Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Fernando León de Aranoa
Prinzessinnen und andere Schönheiten
Interview: Gesellschaftskritisches Theater?
Fernando León de Aranoa schaffte mit "Montags in der Sonne" im Jahr 2000 seinen internationalen Durchbruch. Nun wirft er in "Princesas" einen sensiblen Blick auf das Leben zweier nach dem Glück und Liebe suchender Prostituierten. Im spanischen Kulturinstitut in München, dem Instituto Cervantes, erzählt der Regisseur über die Wichtigkeit der Familie im privaten wie auch beruflichen Leben. Familiär geht es auch während des Interviews zu. Die selbst gemachten Plätzchen lässt sich der etwas schüchternde León de Aranoa sichtlich schmecken.
erschienen am 19. 01. 2007
Piffl Medien
Zwei Prinzessinnen auf der Suche nach sich selbst: ("Princesas", 2005)
Ricore: In Ihren Filmen spielen familiäre Beziehungen eine große Rolle. Wie sehen Sie diese Gewichtung?

Fernando León de Aranoa: Natürlich sind familiäre Beziehungen in meinen Filmen sehr wichtig, da sie auch im realen Leben eine große Rolle spielen und uns im täglichen Umgang mit Anderen prägen. Ich glaube, die Familie gibt einem auch die Möglichkeit, über die unterschiedlichen Charaktere zu sprechen. Ist Jemand umgeben von seinen Freunden, seiner Familie oder seiner Umgebung, ist es einfacher, diesen Menschen einzuschätzen. Du siehst, wie dieser Mensch ist. Das Thema "Familie" gefällt mir natürlich sehr, auch für Vorlagen für Drehbücher.

Ricore: In welcher Beziehung steht das Thema "Familie" zu ihren bisherigen Filmen?

León de Aranoa: Mein erster Film hieß "Familia" und drehte sich fast ausschließlich über eine einzige große familiäre Situation. Ich muss auch gestehen, wenn ich Filme mache, freue ich mich am Meisten auf die Familienszenen. Ich fühle mich dann am Wohlsten, wenn ich eine Szene drehe, in der fünf, sechs Menschen um einen runden Tisch sitzen. Daher sind das auch meine Lieblingsszenen in "Princesas". Sie sind dem realen Leben entnommen. Es sind Ereignisse, die bei Familienzusammenkünften häufig vorkommen, oberhalb, wie auch unterhalb des Tisches. Es gibt Konfrontationen und Verbindungen. In einer Gruppe von sechs oder mehr Personen geschehen immer sehr interessante Dinge, vor allem wenn diese Personen aus ein und derselben Familie stammen.

Ricore: Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen "Princesas" und Ihren anderen Filmen?

León de Aranoa: In "Montags in der Sonne" geht es kaum um familiäre Beziehungen. Hingegen in "Barrio" und natürlich in "Familia" geht es fast ausschließlich um die Familie. "Familia" ist beinahe eine einzige Satire über das Verhalten einzelner Familienmitglieder. In "Princesas" repräsentiert die Familie sozusagen die Gesellschaft, es ist fast wie ein soziales Theaterstück. Ein Mädchen wie Caye, die als Prostituierte ihr Geld verdient, legt vor ihrer Familie ein anderes Verhalten zum Tage. Sie muss Jemand vorgeben der sie nicht ist. Somit bedeutet für sie die Familie ein Ort, an dem sie ein anderes Leben spielen muss. Ein Ort an dem sie sich normalerweise wohl fühlen und der Ruhe bedeuten sollte, ist die Bühne für ein Theaterstück. Sie muss sie sich eine Haut überziehen, in der sie sich überhaupt nicht wohl fühlt. Sie lebt mit einem ständigen Druck, kann sich nicht entspannen und belügt ständig ihre Familie. Daher repräsentiert diese Familie für mich ein wenig die Gesellschaft, das soziale Gefüge. Caye und alle anderen Mädchen die sich prostituieren müssen etwas vortäuschen, sie führen ein Doppelleben. Sie müssen mit dem Stempel der Gesellschaft und der Scham leben, Prostituierte zu sein.
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"Die Familie ist eine komplizierte Angelegenheit."
Ricore: Jetzt haben Sie mir viel über die Bedeutung der Familie in Ihren Filmen erzählt, was aber bedeutet die Familie in Ihrem persönlichen Leben?

León de Aranoa: Ich glaube ich habe schon alles gesagt. Was für den Film gilt, gilt auch für das wirkliche Leben. Für mich ist die Familie ein wichtiger und zugleich komplizierter Ort. Vor allem zu Weihnachten bedeutet "Familie" immer eine Verdreifachung der Probleme. Für mich hat "Familie" immer etwas von einem Theater, ich nehme an, dass mir deshalb das Theater und die Bühne so gut gefällt. Im wirklichen Leben sind wir alle wunderbare Schauspieler. Für mich hat die Familie zwei Aspekte: Sie ist zugleich schwierig und doch unabdingbar, ein Widerspruch also.

Ricore: Die Charaktere Zulema und Caye sind auf der Suche nach Ihrem ganz persönlichen Glück. Was bedeutet Glück für Sie?

León de Aranoa: Die Charaktere streben nach ihrem persönlichen Glück. Das wird natürlich durch äußere Umstände erschwert, wie zum Beispiel durch zu teure Kaufsgegenstände. In ihrer Naivität glauben sie, alles löst sich von selbst. Als Zuschauer weißt man jedoch, dass sie es sehr schwer haben werden. Das Glück hat nicht immer einfache Tore. Das Wichtigste für mich als Regisseur ist es, nicht aufhören, von diesem Kampf und diesem Streben nach Glück zu erzählen. Ich glaube, für den Film und für die Charaktere selbst ist es sehr wichtig niemals aufzugeben.

Ricore: Basiert Ihre Geschichte auf einer wahren Begebenheit?

León de Aranoa: Ja, der reale Ausgangspunkt ist der Friseurladen, der auch im Film zu sehen ist. Ein Freund von mir erzählte mir einmal folgende Geschichte: Seine Mutter hatte ein Friseurladen in einer Zone mit Prostituierten. Jene Frauen die dort arbeiteten, verbrachten oftmals viele Nachmittage bei seiner Mutter. Sie redeten über ihre Dinge, ihre Arbeit, ihre Kunden und ihre Dienste. Er war noch sehr klein und bekam viele dieser Geschichten mit. Als er mir diese Geschichte erzählte, schien sie mir äußerst interessant, und auch lustig. Er erzählte mir auch von Konfrontationen zwischen einheimischen Prostituierten und jenen, die von außerhalb kamen. Zwischen Ihnen gab es starke Rivalitäten.
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Caye und ihr zurechtgerücktes Lügengerüst für ihre Familie ("Princesas", 2005)
Ricore: Wie äußerten sich diese Rivalitäten?

León de Aranoa: Im Grunde waren die Rivalitäten so, wie ich sie im Film darstellte. Die Frauen sprachen darüber, dass die ausländischen Prostituierten ihnen die Arbeit wegnehmen würden, weil sie jünger sind oder weil sie mehr arbeiten würden. Da sie sich in einer noch hoffnungsloseren und teils schwierigeren Situation befinden, würden sie mehr Geld verdienen. Als er mir all das erzählte, schien mir dies ein guter Ausgangspunkt für eine Geschichte zu sein. Solche Rivalitäten und die anfängliche Abweisung finden auch in vielen anderen Bereichen und Berufen statt.

Ricore: Welches Thema bearbeiten Sie in Ihrem nächsten Film?

León de Aranoa: Die Familie sicher nicht! Ich beginne gerade ein neues Projekt, es ist aber noch zu früh darüber zu sprechen. Vor kurzem habe ich eine Dokumentation beendet, die Teil eines größeren Projektes ist, an dem insgesamt fünf Regisseure arbeiten. Es ist eine Zusammenarbeit mit "Ärzte ohne Grenzen". Wir drehten fünf dokumentarische Kurzfilme über Konflikte, die nicht jeden Tag in den Medien zu sehen sind.

Ricore: Gibt es bereits einen Titel?

León de Aranoa: Der provisorische Titel der gesamten Arbeit lautet "Los Invisibles", also "Die Unsichtbaren". Aber ich weiß nicht, ob sich dieser Titel bis zum Schluss hält. Meine Dokumentation trägt den endgültigen Titel "Buenas Noches, Huma". Huma ist der Name einer der Protagonisten.
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Fernando León de Aranoa über die Situation spanischer und ausländischer Prostituierten in Madrid.
Ricore: Haben Sie eine Inspirationsquelle?

León de Aranoa: Das ist sehr schwer zu sagen. Jeder meiner Filme stammt aus einer anderen Ecke. Fast immer sind es zwei, drei verschiedene Dinge, die sich zusammenfügen. So entsteht ein Film. Ich habe immer mehrere Ausgangspunkte. Einige davon sind real, andere nicht, einige habe ich in einer Zeitung gelesen oder in einer Reportage gesehen. Wieder andere sind zur Gänze erfunden. Diese Ideen verhalten sich wie ein Kreisel. Sie vermischen sich in meiner Phantasie und drehen mehrere Runden. So suche ich nach einem Weg, die Geschichte auf der Leinwand darzustellen. Ich gehe fast immer von einem realen Ausgangspunkt aus, in meiner Phantasie füge ich dann mehrere Dinge hinzu und versuche, einen Film daraus zu machen.

Ricore: Wie war Ihre Zusammenarbeit mit Micaela Nevárez?

León de Aranoa: Es war wunderbar mit ihr zu arbeiten. Überhaupt war es mit beidem Damen sehr einfach und unkompliziert. Micaela kam direkt aus New York, wo sie zu dem Zeitpunkt lebte. Sie landete in einem für sie unbekannten Ort. Es war sehr mutig, einen Film zu machen mit Leuten, die sie nicht oder nur wenig kannte. Es war ihr erster Film, es war also alles in allem ein reines Abenteuer. Sie hatte eine gute schauspielerische Ausbildung, sodass ich nicht viel mit ihr arbeiten musste. Vor der Kamera hat sie sehr viel Ausdauer und Selbstkontrolle, und das machte alles sehr einfach. Der Film handelt auch von dieser Interaktion zwischen zwei Charakteren.

Ricore: Wie empfinden Sie das Ende des Films?

León de Aranoa: Am Ende des Films gibt es sehr viel Licht. Jede der Frauen geht ihren eigenen Weg, was nicht unbedingt bedeutet, dass sie die Prostitution aufgeben. Die Frauen treffen von nun an ihre eigenen Entscheidungen. Während des ganzen Films gibt es immer wieder traurige und harte Momente. Was für mich zählt, ist das Leben dieser Frauen. Ich wollte ihnen Aufmerksamkeit schenken, sowohl was ihre Emotionen, ihre Gefühle, aber auch ihre Arbeit und ihre innere Schönheit betrifft, ohne jedoch das Andere aus den Augen zu verlieren.

Ricore: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
erschienen am 19. Januar 2007
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Das Studium der Medienwissenschaften bricht Fernando León de Aranoa ab, um beim Fernsehen als Drehbuchautor zu arbeiten. Im Jahr 1994 feiert er sein erfolgreiches Regiedebüt mit dem Kurzfilm "Sirenas". Zwei Jahre später erhält er für seinen ersten Spielfilm "Familia" den Goya als bester Nachwuchsregisseur. In der Folge betätigt er sich nicht nur als Regisseur, sondern stellt sein Talent als Drehbuchautor bei "Der letzte Zug" unter Beweis. Der internationale Durchbruch als Regisseur gelang im..
Princesas (Kinofilm)
Zwei Prostituierte verschweigen ihren Familien, womit sie ihr Einkommen verdienen. Caye (Candela Peña) und Zulema (Micaela Nevárez) versuchen außerhalb ihres Berufs ein ganz normales bürgerliches Leben zu führen. Nach "Montags in der Sonne" versucht Regisseur Fernando Fernando León de Aranoa an den Erfolg aus dem Jahr 2002 anzuknüpfen. Im direkten Vergleich kann sein Werk jedoch nicht mithalten. Passend ist immerhin die Musikwahl: der Titelsong von Manu Chao wurde prompt mit einem Goya prämiert.
2024