Concorde Filmverleih
Kevin Bacon
Schauspieler, Musiker und wahrer Vater
Interview: Der sympathische Bad Boy
Er sieht mit seiner hageren Gestalt, dem schmalen Gesicht und der halblangen Mähne eher wie ein Rockstar als ein Schauspieler aus, aber das ist er ja auch. Dennoch beantwortet Kevin Bacon professionell, ausführlich und bereitwillig alle Fragen zu Atom Egoyans raffiniertem Drama "Wahre Lügen" und seinem Leben. Dabei lehnt er leger auf dem Stuhl schaut mit seinen strahlend blauen Augen fast geistesabwesend vor sich hin.
erschienen am 30. 01. 2006
Concorde Filmverleih
Kevin Bacon in Atom Egoyans "Wahre Lügen"
Ricore: Spielen Sie gern düstere Rollen?

Kevin Bacon: Ehrlich gesagt, werde ich, meinem Gefühl nach, zu sehr mit dunklen Rollen in Verbindung gebracht. Ich möchte nicht den Anspruch verlieren, meine Charaktere so lebensecht wie möglich darzustellen, aber ich hätte nichts gegen etwas Heldenhaftes, Komisches oder Romantisches. In Hollywood ist es sehr schwer, nicht immer dasselbe zu tun. Ich bin stolz, dass ich es trotzdem geschafft habe. Wenn Du mit einer Rolle erfolgreich warst, möchten Dich die Leute darauf festlegen, sie wollen es recyceln und immer wieder sehen. Du musst sehr hart arbeiten, um davon wegzukommen und von jemandem gesehen zu werden, der nicht das Gleiche macht.

Ricore: Haben Sie im Theater andere Erfahrungen gemacht?

Bacon: Im Theater ist das anders. Du liest eine Rolle, sprichst bei einem Regisseur vor und wenn Dein Typ passt, bekommst Du die Rolle. Mir wird viel angeboten, aber darunter sind sehr viele dunkle Charaktere. Ich habe zum Beispiel gehört, dass ich für die Rolle in "Wahre Lügen" vorgesehen bin. Ich hatte das Buch nicht gelesen und dann kam jemand zu mir und sagte, dass die Figur eine nette Person sei. Ich sagte großartig, das mach ich. Doch dann fügte er hinzu, dass er letztendlich der Mörder sei. Jeder sagte, ich solle diese Rolle spielen. Da hat es bei mir geklingelt.

Ricore: Sie hätten also Lust auf einen Actionfilm oder einer Komödie?

Bacon: Ja, sehr. "Beauty Shop" war die letzte Komödie, die ich gemacht habe. Darin spielte ich einen Friseur. Das hat richtig Spaß gemacht.

Ricore: Ist ihr Spielfilmdebüt "Loverboy" auch eine Komödie?

Bacon: Nein, er ist düster, aber es ist kein schwerer Film. Meine Rolle ist etwas komödiantisch.
Concorde Filmverleih
Kevin Bacon hat erst seinen Vater verloren
Ricore: "Wahre Lügen" thematisiert die dunklen Geheimnisse des Showbusiness. Wie viele dieser dunklen Geheimnisse haben Sie über sich selbst herausgefunden? Haben Sie auch Leichen im Keller?

Bacon: Klar, aber ich verrate natürlich keine Namen (lacht). In den 1950er Jahren befolgte die Presse das ungeschriebene Gesetz, das Privatleben zu schützen. Man sieht im Film, dass sich das in den 1970er Jahren zu ändern beginnt. Heute geht der Trend in die umgekehrte Richtung. Daten von Handys, Textmitteilungen oder Bilder sind leicht zugänglich. Private Informationen sind kaum noch geschützt. Bei Fanmagazinen war es so, dass die Künstler und Verleger die vollständige Kontrolle über alle publizierten Bilder hatten. Jeder sah phantastisch aus. Heutzutage geht es eher darum, irgendwelche fetten Hintern am Strand zu zeigen, wie sich jemand in der Nase pult oder in den Schritt fasst. Das interessiert die Leute. Die Zeiten haben sich ziemlich geändert.

Ricore: Wohnen Sie deshalb in New York?

Bacon: Ich liebe New York. Es ist eine sehr prominentenfreundliche Stadt. Die Leute grüßen, man muss aber nicht ständig Autogramme geben oder wird fotografiert. Abgesehen von einigen Touristen, ist es für den Rest des Tages richtig cool. Es bedeutet mir sehr viel, einfach rumlaufen und die U-Bahn nehmen zu können - und zwar privat und beruflich. Ich werde meist engagiert, um ganz normale Menschen zu spielen. Wenn Du den lieben langen Tag nur mit Limousinen unterwegs bist und all Deine Freunde Filmstars sind, vergisst Du früher oder später das normale Leben. Dabei ist das alltägliche Leben eine große Inspirationsquelle. Ich laufe herum, beobachte und höre zu. Ich fahre U-Bahn, gehe in Bars und Geschäfte, denn da kommen meine Charaktere her.

Ricore: Wenn die "Bacon Brothers" nun einen richtig großen Auftritt bekämen, würden Sie die Schauspielerei aufgeben, um Rockstar zu werden?

Bacon: Es wäre schwierig, denn ich habe eine Verantwortung für meine Familie. Ich muss für das Essen auf dem Tisch sorgen und ich habe bis jetzt nicht genügend Geld verdient, um mit dem Arbeiten aufhören zu können. Aber ich könnte mich mit der Idee anfreunden. Das Problem ist nicht die Schauspielerei, sondern das ganze Drumherum, um diesen Job machen zu können - die Presse, das Reisen, das Taktieren, Journalisten - Anwesende ausgenommen. Ich liebe es, wenn aus dem Spiel ein ganzer Film wird; ich liebe es, wenn die Kamera läuft, meinen Text zu sprechen und diesen Moment zu fühlen. Ich möchte die Fähigkeiten, für die ich mein ganzes Leben lang gearbeitet habe, umsetzen. Ich liebe das, aber es ist nicht alles. Ich finde es auch sehr faszinierend und cool, den Schnittprozess zu verfolgen. Aber wenn der Film erst einmal fertig ist, schaue ich ihn mir nicht mehr an. Es ist wie zurückschauen. Außerdem gibt es so viele Dinge, die ich gern besser gemacht hätte.

Ricore: Mögen Sie es, ihre Frau (Kyra Sedgwick A.d.R.) im Fernsehen zu sehen?

Bacon: Sehr. Sie macht eine Fernsehserie ("The Closer" A.d.R.). Das ist großartig, es ist ein sehr erfolgreiches Format und wir freuen uns beide darüber. Außerdem sehe ich sie dadurch jede Woche, das ist großartig.

Ricore: Kriegen Sie Ihre Frau sonst nicht zu Gesicht?

Bacon: Manchmal sehe ich sie nicht so oft, weil sie in L.A. dreht.
Concorde Filmverleih
Bad Boy? Es darf gerne auch mal eine Heldenrolle sein!
Ricore: Wie funktioniert eine Ehe zweier Schauspieler?

Bacon: Es funktioniert bereits seit 17 Jahren. Es hat mir bis jetzt auch niemand eine Statistik gezeigt, die beweist, dass es tatsächlich schwieriger ist, als Schauspieler verheiratet zu sein. Ehen funktionieren einfach nicht, akzeptieren wir diese Tatsache. Wie viele Ehen werden geschieden? Die Hälfte oder gar zwei Drittel?

Ricore: Warum funktioniert Ihre so gut?

Bacon: Keine Ahnung. Ich weiß nicht, man versucht einfach von Tag zu Tag zu leben und miteinander zu reden. Es ist wichtig, die richtige Person zu finden. Das dauert manchmal einfach - drei von vier Ehen scheitern. Ich habe da auch eine Theorie über Männer: Ich denke, sie heiraten zu früh; in ihren Zwanzigern sind sie meist noch nicht bereit für die Ehe.

Ricore: Haben Sie zu früh geheiratet?

Bacon: Nein, ich war dreißig. Frauen sind in ihren Zwanzigern emotional viel reifer als wir, sie scheinen schneller erwachsen zu werden. Sie verstehen Beziehungen besser. Männer müssen es ausprobieren. Sie müssen mehr Beziehungen gehabt haben, aber natürlich gibt es Ausnahmen zu jeder Regel.

Ricore: Warum müssen Sie mehr ausprobieren?

Bacon: Ich denke, dass ist biologisch bedingt. Sie müssen mehr Sexualpartner erfahren haben, bevor sie sich auf eine Partnerin festlegen.

Ricore: Sie hatten also viele Sexualpartner?

Bacon: Nein, meine Frau ist die erste. (lacht) Natürlich hatte ich die. Bei Frauen geht es in Beziehungen und in der Liebe vorrangig um Gefühle, bei Männern dagegen um das Ego und körperliche Bedürfnisse.
Concorde Filmverleih
Kevin Bacon in München beim Interview mit Ricore Text
Ricore: Hat Sie Ihre Lebenserfahrung bescheidener gemacht?

Bacon: Natürlich. Ich glaube fest daran, dass Leute, die Schauspieler werden, auch Schauspieler sein wollen. Das sind Leute die vom Publikum geliebt werden möchten. Dieser Wunsch geht über das Bedürfnis, besonders zu sein, hinaus. Man findet Wege, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu lenken. Und schließlich findest Du außerhalb von diesem Bedürfnis in Deinem Leben etwas, was Dir Frieden und Trost gibt

Ricore: Können Sie sich an einen bestimmten Moment erinnern, der sie zum Nachdenken brachte?

Bacon: Mit Sicherheit war der 11. September ein wichtiger Moment für uns. Die Wirkung auf die Welt und auf uns New Yorker ist schwer vorstellbar. Es lässt Dich einen Moment innehalten und über den Tellerrand schauen. Es hatte auch starke Auswirkungen auf meine Kinder, in negativer aber auch in positiver Hinsicht. Sie haben eine viel reifere Weltsicht als ich sie im gleichen Alter hatte, obwohl ich auch gegen Vietnam protestierte. Ich fühlte mich allerdings eher dazu verpflichtet, als dass ich wirklich an das glaubte oder verstand, was ich tat.

Ricore: Gibt es andere Ereignisse, die Sie verändert haben?

Bacon: Mein Vater starb vor einigen Wochen und wenn beide Elternteile tot sind, ist das der Moment, in dem Du wirklich erwachsen wirst. Zuerst denkst Du, die Geburt Deines Kindes macht Dich zu einem Erwachsenen, aber erst wenn Du elternlos bist, wirst Du wirklich erwachsen. Es gibt dann nur noch mich oder uns. Als Schauspieler oder Songwriter, als Künstler, obwohl ich mich immer komisch fühle, diesen Ausdruck zu benutzen, jedenfalls als jemand, der etwas Kreatives macht - hoffentlich jeder - sollte man durchs Leben gehen und seine Gefühle nutzen. In meinem Bauch finde ich den Charakter aus "The Woodsman", dort kommt die Inspiration für einen Song her, für eine Komödienrolle oder für was auch immer ich tue. Man muss Herz und Augen offen halten, um für Lebenserfahrungen empfänglich zu sein. In kreativen Zeiten kann man dann aus diesem Erfahrungsschatz schöpfen.

Ricore: Manche Erfahrungen sind sehr schmerzhaft. Gibt es etwas, vor dem Sie Angst haben oder versuchen Sie aus den tragischsten Erlebnissen etwas Positives zu ziehen?

Bacon: Die größte Angst im Leben von Eltern ist, dass den Kindern etwas zustoßen könnte. Durch die Rollen in "Mystic River", "The Woodsman" und "Loverboy", in denen Kindern schlimme Dinge zustoßen, wurde ich damit konfrontiert. Schauspiel ist auf eigenartige Weise therapeutisch. Du musst Dich mit einem Gedanken auseinandersetzen und kannst dann weitermachen. Das macht es aber dennoch nicht einfacher, mit Ängsten umzugehen

Ricore: Was hat Ihnen der Tod Ihres Vaters bedeutet? Sie haben eine sehr große, kinderreiche Familie. Hatten Sie eher eine enge oder distanzierte Beziehung zu Ihrem Vater?

Bacon: Mein Bruder hat das sehr gut in Worte gefasst: unsere Eltern vereinten Liebe und Vernachlässigung. Sie waren sehr viel beschäftigt, aber sie haben es trotzdem geschafft, eine Atmosphäre zu schaffen, in denen wir sechs uns sehr, sehr nahe standen. Also haben sie wohl etwas richtig gemacht. Ich war ein unabhängiges Kind. Mir wurde nie etwas vorgeschrieben, aber ich habe auch keine Ratschläge erhalten. Sie haben sich getrennt als ich siebzehn war. Nicht, dass sie nicht stolz auf mich gewesen wären, sie haben nur einfach nicht soviel mitbekommen. Ich habe eine ganz andere Beziehung zu meinen Kindern. Wir reden über alles und kümmern uns sehr.
erschienen am 30. Januar 2006
Zum Thema
Geboren in Philadelphia, Pennsylvania, USA.
Wahre Lügen (Kinofilm)
Sie sind die zwei erfolgreichsten Entertainer der 1950er Jahre: der extrovertierte Lanny Morris (Kevin Bacon) und der smarte Brite Vince Collins (Colin Firth). Ohne große Erklärungen löst sich das Erfolgsduo eines Tages auf. Fünfzehn Jahre später greift eine junge, ambitionierte Journalistin (Alison Lohman) den mysteriösen Fall auf. Bald kommen in Atom Egoyans optisch und Dramaturgisch gelungenem Thriller ungeahnte Wahrheiten ans Licht.
2024