Walt Disney
Andrew Stanton auf der Wall-E-Premiere
Alle sind gleichberechtigt
Interview: Andrew Stantons Pixar-Vision
Andrew Stantons Pixar-Meisterwerk "Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf" schlug beim US-Start alle Rekorde. Der kleine Roboter Wall-E und seine Liebe zur Roboterdame Eve ließ auch erwachsene Herzen nicht kalt. In unserem Gespräch muss sich der erfolgsverwöhnte Stanton aber unseren harten und schonungslosen Fragen stellen. Stanton blieb locker und berichtete entspannt von Wall-Es Entstehungsgeschichte und warum bei Pixar jeder seinen Senf dazu geben darf.
erschienen am 29. 09. 2008
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Wall-E auf Promotiontour
Ricore: Ist es normal, dass Sie so lange an einem Film arbeiten und dabei Ihre anfänglichen Intentionen weitgehend erhalten können.

Andrew Stanton: Ja, ich bin es allerdings gewohnt, dass meine Filme viel Zeit in Anspruch nehmen. Es ist ein bisschen so wie die Schulzeit, die man mit dem Abgangszeugnis abschließt.

Ricore: Wie halten Sie die Begeisterung für ein Projekt warm?

Stanton: Das ist schwer. Die eigentliche Arbeit ist ja nicht der Film selbst. Mitunter verbringt man drei, vier Jahre damit, das Drehbuch immer und immer wieder umzuschreiben. Manche Leute glauben, dass wir ständig tolle Ideen hätten und Genies seien. Dabei tun wir uns damit genauso schwer wie jeder andere auch. Es ist ein großer Vorzug, ein Drehbuch immer weiter entwickeln zu können. Oft werden wir auch von unseren Ansprechpartnern regelrecht dazu ermutigt, dabei Risiken einzugehen und Fehler zu machen. Denn das ist der einzige Weg, um zu besseren Lösungen zu gelangen. Auf diese Weise muss man nicht mit Lösungen Vorlieb nehmen, die dann doch nicht funktionieren. Das kommt allerdings auch oft vor. Würden Sie die vollen vier Jahre Vorbereitungszeit mit uns verbringen, würde Ihnen das wie ein ziemlich schrecklicher, langweiliger Film vorkommen. Wir arbeiten einfach so schrecklich lang daran.

Ricore: Manche Ihrer Konkurrenten arbeiten anders. Sie gehen von einer Idee aus und versuchen so, eine Story zu finden. Sie scheinen eher an einer Story zu arbeiten und so mit der Zeit die Idee dahinter zu finden.

Stanton: Ich glaube nicht, dass es da eine bestimmte Reihenfolge gibt. Man kann sein Gehirn schwer kontrollieren, wenn einem etwas einfällt. Die Frage ist: Hat man beim Schreiben zunächst das einzelne Wort oder bereits einen kompletten Satz im Kopf? Bestimmte Ideen kommen einfach auf einen zu, man sammelt sie, ändert pausenlos etwas daran...
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Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf
Ricore: Arbeiten Sie weniger konzeptgesteuert?

Stanton: Das kommt darauf an. Ich habe noch nicht so viele Filme gemacht - sieben oder acht. Meine Anregungen sind ganz unterschiedlicher Natur. Manchmal entstehen sie aus einem Wort, einem Konzept oder aus einer Situation heraus. Bei "Wall-E" war der Einfall für eine Figur der Ausgangspunkt. Dann haben wir die passende Story zur Figur gefunden. Etwa zur Halbzeit der Vorbereitung eines Films passiert immer dasselbe: Man hat alle Zutaten beisammen, und dennoch schmeckt das zubereitete Gericht scheußlich. Also muss man weiterarbeiten.

Ricore: Wenn man die Figur des Roboters Wall-E betrachtet, fühlt man sich an Filme wie "E.T. - Der Außerirdische" oder "Nummer 5 lebt!" erinnert.

Stanton: Das ist witzig, weil mir selbst der Gedanke nie gekommen ist. Ich würde es zugeben, wenn es anders wäre. "Nummer 5 lebt!" habe ich übrigens niemals gesehen. Wann ist der Film herausgekommen?

Ricore: 1986.

Stanton: E.T. habe ich natürlich geliebt. Aber bei der Vorbereitung meines neuen Films hatte ich ihn nicht im Sinn. Manche Leute haben mich auf Ähnlichkeiten zwischen beiden Figuren angesprochen. Ich glaube, bestimmte Bewegungen der beiden Figuren ähneln einander. Aber bei meiner Arbeit habe ich wirklich nicht an E.T. gedacht.

Ricore: Können Sie uns etwas über Ihre Grundidee zu "Wall E" erzählen?

Stanton: Das Konzept war, etwas in der Richtung des früheren Pixar-Films "Die kleine Lampe" zu machen. Eine Maschine zu beobachten, die ein Eigenleben führt. Das war es, was uns interessiert hat. Als wir dieses Konzept vor 14 Jahren vorstellten, dachten wir uns: Niemand wird uns einen solchen Film machen lassen. Damals hatten wir "Toy Story" noch nicht fertig gestellt. Also haben wir das Konzept zu "Wall-E" erst einmal zur Seite gelegt. Heute bin ich froh, dass es so gekommen ist. Denn in der Zwischenzeit haben wir uns zu besseren Filmemachern entwickelt. Auch die technischen Möglichkeiten haben sich seither weiterentwickelt. Und auch das Publikum ist mit dieser Art von Filmen inzwischen vertrauter. Heute ist es bereit, sich auf einen Film wie den unseren einzulassen. Insofern lagen wir jetzt vom Timing her viel, viel besser als 1994.
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Wall-E ist mehr als eine Schrottsortieranlage
Ricore: Wie lange haben Sie an der Story zu "Wall-E" geschrieben?

Stanton: Die Grundidee zu einer Geschichte auszubauen, hat sieben, acht Jahre gedauert.

Ricore: Wie lautete die Grundidee in einem Satz zusammengefasst?

Stanton: Dass die Menschheit die Erde verlassen und dabei vergessen hat, den letzten Roboter auszuschalten. Also arbeitet der Roboter weiter vor sich hin...

Ricore: Von wem stammt die Grundidee?

Stanton: Von mir und Peter Docter. Deshalb werden wir beide als Autoren genannt. Während der Arbeiten an "Findet Nemo" musste ich Änderungen am Drehbuch vornehmen. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, diese Arbeit zu machen. Da begann ich, erneut über die Story von "Wall-E" nachzudenken. Statt an "Findet Nemo" habe ich dann an "Wall-E" geschrieben. Und binnen einer Woche hatte ich den ersten Teil des Drehbuchs fertig. So etwas passiert mir sonst eigentlich nie. Mir war klar: Als nächstes muss ich diesen Film machen. Etwa 2002 habe ich also mit dem Schreiben begonnen und Ende 2003 lag die erste Drehbuchfassung vor.

Ricore: Hatten Sie da bereits Vorstellungen, wie Wall-E aussehen würde?

Stanton: Nein, das war schwierig. Eben so wie ein Roboter. Bei unserem Studio haben die Kreativen das Sagen. Wenn also irgendein Vorschlag oder Entwurf innerhalb des Studios nicht gefällt, kann man darüber diskutieren. Bei uns bestimmen nicht Manager oder Geschäftsleute darüber. Also waren es Gespräche von Künstler zu Künstler über die Umsetzung dieses 90-Minuten-Stoffs. Im Grunde wollte ich wenig Zeit mit Diskussionen verschwenden. Ich bin ungeduldig, mag dieses Gerede nicht. Lieber probiere ich Dinge praktisch aus. Ich wusste, dass wir mit monatelangen Diskussionen nicht weiterkommen würden. Das wäre in etwa so gewesen, als hätten wir eine neue Farbe erfinden wollen. 2004 meinten dann einige, dass ich nach Abschluss von "Findet Nemo" Urlaub machen würde. Habe ich aber nicht. Meine Kollegen haben das jedoch nicht bemerkt, weil sie mit anderen Dingen zu tun hatten. Damals bekam ich drei Story-Board-Zeichner und einen Editor zur Verfügung gestellt. Gemeinsam haben wir vor uns hin gearbeitet und kamen so zu einem Entwurf der ersten 20 Minuten von "Wall-E".
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Eve
Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee für die Figur von M-O?

Stanton: Als ich mit "Wall-E" offiziell beauftragt wurde, war klar, dass die Produktion der Roboter-Figuren von ein- und denselben Leuten ausgeführt werden sollte. Gemeinsam haben wir das Spektrum abgesteckt, das die Roboter leisten sollten. Dabei kann man so kompliziert und teuer verfahren wie bei der Figur von Eve oder so einfach und billig wie bei Wall-E. Diese Möglichkeiten zu kennen, hat unseren Designern enorm geholfen. Die haben dann alle möglichen Entwürfe und Varianten geliefert. Da konnte man richtig nach Katalogauswahl vorgehen.

Ricore: Sie haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Maschine zu vermenschlichen.

Stanton: Das liegt in der Natur des Animationsfilmers. Über so etwas denken wir nicht groß nach. Das ist ja genau mein Ziel seitdem ich zwei Jahre alt bin. Früher dachte ich, mein Fahrrad würde sich bei Regen einen Schnupfen holen, oder mein Goldfisch könnte sich in seinem Aquarium einsam fühlen. Genauso gut könnten sie einen Fußballspieler fragen: Wie fühlen Sie sich beim Anstoß des Balls? Man macht das einfach ohne darüber nachzudenken. Für uns ist es Teil des gesunden Menschenverstands, dass ein Roboter nicht einfach so zu sprechen beginnt. Die größte Herausforderung bestand für uns darin, daraus eine 90-Minuten-Geschichte zu machen. Ich habe viele kurze Animationsfilme angesehen oder auch die Filme von Jacques Tati. In denen werden tolle Geschichten mit wenigen Dialogen, dafür aber unter Einsatz vieler Geräusche erzählt.

Ricore: Eine Frage zur Story: Wie pflanzen sich die Menschen eigentlich innerhalb der Raumschiffe fort?

Stanton: Da möchte ich lieber nicht in die Details gehen. (lacht)

Ricore: Warum haben sie die Menschen physisch so verändert dargestellt? Im Film erscheinen sie als verfettete Wesen.

Stanton: Ich bin von der Idee ausgegangen, dass dies eine Folge der Evolution sei. Dass sich die Menschen zu fetten Babys entwickelt haben. Wir haben monatelang Neugeborene beobachtet und alles analysiert, was den speziellen Ausdruck von Babys ausmacht. Im Grunde sehen Babys ja bereits wie Cartoon-Figuren aus. Also haben wir uns eine Theorie zurechtgelegt, dass die Menschen in den Raumschiffen von Natur aus zu kleinen, zarten Wesen mutiert sind. Wesen, die keinem nützlichen Zweck mehr dienen, aber auch keinen Kämpfen oder Naturgewalten mehr ausgesetzt sind. Dadurch können sie es sich erlauben, einfach nur lieb und nett zu bleiben.
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Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf
Ricore: Sie haben vorhin über technische Verfahren gesprochen…

Stanton: Ja, wobei ich sagen muss, dass ich diese ganzen technischen Fragen ziemlich langweilig und wenig sexy finde. Es ist die Arbeit an einer Story, die faszinierend ist.

Ricore: Dabei ist Pixar doch ein sehr stark auf Technik ausgerichtetes Studio.

Stanton: Ehrlich gesagt, gab es bei diesem Film nicht allzu viele technische Probleme zu lösen. Zum Beispiel haben wir dasselbe Paint-Set verwendet, das auch bei "Ratatouille" oder "Cars" eingesetzt wurde. Wir haben es nur etwas anders eingesetzt.

Ricore: Ist aber nicht doch so, dass ein entscheidender Zusammenhang zwischen der Technik und der Machart einer Story besteht?

Stanton: Ich erinnere mich an unsere internen Diskussionen bei "Toy Story". Damals fanden wir, dass "Toy Story" im Begriff war, der scheußlichste all unseren bisherigen Filmen zu werden. Einfach weil die technische Komponente überhand nahm, so etwas lässt sich dann nicht mehr stoppen. Wir sind dann davon abgekommen, uns um technische Fragen zu sorgen und stattdessen der Story unsere ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Auch heute noch sehe ich mir Filme wie "Krieg der Sterne" oder "Schneewittchen und die sieben Zwerge" an. Natürlich entdeckt man dort die altmodische Tricktechnik von einst. Aber das hält mich nicht davon ab, mich voll und ganz der Handlung zu widmen. Und das sehen wir eben auch heutzutage. Die Technik ist einem ständigen Wandel unterworfen. Warum sich also darum Sorgen machen.

Ricore: Ab wann war Sounddesigner Ben Burtt in das Projekt involviert.

Stanton: Sehr frühzeitig.

Ricore: Seine Toneffekte sind eine große Unterstützung für die Bewegungen der Roboter.

Stanton: Zu Beginn der Arbeit an "Wall-E" haben wir uns Gedanken gemacht, welcher Art die Sprache der Roboter und die Toneffekte sein könnten. Mein Produzent kam damals auf die Idee, Ben Burtt für die Soundeffekte zu engagieren. Ich fand das umwerfend, weil ich ein großer Fan von Ben Burtt bin. Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich "Krieg der Sterne" im Kino gesehen und dabei erstmals Bens Sounddesign erlebt. Ben und mein Producer Jim Morris leben in derselben Stadt. Also meinte Jim, ich solle Ben doch einfach mal anrufen. Das habe ich gemacht, schließlich ist Jim mein Boss. Ben kam dann zu uns ins Studio und ich erzählte ihm die Story, die damals noch etwas anders war. Eigentlich dachte ich, dass Ben von Robotern doch ein für allemal genug haben müsse. Doch glücklicherweise hat er uns zugesagt.
Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Andrew Stanton
Ricore: Sie gelten als Perfektionist. Wann ist die Arbeit an einer Story für Sie abgeschlossen?

Stanton: Den hundertprozentig perfekten Film gibt es ja nicht. Das ist genauso als ob Sie sich selbst im Spiegel betrachten. Dabei werden Sie immer etwas entdecken, was nicht exakt stimmt. Genauso ist es mit einem Film.

Ricore: Wie können Sie mit dem Endergebnis dann jemals zufrieden sein?

Stanton: Ich habe mich einfach an die Abläufe gewöhnt. Dass irgendwann der Tag kommt, an dem mein Film ins Kino kommt. Dann muss man eben sehen, was damit wird.

Ricore: Aber irgendwann müssen Sie mit einer Story doch abschließen.

Stanton: Keineswegs, in meinen Gedanken arbeite ich noch heute an "Toy Story".

Ricore: Sie haben vorhin über Ihre Kindheit erzählt und darüber, dass Sie bereits frühzeitig Animationsfilmer werden wollten. Wie sind sie in diesen Job hineingekommen?

Stanton: Ich war so ein Kind, das pausenlos gezeichnet hat, auch in der Schule. Übrigens hatte ich eigentlich Schauspieler werden wollen. Die meisten meiner Freunde waren älter als ich und hatten die High School bereits verlassen. Als sie sich um Aufnahme an einer Schauspielschule bewarben, sind sie alle durchgefallen. Da habe ich gemerkt, wie schwer es in diesem Beruf ist, sich durchzusetzen und den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Also bin ich wieder aufs Zeichnen gekommen. Damit sollte sich doch Geld verdienen lassen. Dann fiel mir eine Broschüre der Californian Institute of the Arts in Los Angeles in die Hände. Dieses Institut ist übrigens von Walt Disney gegründet worden. In den späten 1970er Jahren war es eine ungewöhnliche Entdeckung, dass ein solches Institut überhaupt existierte. Der Beruf des Animationszeichners war damals ja nur wenigen bekannt. Als ich die Broschüre las, wurde mir klar: Genau das möchte ich beruflich machen. Denn der Animationsfilm hatte mit allem zu tun, wofür ich mich interessierte: Schauspielerei, Musik, Rhythmus, Zeichnen und eben Filmemachen.
erschienen am 29. September 2008
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