Alamode Film
Lars Eidinger spielt einen in "Dora" einen schwierigen Charakter
Anspruch, dass alle Figuren ambivalent sind
Interview: Lars Eidinger macht ernst
Lars Eidinger hat geschafft, wovon viele Schauspieler träumen. Er wechselt zwischen Theater, Fernsehen und Kinoleinwand, wie es ihm gefällt. Dabei spielt er meist Rollen, die ihn fordern. In "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern", der bei der 65. Berlinale in der Sektion Panorama lief, ist Eidinger als undurchsichtiger Peter zu sehen, der eine sexuelle Beziehung zu einer geistig beeinträchtigten jungen Frau eingeht. So geht es in unserem Interview zwangsläufig um Sex, die Erregung des Mannes im Film und die Schwierigkeiten bei Sexszenen.
erschienen am 22. 05. 2015
Oliver Vaccaro
Regisseurin Stina Werenfels mit Lars Eidinger am Set von "Dora..."
Stina hatte schon Bedenken...
Ricore Text: Wie war es, den Film bei der Premiere auf der Berlinale mit Publikum zu sehen?

Lars Eidinger: Es ist immer etwas Besonderes, einen Film mit Publikum zu sehen. Ich hatte ihn zuvor schon mit [Regisseurin] Stina Werenfels und den anderen Schauspielern gesehen. Da hatte ich den Film als ziemlich verstörend wahrgenommen, was eigentlich seltsam ist, weil ich ja genau wusste, worum es geht. Ich fand ihn sehr unangenehm. Stina hatte schon Bedenken, dass mir der Film nicht gefällt, dabei wollte ich nur beschreiben, dass er in mir ein gewisses Unbehagen ausgelöst hat. Ich denke, dass die Zuschauer in einem ähnlichen Konflikt stecken werden. Es wäre auch fatal, wenn es nicht so wäre, denn dann hätte der Film sein Ziel verfehlt. Bei der Premiere war ich irritiert, dass so viel gelacht wurde. Obwohl ich generell kein Problem damit habe, wenn es im Publikum Lacher gibt, ist es eben auch oft der Versuch, unangenehmen Situation mit Ironie zu begegnen und so auszuweichen.

Ricore: An welchen Stellen wurde denn gelacht?

Eidinger: Kurz vor der Vergewaltigung zum Beispiel. Für einen Moment dachte ich, die Leute denken, dass wir das nicht ernst meinen. Oder auch wenn so eine Szene unfreiwillig komisch ist, wäre das schrecklich. Zum Glück verstummten dann aber alle.

Ricore: Kennen Sie solche Situationen?

Eidinger: In dem Film "Blau ist eine warme Farbe" gibt es eine Szene, in der Adèle und ihre Freundin Emma in einem Café sitzen und Adèle Emmas Hand nimmt und küsst. Ich fand die Szene wahnsinnig berührend, aber im Kino wurde gelacht. Ich denke, die Leute kompensieren damit ein Unbehagen. Es gibt ja immer die Tendenz, alles zu ironisieren, aber manchmal stört mich das einfach. Als Künstler habe ich eher den Anspruch, den Mut zu haben, Sachen ernst zu meinen.

Ricore: Welche Szenen in "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern" waren Ihnen beim Anschauen unangenehm?

Eidinger: Viele. Etwa die, in der die Mutter dem Vater einen runterholt fand ich unangenehm. Dieses Stöhnen des Vaters. Man ist zwar daran gewöhnt, im Film Frauen beim Orgasmus zu erleben, Männer dagegen eher selten. Außer beim Porno, da sieht man ja hauptsächlich Männer beim Orgasmus. Sonst wird die Potenz des Mannes meist über die Erregung der Frau erzählt. Auch Doras Vergewaltigung fand ich unangenehm anzusehen.
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Lars Eidinger in "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern"
Lars Eidinger: aus der Komfortzone
Ricore: Wie ist der Unterschied, wenn man so eine Szene spielt?

Eidinger: Das sind keine Drehtage, auf die ich mich besonders freue, gleichzeitig ist es aber ein großer Antrieb für mich, mich dem zu stellen. Man wird, glaube ich, nicht Schauspieler, wenn man immer nur in seiner Komfortzone bleiben will. Aber es wird interessanter oder intensiver, wenn man diese Grenzen überschreitet. Mit Stina als Regisseurin und Victoria Schulz als Partnerin kamen mir in dieser Hinsicht aber sehr entgegen.

Ricore: Inwiefern?

Eidinger: Wenn man beim Drehen eine Partnerin hat, die einem vertraut, kann man sich viel mehr hingeben, wenn es darum geht eine gewisse Brutalität zu erzählen. Wenn ich das Gefühl habe, dem Partner tut tatsächlich etwas weh oder er nimmt einem etwas übel, dann wird es schwierig.

Ricore: Sie spielen oft solche Grenzgänger. Ist es schwer, solche Figuren wieder loszuwerden?

Eidinger: Das ist eine oft gestellte Frage, aber ich kann sie gar nicht so wirklich beantworten. Ich dachte immer, ich hätte gar kein Problem, Figuren loszuwerden, aber da belügt man sich auch. Ein bisschen hängt einem das schon nach. Es ist ja trotzdem meine Realität. Zwar ist es Fiktion, aber ich berühre die Schauspielerin bei einer Vergewaltigungsszene trotzdem tatsächlich. Das ist keine Computeranimation, sondern zwei echte Menschen, die sich berühren. Das macht etwas mit einem und ich kann das nicht so von mir wegschieben und sagen, das ist die Figur. Das bin ich und das spiele ich, maximal mit dem Schutz dieser Figur, aber trotzdem bin ich in jedem Moment anwesend und konzentriere mich darauf konkret in die Situation einzusteigen. Das wird zu meinem erlebten Leben und prägt mich als Persönlichkeit.

Ricore: Wie haben sie sich diesen Peter als Figur erklärt, der ist ja ziemlich ambivalent?

Eidinger: Ich habe den Anspruch, dass alle meine Figuren ambivalent sind, einfach weil Persönlichkeiten nun mal so sind. In "Hamlet" heißt es: Einen Menschen wirklich zu kennen, hieße, sich selbst zu kennen. Ich verstehe die Frage zwar, aber sie ist nahezu nicht zu beantworten. Wenn Sie mich fragen, wie ich bin, kann ich das ja auch nicht sagen. Im besten Fall ist eine Figur immer gut und böse, immer ambivalent und komplex. Darstellungen sind langweilig, wenn sie eindimensional sind.
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Lars Eidinger als Vater Marko in "Was bleibt"
Im Grunde sind wir alle doch sehr triebgesteuert
Ricore: Was bedeutet das in Bezug auf Peter?

Eidinger: Peter zeichnet sich dadurch aus, dass er in seiner extremen Haltung doch eine gewisse Aufrichtigkeit hat, ziemlich direkt ist und damit auch die Eltern bei diesen beiden Zusammentreffen provoziert. Damit trifft er ins Zentrum des Konflikts. Deshalb heißt der Film auch "Die sexuellen Neurosen unserer Eltern", weil die Eltern ein natürlich nachvollziehbares Unvermögen haben, ihrer Tochter eine eigene Sexualität einzugestehen. Sie ist zwar geistig beeinträchtigt, aber auch geschlechtsreif und vor dem Gesetzt mündig.

Ricore: Sie wollen ihre Tochter beschützen.

Eidinger: Ja, deshalb ist der monströse Moment nicht nur die Vergewaltigung, sondern wenn Dora wieder bei ihm auftaucht. Nicht weil sie eine Masochistin wäre, sondern weil sie sich von ihm ernst genommen fühlt, ohne dass sie das jetzt so reflektieren könnte, aber sie genießt den Sex mit ihm. Er nimmt sie so, wie sie ist. Sie hat auch eine gewisse Macht über ihn, weil sie ihm sexuelle Lust verschafft. Das ist etwas, was sie aus ihrem Leben sonst nicht kennt.

Ricore: Sie genießt ihre Sexualität ohne sich Gedanken über sich selbst zu machen.

Eidinger: In dem Punkt ist sie anderen Menschen weit voraus. Im Grunde sind wir alle doch sehr triebgesteuert und unterdrücken das aufgrund zivilisatorischer Verabredungen nur.

Ricore: Stina Werenfels sagt, dass Peter sich in Dora verliebt habe und deshalb nicht mit ihr zusammen sein könnte. Wie sehen Sie das?

Eidinger: Das sehe ich nicht so. Es gibt eine Faszination seinerseits und auch eine Entwicklung, aber nur dahingehend, dass er beginnt, sich und sie infrage zu stellen. Das ist schon ein großer Schritt für ihn. Eine gewisse Emotionalität ist da sicherlich im Spiel, aber von Verliebtheit würde ich nicht sprechen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch!
erschienen am 22. Mai 2015
Zum Thema
Lars Eidinger wird 1976 in Berlin als Sohn einer Kinderkrankenschwester und eines Ingenieurs geboren. Als Kind spielt er die Bibi-Blocksberg-Hörspiele nach, in den 1980er Jahren ist er Kinderdarsteller der SFB-Jugendsendung Moskito. An der Berliner Devid Striesow, Nina Hoss, Mark Waschke und Fritzi Haberlandt. In dieser Zeit hat er Engagements am Jürgen Gosch und Wolfgang Engel.Thomas Ostermeier-Inszenierungen mit und gilt als prägender Schauspieler im Haus am Lehniner Platz. 2008 versucht..
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