X-Verleih
Bettina Oberli
Abgeholzte Wälder und Schneemassen
Interview: Bettina Oberlis bayerische Odyssee
Die zweifache Mutter und Regisseurin Bettina Oberli erlebte bei den Dreharbeiten zu ihrem dritten Film "Tannöd" eine wahre Odyssee. Das Wetter spielte nicht mit, Wälder wurden abgeholzt, es gab Unmengen von Schnee und zu guter Letzt fiel ein Schauspieler über mehrere Wochen aus. Doch die Schweizerin wäre nicht sie selbst, wenn sie sich von diesen Rückschlägen nicht erholt hätte. Kraft und Halt boten ihr die zwei Kinder sowie ihr Mann, der zugleich auch ihr Kameramann ist. Mit uns sprach die sympathische Schweizerin über Erfolg, Schwangerschaften und Frauenfilme.
erschienen am 18. 11. 2009
Constantin Film
Stéphane Kuthy und seine Gattin, die Regisseurin Bettina Oberli
Ricore: Nach "Die Herbstzeitlosen" ist es zum Mystery-Thriller "Tannöd" ein großer Schnitt. Wie sind Sie dazu gekommen?

Bettina Oberli: Für mich ist "Tannöd" kein Mystery-Thriller, sondern ein psychologisches Drama. Es hat natürlich eine Krimi-Ebene, aber eigentlich geht es um die Psychologie eines Kollektivs. Die Produzentin hat mich gefragt, ob ich dieses Buch adaptieren will, nachdem sie meinen ersten Film "Im Nordwind" gesehen hat. Ich kannte das Buch aber nicht. Sie hat es mir geschickt, es hat mich interessiert, und ich habe Autorin Petra Lüschow gefragt, ob Sie das Drehbuch schreiben will.

Ricore: Haben Sie für den Film selbst noch Recherchen gemacht?

Oberli: Nicht wirklich. Ich wollte den Roman verfilmen und nicht den wahren Fall. Ich wollte keinen klassischen Krimi machen. Der Roman ist es schließlich auch nicht. Er ist ein Sittenbild einer Gemeinschaft. Deswegen wollte ich mich an die Erzählweise und die Vision von Andrea Maria Schenkel halten. Das einzige, was ich recherchiert habe, sind Bilder von Menschen, den Leichen und vom Hof. Ich wollte wissen, wie weit ich gehen kann, wenn ich diese blutüberströmten, vom Stroh bedeckten Leichen zeige. Ich habe mich sehr an das gehalten, was ich gefunden habe. Selbst hätte ich mich wahrscheinlich mehr zurückgehalten.

Ricore: Wie eng haben Sie mit der Autorin zusammen gearbeitet?

Oberli: Nicht sehr eng. Wir haben uns einmal getroffen. Sie hatte das Drehbuch gelesen und wir hatten losen Mailkontakt. Vor gut einer Woche habe ich ihr den Film erstmals gezeigt.

Ricore: Wie hat sie darauf reagiert?

Oberli: Gut, Gott sei Dank. Wäre es anders gewesen, hätte ich nicht damit leben können. Davor hatte ich mehr Angst, als vor der Premiere. Es wäre schlimm gewesen, wenn sie sich von meinem Film distanziert hätte.
Constantin Film
Bettina Oberli und Produzent Bernd Eichinger
Ricore: Sie haben mit Brigitte Hobmeier, Monica Bleibtreu und Julia Jentsch drei Frauen engagiert, die hauptsächlich am Theater tätig sind. Warum?

Oberli: Beinahe alle Akteure spielen hauptsächlich Theater. Das war eine bewusste Entscheidung. Brigitte Hobmeier hätte ich fast nicht gekriegt, da sie stark bei den Münchner Kammerspielen engagiert ist. Ich bin so froh, dass ich sie habe, weil sie die perfekte Barbara ist. Sie ist fantastisch. Gundi Ellert und Julia Jentsch habe ich auch gekriegt. Es war mir einfach wichtig, dass man diesen Menschen ihre Gemeinschaft abnimmt. Ich wollte eine wahrhaftige Welt schaffen. Die Leute im Dorf kennen sich schon ewig und tragen ein kollektives Geheimnis mit sich herum, eine kollektive Schuld. Ich war überzeugt, dass Theaterschauspieler mehr damit anfangen können.

Ricore: Warum?

Oberli: Nun ja, sie proben in Gruppen. Die Proben finden immer im Kollektiv statt. Filmschauspieler arbeiten meist individueller und nicht immer kontinuierlich, im Gegensatz zu Theaterschauspieler. Ich wollte den Film nicht nur mit Leuten besetzten, die man gut kennt. Mit Julia Jentsch und Monica Bleibtreu hatten wir zwar bekannte Gesichter, ihr Promi-Status ist jedoch in der breiten Öffentlichkeit nicht so groß.

Ricore: Lag nach dem Erfolg von "Im Nordwind" und "Die Herbstzeitlosen" ein größerer Druck auf Ihnen?

Oberli: Der Erfolg meiner ersten beiden Filme hat die schnelle Finanzierung von "Tannöd" ermöglicht". Der Erfolgsdruck wäre viel größer gewesen, wenn ich gleich wieder eine Komödie gemacht hätte. Dann hätte man Vergleiche angestellt. "Tannöd" und "Die Herbstzeitlosen" kann man nicht vergleichen. Damit habe ich mich aus der Verantwortung geschlichen (lacht). Dennoch, zwar bewegen sich beide Filme in unterschiedlichen Genres, grundsätzlich erzählen sie aber etwas Ähnliches: Es geht um eine Dorfgemeinschaft, wie sich Individuen innerhalb der Gemeinschaft bewegen und sich nach Verwurzelung und gleichzeitig nach Ausbruch sehnen.
Constantin Film
Tannöd
Ricore: In beiden Filmen stehen Frauen im Mittelpunkt, die einerseits verletzlich, aber auch stark sind...

Oberli: Es liegt in der Natur der Sache, da ich selber eine Frau bin. In meinem ersten Film war ein Familienvater die Hauptfigur, aber er hat auch Frau und Tochter, ist also weiblich bestimmt. Ich will nicht unbedingt Frauenfilme machen. Aber vielleicht mache ich Frauenfilme, weil ich eine Frau bin und eine naturgemäß weibliche Sicht auf Dinge habe. Wenn bis jetzt jemand ein Problem mit "Tannöd" hatte, waren das eher ältere Männer.

Ricore: Im März 2009 kam Esther Gronenborns "Hinter Kaifeck" in die Kinos. Er erzählt den gleichen Fall...

Oberli: Ja, aber wir sind alle gelassen geblieben - das andere Filmteam auch. Es war von Anfang an klar, dass Esther den Fall verfilmt, und wir Andrea Maria Schenkels Roman. Esther Gronenborn hat mir nach dem Dreh von ihren Erfahrungen erzählt. Ich habe den Film leider noch nicht gesehen und kann gar nicht sagen, ob sie ähnlich geworden sind.

Ricore: Wie gut lässt sich Ihr Beruf als Regisseurin mit Ihrem Leben als Mutter kombinieren?

Oberli: Sehr gut, weil meinen Kinder einen tollen Vater haben. Natürlich bin ich viel unterwegs, bei Dreharbeiten und zur Vorbereitung. Bei "Tannöd" bestand ich jedoch darauf, in der Schweiz zu schneiden, da dies viel zeitaufwendiger ist, als der gesamte Dreh. Allerdings hatten wir bei "Tannöd" viel Pech.

Ricore: Inwiefern?

Oberli: Der Dreh hat sich über sieben Monate hingezogen. Geplant waren acht Wochen. Das war schon eine außergewöhnliche Situation. Grundsätzlich bin ich aber fast immer zu Hause, wenn ich meine Projekte vorbereite und schreibe. Beim Schneiden gehe ich von neun bis fünf in den Schnittraum. Wir sind sehr gut organisiert mit Schule und Betreuung. Mein Mann ist gleichzeitig auch mein Kameramann und schaut nach den Kindern. Bei "Tannöd" haben wir die Kinder mitgenommen, samt Eltern, Großeltern und Freunden. Sonst hätte ich das nicht so lange ausgehalten.
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Regisseurin Bettina Oberli auf der Bühne zur Premiere von "Tannöd"
Ricore: Welche Probleme gab es bei den Dreharbeiten?

Oberli: Am Anfang hatten wir das Gefühl, das Wetter ist uns hold, wir brauchten nämlich einige Sommertage. Die hatten wir anfangs auch. Dann hat sich das von einem Tag auf den anderen geändert. Wir erlebten den härtesten Winter seit 20 Jahren und hatten Unmengen von Schnee. Wir waren verzweifelt. Die Feuerwehr wollte uns helfen, aber das war hoffnungslos. Wir mussten die Dreharbeiten unterbrechen. Zudem hatten wir einen Schauspielerausfall über Wochen. Wir wussten nicht, ob man mit der gleichen Person weiter arbeiten kann, oder ob man alles von vorne drehen muss. Dazwischen wurden Wälder abgeholzt. Alles in allem hatten wir sehr großes Pech.

Ricore: Das Scheiden schien dann aber flott von statten zu gehen?

Oberli: Das finde ich auch, die Produktion aber nicht (lacht). Wir haben schon während des Drehs mit dem Schneiden angefangen. Da "Tannöd" eine komplexe Erzählweise hat, ist der Film zum großen Teil auch mit meinem Cutter im Schneideraum entstanden.

Ricore: Wenn Sie einen Film abschließen, denken Sie dann schon an Ihr nächstes Projekt oder machen Sie erst eine Pause?

Oberli: Ich denke schon ans nächste Projekt. Ich kenne nicht das Bedürfnis nach Ruhe. Ich mache meinen Beruf sehr gerne und es gibt nicht viel anderes in meinem Leben. Ich habe keine Hobbies, ich reise nicht, da ich zeitweise sowieso sehr viel unterwegs bin. Ich habe schon wieder ein paar Angebote aus Deutschland und habe viele eigene Ideen. Ich möchte noch einmal etwas mit der Schauspielerin von den "Herbstzeitlosen" machen, und das muss ich jetzt machen, da sie nächstes Jahr 90 wird.
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Die Herbstzeitlosen
Ricore: Wenn Sie anfangen zu schreiben, haben Sie dann schon ein Genre im Kopf?

Oberli: Nein, ich überlege, was mich interessiert, um welchen Kern ich eine Geschichte erzählen möchte. Das Genre ergibt sich. Bei den "Herbstzeitlosen" war es logisch, dass es eine Komödie wird. Bei "Tannöd" war es logisch, dass es keine Komödie wird. Was ich als nächstes mache, ist eine melancholische Komödie. Sie ist weniger volkstümlich, spielt in der Stadt und hat eine starke Melancholie um eine Mutter und ihre zwei Söhne.

Ricore: Sie haben zwei Kinder. Das zweite haben Sie bei der Premiere von "Die Herbstzeitlosen" gekriegt. Das war bestimmt eine große Herausforderung.

Oberli: Es war eigentlich recht gut. "Die Herbstzeitlosen" war zu dem Zeitpunkt der zweiterfolgreichste Film in der Schweiz. Auch im Ausland ist er sehr gut gelaufen. Dadurch, dass ich das zweite Kind bekommen habe, lag meine Priorität bei meinen Kindern. Das war gesund bei all dem Rummel und Erfolg.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. November 2009
Zum Thema
Bettina Oberli kommt 1972 in Interlaken zur Welt. 1995 startet sie ihr Film- und Video-Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Nach ihrem Abschluss geht die Regisseurin nach New York und Berlin. 2006 landet die zweifache Mutter mit ihrem zweiten Spielfilm "Die Herbstzeitlosen" einen Überraschungserfolg, der in der Schweiz zum erfolgreichsten Kinofilm des Jahres wird.
Tannöd (Kinofilm)
Als 1922 eine ganze Familie auf einem Einödhof im bayerischen Hinterkaifeck ermordet wird, löst dies im ganzen Reich Angst und Schrecken aus. Bettina Oberli basiert "Tannöd" auf dem gleichnamigen, 2007 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Roman von Andrea Maria Schenkel. In den weiblichen Hauptrollen sind renommierte Schauspieler wie Monica Bleibtreu, Julia Jentsch und Brigitte Hobmeier zu sehen.
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