Rufus F. Folkks/Ricore Text
Werner Schroeter
Werner Schroeters Zukunftsvision
Interview: Angst, Zerstörung, Schrecken
Werner Schroeter zeigt auch während unseres Gesprächs seine Sprachgewandtheit. Ob Französisch, Italienisch oder Englisch, dem deutschen Regisseur ist kaum eine europäische Sprache fremd. Auf den Filmfestspielen in Venedig präsentierte er seine französisch-portugiesisch-deutsche Koproduktion "Diese Nacht". Der Film wurde ausschließlich bei Dunkelheit gedreht. Dementsprechend düster ist auch das Thema: Gewalt und Zerstörung.
erschienen am 3. 09. 2008
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Amira Casar
Ricore: Herr Schroeter, können Sie etwas zur Entstehungsgeschichte des Films sagen? Werner

Schroeter: Eines Tages habe ich Paulo Branco getroffen, der ein alter Hase im Produzieren von Filmen ist. Er hat mich gefragt, ob ich ein neues Projekt machen wollte. Er hat mir ein Buch gebracht und wir haben dann versucht, das Team zusammenzustellen. Daraufhin habe ich Gilles Taurand angesprochen und ihn gefragt, ob er mit mir gemeinsam das Drehbuch schreibt. In einer dritten Etappe haben wir die Schauspieler gesucht. Diese Arbeit war von vielen Emotionen geprägt. Daher finde ich, dass der Film sehr persönlich geworden ist. Auch wie die Schauspieler vor der Kamera agiert haben, um den Film zu realisieren. Im Zentrum stehen Gewalt, Scheitern und Zerstörung, heute, gestern und morgen. Denn diese Themen finden wir überall, und in diesem speziellen Fall in der imaginären Hafenstadt Santa Maria. Diese Stadt eignet sich gut, um diesen speziellen Cocktail aus modernen Gebäuden, Mode, stressigen Leben und der Gewalt zu zeichnen. Die Tendenz, eine Gesellschaft zu zerstören, ist eine Utopie, die realistisch und wahr ist. Hier gibt es mehr als irgendwo anders die Möglichkeit, in einer Utopie zu leben.

Ricore: Es geht aber auch um Liebe…

Schroeter: Es gibt das Bild einer Frau, das dem Rest des Films erhalten bleibt, wie ein Geist. Die männliche Hauptfigur ist besessen von diesem Bild. Man sieht sie aber nie. Es ist eine Amour Fou, die den Mann aufrecht erhält. Diese Liebe entzieht sich dem Verständnis der Gesellschaft. Seine Besessenheit von dieser Liebe wird immer stärker, bis zu dem Punkt, an dem sie sich völlig verlieren. Es gibt keine Zukunft für ihn und seine Liebe. Am Ende gibt es einen Zusammenstoß, der für jeden von ihnen fatal ist.
Rufus F. Folkks/Ricore Text
Werner Schroeter und Amira Casar
Ricore: Herr Schroeter, können Sie kurz die Wahl ihres Team kommentieren und die Wahl der Sprache?

Schroeter: Bei mir ist die Wahl der Schauspieler immer sehr persönlich. Pascal kenne ich bereits seit 30 Jahren. Wir haben noch nie zusammengearbeitet. Das hier ist das erste Mal. Amira habe ich in einem Café kennengelernt, wir haben geredet und dann eine Zusammenarbeit vereinbart. Was die französische Sprache betrifft, begleitet mich diese schon seit geraumer Zeit. Es ist eine Ausdrucksform, die es mir ermöglicht, bestimmte Dinge sensibel auszudrücken. Genauso liebe ich auch die italienische Sprache, aufgrund des Gefühls und der Leichtigkeit, welche das Italienische aufweist. Französisch zeigt so viel Lebhaftigkeit. Es ist meiner Meinung nach sehr spirituell und intellektuell. Die Sprache ist sensibler. Und bei diesem Film, mit dieser Crew und dem Ensemble, war es die einzige Möglichkeit, auf Französisch zu arbeiten. Ich bin sehr froh über die Schauspieler und möchte allen für ihre Mitarbeit danken. Wir haben uns alle sehr gut verstanden und ich finde, es gab ein reziprokes Verständnis unter uns.

Ricore: An Amira Casar: Was war die Herausforderung in der Zusammenarbeit mit Werner Schroeter, auch bezüglich der Sprache?

Amira Casar : Die Leute haben eher Amateure erwartet. Aber Werner hat uns ein Ambiente von Poesie und Betrachtung geboten. Ich glaube, jeder hat gezittert, dass wir als kleine Akrobaten nicht den hohen Anforderungen von Werner entsprechen. Es war nicht die Herausforderung an die Stärke sondern an die Poesie. Jeder hatte die Möglichkeit, seien eigene Interpretation hineinzubringen. Ich glaube, jeder hat diese universelle Sprache verstanden.

Schroeter: Der Film spielt nur in der Nacht. Wir habend den Film ausschließlich am Abend, am Morgen und in der Nacht gedreht. Neun Wochen dauerten die Dreharbeiten. Dadurch entstand eine sehr intensive, magische und starke Atmosphäre am Set.

Ricore: Musik spielt in all Ihren Filmen eine große Rolle. Wie haben Sie die Musik zu diesem Film ausgewählt? Warum Verdi?

Schroeter: Diese Musik ist Teil unserer Kultur. Ich liebe unsere europäische Kultur und sehe mich auch als Europäer. Für mich ist diese Musik Teil der Geschichte und Teil unserer Zukunft, hoffe ich zumindest. Dann ist es die Komposition eines Meisters. Es sind präzise musikalische Punkte, welche die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft beschreiben. Für mich ist die Musik Teil unseres Körpers.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 3. September 2008
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2024