Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Sonja Heiss
Von thailändischer Party-Mafia bedroht
Interview: Sonja Heiss' Rucksacktourismus
Sonja Heiss präsentiert in ihrem ersten Spielfilm eine gelungene Mischung aus Dokumentation und Spielfilm. "Hotel Very Welcome" portraitiert die jungen Mitglieder der globalisierten Backpacker-Gemeinde, die in Indien und Thailand auf der Suche nach sich selbst sind, oder einfach nur auf den langersehnten Rückflug in die Heimat warten. In unserem Gespräch verrät die Filmemacherin die kleinen Tücken und Freuden, welche die viermonatigen Dreharbeiten in Südostasien für sie und ihr Team bereithielten.
erschienen am 15. 12. 2007
Kinowelt Filmverleih
Sonja Heiss mit ihrem indischen Führer
Ricore: Wie erging es Ihnen gesundheitlich während den Dreharbeiten in Südostasien?

Sonja Heiss: Wir waren alle einmal krank. Der Tonmann kam glimpflich davon, denn er ist Vegetarier. Aber mein Koautor, der Kameramann und ich waren sogar gleichzeitig krank - und zwar richtig, mit Lebensmittelvergiftung und Krankenhausbesuch. Wir hatten verdorbenes Huhn gegessen. Der irische Schauspieler ist zwar ein Riesenkerl, er ist über 1,90 Meter groß, aber den hat es richtig umgehauen - von einem Sandwich!

Ricore: Inwieweit haben Sie mit Einheimischen zusammengearbeitet?

Heiss: In Indien hatten wir zwei Helfer, da man dort dringend jemand braucht, der die Sprache spricht. Obwohl die Inder auch sehr gut Englisch sprechen. In Boa hatten wir sogar Unterstützung von einer deutschen Frau, die dort mit einem Inder verheiratet ist. In Indien hatten wir immer Hilfe, in Thailand hingegen gar nicht. Mit den Einheimischen hatte man viel zu tun, klar, man musste immer fragen und bezahlen, wenn man an bestimmten Orten drehen wollte.

Ricore: War es einfach, Drehgenehmigungen zu erhalten du wie haben Sie die Locations gefunden?

Heiss: Die Drehgenehmigungen zu erhalten war teilweise etwas kompliziert, manchmal haben wir heimlich gedreht. Ab und zu haben wir auch 20 Euro bezahlt um drehen zu können. In Indien darf man beispielsweise nicht im Zug filmen, aber das haben wir trotzdem gemacht. Wir hatten einen internationalen Presseausweis, den konnten wir im Notfall vorzeigten. Was die Locations betrifft, haben wir in Thailand beispielsweise in einem ganz coolen 1960er Jahre Hotel gedreht, da sah der Pool so toll aus. Es war jedoch eine Sex-Touristen-Absteige. Wir haben uns so eingemietet, als wären wir Touristen. Den Kameraaufbau haben wir abgemacht. So hat unsere Kamera wie eine Urlaubskamera ausgesehen. Dann hat der Kameramann die Bilder mit der Protagonistin alleine gedreht und so getan, als würde er sie im Urlaub filmen. Das war jedoch eine Ausnahme.

Ricore: Gab es Momente, wo Sie dachten, "Hilfe, nichts wie raus hier!"?

Heiss: Ja, einmal wurden wir von der thailändischen Partymafia in die Mangel genommen. Die dachten wohl, wir hätten einen Porno gedreht. Plötzlich waren wir von 150 Indern umgeben. Da hatten wir alle sehr große Angst. Nachher haben wir Flaschen gegen unsere Bungalow-Türen gestellt, dass wir sie früh genug hören können, falls sie reinkommen. Was aber auch nicht viel genützt hätte. Das war totaler Schwachsinn. Wir konnten die Insel aber noch nicht verlassen, weil wir die Dreharbeiten noch nicht abgeschlossen hatten. So ist uns jeden Tag etwas passiert, was nicht geplant war und wir nicht erwartet haben. Das ermüdet und es gab schon Momente, wo wir alle dachten, ich will eigentlich nur noch nach Hause. Vor allem auch dann, wenn man erkrankt, und im Verzug ist mit dem, was man drehen muss.
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Sonja Heiss
Ricore: Im Zusammenhang mit Ihrem Film fällt immer wieder der Begriff "Globalisierung". Wo sehen Sie den Zusammenhang zwischen Backpacking und Globalisierung?

Heiss: Das hat damit zu tun, dass es eine Art globalisierte junge Generation ist. Die Menschen im Film sind unterschiedlicher Herkunft. In den Zielen, Wünschen und Problemen unterscheiden sich die westlichen Menschen heutzutage unserer Generation eigentlich nicht mehr wirklich. Ähnlich verhält es sich mit dem Grund ihrer Reise. Es ist irrelevant, ob man aus England, Schweden oder Deutschland kommt.

Ricore: Den Aspekt, dass man nur aufgrund der Liebe zu einer fremden Kultur reist, haben Sie fast vollständig ausgeklammert...

Heiss: Naja, der Ire, versucht dies ja. Daher feiert er auch das Farbenfest mit. Und er pflegt ein beinahe freundschaftliches Verhältnis zu seinem Kameltreiber in der Wüste. Er kommt viel herum. Und er hat am meisten mit den Einheimischen zu tun.

Ricore: Dennoch flieht er vor seiner Verantwortung in der Heimat...

Heiss: Auch. Es ist beides. Ich sehe in ihm schon einen Charakter, der Land und Leute kennen lernen und bei den heimischen Traditionen und Festen mitmachen will. Was am besten dieses Farbenfest zeigt. Er ist ständig am kommunizieren mit den Einheimischen.

Ricore: Haben Sie bei den Dreharbeiten eigene Reise-Erfahrungen eingebracht? Waren Sie selbst Rucksacktouristin?

Heiss: Ja, ich war und bin noch Rucksacktouristin. Nach der Premiere des Films bin ich mit einer der Protagonistinnen, mit Svenja, nach Costa Rica und Panama gefahren. Dort waren wir mit dem Rucksack unterwegs und haben teilweise unseren Film nachgespielt.
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Während der Dreharbeiten in Thailand
Ricore: Rucksacktourismus schweißt zusammen oder spaltet, wie man im Film sehr gut sehen kann. Hat es auch Ihre kleine Reisegruppe zusammengeschweißt?

Heiss: Ja, schon. Dadurch, dass wir so ein kleines Team waren, war alles viel persönlicher. Es war sehr warm und emotional. Wir hatten sehr viel Spaß, aber auch viel gekämpft, weil die Schauspieler einen wirklich harten Job zu bewältigen hatten. Die Art und Weise wie sie spielen mussten, war sehr schwer. Teilweise lassen sie sich selbst einfließen, anders ging es oft nicht. Was ich von ihnen gefordert habe war schon heftig. Nichts desto trotz hatten wir eine sehr lustige Zeit miteinander. Die Schauspieler hatten generell sehr viel Sinn für Humor, ansonsten hätten sie den Film nicht machen können.

Ricore: Wie erging es Ihnen nach der viermonatigen Reise in Südostasien? Hatten Sie noch Kraft für den Schnittraum?

Heiss: Das war ziemlich lustig. Am letzten Drehtag in Bangkok waren wir essen und haben gefeiert. Ich habe gesagt 'Wir haben's geschafft'. Da hatte ich noch keine Ahnung, was auf mich zukommen sollte. Wir haben über ein Jahr an dem Film geschnitten. Es hat sich als schwierig herausgestellt, ihn zu schneiden. Zum einen war da der subtile Humor. Man stellt eine Szene um und der ganze Film bricht in sich zusammen. Dann ist das Ganze auch noch ein Episodenfilm mit Schauspielern in realer Umgebung, mit realen Charakteren und in realen und fiktiven Momenten. Es war schwierig, die Balance zu finden. Der Episodenfilm forderte zudem eine Struktur, das heißt, Episoden können sich gegenseitig befruchten, sie können sich aber auch gegenseitig im Weg stehen. Als wir eine Szene umgestellt haben, mussten wir drei weitere umstellen, weil es einfach nicht mehr.

Ricore: Wie wichtig sind Preise für die Karriere?

Heiss: Sie sind schon sehr wichtig. Die Menschen, die den Film nicht gesehen haben, nehmen trotzdem Notiz davon oder von dir als Regisseur. Man erhält viel Aufmerksamkeit. Wenn man ein paar Preise gewinnt, bekommt man halt so eine Art Stempel. Das ist in jedem anderen Beruf wahrscheinlich auch so. Die Menschen wollen, dass jemand von allen Seiten her ein Gütesiegel hat. Sie wollen nicht die einzigen sein, die jemanden talentiert finden. Daher sind Festivalteilnahmen und Preise schon sehr wichtig.

Ricore: "Hotel Very Welcome" hätte durchaus auch ein reiner Spielfilm sein können. Sie entschieden sich jedoch für eine Mischung. Warum?

Heiss: Es gibt viele Szenen, in denen Dinge von selbst passieren, die man gar nicht steuern könnte. Solche Szenen fiktiv umzusetzen, hätte Millionen gekostet. Wir wussten, die Realität würde uns viel Material liefern, was nicht zu übertreffen sein wird. Nichts desto trotz mussten wir das Ganze steuern, wir müssen Geschichten erzählen, wir müssen Pointen erzeugen. Rein dokumentarisch würde es nicht funktionieren, das zu erzählen, was man erzählen will. Aber die Realität hat uns Momente, Bilder und Dialoge bereitet, die hätte niemals jemand schreiben können. Und der Film wird ja deshalb interessant, weil er auf diesem Grad balanciert. Er ist kein Dokumentarfilm, hat aber dokumentarische Momente. Ich würde sagen, es ist ein sehr realistischer Spielfilm. Man fragt sich, was ist echt und was nicht. Wer ist Schauspieler und wer nicht? Svenja beispielsweise ist keine Schauspielerin. Manchmal wirkt die Realität fiktiver als die Fiktion.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Sonja Heiss
Ricore: Wie haben sie ihre Akteure gewonnen? Svenja ist ja keine Schauspielerin, wie sie eben schon sagten...

Heiss: Svenja ist eine meiner besten Freundinnen. Mittlerweile ist sie Doktor der Biologie, Immunologin. Eine Lichtgestalt in unserem Freundeskreis. Sie hat einen unglaublichen Humor und bringt uns mehrmals täglich zum Lachen. Sie macht sehr schräge Dinge, lässt sich immer wieder was einfallen. Ich habe mit ihr schon viele Reisen gemacht. War in Rom, New York, an ganz vielen Orten. Ich wusste, mit Svenja kann man eine tolle Episode drehen. Sie ist auch der einzige Nicht-Prototyp unter den Reisenden. Sie ist diejenige, die sich nicht fortbewegt. Sie passt in keine Backpacker-Kategorie. Wahrscheinlich hat sie auch keinen richtigen Rucksack. Und sitzt in einfach nur in diesem Hotelzimmer und führt diese absurden Telefonate.

Ricore: Haben Sie einen Tipp für zukünftige Backpackers?

Heiss: Man sollte sich auf jeden Fall nicht zuviel vornehmen. Man sollte vorher nicht genau wissen, was man haben will. Selbst bei den kleinsten Dingen. Wenn man sich vorher die perfekte Strandhütte vorstellt und man findet diese zwei Monate lang nicht, kann schon allein das frustrierend sein.

Ricore: Sie sprechen aus Erfahrung?

Heiss: Ja! Und man sollte nicht denken, dass man vor sich selbst davon reisen kann. Und man darf sich von kleinen Problemen nicht aus dem Konzept bringen lassen, einfach weitermachen und daran wachsen.

Ricore: Was wird ihr nächstes Reiseziel?

Heiss: Vielleicht ausnahmsweise mal nicht so weit weg. Vielleicht Madeira oder La Palma. Ich bin wahnsinnig müde und überarbeitet.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch Frau Heiss.
erschienen am 15. Dezember 2007
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Fünf Rucksacktouristen reisen nach Indien und Thailand auf der Suche nach sich selbst. Regisseurin Sonja Heiss zeigt gekonnt und einfühlsam das aufregende Gefühlsleben ihrer fünf Protagonisten. Trotz humorvoller Einlagen liegt über der Geschichte ein schwerfälliger und gekünstelter Hauch. Der Spielfilm mit dokumentarischem Ansatz zeigt eine Variante des Rucksacktourismus.
2024