Warner Bros.
Scott Cooper stellt in San Sebastian "Black Mass - Der Pate von Boston" vor
Größter Skandal in FBI-Geschichte
Interview: Scott Cooper interessiert die Realität
Scott Cooper schreibt für "Crazy Heart" Jeff Bridges eine Oscar-Rolle auf den Leib. In "Auge um Auge" schickt er Christian Bale als rechtchaffender Bruder eines Kriminellen durch die Vorstadthölle. Beim Filmfestival von Venedig stellt er "Black Mass - Der Pate von Boston" mit Johnny Depp in der Hauptrolle vor. Der spielt Bostons einstigen Unterweltkönig James "Whitey" Bulger, dessen Aufstieg das FBI förderte, um die italienische Mafia zu zerschlagen. Filmreporter.de befragt Scott Cooper auf dem Filmfest Zürich 2015 zu dem Gangsterdrame.
erschienen am 16. 10. 2015
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Scott Cooper auf der Venedig-PK zu "Black Mass - Der Pate von Boston"
Kein Interesse an Johnny Depp
Ricore Text: Wie sind sie auf die Geschichte von James "Whitey" Bulger gestoßen?

Scott Cooper: Nachdem er aufgeflogen war und floh, konnte keiner den Schlagzeilen entfliehen. Als er schließlich 2011 geschnappt wurde, rutschte mir das Herz ein wenig in Hose. Er lebte nicht weit von mir in der Nähe von Los Angeles.

Ricore: Was macht seine Geschichte erzählenswert?

Cooper: Die Familien- und Freundesbande. Ein paar Kids von der Straße spielten ihr Leben lang Räuber und Gendarm. Nur die Grenzen verschwammen. Ich kenne keinen Verbrecher, dessen Bruder zu den einflussreichsten Politikern der Stadt gehörte. Und keinen, dessen Aufstieg von einem Freund wie John Connolly aus dem Buddelkasten begünstigt wurde, der dann für das FBI arbeitete.

Ricore: War seine Karriere nicht auch für die Bundespolizei eine Blamage?

Cooper: Es ist der größte Skandal in der Geschichte des FBI. Ohne Informanten kann die Polizei nicht operieren und ich mache mir keine Illusion, dass dichte Netze zwischen Verbrechern, Polizei und Politik in beinahe allen Ländern gespannt sind. Aber es ist nur ein schmaler Grat zwischen Kontakten, Korruption und Begünstigung.

Ricore: Haben Sie Bulger im Gefängnis getroffen?

Cooper: Er hatte kein Interesse an einem Gespräch mit Johnny Depp oder mir. Wir haben deshalb für den Film mit Menschen zusammen gearbeitet, die ihn gut kannten, um herauszukriegen, wie er tickte. Er war wie ein Chamäleon, der sich gegenüber dem FBI völlig anders gab als in seiner Gang.
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Scott Cooper mit seinem Hauptdarsteller Johnny Depp in Venedig ("Black Mass - Der Pate von Boston")
Scott Cooper: immer derselbe Film
Ricore: Was sprach für Johnny Depp?

Cooper: Ich verpflichte gerne Schauspieler für Rollen, mit denen sie künstlerisch Neuland betreten und eine andere Seite ihrer Persönlichkeit und ihres Könnens zeigen. Daher besetzte ich Jeff Bridges, den ich seit langem bewundere, als alternden Musiker in "Crazy Heart. Meinen zweiten Film "Auge um Auge" schrieb ich explizit für Christian Bale. Damit er eine Chance hat, seine Verwundbarkeit zu zeigen. Für Bulger hatte ich beim Schreiben niemanden im Hinterkopf. Johnny ließ mich wissen, dass er interessiert sei. Er liebt Biopics und spielt oft verrückte Leute, die dem Zuschauer sympathisch sind. An Bulger ist nichts zu lieben. Er ist ein Sozio- und Psychopath. Diese Herausforderung wollte Johnny annehmen.

Ricore: Er verschwindet aber fast hinter der Maske und den Kontaktlinsen...

Cooper: Bulger war bekannt für seinen stechenden Blick, der sich bis zur Seele durchfraß. Seine Gesprächspartner hatten Schwierigkeiten, Blickkontakt zu halten. Daher die Kontaktlinsen. Schauspieler lieben es, sich gerne bis zur Unkenntlichkeit zu verwandeln - zumindest die, mit denen ich gerne arbeite.

Ricore: Bulger galt als sehr gewalttätig, was sie nicht verschweigen. Einige Szenen wie das Erwürgen eines Mannes sind schwer zu ertragen.

Cooper: Ich habe die Gewalt in der Szene abgemildert. Der Mann war nach der Strangulierung nicht tot. Bulger hat ihn weiter gequält. Das ging so lange, bis sein einstiger Kumpel um den Gnadenschuss gebettelt hat. Solchen Exzess will ich nicht zeigen. Aber ich kann mich in solchem Film wie im Leben nicht völlig der Gewalt entziehen. Sie gehört leider zu unserem Leben seit dem Auftreten des ersten Homo Sapiens. Und wir haben uns an Gewalt in den Medien gewöhnt. Mich schockiert, wenn sich Kinder Bilder von Polizisten ansehen, die farbige Jugendliche durch eine Stadt jagen und prügeln. Ich will das selbst kaum sehen. Daher würde ich niemals Gewalt romantisieren und um ihrer selbst zeigen.

Ricore: Sie erwähnten oben, dass Sie vor allem die Verwicklungen in der Familie faszinierten. Das hat "Black Mass" mit ihren vorherigen Filmen gemein. Sehen Sie in dieser Vorliebe einen Roten Faden in Ihrem Werk?

Cooper: Jean Renoir sagte mal, ein Regisseur inszeniert sein ganzes Leben lang den gleichen Film. Mich interessiert vor allem die Loyalität in Familien und unter Freunden. John Connolly ist loyal zu Bulger. Er geht lieber ins Gefängnis als seinen Buddelkastenfreund zu verraten. Mich interessierte, wohin diese blinde Freundschaft führt. Dafür halte ich ihrem Leben einen Spiegel vor. Ich entlarve ihre Lügen und schaue hinter die Masken der Anständigkeit.
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Scott Cooper stellt in San Sebastian "Black Mass - Der Pate von Boston" vor
Blockbuster mit humanem Touch
Ricore: Indem Sie den Film als Familiendrama anlegen, müssen Sie sich dem Vergleich mit dem "Paten" stellen. Wie hoch ist der Druck?

Cooper: Ich will nicht vor dem Vergleich drücken, zumal "Der Pate", "Gomorrha" oder Melvilles "Samurai" zu meinen Lieblingsfilmen gehören. Außerdem liebe ich die Filme des Film Noir. Die Messlatte liegt also hoch. Doch wenn man sich davon unter Druck setzen lässt, sollte man das Filmemachen lassen.

Ricore: Hilft es zu wissen, dass Stars wie Kevin Bacon für kleine Rollen zusagen?

Cooper: Stars suchen fieberhaft nach solchen Rollen, denn in den gängigen Blockbustern agieren die Figuren selten wie menschliche Wesen. Was für mich ein Glück ist, weil sie kleine Parts dankbar annehmen. Für Hollywood und die Zuschauer ist es ein Desaster. Meine beiden Kinder sollen mit Vorbildern auf der Leinwand groß werden, an deren Schicksal sie mit ihren eigenen Erfahrungen anknüpfen. Sie fehlen im amerikanischen Film.

Ricore: Die Regie eines Blockbuster würden Sie ablehnen?

Cooper: Wenn er einen humanen Touch hat, warum nicht. Einige Fantasy-Filme sind hervorragend inszeniert. Aber mich interessiert die Realität. Ich sehe lieber die Filme der Dardennes, "Liebe" von Haneke, "Die sieben Samurai" oder "Fahrraddiebe" als einen Blockbuster. Das europäische Kino hat mich geprägt. Und wenn meine Karriere stockt, ziehe ich nach Frankreich.

Ricore: Oder Sie arbeiten wieder als Schauspieler?

Cooper: Vergessen sie es. Die Arbeit als Regisseur und Autor füllt mich aus. Und vor allem kenne ich jetzt den Unterschied zwischen einem mäßig begabten Schauspieler wie mir und einem Genie wie Jeff Bridges oder Johnny Depp. Sie sind mit Talent gesegnet, das ich für meine Filme nutze.

Ricore: Danke für das Gespräch
erschienen am 16. Oktober 2015
Zum Thema
"Black Mass" handelt vom Aufstieg und Fall des Bostoner Gangsters James Joseph 'Whitey' Bulger (Johnny Depp), der im Lauf seiner langen kriminellen Laufbahn viele Jahre nebenbei auch als Informant für die FBI arbeitet. Als der US-Inlandsgeheimdienst den Mafioso verhaften will, flieht Whitey. 16 Jahre ist er auf der Flucht bis er 2011 inzwischen 82-jährig verhaftet wird.
Trotz Schauspielausbildung am renommierten Crazy Heart" schafft er den Durchbruch. Das Musikdrama wird zum Kritikerliebling und verschafft Hauptdarsteller Jeff Bridges den längst fälligen Auge um Auge" wird ihm die Regie beim Gangster-Epos "Black Mass - Der Pate von Boston" anvertraut. Barry Levinson ("Rain Man") war zuvor wegen Gehaltsdifferenzen ausgestiegen. Die Verpflichtung Coopers führt dazu, dass Johnny Depp, der den Nachwuchsregisseur sehr schätzt, wieder ins Projekt einsteigt; auch er..
2024