Jean-François Martin/Ricore Text
Woody Allen in Cannes
Woody Allens trostlose Jahre
Starfeature: Der scharfsichtige New Yorker
Über sein Privatleben spricht er nicht gerne, dennoch glaubt man ihn durch seine Filme zu kennen. Seit den 1960ern denkt sich der Mann mit Hornbrille und Cordhose Geschichten über seine Heimatstadt New York, seine jüdischen Wurzeln, die vermeintliche Bedeutungslosigkeit des Lebens, die Beziehung zwischen Mann und Frau und deren Neurosen aus.
erschienen am 18. 12. 2005
Prokino Filmverleih
Woody Allen mit Scarlett Johansson am Set von Match Point
Für ihn ist die Welt ein trostloser Ort, den er nur erträgt, indem er sich darüber lustig macht. Deshalb schreibt Woody Allen seit 1969 immer wieder tragisch-komische Erzählungen, inszeniert dieselben und spielt meist die Hauptrolle. Für ihn ist Arbeit die beste Therapie und diese scheint ihm gut zu bekommen. Immerhin feierte er allem Weltschmerz zum Trotz am 1. Dezember 2005 bereits seinen 70.Geburtstag.

Wie erträgt ein eingefleischter Melancholiker wie Woody Allen die angeblich so düstere Realität? Zumindest teilweise wird sie ihm - wie uns allen - durch die Liebe erträglich. In einem Interview mit "Der Zeit" beschreibt der maßgebliche Stadtneurotiker dies folgendermaßen: "Das Leben besteht aus Strategien mit dem Leben klarzukommen. Eine sehr angenehme Strategie besteht darin, sich mit dem anderen Geschlecht einzulassen. Ablenkung durch physische Lust und Obsession funktioniert immer noch am besten." Vielleicht ist diese Anschauung auch der Grund, warum der Sohn jüdischer Einwanderer bereits zum vierten Mal verheiratet ist - von seinen vielen Affären mal ganz abgesehen. So war er unter anderem mit Diane Keaton liiert. Allen behauptet, dass ihn romantische Beziehungen über sein bevorstehendes Ende, den Tod, wenigstens ein bisschen hinwegtrösten könnten.
Die Werke des überzeugten New Yorkers veranschaulichen herrlich, dass man die Anziehung zwischen den Geschlechtern einfach nicht mit dem Verstand erklären oder gar lenken kann. Liebe ist launenhaft, unfassbar, führt uns in den siebten Himmel und bricht Herzen. In "Hannah und ihre Schwestern" etwa betrügt ein Mann seine Ehefrau ausgerechnet mit deren Schwester. Nicht nur in seinen Filmen, auch persönlich kann Allen von den Irrwegen der Gefühle und Twist zwischen Ex-Partnern ein Lied singen. Seine erste Ehefrau Harlene Rosen etwa klagt ihn nach der Scheidung Anfang der 1960er wegen Rufmord an. Immer wieder hat ihr Verflossener sein Publikum auf ihre Kosten amüsiert. Als Entschädigung erhält Rosen am Ende der Gerichtsverhandlung - sage und schreibe - eine Million Dollar.

Für negative Schlagzeilen sorgt Woody Allen 1992. Seine damalige Frau Mia Farrow beschuldigt ihn der sexuellen Belästigung ihrer Kinder. Am Ende stellt sich heraus, dass er sie mit der gemeinsamen, aber bereits mündigen, Adoptivtochter Soon-Yi Previn betrügt. Ein Skandal, der Allen viele weibliche Fans kostet. Wenigstens beweist er, dass dieser Fehltritt lediglich aus Liebe und nicht etwa böser Absicht geschieht. 1997 heiratet er Soon-Yi und adoptiert mit ihr zusammen erneut zwei Kinder. Denn an sich träumt der vermeintliche Stadtneurotiker vom lebenslangen Glück. Seiner Meinung nach kann man mit ein und demselben Partner über Jahre hinweg mehr Lust und Vergnügen erleben, als mit mehreren. Klingt romantisch, ist aber eigentlich doch belanglos. Denn "nur solange wir hier sind, haben die Dinge Bedeutung."
erschienen am 18. Dezember 2005
Zum Thema
Woody Allen zählt zu den bekanntesten und anerkanntesten Filmemachern des amerikanischen Independentkinos. Der am ersten Dezember 1935 in Brooklyn geborene Allan Steward Königsberg realisiert seine Filme als Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Produzent. Durch seine eigenwilligen, skurrilen und bittersüßen Werke schuf sich Allen weltweite eine große Fangemeinde. Viele seiner frühen Filme haben bis heute an Frische, Spritzigkeit und intellektuelle Schärfe nichts eingebüßt. Allen wurde in..
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