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Regisseur Robert Thalheim
Erinnerung und Verantwortung
Interview: Auschwitz heute
Robert Thalheim hat eine Vorliebe für kleine Filme. In seinem Kinodebüt "Netto" inszenierte er die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung. "Am Ende kommen Touristen" konkurrierte als einziger deutscher Beitrag in der Kategorie "Un Certain Regard" auf dem Cannes-Festival 2007. Bei unserem Gespräch geht der Regisseur sehr behutsam mit dem heiklen Thema um. Aus der erfrischenden Perspektive der Gegenwart reflektiert er über das Verhältnis von Erinnerung, Verantwortung und Vergessen in Auschwitz.
erschienen am 12. 08. 2007
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Am Ende kommen Touristen
Ricore: Worum ging es Ihnen in erster Linie?

Robert Thalheim: Der Ausgangspunkt war, eine Geschichte über das heutige Auschwitz bzw. Oswiecim zu erzählen; sich anzusehen, wie die Geschichte dieses Ortes bei den Bewohnern weiter wirkt. Das Schwierige war, Figuren zu finden, die das tragen und lebendig transportieren. Es war schnell klar, dass wir eine Liebesgeschichte auf dem Hintergrund des heutigen Auschwitz machen. Auf der anderen Seite kam aber auch die Vergangenheit durch die Beziehung zwischen Sven und Krzeminski rein.

Ricore: Die dargestellten Polen gehen viel lockerer mit der Vergangenheit um. Gibt es von deutscher Seite noch Interesse, sich mit diesem Teil unserer Geschichte auseinander zu setzten?

Thalheim: Natürlich sind wir noch von dieser Geschichte geprägt. Jeder muss mit der Vergangenheit auf irgendeiner Art und Weise umgehen. Sven ist jemand, der das ganz normal in der Schule mitbekommen hat. Wenn er da hinkommt, hat er nicht das besondere Bedürfnis, etwas wieder gut zu machen. Er ist ein gewöhnlicher Jugendlicher, der nach der Schule ins Ausland möchte und etwas Neues erleben will. Er landet dort unfreiwillig, Sven will ja nach Amsterdam. Aber das finde ich ja das Spannende an dem Film: Sven will sich nicht intensiv mit der Geschichte auseinandersetzen. Er macht aber eine Entwicklung durch. Er taucht sozusagen in den Ort und seine Widersprüche ein. Nicht durch Geschichtsbücher, sondern durch die persönliche Beziehung zu dem ehemaligen Häftling wird ihm Einiges klar über die Geschichte des Ortes und wie schwer es ist, damit umzugehen.

Ricore: Bleibt er wegen dieser persönlichen Beziehung in Oswiecim?

Thalheim: Er hat was Konkretes gefunden. Der Lehrer, der am Ende mit der Schülergruppe ankommt, erzählt die Geschichte wie aus dem Lehrbuch. Sven stempelt die Fahrkarten ab. Er kennt sich aus und hat etwas Konkretes. Er kann den Alten fahren und ihm helfen. Das ist Svens einziger Weg, mit dieser Geschichte umzugehen.
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Alexander Fehling und Barbara Wysocka in "Am Ende kommen Touristen"
Ricore: Sie haben Ihren Zivildienst auch in Oswiecim abgeleistet. Inwieweit beruht das Drehbuch auf Ihren persönlichen Erfahrungen?

Thalheim: Es gibt schon Stimmungen und Situationen, die ich da erlebt habe und die jetzt wiederkehren. Aber es ist nicht autobiografisch. Ich habe die Geschichte so nicht erlebt. Meine persönlichen Erfahrungen an dem Ort sind der Ausgangspunkt.

Ricore: Wie war die Rückkehr?

Thalheim: Es war toll. Ich habe viele Leute von früher getroffen. Es gab damals einen Taxifahrer, der mich immer gefahren hat. Zu dieser Zeit habe ich angefangen, mit einer Videokamera meine eigenen Filme zu machen. Er hat mich immer "Spielberg" genannt. Und nun komme ich wirklich mit einem großen Filmteam zurück. Die Taxifahrt am Anfang des Films ist eine Hommage an ihn. Es ist sein Auto.

Ricore: Spielt er auch mit?

Thalheim: Nein, nein. Aber er steht am Anfang am Taxistand.

Ricore: Wie haben die polnischen Einwohner auf die Dreharbeiten reagiert?

Thalheim: Naja, die waren erstmals kritisch. Sie sind natürlich gewohnt, dass wenn Leute herkommen und einen Film drehen wollen, dieser über die Geschichte handelt. Sie sind auch ein bisschen genervt, dass sie immer mit dieser Vergangenheit und den Verbrechen in Verbindung gebracht werden. So ähnlich wie Anja im Film. Sie sagt "Das ist natürlich damals passiert. Aber das hat nicht viel mit mir zu tun. Ich bin hier ganz normal geboren. Deswegen hat dieser Ort nicht viel mehr mit mir zu tun, als mit jemand, der zehn Kilometer weiter wohnt". Deswegen sind alle sehr kritisch, wenn man als Deutscher dahin kommt und etwas drehen will. Aber als sie gemerkt haben, dass wir etwas über die gegenwärtige Stadt machen wollten und dass Polen in unserem Team sind, waren sie total begeistert. Es haben sich total viele fürs Casting angemeldet. Über 300 Leute wollten als Statisten mitmachen.
Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Robert Thalheim beim Filmfest München 2007
Ricore: War es leicht, Ryszard Ronczewski für die Rolle zu gewinnen?

Thalheim: Es war nicht leicht, jemand Geeigneten zu finden. Wir haben lange gesucht. Bei ihm war toll, dass er sofort die Grundidee gemocht hat. Er hat schon in einem historischen Film gespielt. Er hat in zwei älteren Schwarz-Weiß-Filmen einen KZ-Häftling dargestellt. Er sagte: "Wärst du mit einem Projekt über Häftlinge in Häftlingskleidung gekommen, hätte ich es nicht mehr gemacht". Aber etwas über das heutige Auschwitz zu erzählen, fand er gut.

Ricore: Sie haben keine Drehgenehmigung für das KZ-Lager selbst bekommen. Hat das dem Film geschadet?

Thalheim: Es gibt einige Außenaufnahmen vom Lager. Aber ich wollte nicht diese klassischen Bilder vom Lager wie das Eingangestor und "Arbeit macht frei" verwenden. Ich wollte nie versuchen, über den Ort Emotionen zu erzeugen. Wir kennen alle die schrecklichen schwarz-weißen Bilder mit den Leichenbergen. Man braucht nur eine kleine Szene mit dem Lagerzaun sehen, und sofort assoziiert man die Bilder mit den Koffern. Das habe ich gesucht, aber ich hätte mir mehr dokumentarische Bilder von der Gedenkstätte und den Besuchern gewünscht. Es ist schade, dass die Gedenkstätte das nicht erlaubt hat. Natürlich verstehe ich, wenn sie sagen, dass der Ort nicht zum Dreh von Spielfilmen geeignet ist. Sie haben auch Spielberg nicht erlaubt, dort zu filmen.

Ricore: Der Film präsentiert eine ambivalente Sicht auf die Geschichte...

Thalheim: Das Leben geht natürlich weiter. Aber die Geschichte wirkt in unser heutiges Leben hinein. Das finde ich spannend. Ich will keine Botschaft vermitteln, sondern beobachten. Bewusst habe ich mich für ein offenes Ende entschieden, ich habe kein Rezept am Ende, wie man damit umzugehen hat.

Ricore: Wie war die Erfahrung in Cannes?

Thalheim: Wir haben uns beworben und der Film wurde dort gezeigt. Und dann fingen die Gerüchte an. Der eine sagt: "Ja, es sieht sehr gut aus", der andere sagt: "Der Film ist schon abgelehnt". So ging es über drei-vier Monate und wir haben nicht mehr damit gerechnet. Dann kam die Nachricht und ab da wusste ich, dass der Film wahrgenommen wird. Egal, ob gut oder schlecht.
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Alexander Fehling und Ryszard Ronczewski
Ricore: Er lief auch auf dem Filmfest München. Wie wurde er aufgenommen?

Thalheim: Es gab keine Publikumsdiskussion. Aber es war ein toller Applaus. Danach haben wir mit paar Leuten geredet und die fanden das toll, wie ein schwieriges Thema von heute beleuchtet wird.

Ricore: Ist Auschwitz im deutschen Bewusstsein noch präsent?

Thalheim: Es hat immer noch was mit uns zu tun. Es ist nicht damit getan, zu sagen: "Es ist vor so vielen Jahren passiert und es geht uns nicht mehr an". Ich glaube, das ist ein Teil unserer Geschichte. Solange Menschen leben, denen solche Verbrechen von den Deutschen angetan wurden, existieren diese Wunden. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Reicht es, ein Mahnmal in Berlin bauen und das Thema damit abzuhaken? Ich finde eigentlich, dass es uns gut zu Gesicht steht, mit dieser Vergangenheit offen umzugehen. Man merkt noch, wie stark sie wirkt. Beim Europagipfel hat der Staatschef von Polen das zum Thema gemacht. Wenn Hitler nicht so viele Polen umgebracht hätte, wären die jetzt ein 60 Millionen-Volk und hätten mehr Stimmengewicht. Die Aussage ist eine Unverschämtheit.

Ricore: Es gibt viele, die sich vom Thema abgrenzen und eher genervt sind.

Thalheim: Ja, das ist eine Einstellung, die ich auch kenne. Ich glaube, das ist eine Abgrenzung gegen die 68-er Generationen, gegen unsere Lehrer, die mit großem Impetus und großer moralischen Geste vom Thema geredet haben. Es ist normal, davon Abstand zu nehmen. Dieser große Gestus verstellt den Blick. Leuten wie Günter Grass haben sich ganz anders mit dem Thema auseinander gesetzt, denn das ist eine Auseinandersetzung mit deren Eltern. Und das ist für uns nicht mehr so.

Ricore: Wird der Film auch in Polen gezeigt?

Thalheim: Es gibt Verhandlungen mit einem polnischen Verleiher. Aber der Vertrag ist noch nicht unterzeichnet. Auf jeden Fall wird er auf dem Filmfestival in Warschau gezeigt. Und es wird eine Premiere in Oswiecim geben. Ich hoffe, dass er auch in die Kinos kommt. Ich bin sehr gespannt auf die Reaktion.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 12. August 2007
Zum Thema
Robert Thalheim reflektiert das sensible Thema der deutschen Verbrechen in Auschwitz aus einer erfrischenden Perspektive. Wie kann man an einem Ort leben, dessen Namen zum Symbol für Völkermord geworden ist? Wird die Geschichte in Museen banalisiert oder helfen Gedenkstätten gegen das Vergessen? Anhand der persönlichen Erfahrungen des jungen Deutschen Sven (Alexander Fehling) wird das Gefühlskomplex von Schuld und Verantwortung aufgearbeitet.
2024