Jim Rakete
Lutz Hachmeister
Joe McCarthy hautnah
Interview: Lutz Hachmeister kontrovers
Lutz Hachmeister nimmt sich als Dokumentarfilmer gerne politischen Stoffen an. Unter anderem machte er Filme über die Freie Deutsche Jugend sowie Hans-Martin Schleyer. Mit "The Real American - Joe McCarthy" wagt er sich an einen der kontroversesten Politiker des 20. Jahrhunderts. Nach fünf Jahren Recherche, zahlreichen Zeitzeugen-Interviews und dem Dreh von Spielszenen kommt das Dokudrama nun in die deutschen Kinos. Im Interview berichtet Lutz Hachmeister Filmreporter.de, was er während der Recherchen über Joseph McCarthy gelernt hat und wie man den Spagat zwischen Information und Unterhaltung schafft.
erschienen am 12. 01. 2012
RealFiction
Joe McCarthy - The Real American
Ricore: Wo sind Sie dem Thema zum ersten Mal begegnet?

Lutz Hachmeister: In Landsberg. Da habe ich eine Dokumentation über das Kriegsverbrechergefängnis gemacht. Dort waren die prominentesten Nationalsozialisten untergebracht. Auch jene, die mit ihnen paktiert haben wie Krupp und Flick. McCarthy hat sich als amerikanischer Senator für die Überprüfung von Foltervorwürfen in diesem Gefängnis eingesetzt. Das fand ich sehr ungewöhnlich. Ich kannte nur den Namen und den Begriff McCarthyismus. Aber ich wusste nichts Konkretes über ihn und seine Biografie. Das war 2001 und seitdem hatte ich immer die Idee, zumindest mehr über ihn zu recherchieren.

Ricore: Welches Bild hatten Sie vorher von ihm?

Hachmeister: Ich hatte einen relativ alten Kommunistenverfolger vor Augen, der letztlich verrückt und auf ein Thema fixiert war. Mich hat bei der ersten Lektüre seiner Biografie verblüfft, dass er nur 48 Jahre alt geworden ist und sich zu Tode getrunken hat.

Ricore: Der Begriff McCarthyismus hat sich ziemlich verselbstständigt.

Hachmeister: Ja. Ich kenne kein anderes Beispiel aus der Weltgeschichte, wo jemand mit seinem Namen auch für Dinge haftbar gemacht wird, die schon vor seiner aktiven Zeit passiert sind. Ich mache gerade einen Film über Peter Hartz, da ist das vielleicht ähnlich. Der ist natürlich noch dramatischer davon betroffen, weil er das noch zu Lebzeiten mitbekommt. (lacht)

Ricore: Wollten Sie mit dem Film auch das Bild zurechtrücken oder worin bestand ihre Motivation?

Hachmeister: Zunächst einmal gibt es einfach keinen abendfüllenden Film über McCarthy. Es gibt ein amerikanischen Fernsehspiel aus den siebziger Jahren, das hat aber eine sehr schwarz-weiße Figurenkonstellation. Dann gibt es noch den George Clooney-Film "Good Night, and Good Luck". Aber da geht es mehr um die Journalisten, die gegen McCarthy opponieren. Das Medienecho damals deckt sich übrigens nicht mit der Darstellung in "Good Night, and Good Luck". Die Kommentatoren schrieben, McCarthy hätte bei dieser Konfrontation besser ausgesehen.
Real Fiction Filme
The Real American - Joe McCarthy (2012)
Ricore: Warum haben wir so viele falsche Bilder über McCarthy im Kopf?

Hachmeister: Gerade in Deutschland ist er ja bekannt als der Mann, der Bertolt Brecht verhört haben soll. Wenn man sich die Tonaufnahme dieses Verhörs anhört, dann merkt man, dass McCarthy überhaupt nicht dabei war. McCarthy kam sehr spät zu dem Thema. Richard Nixon hatte vorher schon ähnlich gewirkt. Diese Verhöre von Andersdenkenden waren gang und gäbe. McCarthy war halt das Label. Dafür hat er selbst gesorgt und er war sehr stolz darauf. Er gab selbst eine Broschüre heraus mit dem Titel 'McCarthyism' und hat damit eine Marke geschaffen.

Ricore: Warum haben Sie die Form des Dokudramas gewählt?

Hachmeister: Mich hat diese Form immer sehr interessiert. Das Zusammenfügen unterschiedlicher dramaturgischer Elemente führt am Ende doch zu einer Erzählung. Wir lassen aber fast nichts nachspielen, dieses Mittel hat sich erschöpft. Ich habe nur fiktionale Szenen eingefügt, die sich nicht archivarisch belegen ließen. Darin liegt ja genau ihr Sinn. Ich wollte von der theaterhaften Inszenierung weg und ein ästhetisches Niveau erreichen, dass jenem von HBO ähnelt. Daher habe ich auch mit englischsprachigen Schauspielern zusammengearbeitet.

Ricore: Woher kommen die Texte für die Spielszenen?

Hachmeister: 90 Prozent sind real belegt. Nur die CIA-Szenen haben wir verdichtet. Das letzte Fernsehinterview von McCarthy haben wir nachgespielt, weil die Aufnahmen verloren gegangen sind. Aber wir hatten das schriftliche Protokoll. Der Film ist im Wesentlichen authentisch.

Ricore: Die Äußerungen der Zeitzeugen im Film sind sehr interessant.

Hachmeister: Selbst Betroffene wollten ihn ja nicht als Monster zeichnen. Da kam durchaus ein differenziertes Bild zustande. McCarthy konnte wohl auch sehr charmant sein. Außerdem hat er Medienpolitik früh verstanden. Es gab ja von vornherein Gegner von McCarthy aber das war eine kleine Minderheit - auch unter Journalisten.
RealFiction
John Sessions als Joe McCarthy in "Joe McCarthy - The Real American"
Ricore: Wie geht man mit solchen Zeitzeugen um?

Hachmeister: Es gibt zwei Rechercheure, die das vorbereiten. Manche Personen sind leichter für Gespräche zu bekommen. Aber an Henry Kissinger bin ich erst über Stefan Aust und den Spiegel herangekommen. Kissinger hat ein sehr spezielles Verhältnis zu Dokumentarfilmen. Da gab es einen französischen Filmemacher, der ein Interview mit ihm umgeschnitten hat. Dann wirkte es so, als halte Kissinger die Mondlandung für erfunden. Deshalb war er sehr vorsichtig. Aber auch er wollte das Interview nicht zur Freigabe geschickt haben. Deutsche Politiker haben eher so einen Kontrollfetischismus. Kissinger hingegen weiß genau, was er sagt.

Ricore: Wie haben sich die Schauspieler vorbereitet?

Hachmeister: Die haben sich das Interviewmaterial mit den Zeitzeugen angesehen. John Sessionss hatte einen Dialekttrainer, um McCarthy sprachlich näher zu kommen.

Ricore: Wie schafft man es, Information und Unterhaltung zusammen zu bringen?

Hachmeister: Man muss sich trauen, Dinge zu erzählen, die zunächst abseitig erscheinen. Wir haben Dinge integriert, die noch nie publiziert wurden. Auch vermeintliche Nebensachen muss man zulassen.

Ricore: Welcher Wunsch war größer? Zu informieren oder eine Geschichte zu erzählen?

Hachmeister: Wir haben unzählige Geschichten ausgelassen. Zwei Aufgaben hat man immer bei einem solchen Film. Einerseits muss man auswählen, andererseits immer noch einen erzählerischen Fluss hinbekommen.
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John Sessions als Joe McCarthy in "Joe McCarthy - The Real American"
Ricore: Wie geht Amerika heute mit McCarthy um?

Hachmeister: Wir haben den Film mit dem Goethe-Institut in Los Angeles gezeigt. In den USA ist das dank Sarah Palin und der Tea-Party-Bewegung ein viel aktuelleres Thema. 'New-McCarthyism' wird fast jedem angehängt, der rechtspopulistisch agiert. Auch heute wollen sich viele von den Küsteneliten absetzen. McCarthy ist Teil der amerikanischen Politfolklore. Man kann das vergleichen - zwar nicht in der Statur und Gefährlichkeit - mit Joseph Goebbels in Deutschland. Das ist das Äquivalent, was Leuten hierzulande angehängt wird. Aber McCarthy war politisch viel schwächer als Richard Nixon. Der war viel gefährlicher. Nixon hatte zwar Watergate aber er ist nicht so einprägsam wie McCarthy.

Ricore: Wie viel Vorbildung braucht man, um sich Ihren Film anzusehen?

Hachmeister: Man braucht nicht viel Vorbildung. Aber wenn sie vorhanden ist, wird man den Film anders sehen. Wer keine Vorbildung hat, wird die Geschichte wohl einfach als solche nehmen. Es ist eine Geschichte von Aufstieg und Fall. Diese Idee, sich mit allen anzulegen, ist verrückt. Da merkt man auch den Größenwahn McCarthys.

Ricore: Gibt es nur eine Fassung Ihres Films?

Hachmeister: Es gibt mittlerweile fünf Fassungen. Für die USA gibt es eine Kino- und eine Fernsehfassung. Die BBC hat eine eigene Fassung. Irgendwann verliert man den Überblick.

Ricore: Für welchen Markt war" The Real American - Joe McCarthy" denn ursprünglich gedacht?

Hachmeister: Einerseits für das ZDF, die den Film mitfinanziert haben. Andererseits gibt es natürlich eine starke Ausrichtung auf den anglo-amerikanischen Markt. Es wird wahrscheinlich einer der wenigen deutschen Filme, die weltweit über alle Medien vertrieben werden. Das Kino ist da eher ein Prestige-Element.
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John Sessions als Joe McCarthy in "Joe McCarthy - The Real American"
Ricore: War es ein Problem für die Amerikaner, dass Sie sich als Deutscher an ihre Nachkriegsgeschichte wagen?

Hachmeister: Nein, die haben sich angeschaut, was ich vorher gemacht habe.

Ricore: Wie sind sie von der Wissenschaft zum Film gekommen?

Hachmeister: Das kam nicht so sehr von der Wissenschaft, sondern eher von meiner Arbeit als Leiter des Adolf-Grimme-Instituts. Man sieht dort Filme aller Art. Ich habe als Zeitungsjournalist begonnen und da viel gemacht. Es blieben nur noch Fernsehen und Film, wenn man mal vom Romane schreiben absieht.

Ricore: Welche Projekte stehen als nächstes bei Ihnen an?

Hachmeister: Mein nächster Film nach der Doku über Peter Hartz wird wohl ein Spielfilm. Aber natürlich ein Polit-Thriller, ich bin nicht der Mann für romantische Komödien. Da soll es um die Veränderungen in der geostrategischen Lage zwischen den USA, Europa und Asien gehen. Das Drehbuch entwickeln wir auf internationaler Ebene.

Ricore: Wie bereiten sie diesen Film vor?

Hachmeister: Wir geben schon für die Vorbereitung viel Geld aus. Die Situation in Deutschland ist ja absurd. Da versuchen Leute, mit schlechten Büchern Fördergelder zu bekommen. Darum haben wir aktuell so wenige Regisseure auf internationalem Niveau. Tom Tykwer und Fatih Akin, dann hört's gleich schon wieder auf. Das ist für ein so großes Land mit dieser Filmgeschichte nicht einsehbar. Vor allem angesichts der Geldmenge, die in Deutschland ausgegeben wird. Drehbuchautoren in Deutschland sind unterbezahlt und müssen an mehreren Sachen gleichzeitig arbeiten. Darunter leidet die Recherche.
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John Sessions als Joe McCarthy in "Joe McCarthy - The Real American"
Ricore: Viele internationale Produktionen lassen sich in Deutschland fördern.

Hachmeister: Wenn man das Geld stattdessen in Drehbücher stecken würde, sähe die Sache schon anders aus. Andere Bereiche des Filmgeschäfts profitieren natürlich wirtschaftlich von der aktuellen Förderlage.

Ricore: Haben Sie Ihre Meinung über McCarthy durch den Film geändert?

Hachmeister: Das nicht, aber man versteht den Menschen natürlich besser. Ich habe viel gelernt, was ich vorher nicht wusste. In Deutschland wäre seine Karriere unwahrscheinlich. Der hat sich einfach als Kriegsveteran für einen Senatsposten aufstellen lassen. Aber sein Populismus war selbst in den USA nicht sonderlich erfolgreich. Er hat ja nur vier Jahre durchgehalten. Auch in Amerika gibt es nicht viele Politiker dieses Typus'.

Ricore: McCarthy ist für demokratische Gesellschaften schwer zu verstehen.

Hachmeister: Deswegen hat die Epoche ja so kurz gedauert. In der gleichen Zeit hat die CIA verdeckt Ausstellungen für abstrakte Kunst gefördert, um sich gegen den sozialistischen Realismus zu wenden. McCarthys Parteifreunde haben gemerkt, wie sehr es dem internationalen Ansehen der USA geschadet hat, was McCarthy gemacht hat. Die europäische Presse hat das verheerend kommentiert.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 12. Januar 2012
Zum Thema
Lutz Hachmeister wird 1959 in Minden geboren. Sein Studium schließt er mit einer Dissertation über die Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland ab. Nach zwei Jahren als Medienredakteur beim Schleyer - Eine deutsche Geschichte" wird 2004 mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold ausgezeichnet. 2011 initiiert er eine Kampagne gegen Karl-Theodor zu Guttenberg.
Der Name Joseph McCarthy ist bis heute mit der antidemokratischen Hetzjagd auf Kulturschaffende, Armeeangehörige und Politiker verbunden. Um 1950 herum schreckten der fanatische Senator und seine Gesinnungsgenossen auf der Jagd nach vermeintlichen Kommunisten auch vor der Konfrontation mit Präsident Eisenhower nicht zurück. Regisseur Lutz Hachmeister zeichnet in Spielszenen, Interviews und mit Hilfe von Archivmaterial Aufstieg und Fall des umstrittenen republikanischen Politikers nach.
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