Constantin Film
Weihnachtsmann Alexander Scheer
"Ecken und Kanten sind wichtig!"
Interview: Autodidakt Alexander Scheer
1999 wird Alexander Scheer durch Leander Haußmanns "Sonnenallee" dem Kinopublikum bekannt. Seither ist er öfter in Fernseh- und Kinoproduktionen wie dem Thriller "Carlos, der Schakal" zu sehen. Dass er auch Komödie kann, zeigt Scheer als Weihnachtsmann in "Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel". Im Interview mit Filmreporter.de spricht Scheer über sein schönstes Weihnachtsfest und seinen Glauben an den Weihnachtsmann. Außerdem erklärt er, weshalb er nie eine Schauspielschule besuchte und warum Kinder auch mal bei Rot über die Straße gehen sollten.
erschienen am 26. 11. 2011
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Produzentin Uschi Reich mit Regisseur Oliver Dieckmann ("Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel")
Ricore: Weshalb wurden Sie als Weihnachtsmann engagiert?

Alexander Scheer: Das habe ich mich zunächst auch gefragt. Darauf muss man erstmal kommen. Das Ganze hat Uschi Reich von der Bavaria eingefädelt. Sie hatte mich in Cannes in "Carlos, der Schakal" gesehen, in dem ich einen Terroristen spiele. Danach kam sie auf mich zu und fragte: "Herr Scheer, haben Sie Lust unser Weihnachtmann zu sein?" [lacht] Es war tatsächlich so. Ich dachte nur: "Wie kommt sie darauf?" Erst als ich das Buch las, wurde mir einiges klar.

Ricore: Mögen Sie Weihnachten?

Scheer: Nein.

Ricore: Bitte?

Scheer: Sehen Sie, ich mag das Zusammensein mit der Familie am Heiligen Abend, das Besinnliche und vor allem das Essen. Aber mich nervt der allgemeine Konsumzwang. Die Saison geht ja bereits Ende August los. Ich sagte Uschi auch: "Ihr wisst schon, dass ihr Euch mit mir einigen Rock'n'Roll ins Haus holt?" Sie meinte nur: "Eben deswegen!" Niklas Julebukk mag eben eher die ungezogenen Kinder. Auch privat bin ich der Meinung, dass man die Kids ein wenig zur Anarchie erziehen sollte. Man muss Kindern auch mal beibringen, wie man sicher bei Rot über die Straße geht [lacht]. In unserer stromlinienförmigen Gesellschaft ist es wichtig, einem Kind zu zeigen, dass es auch anders sein kann und Ecken sowie Kanten haben darf..
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Jessica Schwarz, Alexander Scheer und Mercedes Jadea Diaz in Pose
Ricore: Ist es Absicht, dass Sie in Ihren jungen Jahren immer wieder Figuren verkörperten, die deutlich älter sind, als Sie?

Scheer: Den Trick habe von Marcello Mastroianni. Der sagte schon früh: "Wenn ich älter aussehe, kriege ich die besseren Rollen". Aber mal im Ernst: Ich habe für mein Alter schon relativ viel erreicht. Dafür habe ich in den letzten Jahren sehr hart gearbeitet, hauptsächlich am Theater. Ich wollte mein Handwerk anständig lernen. Es gibt gerade beim Film zu viele junge Nasen, die nichts drauf haben. Naja, ein paar gute sind ja auch dabei. Aber ich bin der Meinung, wenn man diesen Job macht, dann sollte man ihn auch beherrschen. Das heißt für mich: lern' dein Handwerk von der Pike auf. Und da führt nun mal kein Weg am Theater vorbei.

Ricore: Sie bereiten sich stets detailliert auf Ihre Figuren vor. Was haben Sie als Vorbereitung auf die Weihnachtsmannrolle konkret gemacht?

Scheer: Ich bin letztes Weihnachten als Knecht Ruprecht durch die Kindertagesstätten getingelt [lacht]. Nein, im Prinzip musste ich nur das Kinderbuch lesen. Da stand schon alles drin, die ganze Charakterisierung. Die Frage war nur, wie spielt man das und was muss wohin? Erst wenn mir das einigermaßen klar ist, kann ich am Set auch wieder spontan sein - gerade weil man nicht chronologisch dreht. Alles, was in der Vorbereitung nicht stattfindet, wird auch später nicht passieren.

Ricore: Inwieweit war es eine besondere Herausforderung vor dem Blue-Screen und mit Kindern zu drehen?

Scheer: W.C. Fields hat ja mal zwei Regeln aufgestellt: Spiel nie mit Kindern und nie mit Tieren. Die schmeißen dir immer die Szene. Ich habe beide Regeln missachtet [lacht]. Mit Kindern zu spielen ist in der Tat etwas anderes, weil die immer echt sind. Wenn sie Angst haben sollen, fürchten sie sich wirklich. Die spielen das nicht, eben weil sie Kinder sind und immer spielen. Wir Schauspieler sind ja auch Kinder. Das waren teilweise ganz tolle Begegnungen. Der Blue-Screen war hingegen manchmal surreal. Die Engel und Kobolde waren nicht da. Dort wo sie später zu sehen sein werden, wurden Marken hingeklebt. Die Kids durften nicht so lange drehen und waren manchmal schon weg. So kam es vor, dass ich ab 16 Uhr alleine im Atelier stand und mit meinen Klebemarken gespielt habe. Interessante Erfahrung...
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Auch ohne Bart weihnachtlich: Alexander Scheer
Ricore: Wann haben Sie den Glauben an den Weihnachtsmann verloren?

Scheer: Ich glaube immer noch an ihn. Und ehrlich gesagt, aus zuverlässigen Quellen weiß ich: den Weihnachtsmann gibt es tatsächlich. Glauben Sie mir, ich muss es wissen.

Ricore: Welche Kindheitserinnerungen haben Sie an Weihnachten?

Scheer: Es gab ein besonders tolles Weihnachten. Das muss 1984 oder 1985 gewesen sein. Pünktlich zur Bescherung hat es tatsächlich geschneit. Es wurde die Weihnachtsplatte aufgelegt, die Kerzen angezündet und draußen war auf einmal alles weiß. Das war irre. Da wusste ich - das mit dem Weihnachtsmann ist kein Blödsinn. Das einzig Doofe war nur, dass uns an besagtem Abend prompt der Baum abgebrannt ist. Wir kommen aus der Küche und das ganze Ding steht in Flammen. Das war ganz schön knapp. Seitdem benutzen wir nur noch elektrische Kerzen.

Ricore: Stimmt das Gerücht, dass Sie in Zukunft weniger Theater spielen werden oder sogar ganz aufhören?

Scheer: Sie wissen ja, wie das mit Gerüchten ist. Meistens ist was Wahres dran. Ich sag ja nach jedem Stück: "So, das war jetzt das letzte Mal." Das ist mittlerweile ein hübscher Running Gag. Ich meine es auch jedes Mal ernst, diese Schinderei, das ist jetzt auch mal gut. Und dann klingelt wieder das Telefon und der laut Focus wichtigste Theaterregisseur des Jahrtausends ruft an...

Ricore: Frank Castorf...

Scheer: ...eben der, und fragt: " Wollen wir nicht noch mal?" Und da kann ich ja dann schlecht nein sagen. Da geht der Zirkus wieder von vorne los! Einmal Manege, immer Manege. Verstehen Sie mich richtig: ich finde Theater wunderbar. Ich liebe die Kollegen, diese verrückte Familie, das Publikum und den ganzen Wahnsinn an der Volksbühne in Berlin sehr. Aber wir spielen ein Stück vielleicht hundert Mal, und das ist verdammt harter Sport, und danach ist es weg. Es bleibt nichts übrig. Das ist zwar sehr romantisch, aber auch frustrierend.
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Alexander Scheer mit Vorbild Volker Lechtenbrink auf der Premierenfeier
Ricore: Also werden Sie jetzt wieder verstärkt Filme drehen?

Scheer: Genau das habe ich vor. Mal ein bisschen was für die Ewigkeit tun. Filme drehen macht zwar erst mal weniger Spaß als Theater spielen, aber dafür hast du länger was davon. Die Befriedigung beim Spielen ist ja beim Theater einfach größer als beim Film, weil man da nur diese 30-Sekunden-Schnipsel spielt. Außerdem erhältst du im Moment des Drehens keinen Gegenwert vom Publikum. Aber die Bezahlung ist besser. Wie auch immer. Das Schlimme ist: Theater und Film ist alles nichts gegen Musik. Wenn du mit deinen Freunden auf der Bühne stehst und 'ne Rock'n'Roll Show abziehst, ist das nicht zu toppen. Da kann man Theater und Film einfach knicken.

Ricore: Das Zitat "Ich wollte immer Popstar werden" gilt also nach wie vor?

Scheer: Na klar, logisch. Also Augen auf bei der Berufswahl! Mit einer Band auf Tour zu sein, ist einfach das Größte! Du bist mit deinen Jungs im Bus unterwegs, kriegst die Gage in cash, die Drinks sind umsonst und die Ladies kreischen. Was will man mehr [lacht]? Shakespeare ist natürlich auch gut, kommt da aber nicht ganz heran. Auch Goethe und Schiller können sehr gut schreiben. Schade, dass es so wenige Leute gibt, die schöne deutsche Filme schreiben können. Aber was soll's: Ich spiele auch in Grütze gut. Man kann mir den am schlechtesten geschrieben Satz eines Drehbuchs geben und ich spreche ihn so, dass er trotzdem gut klingt. So etwas habe ich mittlerweile drauf [lacht]. Aber das Schöne ist, dass ich inzwischen erfolgreich genug bin, um wählen zu können, ob ich in Grütze mitspielen möchte - oder in einem guten Projekt. Damit bin ich sehr privilegiert.

Ricore: Sie sind als Autodidakt Schauspieler geworden. Wie kann man sich Ihre Arbeit diesbezüglich vorstellen?

Scheer: Ich bin ja in einer Zeit erwachsen geworden die sehr verrückt war, die 1990er Jahre in Berlin nach der Revolution 1989. Wir haben in der Schule hauptsächlich geschlafen. Berlin war die Stadt der Stunde und wir hatten Besseres zu tun, als uns den Quark anzuhören. Ich dachte 'Abitur braucht kein Mensch'. Deswegen kam eine Schauspielschule für mich auch nicht in Frage. Das System Schule oder Autorität hatte einfach ausgedient. Es hatte sich alles verdreht. Mit diesem Umfeld bin ich aufgewachsen, aber Schauspieler wollte ich schon immer werden. Außerdem hat mich die Magie des Kinos fasziniert.
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Glaubt noch an den Weihnachtsmann: Alexander Scheer
Ricore: Angefangen haben Sie aber an der Bühne…?

Scheer: Ja, zunächst habe ich Theater gemacht. Ich glaube, es gibt keine Off-Bühne in Berlin, auf der ich noch nicht gespielt habe. Dabei hat mich Theater schon früher kaum interessiert. Auch damals habe ich jedes Mal gesagt: "Dieses Mal stehe ich zum letzten Mal auf den Brettern." Aber man muss sein Handwerk ja lernen [lacht]. Der Film "Sonnenallee" war schließlich ein Glückfall. Da konnte ich eine Figur spielen, die mir sehr ähnlich ist und gleich ins Filmgeschäft einsteigen. Außerdem hatte ich einen hervorragenden Regisseur und ein gutes Drehbuch. Der Film ist heute Kult. So eine naive und bescheidene Spielweise wie damals würde ich heute gar nicht mehr hinkriegen.

Ricore: Gibt es Kollegen, die Sie bewundern?

Scheer: Natürlich. Volker Lechtenbrink zum Beispiel. Der ist von der alten Schule. Vor allem am Theater gibt es Leute, wo es mir echt die Schuhe auszieht, so gut sind die. Ich denke oft: "Warum sieht man die nie auf der Leinwand?" Es ist aber auch ein komisches Denken in Deutschland: Man denkt immer in Schubladen. Wenn sie überlegen, wer wen spielen könnte, sagen sie meist erstmal: "Der hat doch schon mal einen Bankangestellten gespielt - der kann das wieder machen." Man wird für das angefragt, was man bereits gespielt hat. Mich interessieren die Sachen allerdings nicht, die ich kann. Mich interessieren die Sachen, die ich nicht kann. Das sind meiner Meinung nach die Dinge die unseren Beruf interessant machen.

Ricore: Gibt es im Film oder am Theater eine bestimme Rolle die Sie gerne mal spielen würden und Sie herausfordert?

Scheer: Das ist immer so eine Sache mit den Traumrollen. Ich habe darüber nie ernsthaft nachgedacht. Ich bin kein Typ, der großartig über die Zukunft oder die Vergangenheit nachdenkt. Es klingt immer blöde, wenn man als Schauspieler sagt 'Ich lasse mich gerne überraschen'. Aber es ist ja tatsächlich so. Wir können nicht planen, wer weiß schon was kommt. Ich hab keine Ahnung, womit ich mich im nächsten Jahr beschäftige. Diese Willkür ist großartig. Einmal war ich ein Neonazi in Hamburg, wir drehten im Winter, einem der härtesten der letzten Jahre. Am letzten Drehtag fing es heftig an zu schneien, da ging gar nichts mehr. Keine 24 Stunden später fand ich mich in Indien wieder, dort war Hochsommer, ich holte mir einen Sonnenbrand und war einer der Rolling Stones. Diese krassen Filmschnitte im Leben sind toll. Je verrückter die Wechsel, desto besser. Mal beschäftige ich mich ein halbes Jahr mit internationalem Terrorismus, dann spiele ich einen schwulen Flugbegleiter, kurz darauf den Kaiser von Rom oder den Weihnachtsmann. Zumindest haben sie es schwer, mich in eine Schublade zu stecken. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Eine richtige Traumrolle? Vielleicht einen Bankangestellten! Aber dafür habe ich wahrscheinlich nicht die Fresse [lacht].

Ricore: Welche Filmprojekte stehen als nächstes an?

Scheer: Im Frühjahr drehe ich einen Film von dem ich jedoch noch nichts verraten darf - safety comes first. Danach spiele ich den Mephisto in Goethes "Faust" am Theater in Frankfurt. Das ist aber erst in der nächsten Spielzeit und da konnte ich mal wieder nicht nein sagen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 26. November 2011
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Stress im Weihnachtsreich. Der garstige Waldemar Wichteltod (Volker Lechtenbrink) will den letzten Weihnachtsmann Niklas Julebukk (Alexander Scheer) loswerden, damit er das Fest in eine kalkulierte Konsum-Orgie verwandeln kann. Doch er hat nicht mit den Kindern Ben (Noah Kraus) und Charlotte (Mercedes Jadea Diaz) gerechnet. Die Kinderbuchvorlage stammt von Bestsellerautorin Cornelia Funke.
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