italienischlehrer in seine 16-jährige Schülerin (Léa Seydoux). Diese fürchtet sich vor der Vergänglichkeit der Liebe und trifft eine drastische Entscheidung.
2024