Tiberius
Tomer Sisley in "Largo Winch 2"
Wird bald geheiratet?
Interview: Antiautoritäter Tomer Sisley
Autoritäten sind nicht sein Ding, wie Tomer Sisley im Interview mit Filmreporter.de zugibt. Das hat er mit seiner Figur in "Largo Winch 2" gemeinsam. In der Comic-Adaption spielt er den titelgebenden Helden, der von seinem Vater mehrere Milliarden US-Dollar erbt und das gesamte Vermögen für gemeinnützige Projekte spenden will. Im Interview geht Sisley näher auf seine Rolle ein und spricht zudem über Erziehung, das Heiraten sowie seine Pläne als Regisseur.
erschienen am 5. 10. 2011
Sunfilm
Largo Winch 2
Ricore: Was unterscheidet Largo Winch von anderen Comic-Charakteren?

Tomer Sisley: Er ist wesentlich menschlicher angelegt und überhaupt kein Superheld. Letztlich sind die zwei "Largo Winch"-Filme die Geschichte über einen Jungen der adoptiert wurde und seine Wurzeln nicht kennt. Er wächst in einer paradiesischen Umgebung auf und erfährt spät, dass sein biologischer Vater einer der reichsten Menschen der Welt ist.

Ricore: Was haben Sie mit Largo Winch gemeinsam?

Sisley: Eine Menge. Ich habe leider nicht so viel Geld. (lacht) Aber ich kenne das Gefühl, in einer Umgebung aufzuwachsen, von der man denkt, dass es sein Zuhause ist, dann aber als ungefähr Zehnjähriger feststellen muss, dass dies in Wahrheit nicht der Fall ist. Ich weiß wie es ist, ohne Familie auskommen zu müssen. Außerdem bin ich genau wie er ein Abenteurer und eher ein einsamer Mensch.

Ricore: Sie haben Frau und Kind. Dann sind Sie doch gar nicht so alleine...

Sisley: Nicht mehr, da haben Sie recht. Ich bin aber niemand, der viele Freunde hat. Ich mache lieber mein eigenes Ding. Wofür ich mich bisher im Leben entschieden habe, habe ich für mich gemacht. Nicht für meine Freunde. In "Largo Winch 2" ist es das Gleiche. Wenn er Probleme hat, zählt er nicht darauf, dass irgendwelche Freunde oder Bekannte ihm helfen. Er löst die Dinge lieber allein.

Ricore: Was halten Sie von der Bedeutung des Namens Largo Winch? Übersetzt bedeutet er in etwa 'langsamer, breiter Wind'. Ich finde, es fasst das Wesen der Figur gut zusammen.

Sisley: Es ist sehr interessant, dass Sie das sagen. Ich habe schon hunderte Interviews zu den "Largo Winch"-Filmen geführt. Aber auf diesen Aspekt hat mich nie jemand angesprochen. Ich denke, Sie haben Recht. Largo ist überall auf der Welt zu finden, hat aber keine wirkliche Heimat.
Rolf Kuratle
Clemens Schick in "Largo Winch 2"
Ricore: Weshalb sind Sie als Zehnjähriger aus Berlin weggezogen?

Sisley: Mein Vater arbeitete in Frankreich und kam um mich zu holen.

Ricore: Wann werden Sie Ihre Freundin Julie heiraten?

Sisley: Oh Mann, das weiß ich echt nicht. Keine Ahnung wann es eine Hochzeit geben wird. Ich bin kein großer Fan von dieser Sache.

Ricore: Warum?

Sisley: Mir gefällt es nicht über etwas zu sprechen, das für immer dauern wird. Wahrscheinlich denke ich das aufgrund meiner persönlichen Geschichte. Weniges im Leben hält für immer. Das soll aber nicht heißen, dass ich es hier und jetzt beenden möchte. Ich habe einfach nur ein Problem damit, vor der wahrscheinlich höchsten Autorität die es auf der Welt gibt ein Versprechen für die Ewigkeit abzugeben.

Ricore: Sind Sie religiös?

Sisley: Nein.

Ricore: Wo finden Sie Trost, wenn es Ihnen schlecht geht?

Sisley: In der Natur und im Sport. Das meine ich wirklich so, ich brauche das. Ich skydive. Außerdem habe ich sehr viel Paragliding gemacht und bin auf Berge gestiegen. Wenn ich sage "Ich brauche das", dann heißt das beispielsweise, dass ich auch im Urlaub sehr viel Sport treibe. Mich wird man nie dazu bekommen, die ganze Zeit faul am Strand zu liegen.
Tiberius
Tomer Sisley in "Largo Winch"
Ricore: Nicht einen einzigen Tag?

Sisley: Diesen Sommer hatten wir für ungefähr einen Monat in Frankreich ein Haus in der Nähe eines Strandes gemietet. In der gesamten Zeit habe ich vielleicht sechs Stunden am Strand verbracht. Aber auch nur deshalb, weil man mich dazu gezwungen hat.

Ricore: Wer hat Sie gezwungen?

Sisley: Meine Frau (Lacht). Sie treibt nicht so viel und so gerne Sport wie ich. Ihr gefällt es, am Strand zu liegen.

Ricore: Wie arrangiert man sich, wenn der eine generell sehr viel Sport macht und der andere überhaupt nicht?

Sisley: Wir sind wie Plus und Minus. Wir ergänzen uns.

Ricore: Sie sind vor gut drei Monaten zum zweiten Mal Vater geworden. Gewöhnt man sich beim zweiten Mal schneller an den Baby-Alltag?

Sisley: Es ist weder einfacher, noch schwerer geworden mit all den Dingen zurecht zu kommen. Das Wichtige beim zweiten Kind war für mich, dass ich nicht beginne, das erste zu vernachlässigen. Es ist mir wichtig, meiner Tochter zu zeigen, dass sie genauso wichtig ist, wie zuvor, als sie noch das einzige Kind im Hause war. Das ist für mich die Hauptsache.

Ricore: Sie sind momentan beruflich viel unterwegs. Wie oft können Sie Ihre Familie sehen?

Sisley: Fast jeden Tag. Ich drehe einen Film wie "Largo Winch 2" nicht jedes Jahr. Und als ich diesen über sechs Monate auf der ganzen Welt drehte, waren meine Frau und mein Kind fast immer dabei.
Tiberius
Tomer Sisley in "Largo Winch 2"
Ricore: Weshalb haben Sie die Hauptrolle in "Largo Winch 2" angenommen?

Sisley: Als mich mein Agent anrief und mir sagte, dass mich Jérôme Salle bezüglich "Largo Winch" sprechen wolle, ging ich in den Supermarkt, um mir ein paar Ausgaben der Comics zu kaufen. Als ich diese las, dachte ich: "Wer zum Teufel hat da eine Geschichte über mich geschrieben?". Ich war beinahe geschockt, weil der Charakter mir auf vielen Ebenen so sehr ähnelte. Zum Beispiel das generelle Auftreten, die Coolness, mein Verhältnis zu Frauen, quasi alles war mit mir vergleichbar. Ich veralbere Sie nicht! Es war das erste Mal in meiner Karriere, dass ich mich mit einem Charakter beschäftigte, bei dem ich nicht das Gefühl hatte, schauspielern zu müssen.

Ricore: Gab es weitere Gründe?

Sisley: Wir haben in Frankreich nicht so viele Abenteuer-Filme. In den 1980erJahren gab es einige, doch die sind selten geworden. Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich von Charakteren wie Largo Winch geträumt. Deshalb ist es toll, wenn man einmal in seiner Karriere die Hauptrolle in so einem Film spielen kann.

Ricore: Sie haben alle Stunts selbst gemacht. Welche Verletzungen haben Sie davongetragen?

Sisley: Ein paar Verletzungen hatte ich schon. Ich hatte Schnittwunden im Gesicht. Außerdem habe ich mir eine Rippe gebrochen und eine Oberschenkelverletzung zugezogen. Letzteres ist mir beim Joggen passiert.

Ricore: Sind das normale Stunt-Verletzungen?

Sisley: Wenn man Stunts macht, wird man normalerweise gar nicht verletzt. Ich habe mich verletzt, weil ich wirklich alle Stunts selbst gemacht habe - und das fast jeden Drehtag. So konnte sich mein Körper schlecht erholen. Ein Film wie "Largo Winch 2" ist wie ein Marathon. Da ist es wichtig, dass man seine Kraft genau aufteilt, nicht gleich am Anfang über das Ziel hinaus schießt und zu enthusiastisch ans Werk geht. Schon nach zwei Wochen ist man total kaputt, weil der Film in einem hohen Tempo gedreht wird und viel Energie verschlingt. Wenn man dann einen verhältnismäßig leichten Stunt macht und unkonzentriert zu Werke geht, verletzt man sich wie in meinem Fall recht schnell.

Ricore: Sie sagten, dass Charaktere wie Largo Winch Ihre Vorbilder waren. Welche Bücher haben Sie gelesen?

Sisley: Ich habe weniger Bücher gelesen, als Filme geschaut. Die Geschichten mit den Charakteren, die man gerne selbst sein wollte, haben mir am besten gefallen. Zum Beispiel in "Lethal Weapon - Zwei stahlharte Profis". Als ich den gesehen habe, dachte ich "Die sind verdammt cool und lustig". Ebenso haben mir die Filme von Jean-Paul Belmondo gefallen. Er war auch der Meinung, dass Schauspieler ihre Stunts möglichst selbst machen sollen.
Tiberius
Clemens Schick in "Largo Winch 2"
Ricore: Wollen Sie mal selbst einen Film inszenieren?

Sisley: Ich werde bald erstmals Regie führen.

Ricore: Worum geht es in dem Projekt?

Sisley: Das Projekt basiert auf einer wahren Geschichte, die in den 1930er und 1940er Jahren passierte. Es geht um den tunesisch-jüdischen Boxer Victor 'Young' Perez. Er kam in einer Zeit nach Paris, als Tunesier wie Affen behandelt wurden und es erlaubt war, Juden zu bespucken. Schließlich wurde er 1931 als 19-jähriger zum bis heute jüngsten Box-Weltmeister aller Zeiten. Selbst Mike Tyson war bei seinem ersten WM-Titel älter. 1943 wurde Perez schließlich ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und starb nach dessen Auflösung bei einem Todesmarsch.

Ricore: Werden Sie Victor Perez selbst verkörpern?

Sisley: Ja. Außerdem bin ich für das Drehbuch zuständig.

Ricore: Wie sind Sie auf den Stoff aufmerksam geworden?

Sisley: Ich habe kurz vor dem Dreh von "Largo Winch" davon gehört und mit den Recherchen angefangen.

Ricore: Haben Sie das Drehbuch anschließend mit dem Prinzip 'Learning by Doing' geschrieben?

Sisley: Ich wollte das Drehbuch gar nicht schreiben. Die Produzenten von "Largo Winch" haben mich gefragt, was ich nach Ende der Dreharbeiten als nächstes machen wolle. Ich bevorzugte eine romantische Komödie, aber mit einem Engagement hat es nicht geklappt. Deshalb habe ich ihnen während eines Restaurant-Besuchs von meiner Idee erzählt. Sie waren von der Einzigartigkeit der Geschichte begeistert und meinten ich solle es unbedingt selbst schreiben. Ich wollte nicht, doch sie meinten, wer Stand-Up-Comedy schreiben könne, der könne auch ein Drehbuch verfassen. Am Ende behielten Sie Recht, es war nicht so schwer, wie ich dachte.
Tiberius
Tomer Sisley in "Largo Winch 2"
Ricore: Weshalb haben Sie neben der Schauspielerei eine Karriere als Stand-Up-Comedian eingeschlagen?

Sisley: Ich war ein frustrierter Schauspieler. Das blöde an diesem Job ist, dass man immer abhängig von jemandem ist, der sagt, dass man dieses oder jenes machen solle. Wenn es keinen Regisseur gibt, der irgendwann aufwacht und sagt: "Mit dem Tomer würde ich gerne mal zusammenarbeiten", wäre ich arbeitslos. Ich hatte es satt, darum zu kämpfen an Castings für Rollen teilnehmen zu dürfen, die in Wirklichkeit ziemlich öde waren. Ich wollte, dass die Leute wissen, dass ich existiere. Deshalb musste ich mir etwas Neues aufbauen. Stand-Up-Comedy war der perfekte Weg. Denn da gibt es niemanden außer dir selbst, der für deine Arbeit verantwortlich ist.

Ricore: Was bedeutet Ihnen der Comedy-Preis, den Sie in Montréal erhalten haben?

Sisley: Das war eine ziemlich große Sache. Ich war extrem stolz darauf. Dazu muss man verstehen, dass in Frankreich außer mir niemand Stand-Up-Comedy machte, als ich damit anfing. Ich war der Einzige. Die französische Comedy bestand damals aus Sketchen. Niemand ging einfach auf die Bühne, schnappte sich das Mikrofon und laberte drauf los. In praktisch allen Interviews, die ich damals führte, musste ich zunächst erklären, was ich da überhaupt mache. Ich prophezeite den Journalisten 2002, dass in fünf bis zehn Jahren jeder in Frankreich Stand-Up-Comedy machen werde. Ich sollte Recht behalten (lacht).

Ricore: Über wen oder was lachen Sie?

Sisley: Wie kann man so eine Frage beantworten? Alles was mich zum Lachen bringt, ist lustig. Dabei ist es egal, ob es schwarzer Humor ist, oder etwas anderes. Wenn es eine sehr dumme Sache ist, dann bringt es mich wahrscheinlich nicht zum Lachen. Zum Beispiel wenn man über den Power-Knopf meines DVD-Players eine Komödie drehen würde.

Ricore: Haben Sie Stand-Up-Comedian-Vorbilder?

Sisley: Kennen Sie David Cross aus den USA? Der ist ziemlich gut. Richard Pryor war ein Genie.

Ricore: Was war an ihm so speziell?

Sisley: Pryor war der erste Farbige aus einem farbigen Stadtteil mit überwiegend farbigen Freunden, der auf die Bühne kam und das Geschehen der Straße auf die Bühne brachte. Er sprach auf der Bühne genauso, wie auf der Straße mit Fremden und Freunden. Er war der erste, der Ausdrücke wie "Möse" und "Lutsch meinen Schwanz" von sich gab. Es war aber nicht nur das. Er benutzte seine Sprache, um zu zeigen woher er kommt, wer er ist und was Drogen alles anrichten können. Von all diesen Sachen erzählte er auf der Bühne und zeigte, was für eine Scheiße er erlebt und selbst fabriziert hat. Diese Offenheit wollte ich mir bei meinen Bühnenstücken zum Vorbild nehmen. Außerdem hat mir an ihm gefallen, dass er nicht vorgab, ein netter Typ zu sein. Er kam auf die Bühne und sagte: "Hey Leute, ich bin ein Arschloch".

Ricore: Was würden Sie ihren Kindern sagen, wenn sie erwachsener sind und etwas machen wollen, dass Ihnen so gar nicht gefällt? Würden Sie die beiden vom Drogenkonsum abhalten?

Sisley: Als Vater ist es meine Aufgabe meine Kinder zu schützen. Dies möchte ich aber nicht tun, indem ich sage "Du darfst dies oder das nicht". Das wäre völlig nutzlos, da sie es eh tun würden, wenn sie unbedingt wollen. Was ich hingegen machen möchte, ist sie über Dinge aufzuklären, die sie tun wollen. So etwas halte ich nicht für nutzlos. Ich würde ihnen beispielsweise die Auswirkungen von Drogen erklären. Mir ist es wichtig, dass meine Kinder aufgeklärte und clevere Leute werden. Das ist das bestmögliche, das ich machen kann. Den Rest müssen sie selbst entscheiden.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. Oktober 2011
Zum Thema
Tomer Sisley ist ein französischer Schauspieler und Stand-Up-Comedian. In seinem prämierten Bühnenprogramm verarbeitet er oft seinen kulturellen Hintergrund. So wurden seine Eltern in Russland beziehungsweise dem Yemen geboren, er selbst kommt am 14. August 1974 in Berlin auf die Welt. Als Zehnjähriger zieht er nach Frankreich und beginnt seine Schauspielkarriere im Alter von 21 in der Fernseh-Serie "Highlander". Largo Winch"-Abenteuer, in denen er den titelgebenden Abenteurer verkörpert. So..
Largo Winch (Kinofilm)
Nach dem Tod seines Adoptivvaters ist Largo Winch (Tomer Sisley) der rechtmäßige Erbe eines großen Firmenimperiums. Einige Führungskräfte versuchen, seine Machtübernahme zu verhindern. Besonders skrupellos geht Ann Ferguson (Kristin Scott Thomas) vor. Nach der gleichnamigen Comic-Vorlage gestaltet Jérôme Salle "Largo Winch" als spannenden Thriller, der anfangs ein wenig holprig beginnt, seinen Fluss jedoch schnell findet und den Zuschauer dann bis zum Schluss in Atem hält.
Largo Winch 2 (Kinofilm)
Am selben Tag als Largo Winch (Tomer Sisley) das Milliarden-Vermögen seines Vaters (Miki Manojlovic) für wohltätige Zwecke spenden will, wird er wegen angeblicher Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Um seine Unschuld zu beweisen, muss er sich erneut seiner Vergangenheit stellen und nach Burma zurückkehren. In "Largo Winch 2" sind erneut Jérôme Salle als Regisseur sowie Drehbuchautor sowie Tomer Sisley als Hauptdarsteller dabei. Mit dem gleichen Konzept kreieren sie eine spannende..
2024