Majestic Filmverleih/Ricardo Vaz Palma
Michael Nyqvist spielt gerne die bösen Buben...
Ich spielte ein Tier
Interview: Michael Nyqvist zu "Colonia Dignidad"
Michael Nyqvist wird als Baby adoptiert und sucht nach der Geburt seiner eigenen Kinder nach seinen leiblichen Eltern. Einem großen Publikum wird der Schwede als Chorleiter in "Wie im Himmel" und als Journalist in der "Millenium Trilogie" nach den Bestsellern von Stieg Larsson bekannt. In Hollywood sieht man ihn in "Mission: Impossible - Phantom Protokoll" als Gegenspieler von Tom Cruise sowie in "John Wick". In Florian Gallenbergers Politthriller "Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück" gibt Michael Nyqvist Sektenführer Paul Schäfer solch gewaltige physische und psychische Einschüchterungskraft, dass sie jedem Zuschauer einen Schauer über den Rücken jagt.
erschienen am 23. 02. 2016
Majestic Filmverleih/Ricardo Vaz Palma
Michael Nyqvist: Kuschelt als Sektenführer Paul Schäfer mit der Diktatur
Große Herausforderung
Ricore Text: Sie spielen einen Verführer, der Menschen der Freiheit beraubte. Was faszinierte Sie an der Figur?

Michael Nyqvist: Ich war mir sicher, dass mich diese Rolle so herausfordert wie keine zuvor. Vor einigen Jahren drehte ich in Chile einen Film über den Putsch. Damals erzählte mir ein Journalist von dieser deutschen Sekte im Süden Chiles. Er beschrieb die Colonia als schrecklichsten Ort der Welt und Schäfer als Wiedergeburt des Teufels.

Ricore: Waren Sie je dort?

Nyqvist: Nein. Wir haben in Buenos Aires gedreht. Von dort musste ich sofort zu einem weiteren Dreh.

Ricore: Schäfer ist 2010 verstorben. Haben Sie je eines seiner Opfer getroffen?

Nyqvist: Ehemalige Bewohner der Colonia waren am Set. Sie erschraken und zitterten als sie mich in der Maske Schäfers erblickten. In diesen Momenten konnte ich ermessen, welche Hölle sie durchlitten haben. Sie werden wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang unter ihren Erfahrungen leiden.

Ricore: Wie konnten Sie sich Schäfer nähern?

Nyqvist: Ich hätte die Rolle nicht annehmen dürfen, wenn ich nicht bereit gewesen wäre, mich auf seine seelischen Abgründe einzulassen. Wie jede Figur muss ich ihn verteidigen und hin mir zu finden. Bei Schäfer war das unglaublich schwer. Empathie war ihm fremd, er lebte seine Gefühle ausschließlich sadistisch aus. Doch die Nachrichten haben mich angespornt, mich der Herausforderung zu stellen. Heute sind viele Despoten wie Schäfer an der Macht. Daher war es wichtig, das ausgeklügelte System zu zeigen, mit dem er Macht ausübte. Er fühlte sich wie Gott. Er besaß als Einziger in der Colonia eine Bibel und legte sie aus. Er baute auch auf der Ideologie des 3. Reichs auf und wurde zu einem kleinen Hitler.

Ricore: Die ersten Deutschen folgten ihm immerhin freiwillig?

Nyqvist: Viele Sekten und Ideologien bauen auf dem Wunsch nach einfachen Antworten, einer überschaubaren Ordnung und Führung auf. Daher half mir der Vergleich mit Charles Manson, mich dem kranken Hirn Schäfers anzunähern. Im Gegensatz zu Schäfer hat er seine wirren Theorien preisgegeben. Aber es bleibt natürlich die rätselhafte Frage, warum so viele Kleinbürger diesem Laienprediger folgten. Es gibt offensichtlich Menschen, die für solche Verführer anfällig sind und die Verantwortung für ihr Leben abgeben wollen. Das ist sehr gefährlich. Viele große Katastrophen in der Geschichte der Menschheit haben damit begonnen.
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Bedrohlicher Michael Nyqvist mit Emma Watson in der Colonia Dignidad
Michael Nyqvist: viele Despoten wie Schäfer
Ricore: Gibt es einen Trick, mit dem Sie sich in Schäfer verwandelt haben?

Nyqvist: Ich habe Areale in meinem Gehirn soweit es ging ausgeschaltet. Ich spielte ein Tier, das von seinen Instinkten getrieben wird und auf jede Bewegung seiner Umgebung hysterisch reagiert. Ein Alpha-Männchen, das die Regeln alleine bestimmt.

Ricore: Und seine Pädophilie auslebte, was im Film nur angedeutet wird.

Nyqvist: Ein Spielfilm muss eine deutliche Grenze ziehen. Und in mir würde sich alles sträuben, sexuellen Missbrauch zu spielen. Wichtiger war es auch hier, sein perverses System zu zeigen. Schäfer hat Eltern und Kinder so manipuliert, dass sie den Missbrauch als normal empfanden und ihren Begriff von Sexualität bestimmt.

Ricore: Wie haben Sie das Abdriften in seine Welt persönlich verkraftet?

Nyqvist: Ich hatte während des Drehs Alpträume und wurde krank.

Ricore: Sie haben mal gesagt, die Schauspielerei sei für Sie stets eine Suche nach den eigenen Wurzeln. Konnten Sie hier überhaupt was entdecken?

Nyqvist: Der Beruf war für mich ein Lebensretter und ist es noch immer. Doch bei diesem Projekt fand ich nichts, was mich bei meiner Suche hätte weiter bringen können. Die Kinder der Colonia waren Schäfer schutzlos ausgeliefert, weil sie ihre Eltern nicht kannten. Sie konnten keinen Familienbegriff aufbauen Daher suchen sie vor der Schließung der Colonia nie nach ihren Wurzeln. Ich hatte dagegen eine glückliche Kindheit, obwohl ich seit meinem 5. Lebensjahr wusste, dass mich meine Eltern adoptiert hatten.
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Michael Nyqvist spielt sehr erfolgreich in Hollywood und Europa
Es macht mehr Spaß, Bösewichte zu spielen
Ricore: Sie haben den Vergleich zu Charles Manson schon 2011 in den Interviews zu "Mission Impossible" genutzt. Auch dort spielen Sie den Bösewicht?

Nyqvist: Es macht mehr Spaß, sie zu spielen. Ich habe in meiner Karriere in Schweden viele liebenswerte Männer gespielt. In Hollywood wurde ich mit meinem leichten Akzent sofort auf den Bösewicht festgelegt. Grundsätzlich teile ich meine Figuren nie in Gut und Böse ein, ich schaue auf die Persönlichkeit und in welche Geschichte sie eingebettet ist.

Ricore: Aber es lässt sich doch kaum leugnen, dass Sie allen Figuren einen düsteren Einschlag geben?

Nyqvist: Das ist meine persönliche Note. Meine skeptische Sicht auf das Leben beeinflusst wohl meine Rollengestaltung. Da kommt das Schwedische in mir durch. Wir sind eher Pessimisten, für die das Glas stets halb leer ist.

Ricore: Es war aber schon die Erfüllung eines Traums, in Hollywood zu drehen?

Nyqvist: Mein Lebensmotto ist, stets Dinge auszuprobieren, die ich noch nicht gespielt habe. Als John Singleton mir die erste Rolle in Hollywood anbot, fühlte ich mich geschmeichelt. Dann kamen "Mission Impossible" und "John Wick" mit vielen Stunts, die ich aus Europa nicht kannte. Heute bin ich froh, in beiden Welten zu Hause zu sein. In Hollywood will man wissen, wer war der Killer. In Europa, warum hat er getötet. In Europa beschreiben wir, wie die Welt ist. In Hollywood baut man neue Welten auf.

Ricore: Was hat sich noch nach der "Millenium-Trilogie" für Sie verändert?

Nyqvist: Die Leute schauen mich auf der Straße an. Man gewöhnt sich dran, zumindest ein bisschen. Ich versuche, nicht allzu viel darauf zu geben und mit beiden Beinen auf der Erde zu bleiben.

Ricore: Weil Sie den Rummel nicht mögen?

Nyqvist: Dieser Ruhm ist sehr gefährlich. Man gerät unbemerkt unter Druck, nur noch das Bild bedienen zu wollen, dass sich die Öffentlichkeit von einem macht. Wer dieser Obsession erliegt, verliert sein Zentrum. Und Ruhm ist kein Wert an sich. Der Name des Mörders von John Lennon ging ebenso wie Anders Breivik in die Geschichtsbücher ein. Aber leider gibt es eine Tendenz in der Gesellschaft, die die Bedeutung von Ruhm überbetont. Kinder wollen berühmt werden. Mit all diesen Casting-Shows werden die Ambitionen dieser Talente in die falsche Richtung gelenkt.

Ricore: Danke für das Gespräch
erschienen am 23. Februar 2016
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Schon als Kind erfährt Michael Nyqvist, dass er adoptiert ist und italienische Wurzeln hat. Seine Erfahrungen im Zuge der jahrelangen, letztlich erfolgreichen Suche nach seinen biologischen Eltern beschreibt er in seinem Buch "Just after dreaming". Seine Schauspielkarriere beginnt der schwedische Künstler im Theater. Nach kleineren Fernsehrollen macht er 2000 erstmals mit dem im linken Kommunenmilieu spielenden Werk "!Zusammen!" das Kinopublikum auf sich aufmerksam.Stieg Larsson-Verfilmungen..
Auf den Spuren von Constantin Costa-Gavras' Vermisst" wandelt Florian Gallenberger in seinem aufrüttelnden Thriller um ein erschütterndes Kapitel der Weltgeschichte. Dabei setzt er auf das bewährte Rezept, Verbrechen von einem politisch naiven Außenseiter aufdecken zu lassen, mit dem sich der europäische Zuschauer identifizieren kann. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten.
2024