Capelight Pictures
Casper Kjær Jensen in "Nightwatch: Demons Are Forever" ("Nattevagten - Dæmoner går i arv", 2023)
Interview: Ole Bornedal zu "Nightwatch: Demons Are Forever"
Als alter Mann kehre er mit der gleichen Geschichte zurück, scherzt Ole Bornedal bei unserem Interview in Berlin. Vor 30 Jahren saßen wir uns für "Nightwatch - Nachtwache" in Hamburg gegenüber. Jetzt folgt die Fortsetzung "Nightwatch: Demons Are Forever". Sie knüpft an die damaligen Ereignisse an. Kalinka (Sofie Gråbøl) und Martin (Nikolaj Coster-Waldau) haben das durch die damaligen Ereignisse ausgelöste Trauma nie verwunden. Kalinka verübte Selbstmord, Martin ist depressiv. Seine Tochter Emma (Fanny Leander Bornedal) will ihm helfen. Die Medizinstudentin heuert aber selbst in der Pathologie an. Bald wiederholen sich die Ereignisse, denn Wörmer (Ulf Pilgaard), der Peiniger ihrer Eltern, bekommt Wind von ihrem Job.
erschienen am 2. 06. 2024
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Fanny Leander Bornedal & Nikolaj Coster-Waldau in "Nightwatch: Demons Are Forever" ("Nattevagten - Dæmoner går i arv", 2023)
Tochter Fanny
Ricore Text: 30 Jahre sind seit der Premiere Ihres Überraschungshits vergangen. Was sprach dafür, die Fortsetzung jetzt anzugehen?

Ole Bornedal: Meine Tochter Fanny ist zu einer der aufregendsten Schauspielerinnen ihrer Generation geworden. Ich dachte, es macht Spaß, sie und mich mit ähnlichen Ängsten zu konfrontieren. "Nightwatch - Nachtwache" war und ist im Grunde eine Coming of Age Geschichte um Teenager, die über Nacht zu Erwachsenen werden. Mit diesem Subtext konnten sich Millionen junge Menschen weltweit beim ersten Teil identifizieren. Er war auch für mich auch ein Abschied von meiner wilden, verrückten Zeit als Postpunk-Poet, der keinen Halt kannte. Ich rauchte 40 Zigaretten am Tag, jedes Wochenende waren wir betrunken. Alles um uns schien uns düster und finster, was wir mit unserem konsequent schwarzen Outfit ausdrückten. Nach der Geburt meines Sohnes musste ich aufhören, mich wie ein Clown zu benehmen. Diese Erfahrung ist in den ersten Film eingeflossen. Aber keine Angst, ich bin heute weder depressiv noch denke ich an Selbstmord.

Ricore Text: Wir kamen Sie auf den Ausgangspunkt, dass der Alptraum für die beiden mit dem Ende der Nacht nicht zu Ende ist?

Ole Bornedal: Ich habe das lange nicht so gesehen. In vielen Filmen erleben Menschen schreckliche Dinge. Wir tun so, als wäre mit dem Happy End alles vorbei. Dabei wird es für Filmemacher danach erst richtig interessant. Wir sollten uns mit dem Trauma beschäftigen, das solche Erfahrungen hinterlässt.

Ricore Text: Ist es nicht typisch männlich, sich dem Trauma nicht zu stellen?

Ole Bornedal: Dahinter steckt schon ein sehr männliches Denken. Sie denken, es sei unter ihrer Würde, sich Hilfe zu suchen. Martin reagiert wie sie. Er betäubt seine Dämonen mit Medikamenten oder Alkohol. Ich habe das bei einem meiner besten Freunde erlebt. Er war jahrzehntelang gefangen in einem negativen Kreislauf aus Hoffnungen auf Verbesserungen seines Gesundheitszustands, Rückschlägen und Missbrauchsexzessen. Ich konnte ihm nicht helfen. Erst als er Psychologe die richtige Diagnose stellte, fand er zurück in den Alltag.
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Fanny Leander Bornedal in "Nightwatch: Demons Are Forever" ("Nattevagten - Dæmoner går i arv", 2023)
Psychologische Glaubwürdigkeit
Ricore Text: Steckt dahinter die Angst, die eigene Verletzbarkeit zu zeigen?

Ole Bornedal: Natürlich. Das Schlimmste ist dann, wenn Kinder ihre Eltern so erleben und denken, sie müssten sie retten. Diese Tragik wollte ich einsetzen, um der Story psychologische Glaubwürdigkeit zu geben. Am Anfang muss doch immer die Überlegung stehen, warum eine Geschichte erzählt werden muss. Das ist für mich eng mit den Emotionen der Figuren verknüpft. Wenn ich andere Filme schaue, interessiert mich der Plot kaum. Ich muss von den Figuren gefesselt werden. Bradley Coopers "Maestro" ist zum Beispiel für mich der beste Film der vergangenen zehn Jahre. Die Story war vorhersehbar, aber ich war begeistert von den Charakteren.

Ricore Text: War dies der Schlüssel zum Erfolg von "Nightwatch: Demons Are Forever" an der Kinokasse?

Ole Bornedal: Ich denke schon, obwohl es banal klingt. Wir könnten beide sofort einen Horrorfilm aus den Versatzstücken des Genres und allen Klischees zusammenbasteln. Aber würde er jemand interessieren, wenn ihm das Schicksal der Figuren egal wäre?

Ricore Text: Wie haben Sie gewichtet, inwieweit Sie auf den ersten Teil eingehen?

Ole Bornedal: Keine Ahnung, wie bewusst mir dies während des Schreibprozesses war. Ich habe einfach angefangen - ohne zu wissen, wohin mich die Reise mit den Figuren führt. Meine Prämisse war, dass ich die Fans nicht langweilen wollte. Für diese nerdy Genießer baute ich etliche Zitate ein. Ich setzte darauf, dass"Nightwatch - Nachtwache" der am häufigsten ausgestrahlte dänische Film im Fernsehen ist. Jeder, oder zumindest die meisten, kennen ihn.

Ricore Text: War Nikolaj Coster-Waldau genauso begeistert von der Aussicht auf eine Fortsetzung, wie Sie?

Ole Bornedal: Wir hatten leider nie die Chance, erneut zusammenzuarbeiten, haben aber nie den Kontakt verloren. Er war lange skeptisch. Seine Vorbehalte schwanden mit dem Drehbuch. Er mochte, dass das menschliche Drama und nicht der Horror im Zentrum der Handlung steht.
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Nightwatch: Demons Are Forever ("Nattevagten - Dæmoner går i arv", 2023)
Sie ist mittlerweile so gut!
Ricore Text: Von der Besetzung Ihrer Tochter hätte Sie niemand abhalten können?

Ole Bornedal: Nein. Sie ist mittlerweile so gut, dass ich zu ihr am Set dasselbe Verhältnis habe, wie zu den anderen Schauspielern. Mit dem einen Unterschied. Wenn ich glücklich mit ihrer Leistung bin, darf ich sie in den Arm nehmen und ihr auch mal ein Küsschen auf die Wange geben. Wir kennen uns in und auswendig. Ich habe ihr als Kind die ersten Rollen gegeben. Sie hat meine Erwartungen oft übertroffen. Als Teenagerin bekam sie ihre ersten dramatischen Rollen. Danach war klar, dass sie ungewöhnliches Talent und eine große Ausstrahlung hat. Sie wirkt stets fragil und transparent in ihren Gefühlen. Zugleich aber auch sehr stark und selbstbestimmt. Ich bin sehr stolz auf sie.

Ricore Text: Hätten Sie die Fortsetzung auch in den USA gedreht, wo Sie einst selbst das Remake von "Nightwatch - Nachtwache" inszenierten?

Ole Bornedal: Ich wollte das nicht und es wäre auch schwer geworden, einen Produzenten zu finden. Die amerikanische Fassung von "Nightwatch" war mittelmäßiges Mainstreamkino, das keinen interessierte. Ich habe den Film auch nicht beendet. Produzent Harvey Weinstein hat mich und auch Steven Soderbergh, der mit mir das Buch angepasst hatte und David Bowie ausgebootet. Wir alle mochten die dritte Schnittversion des Films, der aber kein ausreichendes Rating vom Previewpublikum erhielt. Weinstein hat den Film dann umgeschnitten und eine scheußliche Musik untergelegt, um die Horror-Effekte zu verstärken.

Ricore Text: Jetzt setzen Sie auf Techno in der Pathologie?

Ole Bornedal: Die Musik ist von der südafrikanischen Band Die Antwoord, die ich sehr mag. In der Techno-Szene kennt sie jeder. Ich nutze gerne Musik, die die Stimmung hochtreibt, wenn sie organisch in die Szene passt. Ich hasse dagegen Manipulationen durch den Soundtrack. Die dänische Kritik störte sich trotzdem an der Musik. Eine Zeitung titelte Shameless Bornedal. Das war nicht mal negativ gemeint, sondern eher 'wie kannst du es wagen?'. Dänische Kritiker bevorzugen eher naturalistische Filme in der Tradition des Kammerspiels. Ich habe davor sehr viel Respekt, aber ich bin eher von Federico Fellini oder Ingmar Bergmans "Fanny und Alexander" inspiriert.

Ricore Text: Nach der Veröffentlichung des Dogma Manifests vor knapp 30 Jahren müssen Sie sich wie ein Außenseiter gefühlt haben …

Ole Bornedal: Das bin ich auch. Ich war nie auf der dänischen Filmschule, woher sich alle Regisseure kennen. Ich komme vom Hörspiel und habe Fernsehshows wie "Saturday Night" inszeniert. Schon damals wollte ich viele Menschen erreichen. Es gibt sonst keinen Grund, einen Film zu drehen. Ich hätte dem Publikum auch nie meine eigene Geschichte aufgedrängt, obwohl meine Gefühle in jedem meiner Filme eingeflossen sind. Ich sehe mich als Geschichtenerzähler, der mit dem Zuschauer kommunizieren will. Ich reise deshalb gerne mit meinen Filmen durchs Land und. Ich brauche mein Publikum und bin froh, dass es "Nightwatch: Demons Are Forever" zu einem Hit machte.

Ricore Text: Danke für das Gespräch.
erschienen am 2. Juni 2024
Zum Thema
Genau 30 Jahre nach seinem Überraschungserfolg legt Ole Bornedal die lang erwartete Fortsetzung vor, die an Dänemarks Kinokassen bereits ein großer Erfolg ist. Klug führt er die Handlung fort, in dem er Martins Tochter in eine ähnliche Situation bringt wie einst ihre Eltern. Dabei setzt er auf seine Tochter Fanny Leander Bornedal, die ihre ersten Schritte als Schauspielerin bei ihm machte.
2024