Ricore
Harvey Pekar über seine Überlebensstrategie
Interview: Hauptsache, meine Frau ist zufrieden
Held des Alltags Harvey Pekar ist Autor der Comicreihe "American Splendor". Sie handelt von seinem ganz tagtäglichen Überlebenskampf. Als der gleichnamige Film über sein Leben herauskam erlangte er in den USA Kultstatus. Das skurrile Biopic vermischt dokumentarische Szenen, in denen der echte Harvey Pekar auftritt, mit Spielszenen, in denen Paul Giamatti die Rolle des Comicautors übernimmt. Die zusätzlichen Animationssequenzen wirken wie ein Comicbuch aus bewegten Bildern. Im Interview erzählt der sarkastisch-ironische aber durch und durch ehrliche Pekar von seinem Leben nach dem Filmerfolg und seinen Strategien die Rente zu sichern.
erschienen am 30. 10. 2004
American Splendor-Zeichner Harvey Pekar
Ricore: Herr Pekar, ihr Film ist in den USA schon letztes Jahr angelaufen. Macht es Ihnen überhaupt noch Spaß, Interviews dazu zu führen?

Harvey Pekar: Klar. Es ist eine nette Abwechslung vom Schreiben. Eine Zeitlang musste ich ja sehr viele Interviews geben und musste auch viel reisen, aber in letzter Zeit nicht mehr. Wissen Sie, im Allgemeinen unterhalte ich mich gern mit Journalisten. Die sind ja ost intelligenter als andere Leute, und ich führe mit ihnen interessante Gespräche.

Ricore: Was ist es für ein Gefühl, noch zu Lebzeiten zu einer Filmfigur zu werden?

Pekar: Das hat mir gefallen. Ich bin aber auch schon in Theaterstücken porträtiert worden - und natürlich auch in meinen Comicbüchern. Außerdem bin ich schon in ein paar Dokumentarfilmen aufgetreten. Ich war aber positiv überrascht, wie gut der Film geworden ist. Produzent Ted Hope und die beiden Regisseure Robert Pulcini und Shari Springer Berman haben wunderbare Arbeit geleistet. Man bekommt ja eine Menge Geld, wenn man an einem Film mitarbeitet. Ich hätte also mit so ziemlich jedem gearbeitet, der einen Film über mich machen will. Ich stand ja kurz vor meiner Pensionierung von meinem Job als Aktenverwalter im Krankenhaus, und ich bekomme keine üppige Rente. Aber ich habe eine Tochter, die ich aufs College schicken will. Ich hätte also auch meine Zusage gegeben, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass dabei ein miserabler Film rausgekommen wäre.

Ricore: Sie geben also zu, dass Sie sich für ihre Rente verkaufen würden?

Pekar: Absolut. Ich hätte den Leuten dann zwar gesagt, dass der Film schlecht ist. Aber ich rechne es mir auch gar nicht an, dass der Film was geworden ist. Die Filmemacher waren sehr kompetent, und ich schätze mich glücklich, mit ihnen gearbeitet zu haben.

Ricore: Was denkt denn ihre Tochter Danielle von "American Splendor"?

Pekar: Sie findet den Film ganz gut. Sie findet die Filmbranche ohnehin faszinierend. Als wir mit dem Film von Festival zu Festival um die Welt gereist sind, hatte sie viel Spaß, Filmstars zu treffen. Etwa die Schauspieler von "Der Herr der Ringe". Sie hatte sich in ein paar von ihnen verknallt. Dann ist sie aber auf Johnny Depp umgesattelt, den sie zur Zeit ganz toll findet. Das hat ihr also alles viel Spaß gemacht.

Ricore: Sie sind ja mittlerweile in Rente. Was machen Sie denn den ganzen Tag?

Pekar: Ich schreibe. Meine Rente reicht ja wie gesagt nicht aus, um meiner Tochter das Studium zu finanzieren. Ich versuche also, so viel Geld wie möglich zu verdienen. Ich habe einen Vertrag mit Random House abgeschlossen und werde für sie vier Bücher schreiben. Außerdem habe ich für DC Comics, die Superman veröffentlich haben, ein Comicbuch geschrieben. Außerdem habe ich eine Agentin, die mir Engagements als Redner an Universitäten besorgt. Ich gehe also da hin und halte Reden. Für Geld tue ich fast alles.
Tiberius Film
Paul Giamatti als Harvey Pekar
Ricore: Worüber reden Sie denn vor den Studenten?

Pekar: Über den Film. Oder über die Gründe, warum ich Comics schreibe, und nicht Romane - denn das fragen mich die Leute immer wieder. Ich beantworte also ihre Fragen, dann schreibe ich Autogramme, dann fotografieren sie mich, und dann gehe ich wieder heim (lacht).

Ricore: Harvey Pekar schreibt Autogramme? Wenn man den Film gesehen hat, will man gar nicht glauben, dass sie mit dem Konzept des angehimmelten Stars etwas anfangen können.

Pekar: Ich weiß, was Sie meinen. Aber ich schreibe Autogramme, um alle glücklich und zufrieden zu machen. Ich will ja schließlich wieder eingeladen werden und weitere Rednerjobs landen (lacht). Diese Reden sind nämlich gut bezahlt und nicht sonderlich anstrengend. Aber ganz ehrlich: Ich bin dankbar, dass die Leute kommen, um mich zu sehen. Und es macht mir nichts aus, Autogramme zu schreiben. Das ist doch ob. Ich habe wirklich Schlimmeres in meinem Leben gemacht.

Ricore: Haben Sie die Debatten zwischen Bush und Kerry im Fernsehen verfolgt?

Pekar: Nein. Wenn ich sehe, was in diesem Land abgeht, ist das schlimm genug. Und ich bekomme schlechte Laune, wenn ich Bush sehe. Nicht, dass Kerry ein Heiliger wäre. Aber Bush hat so ziemlich in allem Unrecht, was er macht. Er ist ja auch nur eine Marionette der großen Unternehmen. Und das Schlimmste ist: Der Typ wird wieder gewinnen, da bin ich mir ziemlich sicher. Den Leuten ist es anscheinend egal, was für einen schlechten Job er macht. Der Typ macht mich krank. Ich hatte keine Lust, mir den Mist anzuhören, den er erzählt. Deshalb habe ich den Fernseher erst gar nicht angemacht.

Ricore: Sie haben sich ja mal mit Letterman während seiner Show gezofft. Wie ist inzwischen ihr Verhältnis zu ihm?

Pekar: Als der Film herauskam, habe ich mich gefragt, ob er mich in seine Sendung einladen würde. Hat er aber nicht. Er denkt wohl, ich sei eine wandelnde Zeitbombe, die ihm mehr Probleme macht, als sie wert ist. Vielleicht hat er recht. Ich habe ja auch nie etwas davon gehabt, an der Show teilzunehmen. Ich habe kein Geld bekommen, meine Bücher haben sich nicht besser verkaut, und ich konnte nie über das reden, was mich interessiert. Ich sollte mich immer nur selbst parodieren. Da habe ich beschlossen, dass ich darauf keine Lust mehr habe. Und dann habe ich das gesagt, was ich sagen wollte.

Ricore: Sind Sie denn dann stattdessen beim Filmstart zu Jay Leno gegangen?

Pekar: Nein, ich war bei Howard Stern. Der hat allerdings mittlerweile selbst einige Probleme und wurde von manchen Sendern verbannt. Seit dieser Geschichte mit Janet Jackson beim Super Bowl kann ja keiner mehr machen, was er will. Das ist doch so blöde, dass sich alle über so eine Kleinigkeit aufgeregt haben.
erschienen am 30. Oktober 2004
Zum Thema
Harvey Pekar (Paul Giamatti) hat den Loser-Job per Definition. Er ist als Hilfskraft am städtischen Krankenhaus beschäftigt. Für den komplizierten Comicfan ist der Alltag eine Tourtour. Das Archiv ist dennoch der richtige Job für ihn, in dem liberalen Umfeld wird er immerhin akzeptiert. Sein Hobby ist das Zeichnen von Comic - Bildern. Unter dem Titel "American Splendor" veröffentlicht er Geschichten aus seinem Leben. Bald stellt sich auch der Erfolg ein. Doch an seinem eintönigen Leben ändert..
2024