Universal Pictures International
Regisseur Joe Wright auf der Premiere von "Anna Karenina" in Los Angeles
Traum vom perfekten Film
Interview: Joe Wrights schönster Moment
Vor unserem Interview zu der Literaturverfilmung "Anna Karenina" dreht sich Joe Wright am Gesprächstisch entspannt eine Zigarette. Dann stellt sich der britische Regisseur den Fragen von Filmreporter.de. Dabei gibt er preis, was ihn an seiner Hauptdarstellerin Keira Knightley begeistert, weshalb erfolgreiche Literatur zeitlos ist und was eine gute Beziehung ausmacht.
erschienen am 6. 12. 2012
Universal Pictures International
Anna Karenina
Ricore: Wissen Sie, wie viele "Anna Karenina"-Verfilmungen es bereits gibt?

Joe Wright: Es müssten ungefähr zwölf sein.

Ricore: Ich habe mehr als 20 gezählt. Was hat Sie veranlasst, die Geschichte noch einmal zu erzählen?

Wright: Ich denke, dass jede Generation das Verlangen hat, diese Erzählung noch einmal zu untersuchen. Genauso wie Geschichten von William Shakespeare mehrfach neu interpretiert wurden. Wir kommen immer wieder auf diese Texte zurück und entdecken neue Aspekte an ihnen. Besonders wenn man sie in Zusammenhang mit gegenwärtigen Situationen bringen kann.

Ricore: Was war die größte Herausforderung bei der Filmadaption von "Anna Karenina"?

Wright: Das Wichtigste war wahrscheinlich Tom Stoppard dafür zu gewinnen, das Drehbuch zu schreiben. Mit ihm an Bord hatte ich das Gefühl, alles in sicheren Händen zu haben. Er war der einzige Drehbuchautor, mit dem ich an dieser Verfilmung arbeiten wollte. Tom nähert sich Leo Tolstoys Geschichte auf ganz spezielle Weise. Es ist ein großes Privileg, ein Teil davon gewesen zu sein.

Ricore: Was war Ihnen bei der Verfilmung sonst noch wichtig?

Wright: "Anna Karenina" ist ein umfangreiches Buch. Und ich weiß nicht, wie viele andere Filmversionen die Geschichte Levins berücksichtigt haben. Ich denke, seine Figur ist von großer Bedeutung für die Erzählung. Annas Geschichte ist nicht die typische große Romanze. Es geht vielmehr um eine missglückte, fehlgeleitete Liebe. Um das auszugleichen, braucht man die Geschichte von Levin.

Ricore: Wann hatten Sie die Idee zu dem Theater-Look des Films?

Wright: Tom hatte das Drehbuch innerhalb von sechs Wochen geschrieben. Dieses beinhaltete reale Schauplätze, die in Russland und Großbritannien sein sollten. Nachdem zwei Wochen der Vorproduktion vergangen waren, entschied ich mich dafür, die Handlung im Theater spielen zu lassen. Das Drehbuch musste diesbezüglich aber nur wenig umgeschrieben werden. Die Idee zu der Bühnen-Optik entstand durch eine Vielzahl von Überlegungen. Zum einen wollte ich einen Film machen, der sowohl einer literarischen Adaption als auch einem Realismus gerecht wird. Es gab aber auch praktische Gründe. Ein großer Teil des Budgets wurde für die Reisen und die Hotels in Russland ausgegeben und durch die Theater-Darstellungsform konnten wir Geld einsparen. Zudem deprimierte mich die Aussage vieler Menschen vor Ort, dass dort schon so viele "Anna Karenina"-Verfilmungen gedreht worden seien. Dadurch wurde ich in meiner Idee bestärkt, meine Version optisch anders zu gestalten.
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Anna Karenina
Ricore: Wie haben Sie sich auf die Produktion von "Anna Karenina" vorbereitet?

Wright: Wie ein Besessener. Ich habe ab einem Jahr vor Produktionsstart von sieben Uhr morgens bis Mitternacht über den Film nachgedacht. Ich habe versucht, mir jede Szene des Films vorzustellen. Somit war ich optimal auf die Dreharbeiten vorbereitet.

Ricore: Sie haben schon mehrere Filme mit Keira Knightley gedreht. Ist das bei Ihnen wie mit der Zusammenarbeit zwischen Tim Burton und Johnny Depp?

Wright: Ich liebe es einfach, mit Keira zusammenzuarbeiten. Ich bewundere ihre Tapferkeit und Furchtlosigkeit. Außerdem bin ich davon beeindruckt, wie sie die schweren Zeiten, die sich durchmachen musste, gemeistert hat. Ich bin einfach ein großer Fan von ihr.

Ricore: Gibt es eine Logik, welche Szenen in "Anna Karenina" in einem realistischen Umfeld spielen und welche auf der Bühne?

Wright: Die Romanvorlage hat für mich auch zwei Erzählebenen. Annas Geschichte ist fiktiv und Levins Geschichte hat autobiografische Züge. Daher sind die Szenen des Films mit realistischem Setting mehr für den autobiographischen Teil des Romans geeignet, so dass die Figur des Levin in einer eher authentischen Umgebung dargestellt wird. Genauso wie einige andere Charaktere. Wenn Anna und Graf Vronsky in zwei Szenen des Films etwas mehr Authentizität erlangen, sind auch sie von der theaterhaften Darstellungsform befreit.

Ricore: Ein historischer Film kostet viel Geld. War es leicht die finanziellen Mittel zu bekommen?

Wright: Also ich habe eine sehr gute Beziehung zu der Produktionsgesellschaft Working Title Films. Wir haben bislang vier Filme zusammen gemacht und sie haben mir auch für dieses Projekt grünes Licht gegeben.

Ricore: Es scheint so, als ob Sie besonders gerne Filme über vergangene Zeiten drehen?

Wright: Ich sehe diese Filme gar nicht so sehr als historische Werke, sondern eher als eine Art von Fantasyfilm. Ich fühle mich irgendwie beengt, wenn ich zeitgenössische Filme drehen muss. Da kann meine Vorstellungskraft nicht so zur Geltung kommen. Sogenannte Kostümfilme geben mir mehr Freiheit, da niemand genau weiß, wie damals alles wirklich ausgesehen hat. Auch Filme über die Zukunft interessieren mich.
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Regisseur Joe Wright auf der "Anna Karenina"-Premiere in Los Angeles
Ricore: Was interessiert Sie bei einem neuen Projekt am meisten - ein spezieller Charakter oder die Geschichte selbst?

Wright: Ich finde emotionale Charaktere, die nicht so leicht einzuordnen sind, interessant. Auch die Form des Films spielt eine Rolle und die Frage, ob diese Form auch bei einem anderen Medium funktionieren würde.

Ricore: "Anna Karenina" handelt auch von Untreue und Betrug. Was bedeutet Treue für Sie persönlich?

Wright: Also ich mag besonders einen Satz von Levin aus "Anna Karenina", der besagt, dass wir die eine Person finden müssen, die uns als Mensch ergänzt. Ich denke, dass wir durch die Beziehung zu einem anderen Menschen etwas über uns selbst erfahren. Vielleicht lernen wir in den schlechten Zeiten sogar mehr als in den guten.

Ricore: Gibt es Filme, von denen Sie beeinflusst worden sind?

Wright: Nicht wirklich. Eigentlich schaue ich gar nicht so viele Filme.

Ricore: Ihre Eltern haben Vorführungen mit Handpuppen gemacht. Inwieweit hat das Ihr Berufsleben beeinflusst?

Wright: Also mittlerweile bin ich Vater eines achtzehn Monate alten Babys geworden. Ich denke, die wichtigste Sache, die ich ihm vermitteln kann, ist die Macht der Vorstellungskraft. Egal ob er Chemiker, Sprachforscher, Musiker oder Koch werden will. Wichtig ist immer eine starke Vorstellungskraft zu haben. Und die haben meine Eltern mir vermittelt.

Ricore: Haben Sie das Puppenspiel gelernt?

Wright: Oh ja. Ich habe gelernt, Puppen aus Holz zu schnitzen und wie ich mit diesen zu agieren hatte. Außerdem wusste mein Vater genau, wie man Musik dramaturgisch einsetzt. Daher kommt auch meine Liebe zur Musik.
Pietro Pesce/Ricore Text
Joe Wright
Ricore: Welchen Teil Ihrer Arbeit genießen Sie am meisten. Den vor den Dreharbeiten, wo sie alleine in einem Raum sitzen und über Ihren Film nachdenken?

Wright: Ja, das ist es (lacht). Nein, also ich mag den gesamten Prozess. Trotzdem ist der Moment, in dem man vom perfekten Film noch träumt, am Schönsten. Nachher muss man dann viele Kompromisse machen. Wenn man 14 Stunden am Tag und sechs Tage die Woche für drei Monate am Set ist, wird man sehr müde. Aber natürlich mag ich auch die Arbeit mit den Schauspielern.

Ricore: Stimmt es, dass sie am Set in Russland vor hungrigen Wölfen gewarnt wurden?

Wright: Ja, ist richtig. Es war minus 28 Grad und wir durften nirgendswo allein hingehen, weil es dort Wölfe gab. Die Gegend ist auch eher im Sommer als im Winter ein Urlaubsort.

Ricore: Gibt es einen Regisseur, der Sie besonders beeinflusst hat?

Wright: Ja, da gibt es viele - wie Federico Fellini und David Lynch. Solche Regisseure sind wahre Poeten und ich liebe sie.

Ricore: Sie sagten, dass bestimmte Themen in Romanen wie "Anna Karenina" zeitlos sind. Welche Themen sind das genau?

Wright: Also Emotionen sind für jede Generation gleich wichtig. Wenn eine Frau wie in "Anna Karenina" ein Tabu bricht, ist es für sie viel problematischer, als wenn ein Mann dies tun würde. Auch die zeitgenössische Gesellschaft würde sie zerstören, gerade wenn man an die Macht der Medien heutzutage denkt. An solche Parallelen zur heutigen Zeit denke ich aber nicht zwangsläufig, bevor ich einen Film drehe. Sehr wohl aber denke ich an die speziellen Eigenschaften der Charaktere. Je individueller und spezieller ich einen Charakter wie Anna darstelle, desto mehr sagt er auch für die heutige Generation aus.

Ricore: Haben Sie schon ein neues Projekt in Planung?

Wright: Im nächsten Januar werde ich zwei Theaterstücke in London aufführen und ich freue mich sehr darauf. Einen neuen Film habe ich momentan nicht in Planung. Fünf Filme in acht Jahren sind erst mal genug. Im Moment möchte ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen.

Ricore: Wie ist Ihre Beziehung zu Hollywood?

Wright: Sie ist gut. Aber ich versuche, nicht zu nahe an das Business in Hollywood zu kommen. Ich habe dort für die Dreharbeiten von "Der Solist" ein Jahr gelebt und fand diesen Ort nicht sehr angenehm. Allerdings war ich sehr erfreut über das Geld, das man mir zur Verfügung gestellt hat. Da ist gesunder Respekt zwischen Hollywood und mir. Aber ich sorge mich um die Stadt selbst, denn dort werden gar keine Filme mehr gedreht, da es keine Steueranreize mehr gibt. Die sind eher in Deutschland, Großbritannien, Louisiana und New Mexiko vorhanden. Es ist sehr schade, dass in Hollywood keine Filme mehr gemacht werden. Ich hatte bei "Der Solist" einen Fahrer, der normalerweise an 355 Tagen im Jahr gearbeitet hat. In den letzten neun Monaten hat er nur acht Tage gearbeitet. Die Filmindustrie ist dort in großen Schwierigkeiten.

Ricore: Wie waren Ihre Erfahrungen, als Sie in Berlin gedreht haben?

Wright: Sehr gut. Es war ein harter Dreh und das Wetter war wirklich scheiße (lacht). Aber ich hatte eine gute Zeit mit den deutschen Darstellern. Ich habe gemerkt, dass ich viel mehr Gemeinsamkeiten mit anderen Europäern habe, als mit US-Amerikanern. Nur weil man Engländern ist, muss das noch lange nicht heißen, dass man den Amerikanern sehr ähnlich ist. Man bekommt einen richtigen Schock, wenn man in die USA geht und realisiert, dass dort alle komplett anders sind. Und auch wenn ich in Europa nicht die Sprache der Menschen beherrsche, bin ich mit deren Kultur viel vertrauter.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 6. Dezember 2012
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2024