Senator Film Verleih
Jan Henrik Stahlberg im fernen Amerika
"Die Verantwortung der Zuschauer"
Interview: Jan Henrik Stahlberg zu Tabus
In der Satire "Short Cut to Hollywood" spielt Jan Henrik Stahlberg einen Mann, der für vergänglichen Ruhm zu allem bereit ist. In unserem Interview spricht der Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler, was ihn motiviert, moralische Grenzen zu überschreiten, wo für ihn die Grenzen des Zumutbaren liegen und wo der Spaß aufhört. Dabei reflektiert er die Sensationsgier von Medien und Zuschauern und erklärt, warum es ihm manchmal schwer fällt, abzuschalten.
erschienen am 26. 09. 2009
Senator Film Verleih
Short Cut to Hollywood
Ricore: Wie weit würden Sie gehen, um im Rampenlicht zu stehen?

Jan Henrik Stahlberg: Ich finde es problematisch, auf diese Frage zu antworten. Denn es kommt ja darauf an, für was ich berühmt werden will. Wenn ich einfach nur bekannt werden will, dann könnte ich einfach einen Schulbus in die Luft sprengen. Aber dann wäre ich das Arschloch, das die Kinder umgebracht hat. Mir dagegen ist es wichtig, etwas zu erzählen - über ein Thema, über das ich gerne einen Film mache. Wenn die Leute den Film dann mögen, freue ich mich sehr darüber.

Ricore: Aber Sie können es schon nachvollziehen, dass jemand um jeden Preis berühmt werden will?

Stahlberg: Nein, es geht mir bei John F. Salinger auch nicht nur darum, dass er unbedingt berühmt werden will. Er hat nämlich ein Riesenproblem damit, dass ihm sein Leben so sinnlos erscheint. Alle Menschen haben ab und zu so eine Phase, wo sie diese Fragen stellen: "Woher komme ich? Wer bin ich? Was soll das alles?" Salinger hat gerade eine Sinnkrise und stellt fest, dass er sein Leben nie wirklich gelebt hat. Da denkt er sich, nun wird es knapp, deswegen muss ich jetzt mal auf die Kacke hauen. Und in diesem Punkt kann ich ihn verstehen, dass er weltberühmt werden will. Denn das will er in erster Linie, um die geilste Zeit seines Lebens zu haben. Ich finde aber vor allem seine Sehnsucht nach Sinn sympathisch, denn die teile ich mit ihm.

Ricore: Was würden Sie denn machen, um mal "auf die Kacke zu hauen?"

Stahlberg: Ich mache Filme. Das ist meine Art mich mitzuteilen. Die Dinge, über die ich mir Gedanken mache, kann ich in Filme packen. Ich finde es spannend, mich auf diese Art und Weise damit zu beschäftigen. Es ist eine Art Katharsis für mich. Nicht alles, was ich mache, ist autobiografisch. Aber wie Thomas Mann immer schon sagte, man kann nicht über etwas schreiben, was man überhaupt nicht erlebt hat. Wenn ich das jetzt nicht falsch zitiere. Es ist immer auch ein Teil von mir in meinen Filmen. Ob die Figur mir selber ähnlich sieht, spielt dabei keine Rolle. Ein Thema muss mich in erster Linie interessieren.
Senator Film Verleih
Jan Henrik Stahlberg in "Short Cut to Hollywood"
Ricore: Das ist ja eine sehr arbeitsame Art sich mit solchen Fragen auseinander zu setzten. Jan Henrik

Stahlberg: Ich sehe es als Luxus, denn ich habe einen Beruf, in dem ich Dinge, die mir durch den Kopf gehen, verarbeiten kann. Ich habe nicht den Wunsch wie John Salinger mit der Harley durch die Wüste zu heizen. Oder zu gucken, welche Frau könnte ich als nächstes ins Bett kriegen oder mich zu fragen, wie viele Leute mir beim Singen zuhören. Solche Bedürfnisse habe ich nicht. Aber ich war ja auch vorher nicht Versicherungskaufmann.

Ricore: Aber Sie könnten ja trotzdem andere, exotischere Themen entwickeln. Jan Henrik

Stahlberg: Ja, aber ich habe auf der Schauspielschule schon gemerkt dass ich dauernd Geschichten im Kopf habe, die mich interessieren. Dann habe ich angefangen, sie aufzuschreiben und Lust bekommen, sie zu verfilmen oder im Theater aufzuführen. Ich halte mich für einen Geschichtenerzähler. Auch bei der Schauspielerei ging es mir immer darum, Geschichten zu erzählen. Und das führt dazu, dass ich mir Dinge, die John Salinger macht, vorstellen kann. Nicht als Herr Stahlberg, aber für einen Film. Ich selbst könnte mir nie vorstellen, im realen Leben auf der Harley herumzugurken.

Ricore: Der Film beschreibt ja auch eine Männerfreundschaft. Wie weit würden Sie selbst in einer Freundschaft gehen? Wenn zu Ihnen ein guter Freund mit so einer Idee kommt - würden Sie dann mitziehen? Jan Henrik

Stahlberg: Ich habe wenige Freunde, die mir aber sehr nahe stehen. Für meinen besten Freund würde ich schon einiges tun. Aber wenn er so wie John Salinger wäre, würde ich da nicht mitmachen.

Ricore: Hätten Sie als Freund versucht ihm klar zu machen, wie absurd sein Unternehmen ist? Jan Henrik

Stahlberg: Ja, natürlich. Wenn zu mir jemand käme und sagen würde, ich verspreche dir, an unserem Todestag haben wir die beste Zeit unseres Lebens, da würde ich sagen: Komm, lasst uns versuchen, dass wir das irgendwie anders hinkriegen.
X-Verleih
Jan Henrik Stahlberg in Märzmelodie
Ricore: Sie persiflieren das Verhalten von Menschen, die unbedingt in den Medien sein wollen. Musste die Geschichte mit John F. Salinger so brutal ausgehen, um dies auf die Spitze zu treiben? Jan Henrik

Stahlberg: Ich habe mal einen Dokumentarfilm über Euthanasie gesehen, in dem ein Mensch am Ende tatsächlich starb. Dabei habe ich nach einem Drittel des Films gemerkt, worauf das hinauslaufen wird, nämlich dass ein Mensch jetzt gleich tatsächlich stirbt. Das fand ich furchtbar. Ich habe geheult wie ein Schlosshund, aber ich konnte nicht abschalten. Weil es mich wahnsinnig in einen Bann gezogen hat. So kam ich auch auf die Geschichte, dass jemand seinen Tod verspricht, wenn er berühmt wird. Es ist reine Fiktion, eine Satire. Ich bin aber überzeugt, dass, wenn jemand das in der Realität machen würde, Sat.1 es um 20:15 senden würde. Und wahrscheinlich würde es hohe Einschaltquoten geben. Die Leute würden beim Gucken kotzen, aber sie würden bestimmt dranbleiben. Deswegen war mir klar, dass Salinger etwas machen musste, was besonders weit geht.

Ricore: Glauben Sie dass es in der Gesellschaft Normen gibt, die so etwas in der Realität verhindern? Jan Henrik

Stahlberg: Ich denke, Salinger hätte in erster Linie ein juristisches Problem. Normen sorgen ja dafür, dass etwas tabuisiert wird. Tabus sind meiner Meinung jedoch das. was sich die Mediengesellschaft zunutze macht. Es gibt so viele Sender, und jeder davon will gesehen werden. Die suchen geradezu nach Geschichten, in denen Tabus gebrochen werden. Dann stellen sie sich als Philister hin und sagen darüber: "Guckt mal, das kann doch nicht wahr sein." Gleichzeitig machen sie damit aber Quote. Deswegen gibt es doch eine große Nachfrage nach Skandalen und Skandälchen. Dinge werden aufgebauscht und breitgetreten. Wie zum Beispiel, dass man Britney Spears' Slip sehen konnte. Statt, dass man das als Nebensächlichkeit bald vergisst, wird das Bild tausendmal gezeigt und eine Riesensensation draus gemacht. Die Mediengesellschaft braucht anscheinend solche Geschichten. Und solange sich die Leute dafür interessieren, werden wir auch immer solche Formate vor die Rübe gesetzt bekommen.

Ricore: Aber jetzt mal aus Sicht der Menschen, die bereit wären etwas zu tun wie Salinger, glauben Sie es würden sich genügend "Idioten" finden für eine solches Format im Fernsehen?

Stahlberg: Da bin ich mir sicher. Teilweise sind das bestimmt "Idioten", aber teilweise könnte ich die Leute sogar verstehen. Die sich sagen, ich habe keine Lust mein Leben lang als Friseur zu arbeiten. Ich singe gerne und gehe jetzt zu dieser Castingshow und probiere das halt. Christoph Schlingensief hat in "U2000" einem Typen eine Karotte in den Hintern gesteckt. Dieser musste dann als Hund angeleint durch die U-Bahn gehen. Er hat dafür jemanden gefunden, das finde ich schon bezeichnend. Das ist aber auch sehr grenzwertig, weil es auch gestörte Typen sind, die so was mitmachen. Und für die Privatsender ist das ein gefundenes Fressen, denn es wird immer Leute geben, die bereit sind so etwas zu machen, um in die Medien zu kommen. Oder auch der Fall mit dem Kannibalen, zu dem ein Typ gesagt hat "Iss mich doch auf". Da hört der Spaß auf. Die Sender scheuen jedoch vor wenig zurück, wenn es Quote bringt.
Senator Film Verleih
Jan Henrik Stahlberg lässt es sich in USA gut gehen
Ricore: Schauen Sie sich den "Rohtenburg" im Kino an?

Stahlberg: Definitiv nicht. Ich kriege schon Pickel, wenn ich nur von der Story höre. Ich finde es schockierend. Einen Dokumentarfilm könnte ich ja noch verstehen, wenn er psychologisch versucht, zu beleuchten, was in diesem Menschen vorgeht. Aber einen Spielfilm? Na gut, der Film erscheint bei Senator. Die verleihen auch unseren Film, so dass ich mit meinen Aussagen etwas vorsichtig sein muss. Kurz gesagt, das ist für mich ein No-go.

Ricore: Also haben Sie durchaus noch Ihre Schmerzgrenzen?

Stahlberg: Definitiv. Ich glaube aber auch dass die Leute das Versprechen von John Salinger als hart empfinden werden. Dass sie aber trotzdem dran bleiben weil sie wissen wollen wie das ausgeht. Der Film hat aber auch eine Menge Humor und hohen Unterhaltungswert. Das Thema über eine Faszination aus, dass man über sich selbst erschrickt, dass man bis zum Schluss zuschaut. Man muss sich dann einfach eingestehen, dass Salinger darin von den Medien so gut aufgebaut wird, dass man sich dem schwer entziehen kann. Moralisch gesehen, kann man nach dem Film schon ein Bier trinken gehen und sich dabei fragen, Was habe ich da eigentlich gemacht, wie weit sind wir gegangen in unserer Gesellschaft, in unseren Medien? Es geht mir aber auch nicht nur um die Provokation um der Provokation willen.

Ricore: Waren Sie am Anfang unsicher, ob Sie Salinger sterben lassen?

Stahlberg: Es war für mich von Anfang an klar, dass er stirbt. Aber wir wollten es so darstellen, dass es für den Zuschauer unsicher ist. Ich glaube aber, es wäre fürchterlich gewesen, wenn Salinger noch einmal die Kurve gekriegt hätte. Das wäre für den Zuschauer einfach unglaubwürdig gewesen, wenn er 90 Minuten im Kino sitzt und dabei weiß, der Typ ist bereit zu sterben und dann macht er einen Rückzieher. Ich glaube, die Leute wollen auch sehen, dass das passiert.

Ricore: Also ist es eine Art Faszination am Elend, das einen beim Zuschauen abhält, abzuschalten oder den Kinosaal zu verlassen?

Stahlberg: So eine Erkenntnis ist vielleicht auch das, worüber man erschrickt. Wenn man sich selbst eingestehen muss, dass man Bock darauf gehabt hat, den Typen sterben zu sehen. Wie bei der "Big Brother"-Folge, in der die Frau die Kakerlaken essen soll. Da will man das als Zuschauer natürlich auch sehen, dass sie das tut. Erst später denkt man, das geht doch nicht, denn hier wird ein Mensch total gedemütigt. Dann sagt man sich andererseits, sie muss ja nicht in der Sendung auftreten. Das ist auch richtig. Aber dann denkt auch keiner, dass man das ja auch nicht sehen muss oder dass kein Sender sowas zeigen muss. Man muss an diesem Punkt als Zuschauer einfach die Verantwortung übernehmen und die Glotze ausschalten. Denn solange die Sender merken, dass sowas Kohle bringt, dann werden die weiter damit machen, das Leiden von Menschen live zu übertragen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 26. September 2009
Zum Thema
Jan Henrik Stahlberg wurde als Weltverbesserer "Mux" in "Muxmäuschenstill" bekannt. Dazu schrieb er auch das Drehbuch. Zusammen mit seiner Freundin, der italienischen Schauspielerin Lucia Chiarla verfasste er auch an der Politsatire "Bye Bye Berlusconi". Stahlberg übt in seinen Satiren gerne Kritik an Medien und Gesellschaft, so auch in "Short Cut to Hollywood".
Endlich richtig leben, diesen Wunsch haben Johannes Selinger (Jan Henrik Stahlberg) und seine Freunde Mattias Welbinger (Marcus Mittermeier) und Christian Hannawald (Christoph Kottenkamp). Da sie nicht jünger werden und der Plan mit der Rockstarkarriere nicht aufgehen will, ziehen sie alle Register, um es noch mal allen zu zeigen. Mit bösartigem Humor werden die Mechanismen des Medienrummels unter die Lupe genommen, ohne zwischen Täter- und Opferrollen zu unterscheiden.
2024