Paramount Pictures
Lars Eidinger auf der Deutschland-Premiere zu "Hell"
Keine Schauspielfreunde?
Interview: Gefragter Lars Eidinger
Auf der Theaterbühne ist Lars Eidinger schon lange eine Größe, seit "Alle Anderen" ist er auch im Film ein gefragter Schauspieler. Über die Dauerhaftigkeit seines Erfolgs macht er sich keine Sorgen. Bisher habe er noch nicht alle Facetten zeigen können. Sein Können beweist der ehrgeizige Charakterdarsteller auch in Hendrik Handloegtens "Fenster zum Sommer". Nina Hoss, Mark Waschke und Fritzi Haberlandt kannte er schon von der Schauspielschule. Filmreporter.de hat den 35-Jährigen zu seinen Ängsten auf der Bühne und vor der Kamera befragt.
erschienen am 5. 11. 2011
Prokino
Fenster zum Sommer
Ricore: "Fenster zum Sommer" erzählt eine fesselnde Geschichte mit interessanten Charakteren. Was reizte Sie an dem Stoff, Plot oder Rolle?

Lars Eidinger: Was mich vor allem reizte war, mit welchen Schauspielkollegen ich zusammenzuarbeiten konnte. Kurioserweise habe ich mit Nina Hoss, Mark Waschke und Fritzi Haberlandt bereits studiert. Sie waren alle in meinem Jahrgang. Aber abgesehen davon achte ich grundsätzlich zunächst immer darauf, ob mich die Figur interessiert.

Ricore: Macht es die Arbeit mit Kollegen leichter, wenn man sich kennt?

Eidinger: Wir hatten schon fast zehn Jahre nichts mehr miteinander zu tun gehabt und wenn man nach so langer Zeit wieder zusammenarbeitet, muss man sich an einem ganz neuen Punkt begegnen. Was die Schauspielerei betrifft, haben wir uns alle weiterentwickelt. Trotzdem ist man sich noch sehr vertraut. Wir freuten uns darauf, zusammen zu arbeiten. Ich finde, Nina ist eine begnadete Schauspielerin. Ich habe im Laufe meiner Arbeit am Theater, Film und Fernsehen viele Kollegen kennengelernt, aber Nina ist eine Klasse für sich.

Ricore: Haben Sie auch persönlichen Kontakt?

Eidinger: Was mich betrifft, so treffe ich mich privat ungerne mit Schauspielern. Ich habe eigentlich gar keine Schauspieler-Freunde. Mit Schauspielern habe ich bei der Arbeit genug zu tun und ich bin froh, dass meine Freunde nicht aus diesem Bereich kommen.

Ricore: In "Fenster zum Sommer" gibt es eine zentrale Szene, in der Sie und Nina Hoss miteinander Schluss machen. Man sieht nur, dass gesprochen wird, hört aber nicht, was gesagt wird. Haben Sie sich in dieser Szene an den Text gehalten oder improvisiert?

Eidinger: Wir haben tatsächlich einen vorgegebenen Text gesprochen. Wir haben uns für diese Szene einen ganzen Drehtag genommen, um sie an verschiedenen Orten zu drehen und auf einer unterschiedlichen emotionalen Höhe zu spielen. Es gab eine Version auf dem Balkon, wo wir uns angeschrien haben. Dann gab es eine Version auf dem Fußboden liegend, nachdem wir miteinander geschlafen haben. Diese zweite Variante wurde in einem ruhigen Ton gehalten, der atmosphärisch gegen den Text stand. Sie kommt im fertigen Film nicht mehr vor. Aus den verschiedenen Varianten hat Regisseur Hendrik Handloegten die finale Szene zusammengeschnitten.
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Lars Eidinger und Nina Hoss in "Fenster zum Sommer"
Ricore: Auf der Bühne kommt es schon mal vor, dass sie improvisieren. Ist das auch im Film so?

Eidinger: Ja. Bei der genannten Szene war der Text zwar nicht improvisiert. Aber darüber hinaus kommt es darauf an, was man auf dem Set macht. Ich nehme mir als Schauspieler gerne die Freiheit, Verabredungen zu durchbrechen. Im Film und auf der Bühne ist vieles deshalb so realitätsfern, weil es einem vorgeschriebenen Pfad folgt. Das zu umgehen schafft man dadurch, indem man sich selber, den Regisseur oder auch den Kameramann mit Dingen überrascht, die vorher nicht abgesprochen wurden. Den Moment, wie jemand guckt, wenn ich ihm unvermittelt ein Glas Wasser ins Gesicht schütte, kann man unmöglich reproduzieren. Gerade im Film eignet sich die Improvisation sehr gut, da man hier das Spontane und Unmittelbare auf ewig auf Zelluloid bannt.

Ricore: Wie ist das im Fernsehen?

Eidinger: Im Fernsehen erfreuen sich in letzter Zeit Dokumentationen besonderer Beliebtheit. Dass sie das Fiktionale immer mehr verdrängen, hat damit zu tun, dass es beim Zuschauer eine Sehnsucht nach dem Realen gibt. Der Bezug zum Fiktionalen ist ein bisschen verloren gegangen. Dahin sollte man sich bewegen. Das Fiktionale sollte echter und lebendiger werden, damit die Zuschauer wieder den Zugang zum Leben finden.

Ricore: In Bezug auf ihre Theaterarbeit sagten Sie einmal, dass Sie hier unaufhörlich zwischen Versagensängsten und Allmachtfantasien schwanken. Gilt das auch für den Film oder gibt es hier schützende Schranken wie das Fehlen des Zuschauers oder die Möglichkeit, eine Aufnahme zu wiederholen?

Eidinger: Manchmal habe ich sogar den Eindruck, das gilt für den Film noch mehr, als für das Theater. Dass man beim Film Szenen wiederholen kann, heißt nicht, dass einem nicht ständig das Geld und die Zeit im Nacken sitzen. Nur selten kann man sich mehr als vier Takes erlauben. Es verlangt einem Schauspieler wahnsinnig viel Disziplin ab, sich von diesem Druck freizumachen. Einerseits muss man sehr konzentriert sein, andererseits frei genug, um nicht zu verkrampfen. Sehr oft beobachte ich bei Kollegen, dass sie in den Proben sehr gut sind, aber sobald die Kamera läuft, verkrampfen. In solchen Momenten merkt man, wie schwer es ist, sich vor der Kamera freizumachen und sich davor einigermaßen gelöst zu bewegen.
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Lars Eidinger in "Alle Anderen"
Ricore: Beeinflusst dieser zeitliche beziehungsweise finanzielle Druck auch wie man spielt, weil man gezwungen ist, künstlerische Kompromisse einzugehen?

Eidinger: Ja, manchmal habe ich Lust, mehr auszuprobieren oder will einfach das Risiko eingehen, zu scheitern. Wenn man aber weiß, dass man nur zwei oder drei Takes hat, dann sagt man seinen Text so auf, dass er irgendwie verwendbar ist. Ich würde viel lieber ein größeres Risiko eingehen. Aber dafür ist meistens einfach nicht die Zeit. In der Filmbranche wird oft auf Sicherheit gesetzt, damit erst mal technisch alles funktioniert.

Ricore: Im Kino hatten Sie ihren Durchbruch mit "Alle Anderen". Seitdem haben Sie immer wieder in Genre-Produktionen mitgewirkt. Wo bewegen Sie sich am liebsten, in kleineren Arthouse- oder eher in konventionelleren Filmen?

Eidinger: Ich habe das Glück, dass sich meine Rollenangebote seit "Alle anderen" an das Niveau dieses Films orientieren. Gewisse Sachen werden mir gar nicht erst angeboten. Ich denke, die Angebote werden meinem Anspruch durchaus gerecht. Im Arthouse-Bereich fühle ich mich sehr wohl. Trotzdem ist man oft frustriert darüber, wie wenige Menschen sich die anspruchsvolleren Filme ansehen und dass man doch nicht so viele Leute erreicht, wie man es gerne hätte.

Ricore: Ist es Ihnen wichtig, viele Menschen zu erreichen?

Eidinger: Man macht die Arbeit ja, damit die Menschen sie sich ansehen. Quantität ist manchmal nicht unerheblich. Sicher ist man sich bewusst, dass sich "Alle anderen" wahrscheinlich cleverere Menschen ansehen als etwa "What a Man". Trotzdem ist auch im Theater ein volles Haus besser, als zehn gescheite Zuschauer. Die Masse finde ich nicht unwichtig.
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Lars Eidingers Leinwand-Durchbruch "Alle Anderen"
Ricore: Lassen Sie sich von Kritikern beeinflussen?

Eidinger: Ja, durchaus. Lange Zeit habe ich gar keine Kritiken gelesen, weil ich merkte, dass ich mich allzu sehr davon habe beeinflussen lassen. Die Kritik ist zwar immer die Meinung einer Person, dennoch hat sie einen verhältnismäßig großen Stellenwert. Heute lese ich wieder Kritiken. Vielleicht liegt es daran, dass ich mittlerweile meist gut wegkomme oder dass ich die meisten Kritiker kenne und ihre Meinung besser einordnen kann. Trotzdem ist die Reaktion der Kritiker schon etwas, das einen beeinflusst. Das geht vielen Kollegen so. Selbst die, die immer behaupten, keine Kritiken zu lesen, können seltsamerweise erstaunlich gut mitreden. Jeder hat Interesse daran, mit seiner Arbeit auf positive Resonanz zu stoßen. Das ist in jedem Beruf so. Auch ein Journalist möchte, dass seine Texte gelesen werden.

Ricore: Jedenfalls gehören Sie seit "Alle anderen" zu den gefragten Schauspielern. Haben Sie Angst, dass dieser Erfolg nachlassen könnte?

Eidinger: Nein, das macht mir keine Sorgen. Im Gegenteil, ich bin froh, dass ich Aufmerksamkeit bekomme. Ich habe das Gefühl, dass ich noch mehr zu zeigen habe und es an mir mehr zu entdecken gibt, als bisher sichtbar war. Ich glaube, die guten Filme werde ich erst noch machen. Wobei "Alle anderen" schon besonders ist. Der Film ist in jeder Hinsicht gelungen. Oft hat man einen Anspruch, dem man nicht gerecht wird. Hier habe ich das Gefühl, dass alles funktioniert hat.

Ricore: Neben der Schauspielerei am Theater sowie in Film und Fernsehen, machen Sie auch andere Sachen. Sie sind Musiker, unterrichten angehende Schauspieler und führten auf der Bühne auch Regie. Man hat den Eindruck, dass Sie ein rastloser Künstler sind.

Eidinger: Ja, das hat alles einen Ursprung. Es gibt mir einfach viel, wenn ich mich ausdrücken kann. Dabei ist es egal in welcher Form das geschieht. Kreativität ist etwas, wodurch ich mich besser kennenlerne. Damit begebe ich mich auf die Suche nach mir selbst. Abgesehen davon hat sie auch eine therapeutische Funktion. Weil ich mich in der Kunst so ausdrücken kann, wie ich es mich privat nicht traue, profitiere ich davon auch als Person.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. November 2011
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2024