Fantasia Film
Regisseur Ben Stassen
Macht keine 2 1/2-D-Filme!
Interview: Ben Stassen steht auf 3D
"Fly Me to the Moon 3D" ist der erste komplett in 3D animierte Spielfilm. Wir sprachen mit dem gut gelaunten Regisseur und Produzent Ben Stassen nach der Münchner Premiere über 3D-Technik und seine Meinung über Disney-Filme mit 3D-Elementen wie "Bolt - ein Hund für alle Fälle". Stassen gab bereitwillig Auskunft und philosophierte über Gemeinsamkeiten der Regieführung in 3D mit der auf einer Theaterbühne.
erschienen am 21. 12. 2008
Fantasia Film
Fly Me to the Moon 3D
Ricore: Die 3D-Technik wurde schon vor langer Zeit erfunden. Warum dauerte es so lange, bis mit "Fly Me To The Moon 3D" der erste komplett animierte Spielfilm in 3D ins Kino kam?

Ben Stassen: Es war fast unmöglich, traditionelle Animationsfilme in 3D zu machen. Man brauchte je ein Bild für beide Augen und musste furchtbar präzise arbeiten. Es war schon lange möglich, Realfilme in 3D zu drehen, da man nur zwei Kameras nebeneinander stellen musste. Seit "Toy Story" vor etwa 15 Jahren gibt es Computeranimationen. Wir machen heute Animationsfilme, die fast eine Umgebung wie bei einem Realfilm schaffen, die aber komplett im Computer entstehen. Es ist einfach, im Computer zwei Kameras zu verwenden, die aus zwei verschiedenen Winkeln eine Szene aufzeichnen.

Ricore: Bitte erklären Sie den 3D-Effekt kurz für unsere Leser.

Stassen: Wie das funktioniert? Wir sehen die Welt mit zwei Augen. Und weil wir zwei Augen haben, sehen wir alles aus zwei leicht unterschiedlichen Winkeln. Das nennt man "stereoskopisches Sehen". Dieses Sehen aus verschiedenen Winkeln ermöglicht uns, die Entfernung zwischen Dingen wahrzunehmen. Wenn ich zum Beispiel meinen Finger 20 Zentimeter vor mein rechtes Auge halte, sehe ich ihn im Zentrum meines rechten Auges, aber im rechten Eck meines linken Auges. Da mein Gehirn erkennt, dass ein großer Unterschied zwischen beiden Bildern meiner Augen ist, kann es den Abstand abschätzen.

Ricore: Wie schaut das konkret beim Filmen aus?

Stassen: Wir machen dasselbe, wenn wir einen 3D-Film machen, wir drehen ihn mit zwei Kameras. Abhängig von der Entfernung der Objekte von der Kamera, erscheinen uns Dinge näher oder weiter weg. Wir drehen zwei Filme, einen fürs linke und einen fürs rechte Auge. Im Kino projizieren wir dann beide gemeinsam. Wir müssen spezielle Brillen verwenden, so dass das rechte Auge nur den rechten und das linke nur den linken Film sieht. Wenn man im 3D-Film die Brille abnimmt, sieht man ein doppeltes Bild. Man kann sie nur durch die Brillen trennen.
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Fly Me to the Moon 3D
Ricore: Wie ist das hier in München im 3D-Kino?

Stassen: Hier in München geht das mit polarisierenden Filtern. Das Licht kommt aus dem Filmprojektor und geht in alle Richtungen. Wenn man einen polarisierenden Filter, die Brille, verwendet, entscheidet man, dieses Auge sieht 90 Grad vertikal, das andere blickt mit einem Nullgradwinkel auf die Leinwand, wenn diese eine Silberleinwand ist. Dann kommt der Lichtstrahl gerade zurück, bei einer normalen Leinwand geht er in alle Richtungen zurück. Beide Augen sehen nur, was sie sehen sollen und das dreidimensional.

Ricore: Welche anderen Verfahren gibt es außerdem?

Stassen: Es gibt noch zwei andere Systeme neben dem Polarisationsverfahren. Man kann auch sogenannte Shutter-Brillen verwenden, wo die Bilder für jedes Auge immer sehr schnell wechseln. Man projiziert hier nicht beide Bilder gleichzeitig, sondern immer abwechselnd eines fürs linke und eines fürs rechte Auge. Das geht so schnell, dass man auch ein doppeltes Bild sieht. Das dritte System ist ein deutsches System, dass heute Dolby-3D heißt und basiert auf einer Technik, die für das linke und das rechte Auge die Wellenkurve der Lichtstrahlen aufteilt.

Ricore: Könnte man nicht auch Kontaktlinsen statt Brillen verwenden?

Stassen: Das wäre möglich für das Polarisationsverfahren und das Dolby-System. Aber Kontaktlinsen können sich drehen, was den Effekt zerstören würde.

Ricore: Welche Zielgruppe wollen Sie mit dem Film ansprechen?

Stassen: Der größte Teil des Zielpublikums sind Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren. Aufgrund der Ausstattung des Filmes ist es ein Familienfilm. Viele Animationsfilme zielen auf Kinder und hoffen, dass ihre Eltern nicht gelangweilt werden. Ich hoffe, dass die Tatsache, dass der Film eine technische Neuerung ist, breitere Publikumsschichten anzieht. Der Film kommt weltweit in 18 Ländern ins Kino. Verschiedene Leute sehen verschiedene Dinge. Kleine Kinder sehen die Geschichte, ihre Eltern sehen die Nostalgie der Raumschiffe und der 1960er.
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Fly Me to the Moon 3D
Ricore: Die Elemente, die die Erwachsenen ansprechen sind also eher…

Stassen: … die geschichtlichen Sachen, die Nostalgie, genau.

Ricore: Vor kurzem sah ich "Bolt - ein Hund für alle Fälle" im Kino, der auch 3D-Elemente hat. Was sind die Unterschiede zwischen "Fly Me To The Moon" und "Bolt".

Stassen: Ich denke "Bolt" ist ein toller Film. Die Unterschiede sind dennoch gravierend. "Bolt" wurde als 2D-Film gedreht. Es ist eigentlich kein 3D-Film, mehr ein 2 1/2 D-Film (lacht), so sehe ich das zumindest. Wenn Disney das hört, werden sie mich töten (lacht), aber im Grunde ist er als 2D-Film konzipiert, jedoch mit zwei Kameras aufgenommen. Das heißt, es wird zwar Tiefe hinter der Leinwand erzeugt, sie bringen die Geschichte jedoch nicht direkt vor den Zuschauer, sie ist hinter der Leinwand. Die Sprache von "Bolt" ist 2D, aber in 3D aufgenommen.

Ricore: Wie ist das in "Fly Me to the Moon 3D"?

Stassen: In meinem Film ist das anders. Alles passiert vor der Leinwand. Nehmen Sie die Filmszene zum Beispiel, wo der Walzer von der "Schönen blauen Donau" läuft, wenn die Charaktere tanzen. Es wäre Schwachsinn, das so in 2D zu drehen, weil man da viele Schnitte machen würde. Hier laufen fast drei Minuten ohne einen einzigen Schnitt. Der Zuschauer sieht eine einzige Einstellung, die nur funktioniert aufgrund des 3D-Effekts. Die Figuren kommen erst sehr nah, gehen dann weiter weg, eine Figur rülpst, und so weiter. In 2D hätte man viele Schnitte gemacht. In 3D wird das eher wie auf der Bühne gemacht. Dasselbe gilt für die Szene mit den ersten Schritten auf dem Mond. Sie ist vier Minuten lang, da gibt es Schnitte, aber wenige. In 2D würde man das ganz anders machen. Es ist nicht sehr viel Bewegung darin, es ist außergewöhnlich, dass es passiert, weil es die ersten Schritte auf dem Mond sind, aber nicht sehr dramatisch. Man ist als Zuschauer direkt dabei.

Ricore: Wäre Fly Me To The Moon" in 2D möglich?

Stassen: "Fly Me To The Moon" kann man meiner Ansicht nach nicht in 2D genießen, "Bolt" ist wohl in 2D genauso gut wie in 3D. Der 3D-Effekt macht da nicht wirklich einen Unterschied. Ich würde die Geschichte von "Fly Me To The Moon" nie als 2D-Film gemacht haben, weil die Geschichte zu vorhersehbar ist. Der Zuschauer weiß, wie die Geschichte ausgeht bevor sie beginnt. Und das ist das Schlimmste, das man über einen Film sagen kann. Wenn man sich den Film nur von der cineastisch-dramatischen Erfahrung her anschaut, handelt es sich nicht um einen sehr guten Film. Ich wusste, ich mache keinen hochdramatischen Film, aber ich wollte eher eine gute Gesamterfahrung erzeugen.
Uli Blanché/Ricore Text
Regisseur Ben Stassen
Ricore: Welche Kritiken fanden sie hilfreich?

Stassen: Ich habe eine sehr interessante Kritik gelesen in England. Der Kritiker schrieb sinngemäß: Bevor Sie den Rest meiner Kritik lesen will ich Ihnen raten, Sie sollten diesen Film wirklich ansehen. Wenn Sie den Rest lesen, kann es sein, dass Sie den Film nicht mehr sehen wollen. Und dann verreißt er den Film: 'Von einem dramatischen Standpunkt aus... bla bla.' Aber am Ende schreibt er: 'Aber vielleicht bin ich zu zynisch, ich sah den Film mit einem echten Publikum, keine Pressevorführung und die Leute mochten den Film. Also schauen Sie sich den Film an.' Der Kritiker fasste es gut zusammen: dies ist eine völlig andersartige Erfahrung, aber wenn ich den Film klassisch kritisieren soll, dann hat man viel auszusetzen.

Ricore: Sie sagten vorhin, dass Sie wenige Schnitte verwenden in 3D. Kann man sagen, dass die 3D-Technik mehr Gemeinsamkeiten mit dem Theater hat?

Stassen: Sehr lustig, dass Sie das sagen, dass habe ich bisher noch sehr selten gehört, aber es entspricht genau meiner Sichtweise. Die Regie beim Animationsfilm in 3D hat viel mehr mit Bühnenregie als mit klassischer Filmregie zu tun. Bei einem Bühnenstück ist man durch die physische Umgebung beschränkt. Die Schauspieler sind auf der Bühne, dort muss man mit ihnen in ihrer Umgebung umgehen. Im 3D Film kann man die Umgebung viel leichter ändern als bei einem Bühnenstück, wo man das höchstens vier fünf Mal macht. Ich kann sie im 3D-Film oft ändern, aber wenn ich einmal in einer Umgebung bin: die wird dann meine Bühne. Und man führt Regie wie auf einer Bühne.

Ricore: Wo ist der Unterschied zu 2D?

Stassen: In der 2D-Filmsprache ist das ganz anders. Da macht man Nahaufnahmen ohne den Ort zunächst zu etablieren und geht weiter. Das sollte man in 3D nicht wirklich machen. Weil da ein Unterschied besteht, was die Position des Zuschauers anbetrifft. Statt im Kino ein Fenster, die Leinwand nämlich, anzuschauen, wo man dann die Geschichte erzählt, sitzt der Zuschauer mit uns an einem Tisch. Er kann zwar nicht eingreifen, weil es vorher aufgezeichnet wurde. Aber er ist da und man muss ihn beachten. Und das ist meine Vision von 3D. Wie die Fliege an der Wand. Der Zuschauer ist in der Szene, wie schaffe ich es, dass die Szene für diesen Zeugen funktioniert. Das ist die Quintessenz von 3D. Nicht, dass 3D einfach nur Spaß macht. Ich glaube es nicht, wenn Hollywood sagt, in fünf Jahren sind alle Filme in 3D, ich glaube auch nicht, dass sie es sein sollten.

Ricore: 3D-Kino ist eine andere Sprache?

Stassen: Genau. Eine andere Art Unterhaltungsplattform. Bei "Bolt" servieren sie und den Double-Burger jetzt als Tripple-Burger. Gleich viel Fleisch, nur anders geschnitten. Ich biete den Double-Burger und einen Meeresfrüchtesalat. (lacht). Es ist nicht besser oder schlechter, nur anders. Genau wie ein Theaterstück sich von einer Oper oder einem Film unterscheidet. Aber lassen Sie uns richtige 3D-Filme machen. Ich meine, der nächste Pixar-Film wird großartig sein in 2D und in 3D. James Cameron sagte: Ein Film sollte zunächst ein guter Film sein und dann ein 3D-Film. Dem widerspreche ich. Aber wenn ein Film in 2D genauso gut ist wie in 3D, dann hat er das Thema verfehlt. Dann ist 3D nur ein Gimmick, eine Zutat, das Sahnehäubchen. Meiner Ansicht nach ist es selbst die Hauptspeise. Man sollte nicht zwei oder drei Euro mehr verlangen und die 3D-Brillen verteilen, wenn man die Ware nicht liefert. Hört auf 2 1/2D-Filme zu machen! Das Publikum schaut den nächsten Pixar-Film in 2D an und sie werden ihn lieben.
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Fly Me to the Moon 3D
Ricore: Warum funktionierte 3D in den 1950ern nicht?

Stassen: In den 1950er und 1970er verschwand 3D, weil es nur eine Zutat war und sich nicht genug vom Rest unterschieden hat. Ich habe nicht Angst, heute in einem Jahr Unrecht zu haben, wenn 3D-Filme in einen Jahre sehr, sehr erfolgreich sein werden. Ich meine "Ice Age 3", "Monsters vs. Aliens", "Up", und so weiter. Sie wären ein großer Erfolg, aber unabhängig vom 3D-Format, weil sie einfach gute Filme sind. Es wird dann viel Werbung geben, 3D, 3D, 3D, aber sie wären nicht deshalb erfolgreich.

Ricore: Das Beste wäre also ein Film, der gut ist, aber die Sprache 3D spricht?

Stassen: Ja. Macht ihn als 3D-Erfahrung, als Ansatz in 3D. Aber meine Angst ist, dass die Zuschauer heute in zwei drei Jahren sagen, vergesst es, lieber 2D. Genau das passierte in den 1950ern. Ich sage das, obwohl ich sehr enthusiastisch im Bezug auf 3D bin. Ich war gerade beim Singapur-Festival, das erste 3D-Filmfestival überhaupt. Die Filme dort waren alle wie "Bolt - ein Hund für alle Fälle". Es war sogar die Weltpremiere von "Bolt" dort, lauter 2 1/2-D-Filme. Nur einer stach heraus: Ein Film namens "My Bloody Valentine 3-D". Großartiger Film.

Ricore: Sie sind der Regisseur von "Fly Me To The Moon", sitzen Sie selbst vorm Computer und animieren?

Stassen: Ich war nie Animator, ich kann nicht animieren. Ich war Produzent und Regisseur, aber nie Animator.

Ricore: Ist Animieren nicht selbst eine Sprache?

Stassen: Ja. Aber ich bin sehr vertraut damit. Es ist manchmal ganz gut, kein Animator zu sein, weil man sich sonst nicht trauen würde, das von unseren Animatoren zu verlangen, was ich manchmal verlange (lacht).
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3D-Pionier Ben Stassen
Ricore: Die belgische Premiere von "Fly Me to the Moon 3D" war bereits vor über zehn Monaten. Sie sind schon lange auf Tour für den Film. Denken die Amerikaner anders über 3D als die Europäer?

Stassen: Es gibt in USA wesentlich mehr 3D-Kinos. Nur die in Europa sind alle viel besser. Die Amerikaner hatten digitale Kinos, die sie zu 3D-Kinos umbauten, die aber nicht ausgelegt waren für 3D. In Europa versuchen sie, die Kinos gut zu 3D-Kinos zu machen. In den USA sind die Leinwände oft zu klein, zu weit oben oder zu weit weg. Die Zuschauer merken das.

Ricore: Erzählen Sie mir noch kurz etwas zu Ihrem neuen Film "Around the World in 50 Years 3D"

Stassen: Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden einer Meeresschildkröte, die1960 schlüpft und im Jahr 2010 erwachsen wird. Es ist ein Abenteuer, eine Geschichte über Liebe, Freundschaft und Ökologie.

Ricore: Was werden Sie anders machen in diesem Film nach "Fly Me To The Moon"?

Stassen: Als wir mit "Fly Me To The Moon" begannen, gab es weltweit noch kein 3D-Kino. Daher machte ich den Film eher mit dem IMAX-Format im Hinterkopf. Also für eine sehr große Leinwand. Aber jetzt muss ich mit einberechnen, dass viele Kinos auch eine wesentlich kleinere Leinwand haben. Ich werde also viel mehr Effekte einbauen, die direkt ins Gesicht des Zuschauers zielen. Man solle ihn auch in einem kleinen Kino genießen können.

Ricore: Gab es mehr Zeit und Geld für "Around the World in 50 Years 3D"

Stassen: Ja, wir sind jetzt 95 Mitarbeiter, vorher waren wir 65. Wir haben auch drei bis vier Monate länger Zeit. Nicht genug, aber besser. (lacht)
erschienen am 21. Dezember 2008
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