Ricore
Brad Lewis über Pixars Qualitäten
Interview: Ratten sind keine Menschen
Der Name Pixar stand bisher für detailgetreue und verspielte Animation. Ihrem Markenzeichen will das Studio nun auch in "Ratatouille" gerecht werden. Dafür wagten sie sich an ein etwas anderes Sujet: Ratten. Trotz der vielen negativen Vorurteile gelang es Pixar, ihre Protagonisten rattenhaft und dennoch sympathisch aussehen zu lassen. Wie Produzent Brad Lewis in unserem Gespräch bestätigt, wollte Pixar auf keinen Fall die kleinen Nagetiere vermenschlichen.
erschienen am 16. 10. 2007
Pixar
Remy, die kochende Ratte
Ricore: Sie haben schon sehr gute Kritiken für "Ratatouille" bekommen. Haben Sie schon davon gehört?

Lewis: Ja, da war eine super Rezension von Tom Scott in der New York Times. Ich war sehr begeistert davon. Ich arbeitete sechs Jahre an dem Film und er ist mir fast so nahe wie ein kleiner Bruder. Es ist überwältigend, eine solche Kritik zu bekommen. Was will man mehr als Filmemacher?

Ricore: Warum wählten Sie eine Ratte als zentrale Figur?

Lewis: Das fragen sich die meisten Leute. Mir gefiel die Idee, das Publikum neugierig zu machen. Viele Menschen hassen Ratten. Ich hatte das Gefühl, sie würden in den Film gehen, mit der Einstellung, ich solle sie vom Gegenteil überzeugen. Gefällt es Ihnen nicht auch, etwas Unerwartetes zu sehen, wenn Sie ins Kino gehen? Außerdem war das Thema faszinierend. Eine Ratte zu sehen, die kochen will. Wir wollten Remy nicht verniedlichen, indem wir ihm lustige Kleider und einen Hut gaben. Er sollte eine richtige Ratte sein.

Ricore: "Ratatouille" ist eine sehr einfache Geschichte...

Lewis: Eine einfache Geschichte zu erzählen ist schwerer, als man glaubt. Mark Twain wurde von seinem Verleger beauftragt, eine zweiseitige Geschichte bis Freitag abzuliefern. Twain antwortete, bis Freitag könne er eine dreißigseitige Geschichte senden. Für eine Zweiseitige bräuchte er sechs Monate. Wir hatten Glück. Brad Bird ist ein meisterhafter Geschichtenerzähler, der die Story auf das Wesentliche konzentrieren kann.

Ricore: Hat die Arbeit zum Film genauso viel Spaß gemacht, wie dem Publikum das Ansehen?

Lewis: Wir hatten zwar eine Menge Spaß, aber die Leute bei Pixar sind trotz allem sehr zielorientiert und ernsthaft, wenn es um ihre Filme geht. Das ist auch wichtig, um Vertrauen zu gewinnen. Schauspieler und Produzenten verlassen sich auf uns, dass wir alles geben.

Ricore: Aber ist es nicht ein toller Job, den Sie machen?

Lewis: Sicher haben wir einen tollen Job. Aber als kreative Künstler sind wir auch sehr sensibel. Letztendlich ist es aber eine unglaubliche Sache. Auch wenn es mal hart wird. Unsere Arbeit ist Filmemachen. Ich beschäftige nicht 400 Leute für vier oder fünf Jahre, mit dem Ziel, etwas Mittelmäßiges zu schaffen. Wenn wir einen miesen Tag haben, vertrauen wir darauf, dass es am Nächsten wieder besser wird. Es wäre eine Sünde, nicht das Beste abzuliefern. Man muss das große Ziel immer vor Augen haben.

Ricore: Ist es nicht schwer, einem Animationsfilm Glaubwürdigkeit zu verschaffen?

Lewis: Unbedingt. Fiktion muss Authentizität und gleichzeitig Fantasie haben. Egal, ob es sich um einen Roman, einen Film oder ein Essen handelt. In dreidimensionaler Kunst müssen wir größtmöglichen Wert auf Details legen. Andererseits hat 3D-Animation auch etwas Malerisches an sich, die Farben, die wir verwenden, sind nicht jene der Natur. In diesem Sinne sind wir Maler, wie beispielsweise Van Gogh.
Pixar
John Lasseter mit Produzent Brad Lewis
Ricore: Welche Unterschiede gibt es bei der Produktion von Animationsfilmen?

Lewis: Wir machen keinen Unterschied zwischen einem Animations- und einem Realfilm. Wir erzählen eine Geschichte und versuchen die bestmöglichen Elemente zu vereinen. Uns gefallen Geschichten, Action, Abenteuer und vor allem Herz. Ob der Zuschauer fünf oder 75 Jahre alt ist, wir wollen, dass der Film Freude macht. Wir arbeiten im Animationsbereich, weil wir das lieben. Wir wollen heute das abliefern, was die besten Disneyfilme aus den 1950er und 1960er Jahren in der Lage waren, zu leisten. Sehen Sie sich die wundervolle Tierwelt an, die damals erschaffen wurde. Das wollen wir in der heutigen Zeit erreichen. Wir wollen so gut sein, wie Disney damals.

Ricore: Finden Sie nicht, dass der Titel etwas riskant war?

Lewis: "Ratatouille" war unser erster Gedanke für den Titel. Er gefiel uns, obwohl er hart zu lesen und hart auszusprechen ist. Mit der Zeit wurden wir etwas besorgter und machten eine lange Liste mit Alternativen, die alle schrecklich waren. Brad Bird sagte, wir sollen ihn so lassen.

Ricore: Es scheint, als ob die Geschichte im Mittelpunkt steht?

Lewis: Es gibt keinen Ersatz für gutes Geschichtenerzählen, egal wie großartig die technischen Möglichkeiten der Animation sind. Wir legen höchsten Wert darauf, so viel, dass wir sogar mit einem Hubschrauber zu Brad Bird geflogen sind, um ihm während seines wohlverdienten Urlaubs um Hilfe zu bitten. Bei Pixar ist man gewillt, alles zu tun, um die Kreativität zu sichern. Das ist bei anderen Firmen nicht so. Wenn man ein Problem hat, fragen unsere Produzenten, was sie tun können, um das Problem zu lösen. Andere Firmen geben einen vorgeschriebenen Geldbetrag und verlangen am Ende des Abgabetermins das Ergebnis.

Ricore: Was bedeutet es für Sie, einen Film zu machen, der in Paris spielt?

Lewis: Die großartige Sache bei Paris ist, das es zwar einschüchternd aber auch anregend ist, hier einen Film zu drehen. Es ist die Stadt der Liebe, die Stadt des Lichts. Es ist einschüchternd, wenn man einen Animationsfilm macht, in dem man diese Metropole mit dieser Atmosphäre widerspiegeln muss. Ein Restaurant zu kreieren, das sich mit den Restaurants hier messen kann, ist hart. Wir haben Kochkurse genommen. Die ersten drei Jahre machten wir gar keine Animation. Zuerst kam die Recherche. Das erinnert mich wieder daran, wie wichtig es ist, authentisch zu sein.

Ricore: Haben Sie Ratten studiert, um sich gut vorzubereiten?

Lewis: Wir hatten Hausratten, die wir studierten. Keine großen Ratten aus der Gosse. Vor denen wären wir auch davongerannt. Wir alle hassen ihre Schwänze, nicht wahr?

Ricore: Haben Sie die Hausratten noch?

Lewis: Ja, wir haben sie noch. Die sind wirklich süß.

Ricore: Haben Sie Ihnen die gleichen Namen wie im Film gegeben?

Lewis: Nein, wir gaben ihnen andere Namen: Fickle und Pickle. Nein, ich mache nur Spaß.

Ricore: Haben Sie schon ein neues Projekt?

Lewis: Ja, haben wir. Aber ich darf nicht darüber reden. Man lässt mich nicht.

Ricore: Vielen Dank für das nette Gespräch.

Lewis: Ich danke Ihnen und hoffe, der Film gefällt Ihnen.
erschienen am 16. Oktober 2007
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Ratatouille (Kinofilm)
John Lasseters Animationsstudio Pixar wagt sich in seinem achten Werk an ein delikates Thema: Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine Ratte mit einem außerordentlichen Geruchssinns. Sein größter Wunsch ist in einem Nobelrestaurant zu kochen. Doch wer nimmt schon eine Ratte als Koch bei sich auf? Wie in früheren Pixar-Werken fällt auch hier die Liebe zum Detail auf. Sowohl die innere als auch die äußere Charakterzeichnungen sind gelungen.
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