ZDF Jan Betke
Sophie von Kessel verausgabt sich als liebende Tochter
Sophie von Kessel: Organisation ist alles
Interview: Familie und Beruf vereint
Sophie von Kessel spielt im ZDF Fernsehfilm der Woche "Das Beste kommt erst" eine Karrierefrau abseits bekannter Klischees. Ihre Figur Anna Mailinger scheitert fast an ihren eigenen Ansprüchen. Auch von Kessel ist neben ihrem Beruf als Schauspielerin Mutter. Sie lebt mit dem Schauspieler Stefan Hunstein und ihren beiden Kindern in München. Wie sie es persönlich schafft, Karriere und Familie unter eine Hut zu bringen, verrät sie in unserem Gespräch.
erschienen am 24. 05. 2009
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Sophie von Kessel und Marc Hosemann in Gefahr
Ricore: Was für ein Mensch ist Anna Mailinger?

Sophie von Kessel: Anna ist scheinbar ein sehr selbstbewusster Frau. In der letzten Instanz ist sie es dann doch nicht. Scheinbar ist sie zielstrebig und weiß genau, was sie will. Sie hat studiert, arbeitet erst einmal mit ihrem Vater und will dann eines Tages die Firma übernehmen. Sie hat einen Mann, zwei Kinder und einen Bausparvertrag. An für sich ist sie praktisch veranlagt. Eigentlich ist sie eine Tochter, von der man träumt. Eine karrierebewusste, gleichzeitig aber auch familienbewusste Tochter, perfekte Tochter.

Ricore: Und unter der Oberfläche?

von Kessel: Wenn man so ein bisschen hinter die Fassade schaut, merkt man, dass alles nicht so perfekt ist. Aber sie bemüht sich, es perfekt aussehen zu lassen.

Ricore: Wie viel von Ihnen selbst steckt in der Figur?

von Kessel: Da steckt einiges von mir drin. Das gebe ich ganz offen zu. Ich kenne den Anspruch, allem gerecht werden zu wollen. Das Gefühl keine Schwächen haben zu dürfen. Ich habe auch einen Perfektionsanspruch. Es muss das Beste und das Richtigste sein. Man darf nicht schwächeln. Die Zielstrebigkeit kenne ich von mir. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, versuche ich es auch durchzusetzen. Ich bin aber nie so weit gegangen wie sie. Sie verkauft unbewusst ihr ganzes Lebensglück.

Ricore: Warum macht sie das?

von Kessel: Sie will von ihrem Vater hören, dass sie seine geliebte Tochter ist. Dass sie eines Tages in seine Fußstapfen treten wird und er stolz auf sie ist. Das ist ihr Leitmotiv. Als würde es die Glückseligkeit ihres Lebens bedeuten. Aber genau da ist der große Unterschied zu mir. Ich habe nicht so einen Vater. Ich wollte nie so werden wie mein Vater. Allein schon, weil mein Vater gar nicht den Beruf hat, den ich ergreifen wollte. Karl Mailinger [Friedrich von Thun Anm. d. Red.] ist schon deshalb autoritär, weil er einen Beruf hat, in dem er bestimmen muss. In dem er Verantwortung für Angestellte trägt, delegieren und dirigieren muss. Das hat mein Vater alles nicht gemacht.
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Friedrich von Thun und Sophie von Kessel
Ricore: Was ist ihr Vater von Beruf?

von Kessel: Er arbeitet als Diplomat für den deutschen Staat im Ausland. Er repräsentiert praktisch den deutschen Staat. Das ist etwas ganz anderes. Hier geht es schon sehr stark um Macht. Um das Imperium und darum der Oberste zu sein und die Leute herum zu kommandieren. Das tut Anna ja auch sehr stark. Sie kommandiert gerne und teilt alle ein. Das kenne ich alles nicht von zu Hause. Das war bei uns nicht so. Meine Eltern haben sich dann auch scheiden lassen, als ich acht Jahre alte war. Meine Schwestern und ich sind dann einige Jahre mit ihr alleine gewesen.

Ricore: Wie war das Verhältnis zu Ihren Geschwistern?

von Kessel: (lacht) Meine Schwestern sind viel braver, als meine Filmgeschwister. Ich würde auch das Gegenteil sagen, wenn es anders wäre. Es ist aber leider nicht so. Meine Schwestern sind viel ausgeglichener, viel in sich ruhender. Auch viel mehr als ich. Die Kleine und die Große. Ich bin in der Mitte. Ich habe keine Chaotengeschwister. Das finde ich an der Geschichte so toll. Dass die Geschwister so unterschiedlich sind. Es gibt den verrückten Bruder, dann den Aussteiger-Bruder, der die ganze Zeit von Afrika schwafelt, und die durchgeknallte kleine Schwester, die immer das Baby spielt. Die sind schon sehr unterschiedlich. Es sind ja auch Jungs und Mädchen, ich habe nur Schwestern.

Ricore: Was bedeutet Familie für Sie?

von Kessel: Ich habe keine Heimat in dem Sinne. Einfach weil ich so aufgewachsen bin, wie ich aufgewachsen bin. Ich habe auch nie eine gesucht. Zumindest keine örtliche Heimat. Deswegen bedeutet Familie Heimat für mich. Meine Kinder und mein Mann, da gehöre ich hin. Und wenn sie in einer anderen Stadt sind, dann gehöre ich dort hin. Es ist nicht ortsgebunden und deswegen ist Familie sehr wichtig. So wie ich groß geworden bin, war die Familie besonders wichtig, weil wir viel im Ausland waren. Oft haben wir über die ersten Monate die Sprache noch nicht gesprochen und kannten noch nicht so viele Leute. So war man automatisch mehr mit der Familie zusammen.
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Sophie von Kessel und Marc Hosemann in "Das Beste kommt erst"
Ricore: Sind Sie selbst auch einmal an den Punkt gekommen, an dem Sie dachten, dass Sie ihr Leben ändern müssten?

von Kessel: Nein, eigentlich nicht. Krisen habe ich immer wieder gehabt. Aber nie eine eklatante, worauf ich Dinge hätte ändern müssen. Sondern eher viele kleine Änderungen. Die Geburt meiner ersten Tochter war natürlich eine eklatante Veränderung für mich. Sie hat in gewisser Weise auch eine Krise ausgelöst. Aber ich glaube, das haben alle Frauen. Man fühlt sich kurz nach der Geburt deprimiert. Verändern tut man nichts aktiv, sondern es verändert sich. Automatisch. Ein Kind verändert einfach alles, ob man das will oder nicht. Es ist auch mit mir geschehen.

Ricore: Wie waren die Dreharbeiten für Sie?

von Kessel: Es war extrem harmonisch. Es ist immer doof, wenn man Superlativen benutzt. Aber es war so. Es war ein Superlativdreh. Es war sehr innig und die Probleme kamen erst hinterher. Es war sehr schwer loszulassen und zu akzeptieren, dass es auch andere Dreharbeiten in meinem Leben geben wird. Und das ist nicht nur mir so gegangen, sondern auch vielen Anderen. Auch aus dem Team, nicht nur bei den Schauspielern.

Ricore: Wie ist kommt so etwas zustande?

von Kessel: Rainer [Regisseur Rainer Kaufmann Anm. d. Red.] schafft es einfach eine Gruppendynamik aufzubauen. Und bei diesem Film gelang das mehr denn je. Einfach weil es eine Familiengeschichte ist. Natürlich auch, weil wir durch den Drehort sehr eng beieinander waren. Dadurch wurde es so intensiv.

Ricore: Wie war das für Sie, als sie ins kalte Wasser gehen mussten?

von Kessel: Das war sehr aufregend für mich. Ich bin im Vorfeld gut gecoacht worden. Mir war allerdings nicht klar, dass es so kalt werden würde. Was es genau bedeutet, dass es Eiswasser ist, darauf konnte mich keiner vorbereiten. Der Körper reagiert darauf und man hat plötzlich nicht mehr alles unter Kontrolle. Die Lunge zieht sich zusammen und man fängt an zu schnappen. Das war eine Extremsituation und ich kannte es einfach nicht. Ich wusste es auch nicht einzuschätzen.

Ricore: Welche Probleme gab es noch für Sie?

von Kessel: Das Problem war, dass es die Gumpe sein musste, weil dort ein Wasserfall war. Man bekommt fließendes Wasser nicht geheizt. Heutzutage kann man alles wärmen. Aber in dem Fall gab es durch die Bewegung des Wassers keine Möglichkeit es anders zu machen, als wir es gemacht haben. Letztendlich war ich durch den Erwartungsdruck und das viele darüber reden eingeschüchtert. Der Gang in das Wasser war nicht mehr so schlimm. Die Vorstellung war viel schlimmer. Nichtsdestotrotz war es schwierig. Man hat nicht einfach eine Szene mit einem Partner zu spielen, sondern muss einen Umstand noch mitspielen, den man nicht kontrollieren kann.
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Sophie von Kessel
Ricore: Gab es eine Szene, die Ihnen besonders viel Spaß gemacht hat?

von Kessel: Ich mochte die Szenen sehr gerne in der wir tanzen. Wir trinken, scheinbar, und die ganzen Geschwister verbünden sich gegen ihren Vater. Da wärmt sich das Verhältnis zwischen den Geschwistern auf. Das mochte ich unheimlich gerne. Es war schon sehr spät in unserer Drehzeit und wir hatten schon so ein Ensemblegefühl. Jeder hatte seine Figur gefunden und man konnte richtig improvisieren. Das war sehr schön für mich.

Ricore: Konnten Sie ein Verhältnis zu Ihrer Figur herstellen?

von Kessel: Eigentlich nur durch Rainer. Wir hatten ein langes Casting. Das hat ungefähr einen halben Tag gedauert. Da haben wir uns schon viel über die Figur unterhalten. Als ich dann tatsächlich für die Rolle ausgesucht wurde, haben wir uns über die Beziehungen unterhalten. Anna definiert sich vor allen Dingen über ihre Beziehung zu den anderen Familienmitgliedern. Es war sehr interessant für mich, wie Anna von den anderen Figuren beschrieben wird. Dann hebt sich so eine Figur von alleine heraus. Das war der Punkt für mich.

Ricore: Sind Ihnen bei einem Projekt die Figuren oder die Geschichte wichtiger?

von Kessel: Eine komplexe, gut geschriebene Rolle ist sehr wichtig für mich. Natürlich muss die Geschichte auch stimmen. Aber wenn man nur einen Drehtag hat und drei Sätze, macht das auch nicht so viel Spaß. Das war bei diesem Projekt das Schöne. Es war ein Traum für mich. Eine vielschichtige, komplexe Figur, so viele unterschiedliche Situationen und Konstellationen. Viele Szenen die ich spielen durfte waren ein Geschenk für mich. Das gibt es gar nicht mehr so häufig. Sowieso gibt es so etwas nicht so oft, tolle komplexe Frauenfiguren. Dieser Film hatte eine.

Ricore: Wie bringen Sie Familie und Beruf unter einen Hut?

von Kessel: Organisieren, organisieren, organisieren. Es ist wirklich eine Organisationssache. Es ist anstrengend und man ist latent müde. Wenn ich zurückdenke, weiß ich gar nicht, wann ich das letzte Mal ausgeschlafen habe. Aber es ist auch wunderschön. Das man beides haben kann ist wirklich toll. Ich möchte keines von beiden missen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 24. Mai 2009
Zum Thema
Sophie von Kessel wird 1968 als Diplomatentochter in Mexiko-City geboren. Sie verbringt ihre Kindheit in Südamerika, Finnland, Österreich und den USA. Ihr Handwerk erlernt sie von 1988 bis 1992 am Frank Riva" übernimmt sie die weibliche Hauptrolle an der Seite von Alain Delon. 2008 spielt sie bei den Salzburger Festspielen die Buhlschaft im "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal.
Um den 70sten Geburtstag ihres Oberhaupts zu feiern, kommt eine Familie auf einer Berghütte zusammen. Zwar ist der wohlhabende Schraubenfabrikant Karl Mailinger (Friedrich von Thun) schon Großvater und seine vier Kinder erwachsen, seine Autorität ist aber ungebrochen. Konflikte werden im Keim erstickt und Komik kommt nicht auf, da die Figuren stereotyp wirken. Der Fernsehfilm von Regisseur Rainer Kaufmann will gleichzeitig Drama und Komödie sein und genau das ist sein Problem.
2024