BR/Kerstin Stelter
Sylvester Groth geht baden in "Keiner geht verloren"
"Synchronsprechen mag ich nicht"
Interview: Original Sylvester Groth
Es ist heiß am Tag unseres Interviews. Wir treffen Sylvester Groth auf der Terrasse des Gasteigs in München, zum Glück geht ein kleiner Wind. Mit Sonnenbrille und Zigarette im Mund steht uns der Darsteller Rede und Antwort. In dem TV-Film "Keiner geht verloren" spielt er einen orientierungslosen Schauspieler. Zuvor machte sich der in Jerichow geborene Groth mit der Darstellung Joseph Goebbels einen Namen. Wir werden auch politisch und sprechen über die negative Kritik zu der Parodie über das Dritte Reich. Außerdem verrät uns Groth, warum es nichts bringt, Pläne zu schmieden.
erschienen am 29. 09. 2010
Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion
Keiner geht verloren
Ricore: Hotte in "Keiner geht verloren" ist vom Leben gebeutelt. Kennen Sie das aus Ihrem eigenen Leben?

Sylvester Groth: Doch, ja. Hotte ist mir zumindest nicht fremd, sondern sehr sympathisch. Gerade dadurch. Obwohl er auf der anderen Seite schon sehr merkwürdig ist. Ein komischer Kauz. Er denkt und lebt eben anders, auch weil er schon andere Erfahrungen gemacht hat. Zudem hat er nichts zu verlieren. Zwar hat er ein Problem, lässt dieses aber nicht an den anderen aus. Hotte habe ich von Anfang an geliebt.

Ricore: Im Film wird das Aufeinanderprallen zwischen Ost und West nach 20 Jahren Vereinigung thematisiert. Entspricht dies der Realität?

Groth: Es ist einfach gelebtes Leben, was da aufeinander prallt. Sie haben lange ohne einander gelebt, dann kriegen sie plötzlich gesagt, sie sollen zusammen leben. Das ist totaler Quatsch, weil Bayern immer Bayern geblieben sind, genauso Preußen immer Preußen, Sachsen eben Sachsen. Ich verstand schon damals nicht, warum da in Berlin so eine wilde Aufregung entstand, es war schließlich immer eine Ansammlung von Dörfern. Einer aus Charlottenburg fährt nicht nach Kreuzberg. Die damalige Angst, dass jetzt alles eins würde, war total blödsinnig.

Ricore: Hat daran etwas geändert?

Groth: Es ist ein wenig besser. Die Angst, dass jemand in den jeweiligen Bezirk einbrechen könnte, hat sich zum Glück gelegt. Wenn ich auf dem Prenzlauer Berg wohne, warum soll ich denn dann nach Tiergarten fahren? Das Tolle an Berlin ist die Vielfalt, da kann jeder sein Ding machen. Deswegen lieben die Leute aus dem Ausland Berlin auch so, was ein Berliner gar nicht so mitbekommt.
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Sylvester Groth wechselt in "Whisky mit Wodka" die Fronten
Ricore: Welche Erfahrungen konnten Sie bislang mit einem bayrischen Stereotyp machen?

Groth: Außer der Sprache eigentlich nicht viel. Da sie anders sprechen, denken sie auch anders. Das ist meistens so. Die Bayern sind ein wenig langsam, finde ich. Das ist keineswegs wertend gemeint, es ist hier einfach anders, weil es im Süden liegt. Bayern ist weit weg von allem, ist autonom. Es heißt nicht umsonst 'Freistaat Bayern'. Hier herrscht eine ganz andere Lebensauffassung.

Ricore: Wie finden sie diese Lebensauffassung?

Groth: Sehr angenehm und entspannt. Vielleicht nicht auf Dauer, weil ich anderes gewohnt bin, aber manchmal mag ich das.

Ricore: Was sind Sie denn gewohnt?

Groth: In Berlin herrscht einfach ein ganz anderes Tempo, was aber kein Nachteil ist. So bin ich aufgewachsen.

Ricore: Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie gerade kein Engagement haben?

Groth: Die verbringe ich sehr gut (lacht).

Ricore: Sie sind also nicht das, was man sich unter einem Arbeitstier vorstellt?

Groth: Das war ich früher, man wird schließlich auch älter. Mittlerweile genieße ich die Freizeit, die ich habe. Man weiß auch, dass man wieder was machen wird. Insofern bin ich da entspannt. Ich kann mir meine Freizeit sehr schön gestalten, indem ich ein Buch lese oder mich den Hörspielen widme. Das ist die andere Leidenschaft für die Sprache.
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Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler
Ricore: Wie ausgeglichen ist diese Liebe?

Groth: Ich mache beides sehr gerne. Ich mache alles gerne und würde nichts nur ausschließlich machen wollen, das wäre mir viel zu langweilig.

Ricore: Gibt es etwas, das Sie nicht mögen?

Groth: Synchronsprechen mag ich nicht. Ich sehe mir einen Film lieber im Original an. Ich verstehe nicht, warum das in Deutschland nicht durchgesetzt werden kann. Immer heißt es, die Leute seien zu faul, die Untertitel würden das Bild beschädigen. Akustisch ist ein nicht synchronisierter Film aber eine ganz andere Welt, man sieht einen ganz anderen Film, wenn man das Original hört. Auch wenn ich Chinesisch nicht verstehe, will ich den Film im Original sehen. Wie dort gesprochen wird, ist einfach anders, genau wie die Bewegungen. Da gehört die Originalsprache einfach dazu. Synchronisiert wäre das nur merkwürdig. Das würde ich mir für Deutschland wirklich wünschen. Trotzdem ist Synchronsprechen auch eine schwierige Kunst.

Ricore: Synchronsprechen wollen Sie nicht. Welcher Ihrer Träume wartet noch auf seine Erfüllung?

Groth: Weiß ich nicht, was aber nicht heißen soll, dass ich irgendwie desillusioniert wäre. Ich möchte auf jeden Fall meinen Beruf noch so lange wie möglich ausüben.

Ricore: Welche Auswirkung hatte die Auszeichnung mit dem Deutschen Kritikerpreis für die Rolle Joseph Goebbels?

Groth: Welche Auszeichnung? (lacht)

Ricore: Schon vergessen? Für die Darstellung Goebbels in Dani Levys "Mein Führer".

Groth: Ach. Preise haben gar keine Bedeutung, das interessiert mich nicht. Klar ist es schön, aber nicht ausgezeichnet zu werden, macht mich auch nicht traurig. Was mich freut ist, wenn Leute sich etwas ansehen und dann positives Feedback geben. Viel wichtiger ist es, gute Arbeit zu leisten. Vor allem, wenn man sich ansieht, wer alles Preise bekommt. Für mich haben Preise nie eine Rolle gespielt. Viel besser ist es doch, wenn man eine Auszeichnung erhält, indem Leute auf eine vorige Rolle anspielen und dich aufgrund dieser Leistung engagieren wollen.
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Sylvester Groth
Ricore: Spielen Sie auf Tarantino an?

Groth: Das war ein ganz normales Casting. Tarantino kannte den Levy-Film, in dem ich Goebbels schon mal gespielt hatte. Ich dachte mir damals nur, schon wieder Goebbels. Aber er ist nicht der schlechteste Regisseur. Es war ein wunderbares Vorsprechen, das einen Riesenspaß gemacht hat. Nicht mal eine Kamera war da. Tarantino ist sehr autonom, da er entscheidet, wer spielt. Das Tolle war, dass er nicht erst noch Sachen nach Los Angeles schicken musste, um sich den Segen irgendwelcher Produzenten zu holen.

Ricore: Welche Ihrer beiden Goebbels-Rollen war die schwierigere?

Groth: Bei Dany Levy bestand die Schwierigkeit darin, dass ich vorher noch keine so komödiantische Rolle gespielt habe. Und dann diese Figur, was eine ziemlich heikle Sache ist. Die Figur ist schwierig und sehr reizvoll zugleich. reizvoll, weil es für einen Schauspieler sehr dankbar ist. Goebbels hat bestimmte äußere Merkmale, sowie charakterliche Eigenheiten. Das war bei Dani Levy sehr schön geschrieben, genauso bei Quentin Tarantino, wenn auch ein wenig anders.

Ricore: Bestanden Zweifel, als Sie die Rolle für "Mein Führer" angeboten bekamen?

Groth: Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ich bin damals auch zum Casting gegangen, dachte mir, ich könnte Dani Levy mal kennenlernen. Da bin ich Simone Bär vom Internationalen Casting in Berlin sehr zu Dank verpflichtet. Sie hat mich vorgeschlagen, Herr Levy kannte mich gar nicht. Ich bin dann hin und wir haben inmitten einer sehr schönen Dekoration gespielt. Danach ist es schon ziemlich schnell mit dem Dreh losgegangen. Als das OK kam, war ich aber echt überrascht.

Ricore: Mit diesem Film wurde damals auch die Diskussion angeheizt, ob man einen solchen Schrecken wie Goebbels überhaupt parodieren soll. Wie stehen Sie dazu?

Groth: Ich finde nicht, dass es eine Parodie ist. Ich fand schon, dass ich Goebbels im Kern getroffen habe.
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Sylvester Groth gibt Regieanweisungen
Ricore: Goebbels selbst ist doch allein vom Naturell her eine Parodie, oder?

Groth: Ja. Es ist auch so schwer zu begreifen, wie man diesen Leuten so auf den Leim gehen kann. Irgendetwas muss er aber gehabt haben, sonst wären ja nicht Millionen von Menschen dahin gerannt. Aber wenn man mal die Reden von Goebbels liest und das ganze ohne den Hintergrund und sein Geschrei betrachtet, ist es toll aufgebaut - rein rhetorisch. Er war richtig klug. Er ist nicht umsonst Filmmogul geworden und hat sich die UFA unter den Nagel gerissen. Er wusste über die Wirkung des Films genau Bescheid. Nicht umsonst sind einige Filme im Giftschrank gelandet. Die sind handwerklich so perfekt und deswegen auch so gefährlich. Darin liegt das Perfide. Goebbels hätte vermutlich alles gut verkauft, er war seinerzeit wohl der beste PR-Mann. In Bezug auf die Diskussion finde ich es wichtig, diese Klugheit auch mal mit Humor zu betrachten. Eine Dämonisierung bringt nichts. Man muss hinter die Funktionsweise sehen.

Ricore: Inwiefern ist es gerechtfertigt, dass im Zuge der Diskussion eine Ironisierung der geschichtlichen Ereignisse so negativ kritisiert wurde?

Groth: Nein, überhaupt nicht. Vielleicht ist Levy nicht weit genug gegangen. Während der Arbeit hatten wir einen Heiden-Spaß, haben es aber gleichzeitig auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit gemacht. Es ist ein sehr guter Film geworden. Da müsste man anknüpfen.

Ricore: Welche Wirkung würde von einer Anknüpfung ausgehen?

Groth: Es würde noch feiner, noch komischer und noch böser werden. Komik bewirkt immer eine Verarbeitung von Sachen, dass man auch aus dieser vermeintlich-historischen Betrachtung der Dinge herauskommt. Es muss immer wieder aufgebrochen werden, sonst wird Deutschland dieses Faschismus-Ding nie los.
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Sylvester Groth mit Andreas Dresen auf der Premiere
Ricore: Würden Sie nochmal in die Rolle Goebbels' schlüpfen?

Groth: Wenn mir ein toller Regisseur ein Angebot macht, warum nicht. Wobei ich anfangs bei dem Angebot von Tarantino auch Zweifel hatte. Schließlich ist es in Deutschland so, dass man eher nicht zwei Mal das Gleiche spielt. Aber warum eigentlich nicht? Man kann einen Charakter auch zehn Mal spielen, muss aber aufpassen, dass man niemand wird, der nur auf eine Rolle festgelegt ist. Es kommt immer auf die Qualität an.

Ricore: Gibt es eine Rolle, die Sie aus Prinzip ablehnen würden?

Groth: Kinderschänder.

Ricore: Warum?

Groth: Natürlich kommt es auf die Geschichte an. Aber das ist ein sehr heikles Thema. Das wird sehr schnell voyeuristisch und eigenartig. Da man darüber spricht, ist es kein richtiges Tabu. Aber was Kindern angetan wird, finde ich ekelhaft und furchtbar.

Ricore: Vor was für einer Grenze stehen Sie da?

Groth: Wenn man eine Figur spielt, will man diese Figur einnehmen, man will ihr Recht geben. Das wäre mir bei Kinderschändern zu heikel, das würde ich nicht wollen. Das wäre nicht mein Thema.

Ricore: Goebbels ist doch auch eine sehr negative Figur, der man eigentlich nicht Recht geben kann.

Groth: Mit Goebbels kann man sich aber anders auseinandersetzen. Das kann man nicht vergleichen. Ich finde einfach, dass man bestimmten Sachen keinen Raum für eine Diskussion geben sollte. Das ist eine Frage von Moral und Ethik, was heutzutage in Vergessenheit gerät. Alle glauben immer, über alles reden zu können. Das kann man aber nicht. Für bestimmte Dinge fehlt die Sprache. Da müssen auch Tabus eingehalten werden.
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Am kalten Set von "Whisky mit Wodka"
Ricore: In "Zarte Parasiten" spielen Sie einen Vater, der seinen Sohn verloren hat und ihn durch einen anderen Jungen zu ersetzen versucht. Inwiefern wird dort ein gesellschaftliches Tabu gebrochen?

Groth: Das finde ich absolut toll, was da passiert. Einer gibt die Zuneigung gegen Geld, der andere kauft sie sich für Geld. Ich halte das für ein sehr spannendes Thema.

Ricore: Inwiefern hat eine solche Geschäftsidee etwas mit der modernen Gesellschaft zu tun?

Groth: Wenn man nicht aufpasst, kann das ganz schnell in Prostitution oder Sklaverei ausarten.

Ricore: Eigentlich sollte so etwas wie Zuneigung ein selbstverständliches Gut sein. Handeln die Charaktere nicht verwerflich, weil sie dieses Gut zum Verkauf anbieten?

Groth: Schauen Sie sich doch um in unserer Gesellschaft. Überall herrscht Egoismus und Selbstvergessen. Das ist heikel. So ein Konzept ist dann eine Möglichkeit. Sicherlich hat die Idee etwas Verrücktes. Aber solange es mit einer solchen Aufmerksamkeit und Naivität geschieht, finde ich es etwas sehr Schönes.

Ricore: Könnten Sie eine solche Dienstleistung jemals in Anspruch nehmen?

Groth: Nein, ich bin ein Eigenbrötler. Ich finde es aber schön, dass die Figuren es in Anspruch nehmen.

Ricore: Sie schätzen also die Einsamkeit?

Groth: Ja. Jeder Mensch ist dazu geboren, nicht zur Zweisamkeit. In Bezug auf den Film, herrscht bei den Älteren eine ziemliche Verzweiflung. Man muss auch in der Lage sein, sich Zuneigung zu kaufen. Am Ende stellt sich die Illusion auch als solche heraus. Wie die Figuren aber damit umgehen, finde ich sehr schön. Das Nachdenken über sich selbst. Ich halte es für einen möglichen Lebensentwurfs.
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Sylvester Groth
Ricore: Kann der Mensch also doch nicht einsam sein?

Groth: Klar braucht man die Kommunikation mit anderen. Das macht den Menschen als soziales Wesen aus und ist wichtig. Bei Hotte in "Keiner geht verloren" ist es dasselbe. Er gibt unaufhörlich, ihm allerdings wurde nur genommen. Und trotzdem macht er weiter.

Ricore: Braucht es dafür eine positive Lebenseinstellung?

Groth: Vielleicht braucht es gar keine Einstellung, vielleicht muss man einfach nur leben. Nach dem Motto, mal sehen was der nächste Tag bringt. Es kann ja morgen schon zu Ende sein.

Ricore: Sie klingen sehr spontan.

Groth: So muss es auch sein. Sonst ist alles so berechenbar.

Ricore: Schmieden Sie keine Pläne?

Groth: Wofür Pläne? Nein. Ich weiß schließlich nicht, was passieren wird. Das einzige, was ich planen kann, ist meine Beerdigung, davon weiß ich, dass es eintreten wird. Würde ich jetzt planen, wollte ich auch, dass es passiert. Wenn es nicht passiert, bin ich unglücklich. Die Umwege sind das Interessante am Leben, vielleicht auch das, was Leben an sich ist. Manchmal kommt man an, manchmal nicht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 29. September 2010
Zum Thema
Sylvester Groth wird am 31. März 1958 in Jerichow geboren. Er studiert Schauspiel und Gesang an der Dani Levys "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" als Joseph Goebbels zu sehen. In Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" spielt er diesen Charakter 2009 ein zweites Mal. Neben seiner Schauspielkarriere spricht Groth viele Hörbücher ein.
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