Progress Film-Verleih
Ist um den Film nicht bange: Regisseur Volker Schlöndorff
Volker Schlöndorff über Nazi-Idealisten
Interview: Erzählen kann man viel
Volker Schlöndorff gelingt 1979 mit der "Blechtrommel" der große Durchbruch. Als erster deutscher Regisseur gewinnt er die Goldene Palme in Cannes und zum ersten Mal seit 1927 honorierte Hollywood einen deutschen Film mit einem Oscar. Seitdem gilt Schlöndorff weltweit als deutsche Ausnahmeerscheinung. Filme wie "Homo Faber" und "Die Geschichte der Dienerin" untermauern diesen Ruf bis heute. "Der Neunte Tag" ist ein wechselvolles Rede- und Gedankenduell zwischen dem Gestapo-Chef Gebhardt (August Diehl) und einem im KZ Dachau internierten Priester (Ulrich Matthes), der neun Tage Hafturlaub erhält.
erschienen am 6. 11. 2004
Ricore: Herr Schlöndorff, das Drehbuch zu "Der Neunte Tag" stammt nicht von Ihnen. Wie sind Sie mit dem Stoff in Berührung gekommen?

Volker Schlöndorff: Wie so oft hat der Stoff mich gefunden. Ich bekam eine E-Mail und begann zu lesen. Seite für Seite. Als ich fertig war, habe ich sofort zugesagt. Für manche Stoffe muss man jahrelang kämpfen, manche fliegen einem zu und erfüllen alle Kriterien. Das Drehbuch war so intensiv geschrieben, dass es für mich keine Zweifel gab.

Ricore: Was genau hat Sie fasziniert?

Schlöndorff: Obwohl das Drehbuch nicht visuell geschrieben war, hatte ich schon beim ersten Lesen den Stil des Films vor Augen. Irgendwie hat der Stoff vollkommen zu mir gepasst. Alles entsprach meinem Gefühl, von der moralischen Haltung des Helden bis hin zu den optischen Erzählmöglichkeiten. Der Stil sollte karg sein, kaum Farben, mit vielen Großaufnahmen. Augen und Blicke sollten dabei dominieren. Eine Bedingung jedoch hatte ich: keine Musik.

Ricore: Wie welchen Kriterien haben Sie die Besetzung gewählt?

Schlöndorff: Ulrich Matthes war bereits als Abbé Kremer besetzt. Und was den Gestapo-Chef betrifft, nur soviel: Um zu vermeiden, dass der Nazi-Idealist mit seinem missionarischen Sendungsbewusstsein wie ein typischer Bösewicht wirkt, musste er von einem unglaublich jungen Schauspieler gespielt werden. Meine erste Wahl fiel gleich auf August Diehl. Denn ganz egal ob auf der Bühne oder im Film: Seine Leistung hat mich schon mehrfach überzeugt.

Ricore: Sir Alan Parkers Position in der britische Filmindustrie ist vergleichbar mit Ihrer Stellung hier in Deutschland. Haben Sie auch vor, sich neben Ihrer Filmarbeit verstärkt für die Interessen des deutschen Films einzubringen und ihn zu fördern? Parker etwa unterrichtet an Hochschulen und war Chef des "UK Film Council".

Schlöndorff: Eigentlich stelle ich lieber Filmstudenten als Assistenten ein als an Hochschulen zu unterrichten. Trotzdem gebe ich regelmäßig Workshops und Seminare an deutschen Filmschulen und amerikanischen Universitäten. Gerade war ich deswegen auch in der Schweiz und in Warschau. Wohl fühle ich mich trotzdem nicht dabei, denn erzählen kann man viel. Wirklich voran bringt einen Interessierten nur die praktische Anschauung. Ich zum Beispiel habe allein durch meine Regieassistenz bei großen Regisseuren gelernt. Meiner Meinung nach ist das "Meister und Gesellen"-Prinzip auch in der Filmbranche die bestmögliche Ausbildung.
Ricore: Haben Sie neue Projekte in Vorbereitung?

Schlöndorff: Mein Hauptprojekt ist die Buchverfilmung von "Die Päbstin", ein Projekt, das inzwischen bei "Constantin-Film" gelandet ist. Ich hoffe, dass wir es innerhalb des nächsten Jahres realisieren können. Außerdem plane ich einen Fernsehzweiteiler und die Verfilmung einer "True-Story", die während der Umbruchzeit in Polen auf einer Werft in Danzig spielt.

Ricore: Wie wird Ihrer Meinung nach die Kinobranche in zehn Jahren aussehen?

Schlöndorff: Auch in zehn Jahren werde ich noch auf 35mm-Material drehen, für mich sind die Möglichkeiten noch nicht vollends ausgeschöpft. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die meisten Kinos sich bis dahin auf digitale Vorführungen spezialisiert haben. Kinos wird es nach wie vor geben, mit Technik hat das nichts zu tun. Der Kinobesuch ist ein Gemeinschaftserlebnis, das niemand missen möchte. Ein Fußballabend vor dem Fernseher ist auch nicht dasselbe wie ein Stadionbesuch. Ein Regisseur ähnelt einem Cellisten. Wir spielen auf einer Saite und erzeugen einen Ton. Das Publikum ist der Resonanzboden, der für einen vollen Sound mitvibrieren muss. Erst dann existiert der Film zum ersten Mal. Trotzdem sehe ich die Gefahr, dass bei anspruchsvolleren Filmen ein Eventcharakter wie ein Filmfest nötig sein wird, um die Leute ins Kino zu locken. Der Auslesefilm im Kino um die Ecke wird in zehn Jahren vermutlich durch die DVD abgelöst worden sein.

Ricore: Beeinträchtigt die digitale Raubpiraterie mittlerweile auch Ihre Arbeit?

Schlöndorff: Davon bin ich bisher verschont geblieben. Aber die Kinobranche wird diese Gefahr in den Griff bekommen. In glaube, dass die digitale Sehweise das Filmemachen völlig verändern wird. Die neue Generation von Filmemachern wird allein schon wegen der technischen Neuerungen andere Filme drehen als ich. Die Auswirkungen werden bis hin zur Dramaturgie spürbar werden. Nur eines hat sich seit dem alten Testament nicht verändert: das Geschichtenerzählen. Vielleicht ist das mit jeder Technologie auf andere Art und Weise möglich, aber nicht jeder hat Talent dazu. Und das ist das Entscheidende.
erschienen am 6. November 2004
Zum Thema
Volker Schlöndorff wird 1939 in Wiesbaden geboren. Ab seinem siebzehnten Lebensjahr lebt er neun Jahre in Frankreich und pflegt bereits als Oberschüler Kontakt zu den Regisseuren der Der junge Törless" auf dem Filmfest von Die Blechtrommel". Als erster deutscher Regisseur gewinnt Schlöndorff die Homo Faber" (1991), "Die Geschichte der Dienerin" (1989) und "Der Neunte Tag" (2004) untermauern diesen Ruf immer wieder.
Der Neunte Tag (Kinofilm)
Es dürfte dies der erste deutsche Spielfilm überhaupt sein, der das ambivalente Wagnis eingeht, ein KZ zu zeigen, aus der Nähe, von innen. Gewiss, es gab das Schwarz-Weiß-Epos "Schindlers Liste" (1994), es gab Benignis Tragikomödie "Das Leben ist schön" (1998) und Polanskis "Der Pianist" (2002). Doch sie alle hatten den Blick von außen, der Amerikaner, der Italiener, der in Paris lebende Pole. Nach Chaplin, Guinness und Hopkins liefert Volker Schlöndorff nun den Blick eines Deutschen auf das..
2024