Jean-François Martin/Ricore Text
Amos Kollek
Religion und andere Sünden
Interview: Wenn der Vater mit dem Sohne…
Regisseur Amos Kollek gewährte uns beim gemeinsamen Gespräch Einblicke in sein Privatleben. Offen spricht er über sein gespaltenes Verhältnis zu seinem verstorbenen Vater und seine Abneigung gegen organisierte Religionen. Das Gespräch wird zu einer Liebeserklärung an Jerusalem und legt den Charakter eines sensiblen Mannes dar, der auf ein äußerst bewegtes Leben zurückblickt. Außerdem ist er selbstbewusst genug, um zuzugeben, sich in der Gesellschaft von Frauen wohler zu fühlen.
erschienen am 21. 02. 2008
Osnat Shalev
Ran Danker in "Restless"
Ricore: Sie haben viele Filme über Frauen gemacht. Warum jetzt ein Männerfilm?

Amos Kollek: Viele Jahre wollte ich keine Filme über Männer drehen, weil ich zu meiner Mutter eine bessere Beziehung als zu meinem Vater habe. Mein Vater war eher eine störende Person in meinem Leben und deshalb habe ich mich über Frauen künstlerisch besser äußern können. Aber diesmal habe ich beschlossen, mich mit Männern zu konfrontieren. Anfangs hatte ich sogar ein bisschen Angst vor diesem kleinen, aber sehr netten Mann hier neben mir, der ein sehr dominierender Schauspieler ist. Es hat sich gleich in der ersten Szene herausgestellt, dass er mich sehr an meinen Vater erinnert.

Ricore: Herr Kollek, wie viel von Ihnen steckt in der Rolle von Moshe? Sie haben den Film Ihrem Vater gewidmet, und es geht um den Versuch, den Vater zu töten. Haben Sie das auch Ihrem eigenen Vater gegenüber empfunden?

Kollek: Emotional steckt da schon sehr viel von mir drin. Was den Vater betrifft und auch den Sohn. Ich liebe Amerika, habe auch viele Jahre dort gelebt. Obwohl ich im Gegensatz zu Moshe nie ein Kind verlassen habe, kann ich mir doch vorstellen an einem Ort zu leben, den ich mir ausgesucht habe. Dieses Gefühl kann ich durchaus begreifen. Die Sehnsüchte und die Wut von Tzach, das sind auch Gefühle, die ich gegenüber meinem Vater hegte. Ich habe meinen Vater nicht allzu oft gesehen. Andere bewunderten ihn. Schließlich war er Bürgermeister. Aber mir war er sehr fremd. Gleichzeitig fühlte ich mich ihm häufig auch sehr nahe und liebte ihn auch, teils. Das war eine Mischung von verschiedenen Gefühlen. Diese Vater-Sohn Beziehung im Film spiegelt sicherlich auch meine Beziehung zu meinem Vater in gewisser Weise wider. Er ist kurz vor Beginn unserer Dreharbeiten verstorben.

Ricore: Herr Kollek, hat Israel die ganze Welt enttäuscht, oder nur Sie?

Kollek: Israel hat mich nicht enttäuscht und ich bin auch nicht sicher, ob Israel die Welt enttäuscht hat. Das kann ich nicht beurteilen, ich weiß nicht einmal, ob die Welt irgendetwas Konkretes von Israel erwartet hat. Natürlich wird speziell aus dem Mund von Moshe sehr viel Kritik an Israel geäußert. Aber Israel ist ein Wunder und wir Israelis neigen dazu, sehr hohe Erwartungen an uns selbst zu haben. Diese selbstkritische Einstellung drückt der Film auch aus. Einige Dinge, wie das politische System, sind nicht in meinen Film eingeflossen. Ebenso wie der Konflikt mit den Arabern. Das klingt vielleicht idiotisch. Aber meiner Ansicht nach ist das so wie mit allen anderen Kriegen. Alle sollten die Waffen niederlegen und endlich aufhören. Man soll sich nicht zanken über jenen oder diesen Teil des Gebietes. Einfach sagen, ab jetzt leben wir alle in Frieden. Das wäre wunderbar. Aber so geht das leider nicht in der Realität.

Ricore: Herr Kollek, Sie sprachen vom Zorn gegenüber Ihrem Vater. Können Sie das ein bisschen vertiefen?

Kollek: Ich habe meinen Vater nicht sehr oft gesehen und ihn deshalb auch häufig vermisst. Ich wurde immer wieder darauf angesprochen, wie glücklich ich sein müsste, ihn als Vater zu haben. Im Stillen habe ich mir dann immer gedacht, eigentlich habe ich ihn ja gar nicht. Er arbeitet 24 Stunden am Tag und nach Hause kam er nur zum Schlafen. Ich hatte nie den Eindruck, dass wir die Priorität in seinem Leben waren. Für ihn war Israel die Priorität. Er war ein guter, ein verantwortungsbewusster Mensch aber sein Hauptinteresse galt Israel. Und damit kann man als Kind nicht viel anfangen. Das ist ein sehr persönlicher Standpunkt, ich kann ihn eigentlich nicht kritisieren. Als Sohn fühlte ich mich ein bisschen vernachlässigt.
Jean-François Martin/Ricore Text
Amos Kollek und Hauptdarsteller Ran Danker zu "Restless"
Ricore: Herr Kollek, es geht hier um zwei Leben. Den Sohn in Israel und den Vater in New York. Der Vater hat ein schwieriges Sexualleben. Aber warum verkleidet sich der Sohn in der einen Szene als Frau? Eine andere Frage ist, warum dieses schöne israelische Lied nicht übersetzt wurde.

Kollek: Also der Sohn ist unter schwierigen Bedingungen groß geworden. Er hatte niemals einen Vater und das Leben mit der Mutter war ja auch nicht gerade einfach. Daher ist er auch sehr viel verschlossener als sein Vater. Moshe drückt ständig seine Emotionen aus. Er zeigt wann er traurig, zornig oder glücklich ist. Er ist extrovertiert, während Tzach sehr introvertiert ist. Diese Schminkszene hat nichts mit Transvestitentum zu tun. Er hat seine Mutter verloren, die ihm sehr wichtig war. Und als er ihr Negligee anzieht, gibt das seine momentane Stimmung wieder. Er empfindet einen Verlust, nämlich seine Mutter, die verstorben ist.

Ricore: Herr Kollek, das ist einer der wenigen Filme von Ihnen mit einem positiven und optimistischen Ende. Ist das ein Wendepunkt in Ihrem Filmschaffen?

Kollek: Ich glaube schon, dass das ein Wendepunkt ist. Da komme ich wieder auf meine eigenen Gefühle zu sprechen. Bei der Beziehung zu meinem Vater durchlief ich zwei Phasen. Einmal als er nicht wieder gewählt wurde als Bürgermeister und einmal als er verstarb. Ich habe ihn sehr geliebt, fühlte mich in gewisser Weise aber auch sehr erleichtert. Auch wenn sich das sonderbar anhört, wurde ich optimistischer. Ich habe festgestellt, dass sich Dinge verändern können. Und das sagt der Schluss des Films für mich aus.

Ricore: 1993 verlor Ihr Vater die Wahlen in Jerusalem. Viele sagen, dass sich das Land seitdem sehr verändert hat. Wie sehen Sie Jerusalem heute?

Kollek: Ich liebe Jerusalem und ich habe es immer geliebt. Auch wegen der verschiedenen religiösen Faktoren dort. Obwohl ich persönlich antireligiös bin. Ich bin gegen organisierte Religion, in der einerseits Liebe geprägt wird und andererseits der Andersgläubige umgebracht wird. Das erscheint mir ein enormer Widerspruch, das ist ein schlechter Scherz. Ich möchte niemanden beleidigen, aber so fühle ich. Trotzdem meine ich, dass es etwas Spirituelles in Jerusalem gibt und ziehe es Tel Aviv vor. Ich brauche weder Diskotheken noch die Schickeria von Tel Aviv. Jerusalem ist ähnlich wie New York eine ganz besondere Stadt. Tel Aviv ist das jedenfalls nicht.
erschienen am 21. Februar 2008
Zum Thema
Er ist der Sohn des langjährigen Bürgermeisters von Jerusalem, Teddy Kollek. Noch bevor Amos zum Film kam, widmete er sich der Schriftstellerei. Gemeinsam mit seinem Vater verfasste er dessen Autobiografie und beschäftigte sich mit zeitgenössischen israelischen Themen. Bekannt wurde er mit einer Reihe von Werken, in denen Frauen im Zentrum stehen. Fast immer ist dabei Anna Levine in der Hauptrolle zu sehen. Amos Kollek drehte unter anderem mit Hanna Schygulla, Alec Baldwin und Faye Dunaway...
Restless (Kinofilm)
Enttäuschung und Resignation sind die Grundtönw in Amos Kolleks Drama. Die Geschichten, mit denen Moshe (Moshe Ivgy) die Besucher einer besudelten Bar unterhält, sind mit bitterem Humor getränkt. Vor 20 Jahren hat der Israeli Heimatland, Frau und neugeborenen Sohn verlassen. Der Neuanfang in New York ist auch gescheitert. Können eine starke Frau und sein verärgerter Sohn seinem Leben die Wende bringen. Starkes Drama, das Poesie und Alltag zusammenfügt.
2024