Kinowelt
Elephant
Formal und inhaltlich beeindruckend
Feature: Reizbare Elephanten
Jugend, Jugendliche und ihre Probleme waren schon immer wichtige Themen in den Filmen des Amerikaners Gus Van Sant. Bereits "My Private Idaho", der den Grundstein für Keanu Reeves Bilderbuchkarriere legte, schildert die Probleme der Noch-nicht-Erwachsenen auf seine ganz eigene Weise. War dieser Film rein formal allerdings noch recht konventionell gestrickt, so ist "Elephant", das neue Werk des Independent-Filmers, in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil. Für das schockierende Drama setzte Van Sant bis auf drei Profi-Schauspieler ausschließlich Laien ein, die nicht nur so heißen wie im realen Leben, die Rollen entsprechen auch zum Gutteil deren Lebensrealität.
erschienen am 24. 02. 2004
Noch ist alle in der Schule friedlich: Elephant
Das ist aber nicht alles. Der ganze Streifen wurde wie ein Dokumentarfilm gedreht, noch dazu ohne jeglichem Kommentar oder Erzähler aus dem Off. Hinzu kommen die sehr langen, unaufgeregt ruhigen Einstellungen, als Soundtrack hört man überwiegend Klaviersonaten von Beethoven. Einen richtigen Spannungsbogen, zumindest einen der konventionellen Art, hat "Elephant" auch nicht aufzuweisen. Trotzdem beeindruckt das ungewöhnliche Drama in einer Weise, wie dies nur wenige andere Filme schaffen. Das liegt zunächst an der Geschichte, die hier erzählt, oder besser: dargestellt, wird. Ein ganz normaler Schulalltag an einer US-Highschool, mit ganz normalen Schülern, ihren ganz normalen Problemen, Sorgen und Freuden, der allerdings gar nicht normal endet. Am Nachmittag werden viele der Schüler und Lehrer tot sein. Erschossen von zwei Schülern, denen wohl niemand richtig seine Aufmerksamkeit schenkte.

Reale Vorbilder für diese fiktive Tat gibt es freilich zuhauf: Der Zwölffach-Mord in Littleton, von Michael Moore in "Bowling for Columbine" analysiert, ist dabei der auf Grund des Filmes "populärste" der Vorfälle, bei denen minderjährige Schüler mittels Handfeuerwaffen mehr oder weniger blutige Gemetzel unter ihren Klassenkameraden anrichteten. Dabei deutet Gus Van Sant die sich anbahnende Katastrophe immer nur an, gibt dem Kundigen zarte Hinweise auf den End-Schrecken. Aber es gibt zumindest an diesem Tag kaum ein erkennbares Motiv für die Handlung der beiden Schüler. Sie haben die Tat von langer Hand ganz nüchtern geplant und sich im Internet mehrere schwere Schusswaffen bestellt. Aber sonst? Der eine, Alex, spielt Klavier, und spielt eher gelangweilt ein Videospiel, bei dem man Menschen in den Rücken schießen muss. Das machen andere auch. Alex wird allerdings ein bisschen viel geschnitten, gehänselt und von den populäreren Mitschülern regelrecht gequält und gedemütigt.
Hat es in der Schule auch nicht leicht
Mehr als mit der inhaltliche Ebene beeindruckt "Elephant" allerdings durch die kühle, distanzierte Erzählweise. Die Kamera beobachtet verschiedene Schüler, teils einzeln, teils zu mehreren, was sie an diesem Tag in der Schule treiben. Ganz ohne Kommentar oder dramaturgische Erhöhung. Van Sant stellt den Tag an der namenlosen Schule nicht linear dar, sondern für jeden Schüler getrennt. Die jeweilige Schilderung endet immer mit einem merkwürdigen und seltsam bekannten metallischen Klicken.

In gewisser Weise ist "Elephant" das Gegenteil zu Michael Moores filmischer Polemik. Van Sant versucht gar nicht erst, irgendwas zu erklären oder Schuldige zu finden, er stellt einfach aus. Durch diese, gerade für so ein Thema ungewöhnlich kühle, Schilderung der Ereignisse schafft er es, den Schrecken viel näher an den Zuschauer heran zu bringen. Der Alltag an einer US-Highschool mag sich zwar von dem an einer deutschen Schule unterscheiden. Aber die Probleme der Teenager sind die gleichen. Der Titel des Filmes geht auf ein Werk des britischen Filmemachers Alan Clarke zurück in dem sich Clarke mit der Gewalt in Nordirland beschäftigte. Manche Probleme, so begründete Clarke seine Namensgebung, ließen sich eben so leicht übersehen wie ein Elefant im Wohnzimmer. "Elephant" macht das Übersehen noch etwas schwerer und das ist gut so.
erschienen am 24. Februar 2004
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Elephant (Kinofilm)
Gus Van Sant erzählt bevorzugt von Teenagern. Doch seine Filme sind beileibe keine Hollywood-Mainstream-Plattitüden, vielmehr thematisiert Van Sant Kindheitstraumata, unglückliche Liebesbeziehungen, Schicksale aus den sozialen Subkulturen Amerikas. Mit Filmen wie "My Private Idaho" und "Good Will Hunting" ist er auch in Europa längst ein Begriff für anspruchsvolle Jugenddramen. "Elephant" beschreibt einen Tag an einer US-Highschool. Schüler und Lehrer sind wie jeden Schultag mit ihren..
Gus van Sant erzählt bevorzugt von Teenagern. Doch seine Filme sind beileibe keine Hollywood-Mainstream-Plattitüden, vielmehr thematisiert van Sant Kindheitstraumata, Homosexualität, unglückliche Liebesbeziehungen, Schicksale aus den sozialen Subkulturen Amerikas. Mit Filmen wie "My Private Idaho" und "Good Will Hunting" hat er sich auch in Europa einen Namen für anspruchsvolle Jugenddramen gemacht. Für "Milk" erhielt er seine zweite Oscar-Nominierung als bester Regisseur.
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