zero one film/Martin Valentin Menke
Burghart Klaußner und Ronald Zehrfeld in "Der Staat gegen Fritz Bauer"
Familienfest und Der Staat gegen Fritz Bauer
Interview: Umtriebiger Lars Kraume
Regisseur Lars Kraume hat gerade zwei Kinofilme am Start. "Familienfest" ist als Fernsehfilm gedreht, kommt aber nach dem frenetischen Jubel beim Münchner Filmfest doch zuerst ins Kino. In "Der Staat gegen Fritz Bauer" nähert er sich dem Frankfurter Staatsanwalt, der maßgeblich zu Eichmanns Verhaftung beiträgt und die Auschwitz-Prozesse anschiebt. Kraume stellt ihm den jungen, ehrgeizigen Staatsanwalt Angermann zur Seite, der im Rotlichtmilieu seine Homosexualität entdeckt.
erschienen am 15. 10. 2015
Universal Pictures (UPI)
Lars Kraume ("Die kommenden Tage")
Ungewöhnlicher deutscher Held
Ricore Text: Sie arbeiten regelmäßig für Kino und Fernsehen. Wie gewichten Sie beides?

Lars Kraume: Ich drehe gerne und sehr unterschiedliche Filme, und überlege genau, wo sie ihren Platz finden. Die niedrigeren Budgets im Fernsehen schränken die filmischen Möglichkeiten ein. Was nicht heißt, dass alle Kinofilme ausreichend finanziert sind. Auch für diesen Dreh war das Geld knapp.

Ricore: Wie entstand die Idee?

Kraume: In Olivier Guez' Buch "Die Heimkehr der Unerwünschten" ging es um Themen wie Heimkehr von Holocaust-Überlebenden, den schwierige Aufbau jüdischen Lebens in der Bundesrepublik, die Verdrängung der Verbrechen und die Kontinuität der Besetzung von Führungspositionen in Politik und Justiz. Durch sein Buch wurde ich auch zum ersten Mal auf Fritz Bauer aufmerksam. Ich fragte ihn, ob wir nicht gemeinsam ein filmisches Portrait dieses ungewöhnlichen deutschen Helden machen wollten.

Ricore: Warum war das zuvor kaum ein Thema?

Kraume: Es gibt den Dokumentarfilm "Fritz Bauer - Tod auf Raten" und den Spielfilm "Im Labyrinth des Schweigens". Warum diese Projekte aber erst jetzt und in so kurzer zeitlicher Abfolge entstehen, ist schwer zu sagen. Die Gräuel des Holocaust waren so entsetzlich, dass selbst die britische Regierung den Dokumentarfilm "Night Will Fall" über die Befreiung der Konzentrationslager direkt nach dem Krieg als so hart einstufte, dass er nicht gezeigt wurde. Die Alliierten hatten Angst, die Deutschen stehen angesichts solcher Verbrechen nie wieder auf. In den Fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wollten die Leute dann einen Schlussstrich ziehen. Ich kenne diese Zeit vor allem aus den Erzählungen meiner Eltern, die damals Teenager waren. Sie waren voller Lebenslust und dachten mehr an ihre eigene Zukunft, als an Deutschlands Vergangenheit. Mit dieser Haltung konnte sich Fritz Bauer nicht abfinden. Er war der Meinung, dass die junge Republik sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen muss. Das Land sollte eine Identität entwickeln, in der die Verbrechen der Nazis Teil der Geschichte sind.
zero one film/Martin Valentin Menke
Burghart Klaußner in "Der Staat gegen Fritz Bauer"
Lars Kraume: Diskussionen absurd
Ricore: Haben Sie mit dem Fritz Bauer Institut bei der Vorbereitung des Films zusammen gearbeitet?

Kraume: Sie haben mich von der ersten Minuten an unterstützt, mir zu allen strittigen Punkten die Meinungen beider Seiten benannt und niemals versucht, das Projekt zu vereinnahmen.

Ricore: Sie spielen auf die Diskussionen an, ob Bauer sich seine Freilassung aus dem Gefängnis in den 1930 Jahren mit Verrat erkauft hat, eventuell ermordet wurde und ob er homosexuell war?

Kraume: Die Diskussionen sind zum Teil absurd. Dass er aus der Haft entlassen wurde, heißt nicht automatisch, dass er sich mit den Nazis arrangiert hat. Er hat einen nichtssagenden Wisch unterschrieben, um sein Leben zu retten. Wer würde das nicht tun? Die Mordtheorie stützt sich auf unhaltbare Spekulationen. Also bleibt die Homosexualität. Dass er schwul gewesen sein könnte, legt der Rapport der dänischen Ausländerpolizei nahe. Wer in den 1950er und 1960ern seine Homosexualität lebte, wurde straffällig. Die Betroffenen mussten ihre Sexualität unterdrücken. Wenn Bauer also homosexuell war, hat er ein großes persönliches Opfer gebracht, um seine Ziele zu erreichen. Er hat seine intimsten Wünsche unterdrückt, was ihn zu einem einsamen Menschen machte. Das zeigt eine unglaubliche Hingabe an sein sich selbst gestecktes Ziel, Nazis vor Gericht zu bringen.

Ricore: Er musste sich auch verstecken, weil die BRD im Gegensatz zur DDR niemals den "Schwulenparagrafen" 175 kassierte, der von den Nazis verschärft worden war?

Kraume: Deutschland hat bis 1994 gebraucht, um diesen Naziparagraph aufzuheben. Sicher hätte man nach 1948 auf die Regelungen der Weimarer Republik zurückgreifen oder sich an anderen Demokratien orientieren können. Doch der Geist war offensichtlich von den moralischen Vorstellungen der Nazi-Zeit indoktriniert. Und man darf nicht vergessen, dass Hitlers Helfer nicht wie die Heuschrecken gekommen sind. Sie drückten zum Teil auch die Meinung des Kleinbürgers aus.

Ricore: Stellen Sie deshalb die Homosexualität in das Zentrum des Films?

Kraume: Wir erfinden einen jungen Staatsanwalt, der symbolisch für die jungen Männer steht, zu denen Bauer ein mentorenhaftes Verhältnis pflegte. Sie waren zu jung, um unter den Nazis gewirkt zu haben - aber alt genug, um in der Bundesrepublik Verantwortung zu übernehmen. Dieser Angermann ist verkappt schwul. Seine Unfreiheit, ist ein Symbol für die Fortführung der moralischen Vorstellungen der Nazis in den 50ern. Die Leute haben sich Demokraten genannt, haben aber diskriminierende Gesetze von den Nazis übernommen. Und die führende Riege der Juristen hat Recht unter den Nazis und in der Bundesrepublik gesprochen. Diese beiden Aspekte wollten wir thematisieren.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 15. Oktober 2015
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Nach dem aufwühlenden Drama "Im Labyrinth des Schweigens" beleuchtet Lars Kraume ein weiteres Kapitel der Neueren deutschen Geschichte: Die schwierigen Anfängen der Aufarbeitung von Nazi-Verbrechen. Der aufrechte hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, ein Deutscher jüdischen Glaubens, der selbst währen dem Holocaust emigriert war, scheitert an einer Mauer des Schweigens und Verdrängens mit seinem Versuch, Adolf Eichmann in Deutschland vor Gericht zu bringen.
Familienfest (Kinofilm)
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2024