Ralf Hake/Ricore Text
Fahri Yardim
Nicht mehr fremdeln
Interview: Fahri Yardims Visage
Fahri Yardim wird in der Türkei schon mal für sein schlechtes Türkisch ausgelacht. Die Heimat seiner Eltern ist dem Hamburger zwar nicht fremd, zuhause ist er halt doch in Deutschland. Die Kategorien Nationalität und Kultur mag der Schauspieler ohnehin nicht. Er fordert: Wir sollten endlich wieder anfangen, uns als Menschen zu begegnen, nicht als Türken oder Deutsche. Was der "Almanya - Willkommen in Deutschland"-Darsteller Thilo Sarrazin mal gerne ins Gesicht sagen würde, verrät er im Gespräch mit Filmreporter.de.
erschienen am 10. 03. 2011
Concorde Filmverleih
Almanya - Willkommen in Deutschland
Ricore: Wo sind Sie geboren?

Fahri Yardim: In Hamburg, in der City.

Ricore: Wann kamen Sie zum ersten Mal in die Türkei?

Yardim: Wahrscheinlich schon im Bauch meiner Mutter. Meine Eltern haben früher häufig die Großeltern besucht. Da war ich immer dabei. Ab einem Alter von ein, zwei Jahren war ich immer wieder in der Türkei.

Ricore: Ist die Türkei für Sie Ausland?

Yardim: Ich fühle mich dort nicht ganz fremd. Nicht so fremd, wie wenn ich nach Thailand fahre. Aber schon noch ziemlich fremd. Ich bin eben Hamburger.

Ricore: Sprechen Sie türkisch?

Yardim: Ich spreche zwar türkisch, aber nicht gut. Ich werde in der Türkei ausgelacht, weil ich einen starken deutschen Akzent habe. Ich klinge wohl wie ein kleines Kind. Man lacht dann über mich - obwohl ich gar nicht witzig sein will. Das ist schon bitter.
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Fahri Yardim bei der Premiere von "Almanya - Willkommen in Deutschland"
Ricore: Warum sprechen wir in der Integrationsdebatte immer nur von den Türken, warum nicht von anderen Migranten?

Yardim: Dafür spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Der eine liegt auf der Hand: die Anzahl der Türken ist sehr groß. Auf der anderen Seite werden die Türken als das Fremde auch instrumentalisiert, weil sie mit dem Islam assoziiert werden. Und momentan gibt es ein Interesse daran, ein islamisches 'Ihr' aufzubauschen. Ich bin kein Moslem. Aber dadurch, dass ich eine türkische Visage habe - zumindest wird das meist so gesehen - werde ich damit ständig assoziiert. Ich glaube dahinter steckt ein Interesse an Abgrenzung, das es von konservativer Seite definitiv gibt. Man muss versuchen, dem entgegen zu treten, indem man zeigt, wie viel Vielfalt es innerhalb der Gruppen gibt. Ich fand sehr schön, was ich mal gelesen habe: die Varianz innerhalb der Gruppen ist größer als die Varianz zwischen den Gruppen. Ich bin einem Punk aus der Türkei wahrscheinlich näher, als einem Bankier in Deutschland.

Ricore: Warum fremdeln wir Deutschen mit der türkischen Kultur so sehr?

Yardim: Ich würde erstmal in Frage stellen, dass es sich hier überhaupt um zwei Kulturen handeln soll. Ich lebe in Deutschland und kenne mindestens 500 Millionen Kulturen. Ich selbst bin multikulturell in einer Person. Man müsste vielleicht klären, was man unter Kultur versteht. Ich verstehe darunter nicht Nation. Ich kann auch mit dieser Kategorisierung nichts anfangen. Man versucht aus dem Türkischen und dem Deutschen immer zwei verschiedene Dinge zu machen.

Ricore: Welche Dinge treffen in "Almanya - Willkommen in Deutschland" aufeinander?

Yardim: Ich glaube, es ist das Vertraute und das Fremde. Es geht in dem Film um das unterschwellige Vertrautwerden mit etwas, was einem fremd war. Plötzlich wird das, was immer als Heimat galt, fremd, weil man es verlässt. Ich glaube, dass Zeit und Sozialisation, die man in einem Land erlebt, prägt. Wenn im Film der Opa über den britischen Kindsvater der schwangeren Enkelin sagt: "Hätte es nicht wenigstens ein Deutscher sein können?", dann ist das eine Liebeserklärung an Deutschland, an das Vertraute. Er sagt damit: "Ich hatte hier zwar auch meine Probleme und habe mich hier auch immer gerieben. Aber letztendlich ist mir Deutschland doch schon vertraut geworden. Ich glaube, dass die Konfrontation mit der Fremde Spannungen und Vorurteile und vor allem Ängste auslöst. Das wird in dem Film erzählt.
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Fahri Ogün Yardim in "Almanya"
Ricore: Gibt es neben dem individuellen Auseinandersetzen mit dem Fremden eine einfache Möglichkeit, Vorurteile abzubauen?

Yardim: Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass wir alle kategorisieren und welche Gefahren darin liegen. Dass wir das machen müssen, um die Welt zu ordnen, ist klar und auch in Ordnung. Aber wir sollten wieder anfangen, zu differenzieren. Wir sollten versuchen, mit dem Hantieren von großen Schubladen aufzuhören, mit dem Deutsch, Türkisch, Mann, Frau, mit diesen ganzen Paaren, die es gibt. Vor allem sollten wir Abstand nehmen von einem 'Wir' und einem 'Ihr', wenn es sich auf so etwas ungenaues wie den Begriff Nation bezieht. Wir sollten vermeiden, ein Nationalgefühl entstehen zu lassen oder einer Leitkultur entsprechen zu müssen. Wir müssen anfangen, wieder die Gemeinsamkeiten im Menschlichen zu finden, so kitschig das klingt. Lasst uns doch wieder als Menschen begegnen. Denn das steht im Kontrast zu der absurden Vorstellung, wir wären alle etwas sehr Unterschiedliches.

Ricore: Was kann die Politik bei der Integration richtig und falsch machen? Was könnte man in Deutschland besser machen?

Yardim: Man kann eine Selbstverständlichkeit propagieren, dass man da, wo man lebt auch sein darf. Dass man ein Recht hat, dort zu sein. Man muss dort am Leben, an der Gesellschaft partizipieren dürfen. Das Bildungssystem muss durchlässiger werden. Es muss offener sein gegenüber Menschen, die aus schlechteren Verhältnissen kommen. Auch die müssen beteiligt werden. Das ist einer der Schwerpunkte, der gerade Menschen mit türkischem Migrationshintergrund betrifft. Nicht nur wegen irgendeines Sprachdefizits, sondern weil diese Menschen leider sehr oft sozial benachteiligt leben. Ich würde mir wünschen, dass von politischer Seite wieder verstärkt versucht wird, gerecht umzuverteilen - vor allem was Bildung angeht. Dass Deutschland es schafft, wieder soziale Benachteiligung durch Schule auszugleichen und nicht noch zu verstärken.

Ricore: Welche Zuwanderer-Generation hat es am schwersten?

Yardim: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass im Moment viele Probleme mit der dritten Generation assoziiert werden. Da fallen mir Schlagworte wie Jugendkriminalität, Sprachprobleme, eine gewisse Gewaltbereitschaft und ein Sich-nicht-integrieren-wollen ein. Ich glaube, dass die Selbstverständlichkeit nicht eingetreten ist, das Sprachproblem werde sich innerhalb einer gewissen Zeit schon von alleine lösen.
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Fahri Ogün Yardim
Ricore: Wie wichtig ist es für das eigene Leben, die Geschichte seiner Familie, seiner Vorfahren zu kennen?

Yardim: Psychologisch finde ich das sehr interessant und wichtig. Denn von Generation zu Generation werden auch kulturelle Muster weiter gegeben. Aber ich habe kein Wurzelempfinden, nicht das Gefühl, dass ich irgendeinem Ursprung näher bin. Ich lebe sehr im Hier und Jetzt, bin in Hamburg groß geworden. Durch den Film ist schon wieder ein Interesse daran aufgekommen, wie es meinen Eltern erging und was diese Migrationserfahrung ausgemacht hat, was es bedeutet hat, von einer alten Heimat in eine neue zu wechseln, was diese Fremde bedeutet. Ich erforsche gerne, welche Muster es, ganz spezifisch, in meiner Familie gibt.

Ricore: Was würden Sie Thilo Sarrazin gerne mal sagen, wenn Sie ihm begegnen?

Yardim: Ich habe viele Auszüge aus seinem Buch gelesen, aber nicht das ganze Buch. Ich glaube, er ist in erster Linie ein nationalkonservativer und neoliberaler Kapitalist. Er verfolgt mit seiner Wut auf das Fremde, vor allem auf das muslimisch Fremde, ein instrumentelles Interesse. Es ist schade, dass jemand so spaltet und hetzt. Ich glaube, dass, wenn jemand Deutschland abschafft, er das selber tut - indem er Feindschaften und Ängste schürt und falsche Wahrheiten verbreitet. Er spricht die soziale Benachteiligung vieler Migranten nicht an, die Chancen-Ungleichheit, die mangelnde gesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten und Karrierechancen für jemand mir türkisch klingendem Namen. Das wird einfach ausgelassen. Wenn man Sarrazin zuhört, kann man den Eindruck gewinnen, es gäbe etwas im Muslimischen, im Islam, das irgendwie aggressiv und antideutsch ist, Anti-Bildung, Anti-Frieden. Da werden der Kategorie 'Islam' einfach mal ein paar Eigenschaften zugeschoben. Das ist einfach falsch.

Ricore: Was also würden Sie Sarrazin ins Gesicht sagen?

Yardim: Herr Sarrazin, sie sind frustriert. Echt frustriert. Manchmal würde ich ihn gerne in den Arm nehmen und ihm sagen: "Es ist doch alles gut".
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Almanya - Willkommen in Deutschland
Ricore: Ist das Intergrationsthema im Kino nur eine Mode, die eines Tages wieder out ist?

Yardim: Ich glaube, dass "Almanya - Willkommen in Deutschland" ein super Timing hat. Aber das Witzige daran ist: wir reden hier doch gerade schon wieder über die Probleme. Dabei ist der Film eine leichte, heitere, schöne Komödie. Die hat sicher nicht versucht, eine Thilo Sarrazin-Debatte aufzunehmen.

Ricore: Was halten Sie vom Beitritt der Türkei in die Europäische Union?

Yardim: Ich halte die EU in erster Linie für einen Wirtschaftsverein, in dem die Türkei mitmischen will. In wirtschaftlicher Hinsicht könne es eine Chance sein, aber ich bin kein Wirtschaftsvertreter und habe da keine unnötigen nationalen, türkischen Sympathien.Der Beitritt der Türkei wird aber von seinen Gegnern instrumentalisiert, um Ängste zu schüren: "Oje, jetzt kommen die alle her. Wir wollen mit denen nichts zu tun haben, in unserem christlichen Club". Ich steh gar nicht auf das Gerüst "Europa grenzt sich ab", mit seinen Grenzen und anderem. Ich möchte weder EU- noch Türkeilobbyist sein. Im Idealfall ist der Beitritt eine Chance, der Fremdheit entgegen zu wirken, indem man sich annähert. Wenn die Türkei Teil der EU wäre, würden sich vielleicht manche Spannungen lösen. Das wäre meine Hoffnung. Die Hoffnung von einem, der hier in Deutschland mit seinem türkischen Aussehen lebt.

Ricore: Apropos: Haben Sie das Gefühl mit Ihrem türkischen Aussehen in der Türkendarsteller-Schublade festzustecken?

Yardim: Ich habe das Glück, vieles machen zu dürfen. Ich spiele auch Figuren, bei denen der kulturelle Hintergrund völlig egal ist und nur die Person im Vordergrund steht. Ich habe gerade eine Rolle auf dem Schreibtisch, bei der es völlig gleichgültig ist, ob die Person Türke, Italiener oder Israeli ist. Ich könnte auch ein Bayer sein - obwohl das wegen der bayerischen Sprache schwierig würde.
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Vedat Erincin, Fahri Ogün Yardim und Aylin Tezel bei der Premiere von "Almanya - Willkommen in Deutschland"
Ricore: Sie haben nach Ihrer Schauspielausbildung Theater gespielt, sind jetzt aber vor allem im Film zu sehen. Würden Sie gerne wieder Theater machen?

Yardim: Kürzlich hatte ich im Politbüro in Hamburg eine Lesung. Da stand ich seit langem mal wieder auf der Bühne. Es war zwar nur - in Anführungszeichen - eine Lesung, aber es hat mir viel Spaß gemacht. Ich würde sehr gerne wieder Theater machen. Aber ich merke auch, wie ich mich davon entferne. Ich habe großen Respekt davor und gehe auch gerne ins Theater. Ich müsste mich dem aber wieder annähern und wieder beweisen, dass ich auf der Bühne stehen darf. Ich müsste echt wieder üben.

Ricore: Welche klassische Rollen würde Sie reizen?

Yardim: Ich bin großer Schiller-Fan. Ich liebe Schiller! Aber ich liebe auch Shakespeare. Davon habe ich während der Schauspielschulzeit soviel gelesen, aber auch jetzt. Ich bin ein großer Dramen-Fan. Wie wär‘s mit Hamlet?

Ricore: Was ist in der nächsten Zeit geplant?

Yardim: Erstmal drehe ich einen Kurzfilm, in dem es um einen Fall von gewalttätigen Migranten mit türkischen Hintergrund geht. Ich wurde auch heftigst dafür angegriffen, dass ich mich dafür entschieden habe, da mitzuspielen, eben wieder dieses Negativbeispiel. Ich empfinde es aber gar nicht als ein Beispiel, sondern als Abbild einer realen Geschichte. Das versuche ich so selbstverständlich wie möglich anzugehen und diesen ständigen Kontext, dem ich ausgeliefert bin, zu ignorieren. Das gelingt nicht absolut und ich streite da auch innerlich. Aber ich will darüber nicht zu viel verraten.

Ricore: Was können Sie denn sonst noch über sich verraten?

Yardim: Eigentlich nichts - außer vielleicht, dass ich nebenher gerade meine Doktorarbeit abschreibe.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 10. März 2011
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2024