Tiger/Ricore Text
Regisseur Ken Loach
Ken Loach: die Schandtaten der Briten
Interview: Tragische Verkettung von Ereignissen
Als die britische Regierung als Reaktion auf die demokratisch beschlossene Unabhängigkeit Irlands 1920 Militärtruppen in den Norden entsendet, formiert sich eine Gruppe junger Iren zu einer Widerstandsbewegung. Der britische Regisseur Ken Loach (69) folgt in seinem berührenden Wettbewerbsbeitrag "The Wind That Shakes the Barley" einer Truppe junger Guerilla-Kämpfer in ihrem hoffnungslosen Kampf um Freiheit. In Cannes erklärte er, warum das Thema bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.
erschienen am 19. 05. 2006
Tiger/Ricore Text
Cillian Murphy und Regisseur Ken Loach in Cannes
Ricore: Mr. Loach, warum trifft der Film nach wie vor den Nerv der Zeit? Ken

Loach: Geschichten, die die Unabhängigkeitsbewegungen eines Landes zum Thema haben, tauchen in der Geschichte der Menschheit wieder und wieder auf. Es ist also immer der richtige Zeitpunkt, so etwas zu thematisieren. Es wird immer Armeen geben, die irgendwo auf der Welt andere Länder belagern, und es wird immer unterdrückte Bevölkerungsschichten geben, die das nicht akzeptieren und sich dagegen wehren.

Ricore: In welchem Land schmerzt Sie das heute besonders?

Loach: Ich brauche hier wohl niemandem erzählen, wo die Briten derzeit eine Besatzungsarmee stationiert haben, die nichts als Schaden, Gewalt und Todesopfer hervorbringt.

Ricore: Warum konzentrieren Sie sich dann nicht auf eine aktuelle Thematik, sondern auf die Kämpfe einer Gruppe junger Widerständler im Irland der 20er Jahre?

Loach: In Großbritannien reden wir nicht gerne über dieses Kapitel unserer Geschichte. Wir hören zwar viel in den Nachrichten, was im Norden Irlands vor sich geht, aber wir vermeiden den direkten Kontakt. Und wir sprechen nie darüber, wie der Konflikt überhaupt zustande kam.

Ricore: Woher kommt das?

Loach: Der Ursprung des Konflikts liegt Jahrhunderte in der Vergangenheit, weil Irland unsere erste Kolonie war. Die Probleme begannen allerdings erst so richtig, als die Iren 1920 mit einer demokratischen Abstimmung ihre Unabhängigkeit beschlossen. Die Briten antworteten darauf mit Truppen, die Einhalt gebieten sollten. Die daraus resultierende Brutalität zeige ich im Film zur Genüge. Es waren - um es vornehm zu sagen - nicht die angenehmsten Jahre unserer Geschichte.
Verleih
Szene The Wind That Shakes the Barley
Ricore: Was wollten Sie dabei unbedingt thematisieren?

Loach: Ich wollte nicht nur von der Geschichte eines Krieges erzählen, sondern auch von Heldentum und unzähligen tragischen Konflikten.

Ricore: Sie schildern, wie Idealismus zu Gewalt führt. Deprimierende Feststellung, oder etwa nicht?

Loach: Wenn Unterdrückte ihre eigene Wunschvorstellung von Unabhängigkeit, Gerechtigkeit und Freiheit haben, und diese von Machthaber unterdrückt wird, führt das immer zu Gewalt. Der Widerstand gegen Ideale gipfelt in fast immer in Ausschreitungen. Es ist nicht so, dass der Idealismus die Gewalt hervorruft, es ist die Opposition, die es herausfordert.

Ricore: Deswegen also einer der Schlüsselmomente, in denen Damien, einer der Freiheitskämpfer, einen seiner Jugendfreunde, einen Denunzianten, aus Liebe zum Vaterland exekutiert?

Loach: Der Schuss macht ihn zu einem anderen Menschen, er bekommt den Vorfall nicht mehr aus seinem Kopf. Es ist wie ein Brandmahl. Im Grunde ist unsere Geschichte nichts anderes als eine tragische Verkettung von Ereignissen. Wenn sich eine Armee im Krieg befindet und Denunzianten nicht bestraft, greift es schlagartig rapide um sich. Was hätte er anderes tun sollen? Damals war es einfach üblich! Und das, nachdem er sich zu Beginn der Story entscheiden musste, entweder ein sicheres Leben als Medizinstudent in London zu führen, oder sich mit seinen Freunden als Freiwilliger für den Krieg ums Vaterland zu melden. Damien hat sich für den Kampf entschieden - und ab diesem Moment gab es keinen Weg mehr zurück. Das Resultat sehen Sie in dem Mord an seinem Freund.

Ricore: Sie inszenieren die britischen Armeen als gewalttätige Bastarde - und doch handelt es sich angeblich nicht um einen "Anti-britischen"-Film. Wie passt das zusammen?

Loach: Weil die britische Bevölkerung auch Opfer derselben Politik war. Churchill haben die Truppenbedürfnisse einen Dreck interessiert, wenn es um die Interessen seines Staates ging. Ich bin klar gegen die Einsätze der britischen Regierung, nicht gegen die Bevölkerung. Darin liegt der große, aber entscheidende Unterschied.

Ricore: Wer soll den Film sehen?

Loach: Möglichst viele natürlich. Wie Sie sich denken können, liegt das ab diesem Zeitpunkt leider nicht in meinen Händen. Aber dieses Risiko muss man als Filmemacher immer auf sich nehmen - und ich bin gerne bereit dazu. Cannes wird sicher helfen, das Weltinteresse auf uns zu lenken. Danach sehen wir weiter.
erschienen am 19. Mai 2006
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Filmemacher Ken Loach präsentiert mit seinem Drama einen etwas anderen Antikriegsfilm. Zwei Brüder kämpfen Seite an Seite gegen die britische Besatzung in Irland. Der zweifelhafte Friedenvertrag führt zu einem blutigen Bürgerkrieg, in dessen Folge auch die einst verbündeten Brüder Damien (Cillian Murphy) und Teddy (Padraic Delaney) zu Todfeinden werden. "The Wind That Shales The Barley" war der Überraschungssieger der Filmfestspiele von Cannes 2006.
Ken Loach ist der Meister des sozialen Dramas. Der neorealistische Regiestil speist seine Inspiration aus den sozialistischen Überzeugungen des englischen Filmemachers. In seinen Werken wird die zeitgenössische gesellschaftapolitische Situation seines Landes wiedergespiegelt. Der bekennende Trotzkist sieht sich immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt.
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