20th Century Fox
One Hour Photo
Kleine Bilder - große Wirkung
Feature: Robin Williams, der besessene Fotolaborant
Über die Bedeutung der Ein-Stunden-Fotoentwicklung ("One Hour Photo") in den USA kann der europäische und insbesondere der deutsche Konsument nur staunen. Hierzulande bedeutet dieser Service meist, dass man die Fotos abgibt, nach Hause fährt, und dann, kaum daheim angekommen, wieder losfährt - oder aber die Bilder doch erst am nächsten Tag abholt und sich ärgert, für den nicht genutzten Service bezahlen zu müssen.
erschienen am 21. 11. 2002
20th Century Fox
Szene aus: One Hour Photo
Wunderbare bunte Warenwelt
Anders in den USA, wo jede Kleinstadt, die etwas auf sich hält, ihren eigenen Super-Walmart mit integriertem Fotoladen hat: Dort verbringen die Konsumenten diese eine Stunde mit Vorliebe damit, durch die Dutzenden von Gänge des Supermarkts zu ziehen und einzukaufen - um nach dem einstündigen Shoppen die entwickelten Bilder wieder mit nach Hause zu nehmen, und sich an ihnen zu erfreuen. Wunderbare bunte Warenwelt.

Sy Parrish (Robin Williams), der blasse und einsame Fotolabor-Angestellte in Mark Romaneks Thriller "One Hour Photo", will in diese Welt nicht hineinpassen. So fix er auch beim Entwickeln der Bilder ist, nimmt er sich doch immer ein bisschen Zeit für seine Kunden. Er widmet ihnen seine gesamte Aufmerksamkeit - streitet sich auch mal mit dem Mann vom Reparaturservice, wenn der Cyan-Farbton des Fotoentwicklers um 0,3 Punkte abweicht. Schließlich geht es um die Erinnerungen seiner Kunden, und dafür sollte dem Supermarkt nichts zu teuer sein. Sy erscheint wie die letzte Bastion gegenüber der Konsumgeneration, die zwar gern und bunt einkauft, der die genauen Farben aber letztlich egal sind.
20th Century Fox
Szene aus: One Hour Photo
Einsamer Verkäufer mit verstörenden Obsessionen
Aufmerksamkeit gegenüber den Kunden ist für Sy aber weit mehr als bloßer Customer Service. In seiner Einsamkeit hat er sich seine Kunden zur Familie gemacht, lebt deren Leben anhand ihrer Fotos nach, statt sein eigenes Leben mit Erfahrungen zu füllen. Besonders die Yorkins, eine amerikanische Bilderbuch-Kleinfamilie, haben es ihm angetan. Der hübschen Mutter Nina entwickelt er die Abzüge im größeren Format ohne Aufkosten. Sohn Jake bekommt zum Geburtstag eine Wegwerfkamera auf Kosten des Supermarkts und Familienvater Will wird über die Lautsprecher namentlich begrüßt. Als Ausgleich für soviel Freundlichkeit macht Sy Abzüge für sich, hegt und pflegt und betrachtet sie, als seien es Bilder seiner eigenen Familien. Ein Blick in sein Apartment beweist, dass die Photos für ihn aber eine größere Bedeutung haben als für die Yorkins. Normal ist das nicht.

Die Yorkins halten ihn zwar für einen einsamen Kerl, ahnen aber nichts von seiner Obsession, die er zunächst friedlich und insgeheim pflegt. Es gehört zu den Gepflogenheiten des Suspense-Kinos, das dieses harmonische Miteinander auf Dauer nicht gut gehen kann. Und in der Tat deutet Regisseur Mark Romanek schon in der Eröffnungssequenz an, dass all dies ein böses Ende nehmen wird. Dann führt er aber erst mal sämtliche Charaktere mit all ihren Stärken, Schwächen und Neurosen ein, bevor er langsam und sachte mit der Dekonstruktion der heilen Welt beginnt.
20th Century Fox
Szene aus: One Hour Photo
Mark Romanek nutzt Video-Clip-Erfahrung
Man merkt Romanek in fast jeder Einstellung seine Video-Clip-Erfahrung an, sein Gespür für bestechend eindringliche Bilder. Die von grellen Neonröhren hellerleuchtete Fotoabteilung wird bei ihm zum riesigen, leeren und bedrohlichen Raum, in welchem Sy über die Fotos und somit über die Erinnerungen der Menschen herrscht. Die Gänge des Supermarktes, die von der Fotoabteilung unendlich weit weg zu sein scheinen, sind nichts weiteres als ein riesiges Labyrinth, in dem sich die Konsumenten täglich aufs Neue verlieren und verirren.

Die Oberflächlichkeit des Konsums entlarvt Romanek in einer Traumsequenzen, in der Sy sich plötzlich inmitten von nicht enden wollenden, leeren, grellweißen Supermarktregalen wiederfindet. Sys Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft bei allem Überfluss den Blick für die kleinen Dinge des Lebens verloren hat, wird dem Zuschauer immer wieder auf erstaunliche Weise vor Augen geführt.
20th Century Fox
One Hour Photo-Regisseur: Mark Romanek
Robin Williams' Wahnsinn so glaubwürdig...
Ebenso erstaunlich ist Robin Williams, der die Rolle des Sy Parrish mit seiner äußerlichen Freundlichkeit und seinem angedeuteten Wahnsinn so glaubwürdig füllt, dass man die bisweilen unglaubwürdigen Plot-Details Achsel zuckend akzeptiert. Romaneks langsame, nur stellenweise etwas bedächtige Erzählweise entpuppt sich dabei als geradezu unamerikanisch. Vieles wird nur angedeutet und nicht bis zur Banalisierung erklärt oder gar in überflüssige Dialoge gefasst. Das ist erhellend, angenehm und erleichtert es uns ungemein, das zu bewahren, was Sy Parrish so wichtig ist: Den Blick für die Details.
erschienen am 21. November 2002
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One Hour Photo (Kinofilm)
Seymour, genannt Sy ist Leiter des Photolabors eines Supermarktes. Der unauffällige nette Einzelgänger hat keine Freunde. Er lebt über die Photos der Kunden. Über ihre Bilder nimmt er am Leben in der Kleinstadt teil. Seine Lieblingskundin ist Nina. Als deren Mann eine Affäre anfängt, nimmt Sy stellvertretend Rache. Robin Williams bringt Farbe in den verstörend leisen Psychothriller.
Williams studierte sowohl Politik- als auch Theaterwissenschaften. Doch beide Studien brach er frühzeitig ab. Entdeckt wurde er bei kleinen Auftritten als Stand-Up-Comedian. Der große Durchbruch ließ jedoch auf sich warten. Obwohl er für "Good Morning, Vietnam" für einen Hinter dem Horizont" und "Der 200-Jahre Mann" beim Publikum eher durchfielen. Williams bekennt sich offen zu seinem Alkoholismus. Als er im Jahr 2006 nach einer rund 20-jährigen Abstinenz erstmals wieder zur Flasche griff,..
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