Universal Pictures International
Oliver Stone "Savages"
Der Wahnsinn des Establishments
Interview: Oliver Stone lästert über die USA
In seinen Filmen nimmt Oliver Stone kein Blatt vor den Mund. Immer wieder prangert er sozialpolitische Missverhältnisse an. Das Motiv der Gewalt durchzieht sein Werk wie ein roter Faden. So als wollte er sagen, dass sein Land aus Gewaltakten erstanden sei - der Mythos vom amerikanischen Alptraum. Auch in "Savages" geht es um Verbrechen und Tod an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Filmreporter.de fragt den 66-jährigen Regisseur zu Drogenkrieg und der politischen Situation der USA. Seine ernüchternde Aussage: Das Establishment ist dem Wahnsinn verfallen! Und es wird noch schlimmer werden, wenn Mitt Romney zum US-Präsidenten gewählt wird.
erschienen am 11. 10. 2012
Universal Pictures International
Im Sumpf des Verbrechens: John Travolta und Taylor Kitsch in "Savages"
Ricore: Mr. Stone, ich würde gerne mit dem Ende von "Savages" beginnen...

Oliver Stone: Wir sollten alle mit dem Ende beginnen... (lacht).

Ricore: Sie belassen es im Film nicht beim großen Showdown, sondern hängen der wilden Schießerei ein zweites Ende an. Warum?

Stone: Filme aus Hollywood steuern immer auf einen Showdown zu. Wenn man dabei aber die emotionale Katharsis vergisst, ist das Ende unbefriedigend. Das Emotionale macht das Wesen des Kinos aus. Das Buch endete mit einer Schießerei. Es handelt davon, wie die zwei jungen Männer jeweils ihr Leben für den anderen opfern. Es war ein romantisches Ende im Stil von "Zwei Banditen". Ich fand es schön, auch wenn ich es ein wenig unglaubwürdig fand. Um die Option eines negativen Endes zu wahren, haben wir uns für den Off-Kommentar entschieden. Da sagt die von Blake Lively gespielte Figur: 'Nur weil ich diese Geschichte erzähle, bedeutet nicht, dass ich noch am Leben bin'. Wenn dann am Ende die blutige Schießerei vorbei ist, sagt sie, dass die Geschichte so hätte enden müssen. Doch die Wahrheit hat ihren eigenen Willen.

Ricore: Der Schluss ist nicht die einzige Änderung, die Sie gegenüber der Vorlage vorgenommen haben.

Stone: Ja, es hat einige Änderungen gegeben. Zum Beispiel haben wir John Travoltas Charakter realistischer gestaltet. Er ist ein habgieriger DEA-Agent, der jeden verrät, sowohl die Hauptprotagonisten als auch die Figur Benicio Del Toros. Das ist nun mal der Drogenkrieg. Es ist Krieg um Geld in einer zynischen Welt. Dennoch ist es eine Welt, in welcher der Mensch eine zweite Chance verdient.

Ricore: Im Vergleich zu den Gewaltszenen sind die Liebes- und Nacktszenen eher zurückhaltend inszeniert.

Stone: Ja, das ist Teil der amerikanischen Demokratie (lacht). Es gibt ein Zensursystem, das die Filmemacher unter Druck setzt. Es geht um das große Geld, aus diesem Grund darf man im Kino nicht zu viel zeigen. Aber so ist das nun mal in Amerika, hier erlaubt man dir eher eine Brust abzuschneiden, als sie in einem Bild zu zeigen. Dennoch habe ich innerhalb der Vorschriften das Bestmögliche herauszuholen versucht.

Ricore: Die Grenzen der Gewalt-Ästhetik wurden in den letzten Jahren durch das amerikanische Fernsehen sehr weit gedehnt. Fühlten Sie sich in der Gewaltdarstellung in "Savages" davon unter Druck gesetzt?

Stone: Als Filmemacher lasse ich mich nicht von bestimmten Techniken oder Trends beeinflussen. Mit "Savages" wollte ich keine Klischees bedienen. Das Buch war sehr wild und originell und ich wollte, dass auch der Film unvorhersehbar wird. Mit den sechs Figuren bot sich mir die Möglichkeit dazu. Keiner von ihnen ist eine gefestigte Persönlichkeit. Außer der von Taylor Kitsch gespielten Figur, machen alle eine Wandlung durch. Ich wollte zeigen, dass die Welt, wie ich sie darstelle, tatsächlich existiert. Was die Gewalt angeht, so wollte ich, dass sie von den Charakteren ausgeht. Ich mag den modernen Actionfilm nicht, bei dem es nur um Action geht und man die Figuren nicht versteht. Das langweilt mich. Sogar in "The Dark Knight Rises" und in den "Bourne"-Filmen habe ich mich gelangweilt. Ich wünsche mir, dass man sich wie in früheren Tagen wieder darauf besinnt, dass die Handlung von den Charakteren diktiert wird.
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Savages
Ricore: Was ist dann der menschliche Aspekt in "Savages"?

Stone: Das Entscheidende in "Savages" waren nicht die Gewaltakte, sondern die Übertragung der Gewaltbereitschaft von Chon auf Ben. Das ist der emotionale Kern der Geschichte. Ben ist jemand, der gegen Gewalt ist und wenn er zum ersten Mal auf einen Menschen schießen muss, kann er sich nicht dazu überwinden. Später wird er dazu gezwungen, einen Menschen zu töten. Das ist auch die Erfahrung, die ich in Vietnam gemacht habe. Man kann nicht ohne weiteres einen Menschen töten.

Ricore: Anders als viele moderne Actionfilme verzichten Sie in "Savages" auf CGI-Effekte. Halten Sie nichts von Computeranimationen?

Stone: Die meisten CGI-Effekte mag ich tatsächlich nicht. Sie haben etwas Falsches und ermüden mich. Dennoch kann man auf sie in einem Actionfilm manchmal nicht verzichten, allein schon um keine Menschenleben zu riskieren. Wir mussten also auch in "Savages" Kompromisse machen und auf CGI-Effekte setzen. Aber wir versuchten, sie so klein wie möglich zu halten. Ansonsten haben wir einen sehr gut aussehenden Film gedreht. Wir benutzten anamorphotische Objektive und auch die Farben sind sehr schön.

Ricore: Gibt es eine Beziehung zwischen der Gewalt in "Savages" und der Wirklichkeit?

Stone: Ja, wir zeigen einen Kartellkrieg, wie es ihn in Mexiko tatsächlich gibt. Es ist ein Konflikt, der zwischen 2006 und 2012 50.000 Tote gefordert hat. Das sind Verhältnisse ähnlich wie in Vietnam. Das ist ein echter Krieg. Auch das Motiv des Köpfens ist nicht frei erfunden. Man kennt das aus dem Irak. Mir gefiel auch die Idee, dass der Afghanistan-Krieg durch die Figur Chons in gewisser Weise in die USA importiert wird. Er bringt sein Wissen, Kenntnisse und die Kriegs-Mentalität gegen das Kartell ein.

Ricore: Was wird sich am Drogenkrieg an der Grenze zwischen Mexiko und den USA ändern, wenn Mitt Romney zum US-Präsidenten gewählt wird?

Stone: Ich denke, am ersten Tag würde er zunächst die chinesische Währung außer Kraft setzen. Am zweiten Tag würde er Russland zur illegalen Zone erklären. Am dritten Tag würde er wahrscheinlich Iran bombardieren. Was den Drogenkrieg angeht, so würde es unter seiner Herrschaft mehr Drogentote geben als je zuvor. Abgesehen davon finde ich, dass der Drogenkrieg eine Farce ist. Richard Nixon hat uns den eingehandelt. Heute gibt es mehr, billigere und bessere Drogen als jemals zuvor. Zudem hat es niemals mehr Gefangene gegeben. Die US-amerikanische Gefängnis-Industrie hat riesige Ausmaße angenommen. Zweieinhalb Millionen Menschen befinden sich hinter Gittern.

Ricore: Wie kommt das?

Stone: Viele sind wegen Drogenkriminalität inhaftiert. Um diese zu bekämpfen gibt die Regierung 30 Milliarden US-Dollar aus. Hinzu kommen die militärische Ausrüstung der Grenze und die Immigrantenkontrolle. Wir haben unseren Verstand verloren. Wenn die Bekämpfung der Drogenkriminalität oder des Terrorismus solche Ausmaße angenommen hat, kann es kein Zurück mehr geben. Jeder Versuch dazu würde die Medien aufrütteln. Es ist ein unmögliches Unterfangen.
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"Savages"-Regisseur Oliver Stone
Ricore: Wäre die Alternative, Drogen zu legalisieren?

Stone: Kein Politiker würde mit dem Vorschlag durchkommen, den Drogenhandel zu entkriminalisieren. Selbst Obama nicht, der selbst mal gekifft hat.

Ricore: Im Film heißt es an einer Stelle, dass Drogen die rationale Antwort auf den Wahnsinn der Welt sind. Ist das ihre Sicht auf Drogen?

Stone: Ja, absolut (lacht). Ich denke, dass Menschen, die andere Menschen wegen des Konsums von Marihuana in Gefängnisse stecken, wahnsinnig sind. Die Menschen, die Irak und Afghanistan den Krieg erklären, sind wahnsinnig. Die wirklich Wahnsinnigen in Amerika sind die Leute vom Establishment. Davon bin ich überzeugt. Vielleicht werde ich eines Tages einen Film machen, der diesen Wahnsinn auf den Nenner bringt (lacht).

Ricore: Wann haben sie zuletzt einen Joint geraucht?

Stone: Heute Morgen (lacht). Nein, das war ein Scherz. Nur so viel: Ich bin nicht süchtig und ich brauche das auch nicht. Es geht auch ohne, aber manchmal ist es ganz schön (lacht).

Ricore: Sie rauchen also gerne?

Stone: Oh ja, das tue ich. Es ist ein Geschenk Gottes an uns Menschen. Abgesehen davon hat Marihuana auch medizinischen Wert. Es hilft Menschen mit Krebs, ihre Schmerzen zu lindern. Ich habe noch niemals gehört und gesehen, dass jemand an Marihuana gestorben ist. Menschen sterben eher an Alkohol, an einer Überdosis Kokain oder anderen Drogen. Oder kennen Sie jemanden, der an Marihuana gestorben ist?

Ricore: Sie gelten als kontroverser Filmemacher. Wie gehen Sie mit diesem Ruf um.

Stone: Dabei mache ich eigentlich nicht ausschließlich kontroverse Filme. Ich habe auch einige ruhige Filme gemacht, die nicht die Gemüter erhitzten. War etwa an "Wall Street: Geld schläft nicht" kontrovers? Vielleicht wollten die Menschen einfach nicht sehen, wie ich im Herz eines Bankers herumstochere. Ich hätte auch gemeiner sein können. Es ging mir darum, das Thema aus der Sicht der Hauptfigur zu erzählen. Ich hatte mich sozusagen in seine Schuhe begeben. Ebenso ist "Nixon" ein Film, den ich sehr liebe, über einen Mann, den ich gar nicht liebe. Ich denke, dass ich es geschafft hatte, dem Zuschauer meine Sicht über sein Leben mitzuteilen. Kontroverse ist ein leeres Wort. Man kann nie voraussagen, was als kontrovers aufgefasst wird und was nicht. Man macht ein dummes Internetvideo und die gesamte islamische Welt regt sich auf. Ich möchte einfach als Erzähler gelten, der auf der Suche nach der Wahrheit ist. Das provoziert einige Menschen und diese Menschen heißen Mitt Romneys (lacht).

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 11. Oktober 2012
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2024