Sony Pictures
Philip Seymour Hoffman als Schriftsteller Truman Capote
Die Ikone der US-Literatur
Interview: Hoffman mit Wortgewalt auf Oscarkurs?
Die besten Geschichten schreibt das Leben. Das bewies der Publizist und Autor Truman Capote ("Frühstück bei Tiffany") 1959, als er - durch einen Artikel in der New York Times aufmerksam geworden - begann, die mysteriösen Ermordung einer Farmerfamilie in Kansas zu untersuchen. Philip Seymour Hoffman, gefeierter Theaterregisseur und Hollywoods Mann fürs Spezielle ("Magnolia") verkörpert in Bennett Millers Spielfilmdebüt "Capote" den exzentrischen Schriftsteller und überzeugt mit der beeindruckenden Darstellung in seiner bislang besten Rolle.
erschienen am 7. 02. 2006
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Dieselbe Art von Leidenschaft... Philip Seymour Hoffman und Capote
Ricore: Mr. Hoffman, hätten Sie und Truman Capote Freunde werden können?

Hoffman: Schwer zu sagen. Ich empfinde dieselbe Art von Leidenschaft für ihn wie für jede meiner anderen Rollen auch. Denn ohne Hingabe kann ich eine Person auch nicht authentisch spielen. Wäre ich ihm je persönlich gegenübergestanden, hätten wir uns vermutlich anfreunden können. Aber das muss ja nichts heißen. Wie uns die Geschichte lehrt, hat er auch vermeintliche Freunde ohne weiteres betrogen.

Ricore: Sie sprechen von seiner Beziehung zu dem Mörder Perry Smith, die rückblickend nur auf journalistischer Neugier und Lügen erbaut war.

Hoffman: Er hat gelogen, weil er Infos aus ihm herauskitzeln wollte. Die Beziehung war eigentlich geprägt von einer ungeheuren Anziehungskraft, die Kraft seines Berufs als Journalist am Ende in der Lüge und im Verrat enden musste. Ihn hat der Fall deshalb auch nicht nur fasziniert, sondern auch gequält. Er wusste, dass er für diese einmalige Story seine Seele verkaufen muss. Es ist überliefert, dass er nach der Hinrichtung auf dem Rückflug ohne Unterbrechung geweint hat. Ein dreieinhalbstündiger Flug von Kansas nach New York - und dieser sonst so selbstsichere Mann heult ohne Pause. Erwähnt sei, dass in diesem Moment keinerlei Kameras liefen.

Ricore: Er war ein Meister darin, mit Selbstinszenierung bereits zu Lebzeiten seinen eigenen Mythos zu erschaffen. Unter anderem veranstaltete er Bälle, bei der bis zu 500 Personen der High Society geladen waren. War das vielleicht seine größte Fähigkeit, und wäre sein Ruhm vielleicht sonst ausgeblieben?

Hoffman: Er war immer besorgt, wie Leute über ihn denken, und dieses Denken macht eine gute PR-Person aus. Capote war diesbezüglich allerdings regelrecht paranoid. Er wollte akzeptiert, bewundert und geliebt werden, und dieser tiefe Wunsch machte wohl auch einen Großteil seiner Persönlichkeit und seines Auftretens aus. Und trotzdem hat er sich in erster Linie durch seine Schriftstellerei ausgezeichnet. Diese Fähigkeit machte ihn einzigartig.

Ricore: Intention des Films ist es, auch seine bislang gänzlich unbekannte private Seite zu beleuchten. Wie genau näherten Sie sich diesem Schattendasein?

Hoffman: Wenn man lange genug sucht, kann man diese Infos über ihn finden. In einer Dokumentation, die 1966 zu der Zeit seiner Buchveröffentlichung entstand, gibt er in Interviews zum Teil intime Einblicke in sein Privatleben. Ich trug unterschiedliche Quellen zusammen, und versuchte so ein schlüssiges Ganzes zu erschaffen.

Ricore: Er lebte in einer schwulen Beziehung mit dem zehn Jahre älteren Schriftsteller Jack Dunphy. Wie würden Sie diese Beziehung umschreiben?

Hoffman: Jack war die Konstante in Capotes Leben, der Ruhepol.

Ricore: Was faszinierte Capote an ihm?

Hoffman: Sie waren in allen Belangen unterschiedlich, Auch wenn Capote seine Entscheidungen in der Regel immer selbst traf, brauchte er dennoch jemanden zur Selbstreflexion. Jack war sein Anker, sein Mahnmal, dass es ein Leben außerhalb der Arbeit gab. Es gibt ein Interview mit Jack, das nach Capotes Tod geführt wurde. Es ist herzzerreißend und zeigt, dass die beiden einander alles bedeuteten.
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Philip Seymour Hoffman in "Capote"
Ricore: Wie leicht fällt es Ihnen, sich von so einer Rolle zu lösen?

Hoffman: Die anfängliche Arbeit war natürlich sehr intensiv: Ich tauchte in sein Leben ein, vergrub mich vor allem in die Zeit, in der er "Kaltblütig" geschrieben hatte. Denn zuerst musste ich seine Psyche begreifen, oder genauer: warum er diesen Fall mit einer regelrechten Obsession verfolgte. Ohne dieses Hintergrundwissen wäre es nämlich sinnlos gewesen, sich an seiner Stimmlage und Gestik zu versuchen...

Ricore: ...die Sie so beeindruckend imitieren, dass alte Freunde des Schriftstellers Ihnen mit Tränen in den Augen gratulierten.

Hoffman: Während der Drehtage bewegte ich mich dann auch überwiegend in meiner Rolle, das ständige Hin und Her hätte mich zu sehr erschöpft. Aber wenn die Arbeit getan ist, kann ich so eine intensive Rolle auch wieder problemlos ablegen.

Ricore: Geht es Ihnen um die Herausforderung, oder muss die jeweilige Rolle Sie auch persönlich weiterbringen, Ihnen vielleicht gar etwas lernen?

Hoffman: Oh, der persönliche Reiz ist vielleicht sogar am Wichtigsten. Ich stehe als nächstes für "Mission: Impossible 3" vor der Kamera, und selbst bei solchen Mega-Produktionen, die in erster Linie meine Karriere vorantreiben sollen, muss ich etwas entdecken, das mich fordert. In diesem speziellen Fall spiele ich einen Bösewicht, wie ich ihn noch nie gespielt habe.

Ricore: Gibt es Dinge, die Sie als Schauspieler kategorisch ablehnen?

Hoffman: Natürlich! Ich merke das immer beim ersten Lesen. Wenn ich das Gefühl habe, trotz einer guten Story nichts mit der Thematik zu tun haben zu wollen, vertraue ich diesem ersten Eindruck und sage ab. Es ist wie bei einem Film, den zwar gut ist, den man aber ausmacht, weil die Thematik zu sehr quält. Manchmal wird mir auch eine Rolle angeboten, die zu nah an etwas liegt, das ich bereits gespielt habe. In solchen Fällen werde ich ärgerlich, würde am liebsten die Verantwortlichen anrufen und ihnen durch den Hörer brüllen: habt ich euch verdammt noch mal keine Gedanken gemacht?

Ricore: Ihr Marktwert in Hollywood steigt immer weiter - trotzdem kehren Sie immer wieder auf die Bühne zurück.

Hoffman: Auch hier gilt: Reizt mich etwas, setze ich es in die Tat um. In einem solchen Fall denke ich auch nicht daran, dass mir die eine oder andere Gage bei einem Film entgeht. Manche Leute fragen mich manchmal, ob es mich nicht stört, dass ich mich bei jedem Theaterstück quasi selbst vom Markt ausschließe. Ich stehe solchen Aussagen immer fassungslos gegenüber. Wie bitte? Hallo? Tickt ihr noch richtig? Um was geht es in unserem Job denn in erster Linie?

Ricore: Nun sind Sie Theatermacher aus Leidenschaft. Immer mehr Hollywoodstars versuchen sich jedoch an der Bühne, weil es gerade "in" ist. Wie beurteilen Sie als Träger des Tony-Awards diesen Trend?

Hoffman: Es gibt solche und solche. Ich habe zum Beispiel tiefsten Respekt vor Christian Slaterr, der seine Seele mittlerweile dem Theater verschrieben hat. Oder Anna Paquin, die ich damals in ihrer ersten Bühnenrolle besetzt habe, und die inzwischen ihr siebtes Stück probt. Von der hätte vor ein paar Jahren auch niemand gedacht, dass sie mal zu einer Bühnengröße aufsteigen würde. Wir müssen sehen, wohin diese Entwicklung geht, aber eine kategorische Meinung kann ich dazu nicht haben. Man darf sich neuem nicht einfach so verschließen. Letztlich verkörpert das Theater in simpelster Form das, weswegen die meisten von uns den Beruf ergriffen haben: Die Freude am Spiel an sich.
erschienen am 7. Februar 2006
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Philip Seymour Hoffman tritt 1991 zum ersten Mal in der polnischen Independent-Produktion "Cheat" in Erscheinung. Während er viele Jahre durch beeindruckende Nebenrollen auf sich aufmerksam macht, bekommt er 2004 in "Owning Mahowny" erstmals auch in einer wichtigen Hauptrolle die Chance, sich zu bewähren. Für die Darstellung von Truman Capote in Bennett Millers Drama "Capote" erhält er 2006 den Peter Sellers.

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2024